Donnerstag, April 07, 2005

Von der Theke auf den Friedhof?

Gestern wollten Martin und ich Champions-League auf Premiere sehen. Also mussten wir uns ein entsprechendes Lokal aussuchen. Wie manche wissen, ist die Auswahl in Gladbeck da nicht groß. Die Trash-Band Violent Force sang schon Anfang der 80er "Gladbeck is dead city". Tagsüber Venedig des Ruhrgebiets, abends ein Friedhof.

Die größte Chance auf einen entspannten Fussballabend sah ich bei einer Kneipe namens Haus Hoff. Dort sitzen seit Jahrzehnten die selben Senioren und werden irgendwann mal im Sarg aus der Kneipe getragen. Schnell noch einen Korn in die Kist gekippt als Tribut für den Fährmann, und ab geht die Reise in die nächste Dimension.

Martin wollte sich erkundigen, ob dort am gestrigen Tag Fußball lief. Dies erwies sich schwieriger als gedacht. Kein Eintrag in den gelben Seiten, keine Homepage im Internet unter wwww.hoff-erlebnisgastronomie.de, kein Flugzeug am Himmel, dass die Telefonnummer in roten Rosen vom Himmel regnen ließ.

Clever wie er ist, suchte Martin die Numnmern der zwei vorhandenen Gladbecker HOffs aus dem Telefonbuch und versuchte sein Glück.

"Anna Hoff Beerdigungsinstitut." Klasse, da wurde gleich eine horizontale Diversifikation geschaffen, wenn ich mich recht an den Berufsschulstoff erinnere. Wirklich raus aus der Kneipe, rein in die Kiste? Nein, die hatten nix mit dem Lokal zu tun. "Ich ruf in fünfzig Jahren noch mal an", verabschiedete sich Martin.
Aber die nächste Nummer erwies sich als eine lohnende Informationsquelle. Die Kneipe sei verpachtet und es wurden gleich zwei Handynummern weitergereicht, die vom Drago und der Geli. Ja, extra für uns würde der Fernseher angestellt. Geil, was? Da fühlt man sich als Premiumkunde in einem Low-Budget-Lokal.

Haus Hoff war auch wirklich so, wie ich es aus grauen Jugendzeiten in Erinnerung hatte. Vier Rentner am Tresen, deren Gesprächsniveau und Verständlichkeit sich umgekehrt proportional zum steigenden Alkoholikakonsum verringerte. Seltsames Phänomen.

Außerdem beehrten noch zwei Männer um die vierzig, Gladbecker Yuppies, falls es so was gibt, die Lokalität. Der Glatzkopf erklärte der Bedienung, dass er nur mit Frauen ins Bett geht, die er sympathisch findet. Wie sie es halten würde? Ich fand es gut, dass so grundlegende Standpunkte erörtert werden. Habe aber leider nicht verstanden, was sie geantwortet hat.

Das Anschalten des Fernsehers erwies sich dann als schwierigeres Unterfangen als erwartet. Wer denkt, das kann doch jeder, hat sich gründlich geirrt. Denn die Bedienung war erst kurz da und wußte nicht so genau, wie man das macht. War aber wirklich nicht so einfach. Sie fragte, ob wir die Geli kennen würden. Martin sagte dann auf gut Glück, dass sei doch die Blonde. War richtig. Hey, und das ohne Joker. Jedenfalls führten die beiden ein längeres Telefonat und nach zwanzig Minuten, Chelsea führte bereits 1-0, lief der doppelgeschaltete rückwärtsgekoppelte analfixierte Fernseher.

Ach, Bayern kriegte leider die Hüte vollgeschossen. Sah beim Stande von 4-1 ziemlich hoffnungslos aus. Allerdings bekamen sie noch in der letzten Minute einen Elfer zugesprochen. 4-2 ist noch okay. Also: Nie die Hoffnung aufgeben als Quintessenz für Fußballlegastheniker.

Und als wir dachten, die Zaüfhähne würden zugedreht, die volkstümlichen Melodien abgestellt und die Rolläden geschlossen, kam Mario. Ein Kerl wie ein Bär mit lispelnder Stimme, der mitten in der Nacht Networking betrieb. Beneidenswert.

Er ging auf jeden zu, gab dem jeweiligen die Hand und sprach "Ich bin der Mario, wer bist du?". So unkompliziert kann es sein, neue Leute kennenzulernen. Innerhalb von drei Minuten kannte ich seinen kompletten Lebenslauf; auch selten dass man jemanden mal eben kurz in der Kneipe kennenlernt und seine ganze Geschichte kennt. "Ich komme ursprünglich aus Halle an der Saale, bin nach Borken gezogen, hab dort vier Jahre auf dem Bau geackert, oft schwarz", grinste er verschmitzt "und bin jetzt in Gladbeck. Leider ist mein Vertrag auf dem Friedhof ausgelaufen." Friedhof war irgendwie das Wort des Abends. Was ich denn machen würde. Schritsteller. Nee, das wäre nicht so sein Metier. Er käme gerade aus der Pizzeria in Rentfort, hier wäre er nur zweimal im Monat. Was wir denn trinken wollten?

An diesem Punkt drohte die Kneipenbekanntschaft in eine lebenslange Freundschaft zu mutieren. Gefährlich. Ich muss unbedingt mal die Geschichte von dem Belgrader Diskothekenbesitzer erzählen. Gefährlich.

So verabschiedeten wir uns, und Mario konnte sich ein, zwei Tränen nicht verkneifen. Jetzt hätte er nach zwei Jahren in Gladbeck endlich neue Freunde gefunden und schon müssten wir weg. PP, so ist das manchmal im Leben.

Jedenfalls sind Oppakneipen für mich eine nieversiegende Quelle der Inspiration und Erheiterung. Man muss nur sehen, dass man den Absprung schafft. Sonst gehört man irgendwann zum Inventar, und dann ist Schluss mit lustig.

In diesem Sinne alles Liebe und einen warmen Donnerstag Michael

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