Montag, April 11, 2005

Mein finnischer Produzent

Samstag fragte mich Prym, ob ich mit ihm zum Geburtstag einer gemeinsamen Bekannten gehen würde. Okay, sagte ich, schwang mich aufs Fahrrad, da ich 30 Jahre Louise bestimmt nicht ohne den Konsum alkoholischer Getränke überstehen würde.

Zu Louise: Sie erhielt den Beinamen Slow-Word in Anlehnung an Eric Clapton, da kaum mehr als 5 Worte pro Minute ihren Mund verlassen. Schon einmalig dieses Langsamkeitsphänomen. Ich präpheriere die Theorie, dass besonders langgewundene Synapsen in ihrem Kopf wuchern, so dass der Weg von der Wahrnehmung über die Verarbeitung bis zum Output kilometerlang ist.

Das nur am Rande, da wir uns umentschieden und lieber der Originalversion von Ring 2 beiwohnten. Dies hatte eigentlich nur einen Grund; selbst nach 14 Jahren in Deutschland spricht Mr. Aioli noch immer kein Deutsch. Immerhin ist er soweit, ein Bitte durch das Heben der rechten Augenbrauen zu artikulieren, was ihm zumindest beim Bäcker weiterhilft.

Aufwachsen in einem kleinen Kaff namens Lapeenranta oder so verdiente Aioli sen. sein Geld als Fischer. Schade nur, dass Sohnemann eine Fischallergie besaß und -phobie enetwickelte. Statt mit Vatter das Meer auf der Suche nach Heringen zu beschippern, zog sich Prym lieber in die Hinterräume des Hofes zurück und brachte sich selber Gitarre, Bass, Schlagzeug und Kasu bei. Bereits im zarten Alter von 14 war er auf den Dorfhochzeiten der Umgebung ein beliebter Alleinunterhalter.

Dieser Ruf drang bis nach Helsinki vor und so engagierte ihn das bekannte Kylappi-Label. Doch die Verkaufszahlen seiner ersten beiden Releases "Aioli plays the fisherman's blues" und "Rykausi Muutaky" trafen nicht die Erwartungen der Plattenfirma. Außerdem betrog ihn der Produzent um seine Tantiemen und setzte sich Richtung Amerika ab. Ein schwerer Schlag für Prym.

Sein Eltern drängte ihn, ins väterliche Geschäft einzusteigen, ohne Rücksicht auf seine Fischaversionen. Ihm blieb keine Wahl. Er mußte Finnland verlassen, um auf dem europäischen Festland sein Glück zu versuchen.

Eine Anzeige in einer Helsinkier Tageszeitung brachte ihm die zweifelhafte Erleuchtung: Warner Brohthers in Feldhausen sucht Mitarbeiter für den Filmpark. Was kann man von einem Jungen aus der Einöde anderes erwarten? Prym glaubte, es handele sich um eine Produktionsstätte der weltberühmten WB-Studios.

Er packte seinen Rucksack, verabschiedete sich von seiner Familie, schulterte die Gitarre und ab gings Richtung Ruhrgebiet.Eine Wohnung war schnell gefunden. Eine sozial engagierte Familie in Gladbeck nahm sich des jungen Finnen an. Nach einiger Zeit klappte auch die Kommunikation zwischen ihnen; sprach Prym doch nur Englisch, Esperanto (!), und den schwer verständlichen ostfinnischen Dialekt.

Dies war auch ein Manko einer steilen Karriere bei Warner Brother. Er solle sich erstmal hochdienen, wurde im Vorstellungsgespräch vollmundig verkündet. Allerdings ist er bis heute über die Position des Fahrers nicht herausgekommen. Immerhin durfte er Showgrößen wie Stefan Raab, Christian Möhlmann (Big-Brother-Nominator) oder Ross von BroSis über das Parkgelände kutschieren.

Dort lernte ich ihn auch kennen. Nach einer Lesung fuhr er mich zum Parkeingang. Aus dem Radio kamen wehmütige Klänge von solch potenzierter Tristesse, wie ich sie noch nie gehört hatte. Ich fragte ihn, was das für Musik sei. Es stellte sich heraus, dass es ein Stück seiner zweiten Platte war, in der er die Leiden seines Volkes vertont hatte. Nun fragt sich ein jeder, was hatten die Finnen zu leiden? Familie Aioli waren Finnen jüdisch-palästinensischer Herkunft. Wenn das mal kein schlechtes Karma ist. Jedenfalls zeigte ich mich an seinem musikalischen Oevre mehr als interessiert und wurde zu Probeaufnahmen eingeladen.

Denn mittlerweile hatte sich Prym auf dem Gladbecker Bauernhof ein Tonstudio namens Desert Beach eingerichtet. Als ich diesen weihevollen Ort das erste Mal betrat, traute ich meinen Augen nicht: Bestimmt an die 20 Orrfsche Instrumente, Holz- und Blechbläser, elektronischer Krams waren auf zehn Quadratmetern versammelt. Dieses wirklich schlechte Feng-Shui vermittelte mir sofort die Tragweite des finnischen Blues.

Dies spiegelt auch unsere erste gemeinsame Produktion "Chris Bresser - Crying souls in wicked hotels" wieder. Leider floppte unsere zweite an Madonna angelehnte Scheibe, ist schon von Nachteil, wenn kein beteiligter Musiker die Songs mag. Dennoch sind auch auf dieser Scheibe Perlen des Musikgeschichte zu entdecken wie unser Fan Janusch Glycklich aus dem polnischen Knast schrieb. Mittlerweile ist unsere dritte Scheibe so gut wie fertig. Prym spricht immer noch vorzugsweise Eperanto und bläst zum Mittagessen seine Pekingente mit der Luftpumpe auf. Statt Deutsch zu lernen, studiert er Japanisch für Diplomaten an der Finnischen Botschaft in Düsseldorf, aber bei dem Kerl wundert mich gar nichts mehr.

Für Leute, die unseren ersten Silberling noch nicht kenne, hier die Rezension im Ox:
CHRIS BRESSER & THE ICETHUGS - Crying souls in wicked hotels CD-R
(Prym Aioli, Hof hinter dem Laden an der krummen Straße 8, 45966 Gladbeck)

Die Story hinter dieser CD ist mindestens genauso verrückt wie das, was einem da aus den Boxen entgegendröhnt. Ein gewisser D. Aido, finnischer Landsmann, kommt nach Deutschland um in einem Vergnügungspark zu arbeiteten. Dort trifft er, wie es Gevatter Zufall es so will, den Ex-Sänger der US-Punk-Band RAZOR SMASHERS, beide merken, dass sie doch recht gut zusammenpassen und beschließen spontan ein Album ausschließlich mit CHRIS ISAAK Cover-Versionen aufzunehmen!!! Ihre Musik nennen sie selber "Deconstructional Punk-Rock", völlig abgespaced und deftig mit SUICIDE verseucht, würde ich das nennen! Da ist kein Ton unverzerrt, nur die richtig fiesen Sythie-Sounds werden verbraten und kein Feedback wird ausgelassen.

Zusammengehalten wird dieser Wahnsinn von einer stotternden und stolpernden Beat-Box aus dem Horror-Labor von ALIEN SEX FIEND. Hätte echt nicht gedacht, dass es jemand wirklich schafft so kaputt, absoult Retro-80ties und gleichzeitig aufregend neu zu klingen.

Großartig! Ich schlag gleich ´n Purzelbaum vor Glück!

© by OX-FANZINE [41] und Casi

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