Montag, September 27, 2010

Bestseller Kapitel 12: Graf Fickola und der neue Holocaust



Ich fahre zurück nach Linden. Mir schießen tausend Gedanken durch den Kopf. Ist es moralisch bedenkenlos, Pornos zu konzipieren? Eigentlich spricht nichts dagegen. Wird ja keiner zu gezwungen, vor der Kamera zu poppen. Sieht zumindest auf den ersten Blick so aus. Und die Bezahlung ist fantastisch. Da kann ich mir richtig was gönnen. Öfter zu coolen Festivals fahren, Antje zu einem Trip nach Dänemark einladen, eigene Projekte vorfinanzieren. Vielleicht Andi unterstützen. Einen ähnlich gut bezahlten Job habe ich noch nie angeboten bekommen. Andererseits mag ich das Rotlichtmilieu nicht. Zwar finde ich auch bei exzessivem Nachdenken kein Argument, dass gegen den Konsum dieser Filme spricht. Tut ja keinem weh. Diese Szene macht auf mich aber den Eindruck des Halblegalen an der Grenze zum Kriminellen. Wobei ich kein Spießer sein will. Pierre scheint in Ordnung zu sein. Dennoch hat er Bea nichts von seinen Geschäften erzählt. Als hätte er etwas zu verbergen. Harry finde ich einfach nur widerlich. Der würde seine Oma für Kohle verkaufen. Und den Opa oben drauf legen. Ich habe das dunkle Gefühl, dass es nicht gut gewesen ist, sich mit diesen Typen einzulassen. Ich hole einen Kaugummi aus der Tasche und mümmele mechanisch darauf rum, während sich meine Gedanken im Kreis drehen, durcheinander wirbeln und sich in diversen Richtungen verflüchtigen.
Vielleicht mache ich mir einfach zuviel Gedanken. Die Finanzierung für meinen Roman steht. Und die Arbeit dürfte nicht schwer sein. Einige Ideen habe ich schon. Auf einem Schloss in Transsylvanien haust der sexsüchtige Graf Fickola, ein Urenkel von Dracula, mit seinen Neffen Schwanzola und Penetrala. Eine Gruppe Pfadfinderinnen erkundet Rumänien per Bus. Die Nacht naht, der Sprit neigt sich dem Ende zu, und es stürmt wie am Tag des jüngsten Gerichts.
Da klopft der Busfahrer an die Pforten von Schloss Castelul Bran, wie die Draculahütte auf Rumänisch heißt. Es scheint leer zu stehen. Die jungen Mädchen streicheln sich in den Schlaf, doch an gemächliches Schlummern ist nicht zu denken. Denn den Graf und seine Familie plagt die nackte Geilheit. Man könnte die Außenaufnahmen am Originalschauplatz drehen, die Innenszenen in Hannover. Ich bin angetan von meiner Idee und will sie heute Abend Pierre präsentieren. Er soll sehen, dass ich etwas für mein Geld tue.
Ich steige Leinaustraße aus der Bahn und laufe gemächlich zur Post. Ein Obdachloser pumpt mich an. Ein Zehner wechselt den Besitzer. Er kann sein Glück gar nicht fassen. Will mich umarmen, doch ich wehre ab. Man sollte seinen Reichtum teilen, denke ich. Das mindert auch das schlechte Gewissen.
In der Post fertige ich mit Hilfe der Angestellten eine Bareinzahlung für die Ahmert an. Kostet fünf Euro. Wen juckt das, frage ich sie. Erstaunen, sehe nicht wie jemand aus, der einen Fünfer aus der Portokasse zahlt. Wird sie sich dran gewöhnen.
Nachdem ich die Post verlassen habe, rufe ich im Verlag an.
»Gisela Ahmert.»
»Horst Stengel hier. Frau Ahmert, ich habe die dreitausend Euro überwiesen. Sie können loslegen.»
»Stengel, Stengel», überlegt sie. Wie kann sie mich vergessen haben. »Ach ja, der junge begabte Autor. Ihr Roman ist bereits im Lektorat und unser Graphiker tüftelt an einem knalligen Coverbild. Er ist sehr erfahren in der Gestaltung von Lyrikbänden. In einigen Tagen steht das Konzept.»
Ich bin etwas erstaunt.
»Es ist ein Roman, keine Lyrik. Memoiren eines Blutegels. Ich hoffe, der entwirft kein Cover für das falsche Buch?»
Sie hüstelt verlegen.
»Da habe ich etwas verwechselt. Wissen Sie, wir bringen so viele Titel in nächster Zeit raus. Nein, der Illustrator arbeitet am Cover für Ihr Buch. Machen Sie sich keine Sorgen.»
Mache ich aber doch. Klingt alles wischi-waschi. Aber vielleicht hat sie wirklich viel um die Ohren.
»Wie hat Ihnen das Ende des Romans gefallen. War das zu heftig, oder geht es so?»
»Ganz famos, Herr Stengel. Wie ich bereits gesagt habe, alles läuft. Wir setzen uns mit Ihnen in Verbindung, wenn wir noch etwas brauchen. Den Veröffentlichungstermin teile ich Ihnen auch noch mit. So, ich habe gleich den nächsten Termin. Weiß wirklich zurzeit nicht, wo mir der Kopf steht. Bis bald, Herr Stengel. Und toll, dass Sie das Geld so schnell überwiesen haben.»
Sie legt auf. Wirkt ein wenig konfus, die Gute. Aber bei der vielen Arbeit.
Ich stehe noch immer am Bürgersteig und rauche, als mein Handy klingelt.
»Sweety, wir war es beim Macker von deiner Ex?»
Mein Schatz. Ich entscheide mich, das Verschwiegenheitsgebot zu beachten. Unter anderem, weil mir nicht ganz wohl bei der Sache ist. Ich bin mir auch nicht sicher, ob Antje meinen Einstieg in die Pornoindustrie begrüßen würde.
»Fantastisch, ich habe den Job.»
»Wie geil ist das denn», freut sich aufrichtig, was mein schlechtes Gewissen steigert. »Und die Kohle? Was verdienst du? Und was sollst du für die tun? Mensch, Alter, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.»
»Ich soll Konzepte für Komödien entwerfen. Figuren, Handlungen. Die haben vorher eher seichte Kost fabriziert. Ich designe denen die Vorlage für einen Hammerfilm. Gibt fünfzehntausend pro Drehbruch. Wenn ich am Set bin, bekomme ich vierhundert Tagessatz. Das lässt sich echt sehen. Habe auch einen Vorschuss erhalten, den ich sofort an den Verlag weitergeleitet habe. Wenn der Professor sein Geld zurückfordert, reicht es auch noch», schwindele ich nur wenig. Sind ja wirklich Komödien.
»Super giga mega geil. Lass uns das feiern, Baby. Wir könnten im Georgengarten abhängen und ein paar Würste auf den Grill schmeißen, wie klingt das?»
»Toll. Aber heute kann ich nicht», versetze ich ihrer Vorfreude einen Dämpfer. »Muss heute Abend noch was mit Pierre besprechen. Soll auch schon die Crew kennen lernen. Deshalb bin ich noch mal in der Firma. Lass uns das morgen machen.»
»Dass du mir nicht zum Workaholic wirst. Ich werde dich heute vermissen. Mein Herz wird bluten. Aber wenn ich das überlebe, können wir morgen Mittag losstarten. Keine Uni für Antje. Ich rufe den Andi an, wie es bei ihm und Kathrin steht. Mein Sugarsweety ist zu beschäftigt. Ich bin wirklich sehr, sehr stolz auf dich.»
Das übergehe ich. So viel Lob verdiene ich nicht.
»Klasse, ich freu mich drauf. Bis morgen dann. Liebe dich.»
»Ich liebe dich auch und würde mich am liebsten von dir richtig durchvögeln lassen», stöhnt sie. »Aber bis morgen halte ich es gerade noch aus. Ciao, Babe»
Da habe ich mich gut aus der Affäre gezogen, finde ich. Das Gewissen drückt allerdings noch immer, lastet bleischwer auf mir. Ob andere Schriftsteller sich auch mit solchem Mist rumschlagen müssen. Zumindest verstehe ich langsam, warum so viele Autoren an Alkohol, Drogen oder Nikotin krepiert sind. Spaß macht ein Leben voller Lügen nicht.
Ich gehe nach Hause. Die Post war schon da. Ein Haufen Müll. Reklame von Real, kostenlose Kredite, unwichtige Mahnungen und ein Schreiben von Pekingtech.
Ich muss kein Prophet sein, um den Inhalt zu erahnen. Der Professor kündigt unser Arbeitsverhältnis fristlos und fordert den Vorschuss zurück. Also laufe ich zur Post zurück und tätige eine weitere Bareinzahlung. Die Postangestellte mustert mich argwöhnisch. Ist in Linden seltsam, wenn jemand mit so viel Bargeld herumläuft. Aber ich will mich nicht weiter mit Schulden belasten. Das ist eine der wenigen Dinge, die ich von meinem Vater übernommen habe: Bleibe niemanden etwas schuldig.
Bis zum Abend setze ich mich ins Café les 'ersatz, einem heimeligen Laden, der eher an ein Wohnzimmer als an eine Bar erinnert. Ich lese in der taz und weiß, hier wird auch bald mein Konterfei im Kulturteil glänzen. Danach genieße ich das bunte Straßentreiben. Linden ist Live-Kino, voll bunter Gestalten und Geschichten, die darauf warten, erzählt zu werden. Wenn mir mein neuer Job Zeit lässt, werde ich einen Linden-Roman schreiben. Bietet mehr Stoff als Kaminers Kiez in Berlin.
Beschwingt von all den neuen Ideen kehre ich nach Hause zurück und notiere sie auf dem PC. Auch wenn ich in vielen Dingen ein konservativer Traditionalist bin; ich kann nur am Computer schreiben. Das liegt zum einen an meiner katastrophalen Handschrift. Meine Klassenlehrerin Frau Schnarrenberg ließ mich als einzigen noch bis zur achten Klasse ein Schönschreibheft führen. Ohne jeden Erfolg. Zum anderen kann ich am Rechner rasch Änderungen durchführen. Gefallen mir Worte, Wortstellung oder Rhythmus nicht, lösche und ändere ich völlig schmerzfrei. Kein Durchstreichen, Rätseln über den Sinn, Zerknüllen und vom Neuen beginnen. Zufrieden speichere ich die Datei unter dem Namen Cool-Linden.doc. Nächste Woche beginne ich mit dem neuen Projekt und vibriere voll Vorfreude.
Andi ruft an.
»Hi», meldet er sich tonlos.
»Was geht ab? Alles klar? Habe den Job beim Film bekommen. Finanzierung für mein Buch ist gesichert. Das nächste Projekt ist bereits in der Mache. Läuft alles wie geschmiert», texte ich munter drauf los.
»Horst», sagt Andi lebendig wie eine Wachsfigur. »Fühle mich wie ausgekotzt. Bin noch immer deprimiert. Wo ist meine Perspektive? Ich weiß nicht, was für Bilder ich in Zukunft malen soll. Sehe da nichts vor mir. Meine Kunst muss in jedem Fall klar von den Rechten abgegrenzt sein. Doch ich weiß nicht wie. So eine Lebenskrise habe ich noch nie erlebt. Mir ist klar, dass du auch keine Lösung weißt. Aber ich muss mit jemanden reden.»
Auf Deprigesülze habe ich keine Lust. Will eigentlich meine Euphorie teilen, geht aber nicht. Muss verschwiegen sein.
»Was ist mit Kathrin? Die Frau liebt dich, das sieht ein Blinder ohne Krückstock.»
»Horst, das ist allein mein Problem. Du kennst ja meine Werke am Besten. Wenn wir uns von Verbrechern instrumentalisieren lassen, ist das unsere eigene Schuld. Ich muss für die Scheiße mit den Glatzen selber die Verantwortung übernehmen. Aber die wiegt schwer. Vielleicht sollte ich etwas ganz anderes machen. Die Straßen putzen oder bei Conti Reifen wuchten. Was weiß ich. Aber ich will keine Schuld am neuen Holocaust tragen.»
Neuer Holocaust, das scheint mir maßlos übertrieben.
»Wir haben doch ein paar Mal drüber gesprochen. Das liegt nicht an dir, wenn dieser Säge deine Bilder bei den Idioten unterstellt, und das denen noch gefällt. Zeigt doch nur, wie hohl die sind. Mach dir keinen Kopf. Bist du morgen beim Grillen dabei?»
»Ja sicher. Ich glaub, ich schieß mir die Birne zu. Vielleicht löst das die Blockade. Ich weiß auch nicht.»
Ich beginne mir langsam, Sorgen zu machen. Es gibt, viele Leute, die den ganzen Tag jammern. Andi gehört nicht dazu. Und seine depressive Phase scheint sich kontinuierlich zu verstärken.
»Mach keinen Scheiß, Alter. Reiß dich zusammen. Das ganze Drogenzeug bringt dich auch nicht weiter. Ist okay, sich ab und an einen Kick zu holen. Aber als dauerhafte Lebensstrategie führt dich das nur in eine Sackgasse. Wirf doch einmal eine Woche keine Pille ein, kein Koks. Dann wird es dir sicherlich besser gehen. Und die richtigen Ideen kommen von selbst.»
Ich quatsche wie ein Schmalspurtherapeut, weiß aber keine andere Möglichkeit, ihn aufzubauen.
»Danke, dass du zugehört hast», flüstert Andi. »Du warst immer ein guter Freund. Nicht so ein Wichtigtuer wie viele andere. Hast mir auch unbequeme Sache gesagt. Das weiß ich echt zu schätzen.»
»Andi, das geht mir umgekehrt genauso. Morgen grillen wir schön, trinken ein paar Bierchen und dann sieht die Welt wieder anders aus. Ich bin bis jetzt auch aus jeder Krise herausgekommen. Und ich hatte schon viele.»
»Ja, schauen wir», klingt er genauso down wie zu Beginn unseres Gesprächs. »Dann bist morgen.»
Irgendwie hat mich das Gespräch erschöpft. Ich sorge mich um Andi und muss über seinen Satz nachdenken, dass wir immer an unserem Unheil Schuld sein sollen. Ich weiß nicht, ob er da vielleicht doch Recht hat. Über hochphilosophische Fragen grübelnd lege ich mich auf die Couch und dämmere weg.

Kurz nach zwanzig Uhr fahre ich in die Stadt. Das Spezial liegt im Steintorviertel, dem Rotlichtviertel von Hannover. Muss nichts heißen. Als ich beim Lokal angekommen bin, stelle ich fest, dass es doch was heißt. Das Spezial ist ein lupenreiner Puff. Im Fenster räkeln sich leicht bekleidete Mädchen und versuchen Passanten durch dezentes Winken in das Lokal zu locken. Ich habe keine Lust mehr auf diese Feier. Fünf Minuten stehe ich vor dem Laden und bin mir unschlüssig. Schließlich gehe ich doch rein. Der Schrank vom Filmset arbeitet als Türsteher. Grinsend begrüßt er mich.
»Ah, Horst. Am ersten Arbeitstag gleich ein Nümmerchen schieben? Herzlich willkommen im Spezial. Der Chef wartet schon auf dich.»
Der etwa hundert Quadratmeter große Raum ist komplett mir rotem Plüsch verkleidet. Kerzenleuchtern nachempfundene Lampen sorgen für gedimmtes Licht. Scheint noch nicht viel los zu sein. Fünf Damen im Alter von Anfang zwanzig bis Mitte dreißig räkeln sich auf den Sofas. Eine will sich gleich auf mich stürzen. Doch Pierre winkt. Er sitzt mit Harry und zwei Frauen an einem Tisch. Vor ihnen Champagner. Die kleine Schwarzhaarige zieht einen enttäuschten Flunsch, wirft mir aber einen Kussmund zu. Pierre überlegt es sich anders und winkt sie zu uns.
»Horst, wie stehen die Aktien. Schön, dass du gekommen bist», er streichelt der aufdringlich geschminkten Blonden übers Bein. Bea ist das nicht.
Harry hat schon ganz schön getankt.
»Heute lassen wir die Puppen tanzen. So jung kommen wir nie wieder zusammen», gröhlt er und greift seiner Begleitung, einer rassigen Rothaarigen in den Ausschnitt und holt eine Brust hervor.
»Ja, war ein anstrengender Tag heute», wirft Pierre wie immer sehr distinguiert ein. »Hast du dir schon Gedanken über neue Konzepte gemacht?»
Die Schwarzhaarige sitzt jetzt neben mir, hat ein Schampusglas vor mich platziert und fummelt an meinem Rücken herum.
»Ach Quatsch. Jetzt wird gefeiert. Die Arbeit kann bis morgen warten. Russlana ist eine besonders edle Stute. Da vergisst du jeden Stress, mein Freund. Ich relaxe hier schneller als im Meditationsraum», blinzelt er. Mir wird das Mädel zu aufdringlich, ich entferne ihre Hand von meinem Rücken und lege sie zurück auf ihr Bein.
»Gefalle ich dir nicht? », haucht sie.
»Ich habe eine Freundin», erkläre ich, obwohl ich weiß, dass das hier gar nichts zählt.
»Ja und? », fragt sie. »Freundin muss nix wissen von Russlana. Wir machen schönen Abend und morgen bist du lieb zu Freundin.»
Pierre hat ein Metalldöschen auf den Tisch gelegt. Seine Dame streicht ihm im Schritt herum.
Er öffnet es. Weißes Pulver. Gekonnt schüttelt er zwölf Lines auf den Tisch. Die Mädchen sind zuerst dran. Mit einem von Pierres Hunderten schniefen sie den Stoff in die Nüstern.
»Für mich nicht. Danke. Bin zurzeit auf dem Gesundheitstrip. Da halte ich mich zurück.»
»Du hältst dich mit allem zurück. Mensch, Junge, das geht alles aufs Haus. Du kannst mit der Russlana machen, wovon deine Perle noch nie was gehört hat. Ich glaube, der steht auf Eis am Stiel», bellt er. Mit ihm der Rest des Tisches. Selbst Pierre kichert leise in sich hinein.
»Wenn er nicht will, lass ihn. Ich bin selber in festen Händen, aber als Geschäftsmann bin ich verpflichtet, meine Ware zu prüfen. Außerdem enthüllt die Vielfalt den Reiz des Einzigartigen», spricht er und wiegt den Busen der Blonden, die lasziv kichert. Aus den Boxen säuselt Lee Hazlewood vom Kater nach dem Genuss von Summer Wine.
Ich fühle mich genervt, bedrängt, will einfach nur weg. Die Atmosphäre ist stickig, warm voll billigen Parfüms. Meine Zunge fühlt sich belegt an.
»Trink, Junge», gießt Russlana mir Blubberwasser in einen Kelch. »Das macht locker und regt Sinne an.»
»Mal was anderes», fragt Pierre und positioniert eine Sonnenbrille auf seiner Nase. Dabei ist es gar nicht hell. »Was hast du dir bezüglich neuer Filme ausgedacht? Eigentlich wollen wir feiern und nicht über die Arbeit reden, aber ich bin neugierig.»
Hinter meinem Rücken fummelt Russlana an meinem Sektglas rum. Soll sie, dann brauch ich die dekadente Plörre nicht zu trinken.
»Ich habe viele Ideen», bin ich froh, eine Pause vor den Zudringlichkeiten der Frau gewährt zu bekommen. So erzähle ich von Graf Fickola, schmücke alles aus, weise auf möglich Kosten und Einsparmöglichkeiten hin. Pierre ist begeistert.
»Harry, ich habe doch gesagt, der Junge ist Gold wert. Da sprechen wir auch eine intellektuelle Zielgruppe an. Ficken und sich bilden könnte unser Slogan heißen. Da greift auch der Gymnasiallehrer zu. Und der Unterschichtkunde interessiert sich eh nur für Geschlechtsorgane. Das hat die Zielgruppenforschung herausgefunden, die ich letztes Jahr in Auftrag gegeben habe. Entschuldige meine etwas drastische Wortwahl, aber wir wissen alle, wovon wir reden.»
»Kein Problem», sage ich.
Von Sekt und Koks euphorisiert, klopft er mir auf die Schulter. »Fein gemacht, Horst.»
In Harry Achtung scheine ich auch gestiegen zu sein.
»Respekt, Junge, Respekt», dröhnt er. »Habe in meinem Leben bestimmt zehntausend Bumsstreifen gesehen, aber so eine Story ist mir noch nicht unterkommen. Einen Adelsfilm mit Graf Fickuld habe ich mal gedreht. Der lebte aber in einem gewöhnlichen Apartment. Deine Idee könnte ein Renner werden.»
»Trink, Hörstelchen, trink», hält Russlana mir den Sekt vor den Mund. »Prost. Auf unseren Horst», ruft der Rest der Runde. Berauscht von der Anerkennung trinke ich das Brausewasser in einem Zug hinunter.
Inzwischen hat sich der Laden gefüllt. Eine Gruppe Geschäftsleute mit angeborenen Krawatten sucht den schnellen Kick. Sofort werden sie von der entsprechenden Anzahl Mädchen bezirzt.
Ich fühle mich breit wie nach einer Kneipentour, obwohl ich nur einen Sekt getrunken habe. Harry fängt zu singen an »Wir wollen rammeln, rammeln rammeln, rammeln, wollen rammeln, rammeln, rammeln, wollen rammeln, rammeln, rammeln, wollen Sex.»
Normalerweise würde mich Harry Prollogehabe ankotzen, aber im Vollrausch finde ich es lustig.
»Ich dachte, du wärst das letzte Arschloch, aber du bist nur lustig», johle ich. Alle lachen. Ich bin über meine Worte mehr als erstaunt, nüchtern würde ich mich nie wie ein testosterongesteuerter Talkshowschwachmat äußern. Das johle ich in die fröhliche Runde. Alle lachen noch lauter. Die Businesstypen fallen wiehernd in den Gelächterchor mit ein. Die Lautstärke zerfetzt langsam mein Nerven. Ich sehe alles nur wie durch Nebel. Das Rot des Raumes saugt mich auf. Mir wird alles egal.
»Horst hat zu tief ins Glas geschaut», höre ich Pierres hallende Stimme. »Bring ihn an einen Platz, wo er sich ausruhen kann.»
Ich fühle Bewegung, es läuft mich. Dann wird alles schwarz und warm und dumpf.

Sonntag, September 19, 2010

Bestseller Kapitel 11: Kollegen vögeln gratis



Am Morgen erwache ich, weil Antje mich küsst. Eine schöne Art, den Tag zu begrüßen.
»Na, hast du gut geschlafen?», grinst Antje. Ich sitze immer noch in den schwarzen Shorts und schwarzen T-Shirt vor dem Rechner. Das Bier ist mir aus der Hand gefallen und hat sich über meine Klamotten ergossen. Lecker rieche ich.
»Ich habe in der Nacht meinen Roman fertig gestellt», strahle ich. »Leider hast du schon geschlafen. Hätte gerne mit dir gefeiert.»
Antje reibt sich die Hände und strahlt. »Fantastisch, ich freu mich so. Gigagigageil. Ich bin echt froh. Und, wie gut ist er geworden?»
Sie streichelt meine Brust. Tut wirklich gut. Ein wenig zerschlagen fühle ich mich doch.
»Ein Meisterwerk, denke ich. Habe es gestern noch mal überflogen. Zum Ende hin reißt Fred Sauger die Coca-Cola-Fahne vom Mond und beherrscht von dort die ganze Welt. Ich werde ihn gleich heute an die Ahmert schicken. Die können ihn dann sofort lektorieren, wenn ich die dreitausend Taler überwiesen habe.»
»Und was willst du da unternehmen? Rufst Du Beas Freund an?»
»Ja, ich vereinbare so schnell wie möglich einen Termin. Werde dann ein wenig beschäftigt sein, aber Zeit habe ich ja. Meinen Job bin ich schließlich los.»
»Das war keine Glanztat; Horst Stengel», mahnt Antje mit erhobenem Zeigefinger.
»Ich weiß», stöhne ich. »Am liebsten würde ich mich entschuldigen, aber ich habe keine Lust, dem Professor noch mal unter die Augen zu treten oder mit ihm zu telefonieren. Erstens muss ich den Vorschuss zurückzahlen, zweitens hält der mich jetzt für den letzten Idioten.»
»Für noch weniger, glaub mir», grinst Antje. »Schwamm drüber. Jetzt schau in die Zukunft. Bereite dich mental auf das Gespräch mit dem Produzenten vor. Sieh dich als erfolgreichen Autor, der sofort engagiert wird. Ich muss los, die Uni ruft. »
»Bleibst du nicht zum Frühstück?», frage ich enttäuscht.
Antje küsst mich. »Habe gleich Material –und Sinneserfahrung, super Seminar. Das will ich nicht verpassen. Wir schwelgen bei exotischem Essen, orientalischen Gerüchen, abenteuerlichen Farben und schillerndem Sex.»
»Sex im Seminar. Da komme ich mit», grinse ich.
»Du Lustmolch. Nee, besser ich komme heute Abend zu und mit dir. Da können wir den Abschluss deines Romans zelebrieren.» Sie küsst mich leidenschaftlich, dass ich alles um mich vergesse. Gefühlte Sekunden löst sie sich von mir.
»Viel Glück, Sweety. Fahr auf die Überholspur» Ihr Wunsch ist mir Befehl, denke ich voller Optimismus.

Ich blicke ihr vom Fenster aus nach, wie sie die Straße entlang schlendert, wie sexy sich die Backen ihres Hinterns bewegen. Dann brühe ich mir einen Kaffee auf und schicke der Ahmert die Mail mit dem fertigen Roman. Postwendend kommt die Antwort.
„Lieber Herr Stengel, ich freue mich, dass Ihr Meisterwerk nun abgeschlossen ist. Gerne gebe ich es ins Lektorat. Die vom Lektor vorgeschlagenen Änderungen besprechen wir dann unverzüglich mit Ihnen. Vorab überweisen Sie aber bitte die ausstehenden dreitausend Euro. Erst nach Eingang auf unserem Konto können wir tätig werden. Herzliche Grüße aus Offenburg auch an Íhren Freund. Ihre Gisela Ahmert.“
Das erscheint mir doch ein wenig geldgierig. Wenn Andi mir ein neues Bild zeigt, frage ich ihn auch nicht sofort nach den dreißig Euro, die er mir noch schuldet. Nur mal hypothetisch gesprochen. In der Regel schulde ich ihm Geld. Sie wird ihren Zaster kriegen.
Das Telefon klingelt.
»Hallo Herr Stengel, Siebke von der Arbeitsagentur. Wie geht es Ihnen?»
Ach je, hat der Professor ihn bereits angerufen?
»Was ist denn gestern in Sie gefahren? Professor Chong war ganz außer sich.»
»War nicht gut drauf. Der Job ist nichts für mich. Bin eher der Typ für geschliffene Worte als für akkurate Zahlen. Haben Sie keine Arbeit im sprachlichen Metier für mich?»
Siebke wird ärgerlich. »So geht das nicht, Herr Stengel. Ich unterstütze Sie, wo ich kann. Aber Sie müssen sich auch helfen lassen. Die Arbeit bei Pekingtech war eine große Chance für Sie. Ich kenne Herrn Chong seit Jahren als sehr zuverlässigen Arbeitgeber. Alle Arbeitssuchende, die ich zum Professor geschickt habe, sind hochzufrieden. Und mit Ihrer Qualifikation kann ich Sie primär nur in kaufmännische Jobs vermitteln. Zeitungen melden sich in der Regel nicht beim Arbeitsamt, wenn sie Leute suchen. Ich fürchte, das Arbeitslosengeld wird Ihnen gesperrt.»
Das hat gerade noch gefehlt. Er wirkt sauer.
»Ich hatte wirklich vor, diese Stelle anzunehmen. Aber meine Ausbildung liegt Jahre zurück. Ich habe beim Probearbeiten die Konten verwechselt und wusste nicht, was ich tun sollte. Damit ist Herrn Chong auch nicht gedient. Wenn Sie etwas Leichteres für mich hätten, sagen wir im Einkauf. Dafür reichen meine kaufmännischen Kenntnisse.»
Siebke stöhnt. Nach langer Pause sagt er »Sie machen es mir nicht leicht. Na gut, das kann ich noch mal drehen. Aber beim nächsten Job müssen Sie bei der Stange bleiben. Ansonsten kann ich Sie nicht mehr decken.»
Er ist wirkliche eine große Seele.
»Danke, Herr Siebke. Das vergesse ich Ihnen nicht. Im Übrigen kommt bald mein erster Roman raus. Ich werde ihn meiner Freundin und Ihnen widmen, weil Sie beide mich immer unterstützt haben.»
»Das freut mich», lockert sich die Laune des Arbeitsamtmitarbeiters. »Super, Herr Stengel. Vielleicht kommen Sie ja doch im literarischen Gebiet unter. Ich habe es leider nicht geschafft. Aber ich war auch nicht wirklich gut. Heute sehe ich das ein wenig differenzierter als in meiner wilden Zeit. Na schön, wenn ich etwas habe, melde ich mich sofort.»
»Nochmals vielen Dank. Bis bald.»
Das konnte ich noch gerade hinbiegen. Bei einem anderen Arbeitsvermittler hätte ich vollkommen in der Luft gehangen. Na, ich will jetzt diesen Pierre anrufen. Ich schlürfe den Kaffee aus, zünde mir eine Zigarette an. Dann bin ich gewappnet.

»Pierre Lüscherhof Media», meldet sich ein sanfter Bariton.
»Hallo, hier ist Horst Stengel. Ich bin ein Bekannter von Bea. Sie hat mir erzählt, du brauchst einen Drehbuchautor.»
Die Stimme am anderen Ende lacht.
»Ah, mein Vorgänger. Ja, das ist richtig. Und zwar händeringend. Wir sind eine junge Firma, wollen richtig durchstarten, aber es fehlt an guten Konzepten. Wie wäre es, wenn du einfach vorbeikommst und wir quatschen ein wenig.»
Da hört sich richtig gut an.
»Ich habe Zeit.»
»Gut, wir sitzen im Alten Flughafen in Vahrenheide. Sagen wir, in einer Stunde?»
Gebongt.
Ich ziehe eine orangefarbenes Hemd und eine Militaryhose an. Passt optisch nicht optimal zueinander, aber im Spiegel sehe ich wie ein kreativer Schreiber aus. Tiefsinnig und verrückt, frei von dem Zwang des Normalbürgers sich beim Vorstellungsgespräch in Schale zu schmeißen. Ich packe Notizbuch und Füllfederhalter ein und los geht die Fahrt. Bereits ein halbe Stunde später stehe ich vor einem Betonklotz, der frühe eine Lagerhalle gewesen sein mag. Im Eingangsbereich hängt das Bild eines goldenen Buddhas vor rotem Hintergrund. Sieht klasse aus. Sowieso steht an jeder Ecke eine Buddhastatue, was dem ganzen einen Esotouch verleiht. Die Stimmung ist ruhig und freundlich, ganz anders als ich das hektische Filmbusiness erwartet habe.
Eine Sekretärin nimmt mich in Empfang.
»Kann ich etwas für Sie tun? », fragt auch sie freundlich. Nicht aufgesetzt, wie in Klamottenläden oder bei Mac Doof.
»Ich bin Horst Stengel. Herr Lüscherhof erwartet mich.»
»Herr Stengel. Das freut mich, Sie kennen zu lernen», schüttelt sie meine Hand. »Ich bin Simone Mieden, Herrn Lüscherhofs Assistentin. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.»
Das wundert mich.
»Was denn?», frage ich erstaunt. »Wir kennen uns persönlich noch nicht.»
»Frau Gunkel hat oft über Sie gesprochen. Hat ihr schriftstellerisches Talent in den höchsten Tönen gelobt. Ihr neuer Roman soll die Literaturszene revolutionieren. Wir denken, dass Sie der richtige Mann sind, um uns nach vorne zu bringen», schmiert sie mir Honig um den Dreitagebart. Mir gegenüber hat Bea meine schriftstellerischen Ambitionen nie dermaßen gelobt. Vielleicht verklärt da die Erinnerung. Aber es tut gut, in warmen Worten zu baden. Wenn finanziell etwas dabei rumkommen sollte, umso mehr.
Sie führt mich in ein helles Büro an den Wänden Fotos von Parklandschaften, in den Ecken die Buddhas. Pierre gefällt mir. Ist zwar nicht dieselbe Szene, aber scheint ein sympathischer Typ zu sein. Steckt in einem dezent lilafarbenen Anzug. Die Haare stehen modisch gestylt in allen Himmelsrichtungen vom Kopf ab. Soll zufällig aussehen, ist aber kalkuliert arrangiert. Warme blaue Augen, die mich direkt mustern. Stört mich nicht, dass er mich bei Bea ausgestochen hat. Die beiden scheinen zueinander zu passen.
»Hallo, ich bin Pierre», begrüßt er mich. »Schön, dass es so schnell ging.»
»Es würde mich freuen, wenn ich dir helfen kann.»
Wir setzen uns an einen niedrigen Mahagonitisch, Mo bringt mir Kaffee, Pierre Tee.
Er hat ein schwarzes Paper-Blank-Buch mit Jugendstilmotiven vor sich liegen.
»Ich möchte dich heute etwas näher kennen lernen. Dir schildern, was wir brauchen. Dann sehen wir, ob es passt.», erzählt er mit leiser melodischer Stimme.
»Finde ich gut», sage ich und hole mein Notizbuch aus der Tasche.
»Ich wurde in München geboren und bin dort zur Schule gegangen. Nach dem Abitur war ich vier Jahre beim Bund, weil mein Vater meinte, ich müsste mir Stärke antrainieren. Das hat mir allerdings nicht gefallen. Dazu bin ich zu individualistisch. Danach habe ich fünf Jahre BWL studiert, habe mich auch in anderen Disziplinen wie Philosophie und asiatischer Kunstgeschichte umgetan. Anschließend habe ich in Hong-Kong ein zweisemestriges MBA-Studium absolviert. Was sollte ich danach tun? Ich hoffe, ich langweile dich nicht», fragt er. Aber ich weiß, dass ihm eigentlich egal ist, was ich denke. Wirklich starken Persönlichkeit ist es latte, was andere von ihnen denken.
»Nein, erzähl weiter», ermuntere ich ihn.
»Ich bin für ein halbes Jahr in ein japanisches Zen-Kloster gegangen. Ich habe in meiner Jugend oft Jan-Willem van de Wetering gelesen .»
»Wer?»
»War ein niederländischer Krimischriftsteller mit philosophischer Dimension. Der hat nach dem letzten Krieg längere Zeit in Japan verbracht. Das war jedenfalls die härteste Zeit meines Lebens. Strengste Disziplin, vier Uhr in der Nacht aufstehen, um zu meditieren. Tagsüber musste ich putzen, meditieren, kochen, meditieren. Das ewiger Plappermaul im Kopf wurde besänftigt.»
»Und, bist du erleuchtet? », frage ich mit leicht ironischem Unterton.
»Nein, aber plötzlich wusste ich, was ich nach dem Studium machen will. Ich kehrte nach Deutschland zurück und betrieb mit einem Studienfreund mehrere Lokale in Hannover und Braunschweig. Meine Eltern sind wohlhabend, daher war Kapital nie ein Problem. Irgendwann wurde das Gastronomiebusiness langweilig. Ich ließ mich ausbezahlen und behielt nur noch zwei von sechs Lokalen. Von dem Geld gründete ich vor einem Jahr die Lüscherhof Media. Wir haben einige viel versprechende Projekte, aber der große Wurf fehlt. Dafür möchten wir dich gewinnen. Aber zurück zu mir.» Er macht eine Pause und nippt am Tee. Er hört sich gerne reden, ich hoffe, er kommt bald zum Punkt.

»Privat läuft es blendend», strahlt er. Innerlich verdrehe ich die Augen. »Es ist noch nicht so lange her, dass Bea und ich uns kennen gelernt haben. Aber ich bin mir sicher: Sie ist meine absolute Traumfrau. Es ist schön, dass eure Trennung völlig harmonisch und schmerzfrei auf beiden Seiten ablief. »
Bla bla. Hat sie ihm diesen Stuss erzählt?
»Jedenfalls wollen wir heiraten. Ich habe gehört, dass auch du eine neue Partnerin hast. Ihr seid schon jetzt herzlich eingeladen. Das Event wird wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres stattfinden. Christian Wulff und Angela werden wir auch einladen.»
Der kennt ja Gott und die Welt, denke ich neidisch. Obwohl ich weder heiraten noch mich mit unserem Bundespräsidenten um die Häuser ziehen will.
Auch wenn ich Antje wirklich liebe und Bea mittlerweile keine Träne nachweine, fühle ich doch einen Stich in der Brust. Ist zwar Blödsinn, aber ich fühle mich, als hätte er mir Bea geklaut. Ist Quatsch, denke ich. Sollte mich für die beiden freuen.
»Nun, genug von mir. Jetzt würde ich gerne ein wenig von dir erfahren.»
Super, über mich selbst zu erzählen, hasse ich. Erinnert mich an ein Vorstellungsgespräch, was es im Grunde auch ist.
»Was möchtest du wissen?», frage ich ein wenig hilflos.
»An welchen Projekten du arbeitest, deine Visionen für die Zukunft, beruflich und privat.»
Er schaut mich neugierig an. Die anfängliche Sympathie verfliegt. Ein Karriereheini, der die üblichen Klischeefragen stellt, mit deren Antworten der Spießer andere Menschen in eine Kiste packen kann.
»Darüber hast du dir doch Gedanken gemacht? Ich gehe davon zumindest aus, dass sich jeder erwachsene Mensch über seine Ziele und Träume im Klaren ist», bohrt Pierre nach. Er holt ein silbernes Zigarettenetui aus der Tasche und steckt sich eine Zigarette. Mir bietet er keine an. Auf einen Knopfdruck fährt ein Aschenbecher aus der Tischplatte.
»Technisches Spielzeug liebe ich», erklärt Pierre. »Nun?»
»Ich habe gerade meinen ersten Roman fertig gestellt. Memoiren eines Egels. Er wird im Laufe des Jahres im Ahmert-Verlag erscheinen. Der verschafft mir den Durchbruch in der Subliteratur Szene. Ich werde von vielen Veranstaltern angefragt und bin nicht mehr auf Lohnjobs angewiesen.»
Pierre nickt zufrieden und notiert etwas in seinem Buch. Er blickt mich fragend an. Noch mehr?
»Und ich performe bei Poetry-Slams. Das sind Dichter-Wettstreite. Das Publikum entscheidet, welcher Vortrag der Beste war. Ich lese Kurzgeschichten und manchmal Gedichte mit politischer Botschaft. Mein Traum ist es, Drehbücher für Kinofilme zu schreiben.»
Man sollte in einem Vorstellungsgespräch darauf hinweisen, dass man den Job unbedingt haben will, habe ich gelesen. Pierre nickt wieder. Scheint angetan zu sein.
»Super, ich denke, dass passt gut. Weiß du, wir haben bereits zehn Filme produziert. Die Drehbücher haben die Regisseure zusammengeschustert. Haben sich nicht schlecht verkauft. Aber auf Dauer halte ich dieses Konzept für wenig Erfolg versprechend. Ich möchte weg vom DVD-Markt und rein ins digitale Fernsehen. Da liegt das Geld auf der Straße. Aber dafür müssen wir unsere Strukturen professionalisieren. Ein guter Autor, später ein gutes Autorenteam ist ein Muss. Ansonsten werden wir in fünf Jahren wieder vom Markt verschwunden sein. Du musst Ideen haben, die deine Filme unverwechselbar machen. Fantasie- und anspruchsvoll, so stelle ich mir das vor. Keine Massenware für den Grabbeltisch. Du sollst uns helfen, eine Unique Selling Proposition zu erarbeiten. Später fährst du mit unseren Regisseuren zu den Drehorten nach Rumänien, Litauen oder wo immer du möchtest, um die Produktion künstlerisch zu überwachen. Wie klingt das für dich?»
Ich kann es nicht glauben. Das ist das große Los. Freie Hand bei künstlerischer Gestaltung bei Filmproduktionen. Ein Traum wird wahr.
»Klingt super», bricht es aus mir heraus. »Ich habe da schon einige Ideen, die ich nur etwas ausarbeiten muss.»
»Das freut mich», lächelt Pierre und drückt seine Zigarette sorgfältig aus.
»Jetzt müssen wir nur noch das Finanzielle klären. Ich könnte mir ein Modell als freier Mitarbeiter vorstellen. Du erhältst fünfzehntausend für ein produziertes Drehbuch. Für einen Tag am Set bekommst du vierhundert zuzüglich Spesen. Unser Ziel ist es, vier qualitativ hochwertige Filme pro Jahr herauszubringen. Ich weiß, dass das kein Spitzensalair ist, aber das Unternehmen steckt noch in den Kinderschuhen. Wenn sich unsere Ziele mit dir verwirklichen, wird das Gehalt natürlich entsprechend aufgestockt. Möchtest du trotzdem für uns arbeiten?»
Das sind fantastische Summen. Wenn das kein „Spitzensalair“ ist.
»Super, wir sind im Geschäft.
Pierre gibt mir feierlich die Hand.
»Freut mich ungemein. Bea erzählte, über wie viel ungenutztes Potential du verfügst. Sie hat die Wahrheit gesagt. Das wird sich bei uns entfalten», klopft er mir auf die Schulter.
Er hebt ein Telefon ab.
»Mo, bringst du den Vertrag, den wir vorbereitet haben? Horst steigt bei uns ein.»
Wenig später schwebt die Assistentin mit einem Haufen Papier auf einem Silbertablett ein. Pierre scheint einen etwas pompösen Stil zu lieben.
»Freut mich, dass du uns verstärkst», sagt Simone. »Wenn du bei irgendwas Hilfe brauchen solltest, sprich mich an. Wir wollen, dass sich alle Mitarbeiter pudelwohl fühlen.»
»Ja», bestätigt Pierre. »Zufriedene Mitarbeiter sind der Garant für den Erfolg. Das ist unsere Philosophie, mit der ich immer gut gefahren bin. Ist vielleicht der Frieden des Zen-Buddhismus, der mich von meinen Kollegen unterscheidet.»
Ich studiere den Vertrag. Dort ist alles so festgehalten, wie wir besprochen haben. Fallen oder Kleingedrucktes kann ich nicht erkennen. Euphorisch unterschreibe ich. Dann Pierre.
»Nur noch eines», sagt er. »Die Filmbranche ist ein sensibles Geschäft. Die Verschwiegenheitsklausel im Vertrag ist sehr wichtig. Das schließt deine Freunde und Bekannte ein. Bitte kein Wort zu Bea über unsere Projekte. Was erzählenswert ist, wird sie von mir erfahren.»
Versteh ich nicht ganz. Warum soll ich Bea nichts über die Drehbücher erzählen. Kann mir nicht vorstellen, dass sie mit den Infos gleich zur Konkurrenz rennt. Aber ich muss nicht alles verstehen. Hauptsache ich kann mich gegen gute Bezahlung kreativ austoben. Daher sage ich »Klar, kein Problem. Mein Schweigen gehört dir.»
Darauf gibt mit Pierre noch mal die Hand.
»Ich freue mich, dass du loyal bist. Das habe ich auch nicht anders erwartet.»
Jetzt ist es an der Zeit mit meiner Bitte herauszurücken.
»Pierre, ich habe da momentan einen kleinen Engpass. Die Herausgabe meines Romans ist noch nicht hundertprozentig finanziert. Könnte ich einen kleinen Vorschuss bekommen?»
Pierre lacht melodisch. »Sicher, so knapp bin ich nicht bei Kasse.»
Er holt aus seiner Tasche einen Briefumschlag und zählt sechs Scheine ab. Dreitausend Euro. Ich komme mir noch immer wie in einem Traum vor. Soviel Geld habe ich noch nie in der Hand gehalten. Damit ist die Finanzierung meines Buches gesichert. Zudem kann ich wie Graf Koks auf die Pauke hauen.
»Reicht das? », fragt er beiläufig, als wären es Fünfer.
»Klar», versuche ich cool zu bleiben.
»Weißt du was, lass uns heute Abend, unsere Zusammenarbeit begießen. Eines meiner Lokale, das Spezial liegt in der Scholvinstraße. Schau doch einfach vorbei. Ich bin da ab einundzwanzig Uhr.»
»Gerne», freue ich mich.
»So, jetzt zeige ich dir die Produktionsräume und einige deiner zukünftigen Kollegen», steht Pierre auf.
»Ihr dreht auch hier in Hannover? », frage ich erstaunt.
»Ja. Manche Innendrehs brauchen nicht unbedingt im Ausland oder besonderen Locations abgefilmt werden. Ist eine Frage der Kosten. Und bisher produzieren wir ja nichts Außergewöhnliches. Wie gesagt, wir setzen da auf deine Fantasie. Die Sets sind groß genug, dass vier Filme gleichzeitig abgedreht werden können.»
Ich bin beeindruckt. Und die setzen auf mich. Na gut, ich habe die Storylines einiger Roadmovies im Kopf. Liebe und Abenteuer. Das dürfte ziehen. Wir laufen durch einige Gänge und Pierre öffnet eine weiße Tür. „Bitte Ruhe, hier wird gedreht!», steht auf einer weiß lackierten Metalltafel.
Als wir durch die Tür spazieren, erwartet mich eine Überraschung.
»Was ist das?», verliere ich ein wenig die Fassung.
Doch Pierre hört mich nicht. Zwischen zwei Stellwänden mit schrillen 70er-Jahre Tapeten penetriert ein stämmiger Mann eine Blondine mit gigantischem Busen. Made in Silikon-Valley.
Das ganze wird von einem Typen mit Handkamera und einer Standkamera abgefilmt. Ein etwa sechzigjährer Mann im Trenchcoat und ein bulliger Typ in Uniform beobachten das Ganze.
»Harry», ruft Pierre.
»Stopp, macht mal fünf Minuten Pause. Und Igor, wechselt bitte die Position. Da muss mehr Bewegung rein.»
»Okay», sagt Igor mit unverkennbar russischem Akzent und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Der Alte schiebt sich die Sonnebrille auf die Stirn, mustert mich kritisch.
»Bringst du Frischfleisch, Pierre? Heute caste ich nicht. Wir produzieren gerade Supermöpse 4», wirkt Harry ärgerlich über die Unterbrechung.
»Siehst du? », fragt mich Pierre. »Supermöpse. Das ist schon tausend Mal da gewesen. Völlig ausgelutscht. Wir brauchen innovative Stoffe. Horst ist unser neuer Autor. Er soll mit euch Regisseuren die künstlerische Leitung übernehmen.»
Der Geruch nach Schweiß und Sperma raubt mir die Luft. Eine ältere Brünette saugt an Igors bestem Stück.
»Ihr dreht Pornos?», ringe ich um Fassung.
Pierre blickt mich erstaunt an.

»Ist doch kein Problem für dich? Weißt du, wenn wir Dr. Schiwago mit Til Schweiger neu verfilmen wollten, würden die Drehbuchautoren Schlange stehen. Aber Erotik hat noch immer den Geruch des Aussätzigen. Verstehst du? Aber der niedere Wurm hat ein Recht auf Leben wie der stolze Adler.»
Harry grinst.
»Junge, ich dreh seit mehr als zwanzig Jahren Bumsstreifen. Und es hat mir immer gefallen. Ich erinnere mich noch», schwelgt er in nostalgischen Erinnerungen. »Mein erster Streifen als Darsteller war Muschis von der letzten Schulbank. Mitte der Siebziger, da konntest du noch experimentieren. Eine psychedelische Orgie mit Led-Zeppelin-Untermalung. Der Blockbuster ist nur in exklusiven Kinos gelaufen, das war ein Gassenhauer.»
»Nein», sage ich zögernd. »Ist kein Problem. Kommt nur etwas überraschend.»
Über die Verschwiegenheitsklausel kann ich nur lachen. Als ob ich meinen Freunden freiwillig erzähle, dass ich Pornos texte. Später kann ich meinen Enkeln beim Lagerfeuer berichten, ich sei jung gewesen und hätte das Geld gebraucht, was sogar stimmt.
»Du hast Recht, Pierre. Wir brauchen neue Ideen. Aber ich weiß nicht, ob der Junge das schafft. Der hat doch keinen blassen Schimmer von unserer Branche.»
Pierre erregt sich.
»Genau das ist es, Harry. Er hat keine Erfahrungen im Metier. Ist frei und unverbildet. Da kommen die besten Ideen. Er bespricht seine Szenarien mit dir, und du sorgst dich um die Umsetzung. So stell ich mir das vor.»
Harry überlegt.
»Vielleicht eine gut Idee. Schließlich bin ich immer offen für Neues. Willst du dich mit Titty vergnügen? Sozusagen als Einführung», lacht Harry scheppernd, Pierre kichert in sich hinein.
Der Silikonbusen fährt sich verführerisch mit der Zunge über die Lippen und winkt.
»Nein», wehre ich ab. »Bin in festen Händen.»
»Ja und? », fragt Pierre. »Wenn sich die Gelegenheit bietet, mit einer Profiactrice zu kopulieren? Würde dir sozusagen einen Insidereinblick in unseren Job geben.»
Da hat sich Bea einen tollen Typen geangelt. Der findet es okay, wenn Mann nebenbei mit Pornohäschen poppt. Ich komme mir einerseits spießig vor, andererseits fände ich es auch nicht prall, wenn Antje aus beruflichen Gründen mit ihrem Kunstprofessor pennen würde.
»Heute nicht. Bin nicht in Stimmung», versuche ich mich herauszureden.
»Was? Wenn du mehr auf Männer stehst. Victor ist bi.»
Der Russe zieht mich mit den Augen aus. Ich fühle mich unbehaglich.
»Wie sollen wir weiter verfahren, Pierre? Ich denke, dass ich erst mal Ideen für Plots sammele und sie dann mit dir und Harry durchspreche. Was meinst du?»
Pierre überlegt. Aber nur kurz.
»Super, Horst. Wir können uns nächste Woche zusammensetzen, wenn du magst. Oder noch früher. Du meldest dich einfach.»
Das findet Harry auch gut.
»Unsere Verabredung für heute Abend steht?»
Ich habe keine Lust mehr, sage aber zu. Zum Abschied umarmen mich die beiden, freuen sich über unsere Zusammenarbeit. Harry wiederholt sein Angebot: Kollegen dürfen gratis vögeln. Warum muss ich immer ins Klo greifen.

Montag, September 13, 2010

Bestseller Kapitel 10: Kaffee, Karaoke & Kündigung



Wir fahren zu meiner Wohnung. Ich schmeiße eine Runde Herrenhäuser, langsam kommen wir runter vom misslungenen Deister-Trip.
»Ohne Spesen nichts gewesen», seufzt Andi, während ich die Hellacopters in den CD-Schacht schmeiße. Mucke, um die Laune wieder in höhere Gefilde zu tunen.
»Es ist unglaublich, dass solche Verbrecher wie Klobusch frei durch die Landschaft laufen dürfen. Die gehören doch in den Knast», ereifert sich Kathrin. »Wenn ich in ein paar Jahren Kids unterrichte, habe ich ein schlechtes Gefühl, die später auf die Gesellschaft loszulassen.»
»Übertreib mal nicht», beruhigt Andi. »Die kommen schon klar. Wenn die Stöpsel groß sind, wird es auch keine Kaffeefahrten mehr geben. Oder fällt da irgendjemand unter fünfzig drauf rein.»
Wir schauen uns an und prusten los.
»Ich doch nicht», sage ich. »Es war doch von vornherein klar, dass wir nur gelinkt werden sollten. Wir sind nur mitgefahren, um soziologische Studien zu treiben.»
»So ist unsere Generation, allem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Auch wenn es der letzte Dreck ist.»
»Welche Generation sind wir eigentlich?», fragt Kathrin. »Ich fühle mich weder als Angehörige der Golf- noch der Praktikumsära.»
Wir überlegen.
»Du fällst sowieso aus dem Raster. Schließlich bist du fünfzehn Jahre jünger als wir. Für dich muss noch ein Name kreiert werden», sagt Andi. »Hotte und ich jedenfalls gehören zur Generation Straßenbahn.»
Alle starren ihn an.
»Was soll das heißen?», fragt Antje. »Das habe ich noch nie gehört. Ist das ein neuer Schmöker, der dir erklärt, was du bist?»
»Nee», winkt Andi lässig ab. »Das ist meine Philosophie. Wir sind jünger als die Golfer. Die sind zudem ziemlich gesettlet. Sind mit dem goldenen Löffel in der Kauleiste aufgewachsen. Wir sind komplett anders. Wir hängen unsere Nase nach keiner Ideologie, versuchen selbst was auf die Beine zu stellen. Abseits vom Mainstream. Ich bin Künstler, Hotte Autor, das sagt doch alles.»
»Darling, das ist aber kaum repräsentativ für eure Zeitgenossen», grinst Antje. »Die meisten sind unpolitisch und am Weltgeschehen desinteressiert. Gehört ihr nicht zu der Fraktion, die man als Generation Doof bezeichnet? Und wieso Straßenbahn?»
Andi lacht und leert den Herrenhäuser Göttertrunk.
»Da verwechselst du was. Die Doof-Fraktion ist doch nur ein Marketing-Trick. Die hat es noch nicht mal in die Wikipedia geschafft. Vielleicht aus Blödheit. Aber ich werde mir auf Generation Straßenbahn ein Trademark anmelden lassen. Wir verzichten bewusst auf materielle Gegenstände wie den fetten Schlitten vor der Palasttür und legen unsere Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Das ist unsere politische Aussage.»
»Interessant», meine ich und zünde mir eine Camel an. »Und was besagt die konkret?»
»Mensch, Hotte. Bist doch sonst nicht auf den Schädel gefallen. Das heißt, dass wir uns nicht von materiellen Vorgaben der Gesellschaft versklaven lassen. Außerdem erlebst du mehr in den Öffis. Denk an unseren Offenburg-Trip. Wir sind kommunikativ und weltoffen.»
Da hat er Recht. Im Auto hätten wir nur halb so viel Spaß gehabt. Und Kathrin hätte er auch nicht kennengelernt.
»Ich fühle mich wohl als Mitglied der Generation Straßenbahn», erkläre ich daher.
»Das müsste aber noch cooler klingen», sagt Antje. »Wie wäre es mit subway generation. Oder Underground Generation. Ein englischer Begriff wirkt überzeugender.»
Andi reckt scheinbar verzweifelt die Arme zur Decke.
»Baby, du verstehst uns nicht. Gerade der Blick nach Amerika, nach glitzernden Namen, neuen Moden und gesteigerten Rekorden widerspricht dem Gedanken der Generation Straßenbahn. Wir sind Individualisten. Anerkennung in einem oberbayrischen Kuhdorf zählt mehr als der Oscar in Glamourwood.»
»Sorry», grinst Antje. »Da ich zehn Jahre jünger bin, verzichte ich auf Fame in Oberammergau und beanspruche Subway Generation für mich. Ihr könnt gerne Straßenbahn verwenden.»
Andi und Kathrin beschließen, bei Andi einen Namen für Kathrins Generation zu finden, während Antje und ich uns mental auf die Feier mit den Chinesen vorbereiten.

Wir machen uns frisch, duschen, doch ein dreckiges Gefühl bleibt. Selbst Antjes samtweiche Haut, ihre zarten Hände und ihr feuchter Mund können mich nicht aufbauen.
»Ist vielleicht der Stress. Die Möglichkeiten, das fehlende Geld zu besorgen, haben sich verringert. Und die Klobusch-Geschichte hat mich etwas runter gezogen», suche ich nach Erklärungen.
Antje streichelt meinen Rücken, führt meine Hände zu ihrer Vagina, die ich liebevoll massiere.
»Das klappt schon», weiß sie und stöhnt lustvoll auf. »Wenn du auf dem richtigen Weg bist, unterstützt dich das Universum. Wirst schon sehen. Ich glaube fest daran, dass du dein Buch veröffentlichst, und dass ich in New York studieren werde. Ich sehe das jeden Abend wie einen Film vor mir. Sweety, du solltest einfach mehr an dich glauben. Außerdem gehörst du zur Generation Achterbahn, ihr seid doch Macher.»
»Straßenbahn heißen wir», muss ich grinsen. Ein typischer Andischwachsinn.
Vielleicht hat sie Recht. Fällt mir aber noch schwer. Vor allem die Sache mit New York. Fernbeziehung über den großen Teich? Das funktioniert nicht. Oder doch? Der USA-Trip ist eine Riesenchance für meine Liebste. Ich weiß, dass ich mich freuen soll, aber meine Gefühle fahren wirklich Achterbahn.
Sie stöhnt.
»Entspann dich einfach», reibt sie meinen Rücken, kratzt, massiert, streichelt. »Du hast schon mehr geleistet als die meisten Schreiber. Fast jeder hat einen angefangenen Roman in der Schublade und schreibt ihn nicht fertig. Ausreden findet man immer. Du hast immerhin einen Vertrag, jemand glaubt an dich. Ich allemal.»
»Mein Roman ist noch nicht fertig», werfe ich ein und winde mich lustvoll, genieße die Berührungen.
»Aber so gut wie. Und du kämpfst für das, was dir wichtig ist. Wie viele Leute tun das schon. Und das Geld bekommen wir zusammen.»
Ich fühle mich jetzt doch erregt, nehme sie und dränge sie gegen die Duschwand. Kraftvoll, fast brutal dringe ich in sie ein. Ihre Augen weiten sich. Unter meinen Stößen kommt sie mit mir zusammen. Ich fühle mich eins mit ihr.
»Geh nicht in die Staaten», bitte ich, als wir uns erschöpft abtrocknen.
Sie streichelt mich.
»Sweety, jeder muss den ihm vorbestimmten Weg gehen. Meiner führt nach Amerika. Seitdem ich ein kleines Mädchen war, habe ich davon geträumt. Es wäre ein Fehler, seine Wünsche aufzugeben. Man kann in einer Beziehung niemanden besitzen. Wir verbringen nur einen Teil des Weges miteinander. Wenn die Beziehung Substanz hat, vielleicht das ganze Leben. Ich bin mir sicher, dass unsere Liebe auch über Distanz halten wird.»
»Ich will dich nicht besitzen», werfe ich rasch ein. »Aber New York ist eine größere Entfernung als Laatzen oder Bremen. Selbst Berlin oder München sind näher. Und Fernbeziehungen scheitern oft.»
Ich will nicht wie ein Jammerlappen klingen, aber etwas Weises oder Literarisches fällt mir zu diesem Thema nicht ein.
Antje küsst mich. »Noch ist doch gar nichts entschieden, Süßer. Was sollen wir uns über ungelegte Eier den Kopf zerbrechen. Momentan ist dein Buch wichtig. Tausend Euro, da müssen wir klotzen.»
»Aber im Augenblick genießen deine Eier meine ungeteilte Aufmerksamkeit», streichelt sie meine Kronjuwelen, was Horst jun. erregt.
»Wir müssen gleich los», wehre ich weitere sportliche Betätigungen ab.
Wir schmeißen uns in Schale. Das heißt, wir ziehen die alten Klamotten wieder an. Antje hat nichts zum Wechseln mit, und ich finde nicht viel Besseres im Kleiderschrank. Ist aber auch ein Sommerfest, da ist legere Kleidung gefragt.

Habe ich geglaubt. Als wir an der AWD-Hall ankommen, spazieren nur Typen im eleganten Dreireiher und Frauen in festlichen Kleidern durch die Pforte. Alles Chinesen.
»Meinst du auch, dass wir vielleicht ein wenig underdressed rumlaufen?», fragt Antje.
»Sieht so aus. Aber ich fahr jetzt nicht mehr zurück, um mich in andere Klamotten zu stürzen. Außerdem: Anzug und Krawatte fehlen in meinem Kleiderschrank. Bin mehr der lässige Typ.»
»Ich eigentlich auch. Aber für solche Anlässe bin ich auch gerüstet. Ist schließlich die Feier von deinem Chef. Keine Ahnung, wie die Chinesen drauf sind. Aber wir könnten ihn blamieren.»
Ich winke ab. »Der sieht das total locker. Ist ein chilliger Typ, lässt überhaupt nicht den Chef raushängen.» Kann ich zwar bisher noch nicht beurteilen, hoffe ich aber.
»Wenn du meinst», rollt Antje zweifelnd die Augen.
Die Türsteher, eine Bulle, dessen Hemd zu platzen droht, mustert uns abschätzig.
»Heute geschlossene Gesellschaft. Geht ins Faust oder Glocksee.»
Ich werde wütend. »Ich stehe auf der Gästeliste von Professor Chong. Horst Stengel, ich bin sein persönlicher Assistent», sage ich kalt.
»Moment», entgegnet er noch kühler. »Ich vergewissere mich. Freddy, übernimm mal.»
Ein ebenso zart gewachsener Kollege hütet jetzt den Einlass.
»Persönlicher Assistent, soso», grinst Antje. »Hast mir gar nichts von deiner Beförderung erzählt, Sweety.»
»Du musst nur dran glauben, dann passiert es. Erzählst du mir doch immer.»
»Oh, jemand hört mir zu», verbeugt sich Antje geschmeichelt. »Na, vielleicht nicht alles. Deine Karriere im Computerbusiness steht ja erst am Anfang. Aber wer weiß es schon.»
Der Stämmige kommt zurück.
»Wenn ich bitten darf», winkt er uns durch die Tür. In seinem Gesicht steht purer Unglaube, dass wir hier richtig sind.
Als wir ins Innere spazieren, merken wir auch warum. Hier sind alle Chinesen Niedersachsens versammelt. Sie sitzen an langen Tischen in ihren schicken Anzügen und trinken Sekt oder andere leichtfüßige Getränke. Ja, und dann gibt es uns. Schäbig gekleidete Deutsche. Ist wie aus einem Bewerbungstest für Doofe. Wer passt nicht in dieses Bild?
Antje flüstert »Jetzt heißt es Stärke zeigen. Ist doch alles ganz normal, oder? Fassen wir es als Ehre auf.»
Wir lassen uns von einer Bedienung an Professor Chongs Tisch führen. Der lauscht der Rede eines Typen auf der Bühne. Natürlich auf Chinesisch. Neben ihm thront Juvenna und nippt von Zeit zu Zeit an einem Getränk, das nach Tomatensaft aussieht.
»Ah, Debi», hat sie mich wieder erkannt. Schwaches Lächeln. Daneben sitzt ein chinesischer Kollege, den ich flüchtig beim Vorstellungsgespräch gesehen habe. Er stellt sich als Trieu vor. Trieu leitet das Lager. Mit dem Unterton des Bedauerns erzählt er, dass kein anderer Kollege kommen wollte. Dabei sei für ihn das Sommerfest der Höhepunkt des Jahres.
Professor Chong strahlt wie Buddha nach der Erleuchtung.
»Horst, Sie sind wenig unpassend gekleidet. Das ist der Botschafter von Taiwan»¸zeigt er auf die Bühne. Ich hüstele verlegen.
»Darf ich Ihnen meine Partnerin Antje Weber vorstellen.»
Antje knickst formvollendet, lächelt schelmisch. Sie gefällt meinem Boss, das sehe ich. Ihr Charme gleicht den Kleidungs-Fauxpas aus.
Wir lauschen andächtig der beeindruckenden Rede, die Visionen offenbart, von denen Mao nicht geträumt hätte. Leider verstehen wir kein einziges Wort, keine Silbe. Ein exotischer Akustikschwall, der in den kurzen Sprechpausen von tosendem Beifall unterbrochen wird.
»Es geht um Taiwans Stellung gegen China. Er sagt, dass wir uns der Macht des Bruders nicht unterordnen werden», übersetzt Trieu. »Taiwan gibt Minderheiten viele Freiheiten. Dort sind zum Beispiel Hochzeiten von Homosexuellen erlaubt. Taiwanesen sind politisch viel fortschrittlicher als China.»
Wir nicken beeindruckt. War uns nicht bewusst, dass es einen Unterschied zwischen beiden Kulturen gibt.
Dann gibt es Essen. Super. Wir haben heute bis auf dünnen Kaffee noch nichts zu uns genommen. Ein großes Buffet ist aufgebaut. Viele verschiedene Fleischsorten, etwas Gemüse, diverse Saucen. Wir packen uns die Teller voll, ohne zu wissen, was wir da verspeisen. Schmeckt vorzüglich. Der Professor hat sich nur wenig aufgetan, aber Juvenna hat richtig zugeschlagen. Sie mampft und schmatzt, dass es eine helle Freude ist. Ihren Mann scheint dies aber nicht zu stören.
»Professor Chong, ich habe eine Frage», versuche ich nach Abschluss des Dinners mit Pflaumenwein mein Anliegen vorzutragen. Doch der Chef bittet mich zu schweigen.
»Jetzt singen wir», erklärt er. Singen? Antje und ich schauen uns fragend an. Auf der Bühne wird eine Leinwand enthüllt, und dann geht die Post ab. Chinesen scheinen Karaoke zu lieben. Leider kennen wir kein Lied, da es sich ausschließlich um chinesische Popmusik handelt, die für europäische Ohren gewöhnungsbedürftig klingt. Meistens gefühlvolle Balladen, in denen Mädchen ihren Kerlen nachweinen. Eine Mordsgaudi für die Anwesenden. Trieu wippt mit dem Fuß im Takt.
»Debi, sink a sonk», fordert mich Juvenna auf, die Bühne zu entern. Bei meinen dürftigen Sprachkenntnissen fühle ich mich veralbert. Dankend lehne ich ab. Unsere Tischnachbarn lachen sich kaputt. Trieu springt schließlich auf die Bühne und versucht sich an einer Art Hip-Hop-Stück. Graffitisprayer in Hong-Kong tanzen und malen auf der Leinwand. Er singt furchtbar und bewegt sich hüftsteif. Das tut der Stimmung aber keinen Abbruch, hebt sie sogar. Der Saal feiert ihn.
»Ist wirklich lustig», freut sich Antje. »Danke, Sweety, dass du mich mitgenommen hast. Wenn die Show vorbei ist, dürfte die Laune deines Chefs so gut sein, dass er den weiteren Vorschuss sofort abnickt.»
Ich hoffe es auch. Doch zwei Stunden später ist die Feier noch nicht vorbei. Trieu erklärt, dass eine Tombola stattfindet. Die Gewinne werden den Platznummern zugelost.
Ein Junge schreit auf. Der Sprecher winkt ihn nach vorne.
»Der Kollege hat eine Rundreise durch Europa gewonnen», klärt uns Trieu auf.
Der Nächste jubelt.
»Ein Computer, kein guter Preis. Hat doch jeder», kommentiert unser Nachbar. Würde mir reichen.
»Ein Auto»; »Karten für ein U2-Konzert», »Dreißigtausend Euro», »Einen Monat im Wellnesshotel» sind die weiteren Gewinne. Auf einmal rüttelt er wie wild an meinem Arm.
»Deine Nummer wurde gezogen. Du musst nach vorne. Ich freu mich so für dich.»
Ich freu mich auch. Durch ein Spalier aus freundlich klatschenden Chinesen schreite ich zur männlichen Glücksfee. Ein bärtiger Mann mittleren Alters, der mich an den Regisseur John Woo erinnert. Auch er lächelt freundlich.
»Ich habe die Nummer vierhundertfünfundsechzig.»
Verständnislos schaut er mich an.
»Four hundred fifty-six», wiederhole ich. Er versteht, er grinst, schaut auf seine Liste, schaut mich an und greift in eine Kiste neben sich.
»Here is your price, my friend.»
Und schon bin ich stolzer Besitzer eines Pfund Kaffees. Und zwar Jakobs Krönung. Der Saal klatscht frenetisch. Ich fühle mich verarscht. Am Liebsten würde ich ihm den Kaffee sonst wohin stecken.
Der nächste Gewinner steht schon vor dem Tombolatisch. In einem neuen Smart darf er nach Hause fahren. Wütend gehe ich zurück zu meinem Platz. Die Leute rufen mir etwas zu. Sollen Glückwünsche sein. Mir reicht es.
Antje küsst mich und lacht ebenfalls. »Das hat schon eine Menge Komik. Ist heute nicht dein Tag, Sweety, aber du hast ja mich.»
»Ich gratuliere Sie», strahlt Chong, Juvenna lacht sich tot. »Coffee, Debi, fine, fine.» Sie hebt den Daumen mit anerkennendem Gesichtsausdruck. Da kann man unterschiedliche Sprachen sprechen, Körpersprache ist international.
Trieu zumindest schaut ein wenig tröstend. »Nimm es leicht, mein deutscher Freund. Andere haben gar nichts gewonnen. Du gehörst zu den Auserwählten.»
»Ach was», sage. »Ich habe keine Lust, mich länger verarschen zu lassen. Ihr alle denkt, ich wäre ein Typ, mit dem ihr machen könnt, was ihr wollt», werde ich lauter. »Aber nicht mit mir. Steck dir doch dein Geld sonst wohin, ich kündige», sage ich zum Professor. Eigentlich schreie ich mehr, was mir schon beim Entschlüpfen der Worte Leid tut. Aber mein Zorn auf die Welt braucht ein Ventil.
»Horst», wird der Professor ernst. »Wir machen doch nur Spaß. Beruhigen Sie sich und lachen. Ist wirklich lustig. Ein Paket Kaffee.»
Antje wirkt entsetzt »Keep cool, sweetheart. Wir lachen mit dir, nicht über dich. Kann doch nicht jeder den Hauptgewinn abzocken.»
Doch ich lass mich nicht beruhigen. Kaffee putscht auf, dieser besonders.
»Sagen Sie ihren Freunden, dass ich nicht auf Almosen angewiesen bin», zische ich. »Ich will auch nicht mehr bei Ihnen arbeiten. Suchen Sie sich einen neuen Deppen.»
Der Professor versteht mich nicht, sagt immer nur »Aber Horst.»
Ich stehe auf, drücke Chong das Bohnenpaket in die Hand und breche auf.
»Warte, warte», brüllte Antje und hastet hinter mir her. Ich beginne zu rennen und bleibe erst vor der AWD-Hall stehen.
»War das nötig? », schimpft sie, als sie mich eingeholt hat. »Was kann der Professor dafür, dass du den Kaffee gewonnen hast.»
»Die haben mich doch nach Strich und Faden vorgeführt. Alle gewinnen die tollsten Preise und ich bekomme so einen Scheiß. Fällt dir das nicht auf? Die haben sich gegen mich verschworen:»
»Jetzt komm wieder runter. Vielleicht hat das der Tombolaleiter getan. Wer weiß es schon. Aber es ist doch dumm, deinen Chef anzumachen. Der hat dich definitiv nicht über den Leisten gezogen. Im Gegenteil. Als du deinen Kaffee abgeholt hast, habe ich mit ihm über dein Geldproblem gesprochen.»
»Du hast was? », frage ich verblüfft.
»Alles wäre kein Problem gewesen», stampft sie ärgerlich mit dem Fuß auf.
»Der ist total nett. Er hätte dir die tausend Euro gegeben und in Raten in den kommenden Monaten abgezogen. Alles hätte sich für dich zum Guten gewendet. Aber der Herr Dichter kriegt einen Ausraster und versaut alles. Wirklich toll gemacht, Horst. Manchmal bist du vollkommen dämlich.»
»Hätte er doch nie gemacht. Wenn ich bei der Verlosung nur den verfickten Kaffee bekomme und kein Auto.» Ich weiß, dass ich den letzten Mist erzähle, habe aber keine Ahnung, wie ich aus der Nummer herauskommen soll, ohne das Gesicht zu verlieren.
Antje wird richtig wütend. »Was hat denn der Professor damit zu tun. Wenn du meinst, die ganze Welt hat was gegen dich, tust du mir Leid. Übernimm doch selber die Verantwortung für dein Leben. Es gibt genug Leute, die dich unterstützen.»
Sie hat Recht. Dümmer hätte ich mich nicht verhalten können. Am meisten ärgere ich mich über mich selber. Eine dicke Chance vermasselt, das fehlende Geld aufzutreiben. Super, Hotte.
»Sorry, alles meine Schuld. Und nun?», zeige ich mich einsichtig.
»Geh zurück zum Professor und entschuldige dich. Sag, du hättest Grippe oder so und deshalb etwas überreagiert. Vielleicht gibt er dir deinen Job zurück und zahlt den Vorschuss trotzdem.»
Meine kleine Optimistin.
»Das geht nicht. Dem kann ich nicht noch mal unter die Augen treten. Was denkt der von mir?»
»Kann dir doch egal sein. Einen Versuch ist es allemal Wert. Sonst wird es schwierig.»
»Ausgeschlossen», wehre ich ab. »Auf die Knie fallen und rumlügen ist noch nie mein Ding gewesen. Und mit Schwierigkeiten habe ich mein ganzes Leben zu kämpfen gehabt. Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.»
»Schlauer Spruch. Und wie willst du jetzt ans fehlende Geld kommen?»
Ich überlege.
»Da bleibt noch der neue Freund meiner Ex. Pierre oder wie der heißt. Der sucht doch einen Drehbuchschreiber. Den ruf ich morgen an.»
Antje hebt zweifelnd die Augenbrauen.
»Wenn du meinst. Aber da wird das Geld sicher nicht sofort fließen. Wenn er überhaupt einen Job für dich hat. Deine Ex ist doch eine bitch.»
Wir bewegen uns langsam in Richtung Bus.
»Wer von uns beiden ist denn Optimist. Und Bea ist gar nicht so schlimm. Immerhin haben wir uns geliebt. Warum sollte das nicht klappen? Bin ja ein guter Schreiber. Ich überzeuge den schon.»
Antje zweifelt immer noch. »Ich kenn mich mit der Filmbranche nicht aus, aber pass bloß auf, dass der Kerl kein Wichser ist.»
»Mensch. Das ist Beas neuer Macker. Der ist die personifizierte Seriosität, frühstückt Austern und fickt mit Krawatte. Ich kenn die Typen, die Bea gut findet.»
»Wenn du meinst, Sweety», zeigt sie sich versöhnt, glaubt daran, dass ich mich selber aus dem Schlamassel rausziehen kann.
»Ich schaff das schon. Spätestens übermorgen habe ich die Kohle an die Ahmert überwiesen.»
Wir fahren zu mir. Antje ist erschöpft, legt sich schlafen. Ich widme mich meinem Roman. Die Worte fließen aus meinem Kopf in die Tastatur, als stünde ich mit einer höheren Quelle der Inspiration in Verbindung. Einfach geil. Ich schreibe bis vier Uhr morgens. Dann ist es vollbracht. Die Memoiren eines Egels sind beendet. Ich platze vor Stolz, überlege mir, Antje zu wecken, um mit ihr anzustoßen. Doch sie schläft friedlich. Ich schaue sie an und bin voll Liebe. Sie glaubt immer an mich. Eigentlich führe ich ein schönes Leben. Ich nehme mir ein Herrenhäuser und lese auf dem Monitor meinen Roman. Treffend, zynisch, voller Weisheit. Das ist das Buch, auf das Literaturdeutschland gewartet hat. Beim dritten Kapitel dämmere ich weg. War ein harter Tag heute.

Sonntag, September 05, 2010

Bestseller Kapitel 09: Frischfleisch für Didi Dämlich



Am nächsten Morgen stehen wir um zehn vor der Limmer Post. Die Sonne brennt, der Dönerladenbesitzer gegenüber bereitet seinen Tag vor, schleppt Salate aus seinem Bulli ins Lokal hinein, lächelt uns freundlich an. Wir winken ihm. Zehn Minuten später trudeln Andi und Kathrin ein. Andi sieht aus, als ob er zu einer Modenshow gehen würde. Dunkles Sakko, Hemd in Rosé, einen silbernen Schlips lässig um den Hals gehängt. Kathrin wirkt im geblümten Kleid ökomäßig. Rein optisch passen die beiden nicht zusammen. Aber die Chemie stimmt. Küsschen hier, Küsschen da. Ich freue mich für die beiden. Antje und ich haben uns normal angezogen, schwarze T-Shirts, schwarze Shorts. Partnerlook, wie bei einem Gothic-Spießerpärchen. Rentner warten auch. Ein stämmiger grauhaariger Herr mit Wanderstock und T-Shirt mit dem Aufdruck Mein Harzerland, was bist du schön mustert uns neugierig. Wir sehen auch nicht gerade wie typische Kaffeefahrer aus.
»Wollt ihr mal raus, ihr jungen Leute? Ich fahre jede Woche mit Fröhlich Reisen. Ein formidables Unterhaltungsprogramm bieten die. Junge, Junge. Diesen Didi Kolobusch finde ich besser als Hans-Joachim Kuhlenkampf, der schlägt sogar Hänschen Rosenthal um Längen.»
Wir schauen fragend, diese Namen sagen uns nichts.
»Ja, ja, dafür seid ihr zu jung. Das waren große Entertainer der Fernsehunterhaltung», gerät er ins Schwärmen.
»Tolle Männer, die hatten Format. Mehr als diese aalglatten Kerners und Beckmanns, die einem heute vorgesetzt werden. Ich bin übrigens der Heinz Brabeck. Könnt mich Heinz nennen, macht jeder», grinste er jovial und klopfte Andi auf die Schulter.
Der zupft anschließend sein Sakko zu Recht. Heinz riecht als hätte er mit einigen Jägermeistern den Underberg erklommen. Spricht aber normal. Macht die Übung.
»Wie sieht es mit Geschenken aus?», fragt Antje. »Lässt Didi ordentlich was rüber wachsen?»
»Didi, wir lieben dich», jubilieren zwei Damen in Strickkleidern, wobei beide sich mit einer fast identischen Lockenhaube schmücken. Schwestern, wie mir scheint.
»Der Dieter hat einen ganzen Koffer voll mit herrlichen Dingen, nicht wahr Irene?», tönt die Dame mit dem Zwicker.
»Wirklich herrlich. Aber kaufen dürfen Sie nicht alles, junge Frau. Dieser Campingkocher ging bei der ersten Linsensuppe kaputt, brannte lichterloh. Und der hat fünfhundert Euro gekostet», wirkt sie etwas missmutig.
»Aber eigentlich waren wir selber Schuld. Wir haben einen Herd. Aber der Geschmack sollte sich mit dem Feuer-Bert Camping-Kocher enorm verbessern. Didi hat gesagt, die Suppe aus der Dose würde schmecken, als hätte sie ein Sternekoch zubereitet.»
Die beiden seufzen.
Heinz textet Andi zu, der den Freund des Harzes mit stoischer Gleichmut erträgt.
»Total abgefahren», streicht Kathrin die Haare aus dem Gesicht. »So etwas Verrücktes habe ich noch nie gemacht.»
»Scheinbar ausweglose Situationen schreien nach Verrücktheit. Ich habe es mir als Lebensmotto gewählt, quer zum Mainstream zu schwimmen. Ist langweilig, dasselbe wie alle zu tun.»
Sie küsst mich.
»Finde ich auch», stimmt Kathrin zu. Die beiden liegen auf einer Wellenlänge. »Ich bin noch dabei meine Nische zu finden. Ein Leben wie meine Eltern will ich auch nicht führen. Die haben nichts mehr erlebt, seit sie zwanzig waren. »
»Wie siehst du das, Sweety?», fragt mich Antje.
»Ich finde das Leben meiner Eltern cool», gebe ich mich ironisch. »Habt ihr heute schon in der Bibel gelesen?»
Kathrin lacht. Antje kläre ich über die spirituellen Vorlieben meiner Erzeuger auf. Andi nickt unterdessen mechanisch zu Heinz’ Ausführungen über Glanz und Gloria der Wirtschaftswunderzeit. Musste im Krieg in einem Lazarett in Österreich Sterbende zusammenflicken. Belastet ihn bis heute. Aber Adenauer war ein toller Hecht. Hat gepeilt, was die Bundesrepublik nach vorne bringt, übersetze ich in Stengel-Slang. Andi greift in die Tasche zieht ein Pille aus der Jacketttasche, steckt sie in den Mund und schluckt. Scheint rasch ein wenig wacher zu werden. Wahrscheinlich ist er konditioniert, dass bereits beim Schlucken die Wirkung einsetzt.
Ein Bus fährt vor, ein altes Möhrchen, das vom Rost zusammengehalten wird. Ein Wunder, dass das Teil eine TÜV-Plakette besitzt. Nur an den Kotflügeln kann man erkennen, dass er in seiner Glanzzeit grau lackiert war. Eine Firmenaufschrift kann ich nicht entdecken.
Andi ist glücklich, Heinz loszuwerden und wünscht ihm viel Spaß.
Gespannt auf die wartenden Ereignisse steigen wir in den Bus, der schon halb gefüllt ist. Alles Senioren.

Der Busfahrer ist um die fünfzig und trägt ein kariertes Hemd mit Schweißflecken unter den Achselhöhlen. Die Kombination von Baseballkappe, Vollbart und Stahlkette mit Patronen um den feisten Hals erweckt nicht gerade mein Vertrauen. Auf dem Armaturenbrett lümmelt sich ein Teddybär in Fremdenlegionsuniform. Aus dem Radio säuselt Motörhead. Kein einheitliches Firmendesign, würde Bea anmerken. Die achtet auf so was wie ein Schießhund, wobei wir wieder beim Thema wären. Der Typ fährt bestimmt für die Hälfte des Mindestlohns, ansonsten kann ich mir keinen Grund vorstellen, warum dieser Seniorenschreck den Fahrersitz besetzt.
»Lemmy find ich auch cool. Der alte Bastard rockt noch immer wie Sau», sucht Andi beim Einsteigen den Dialog.
»Hä?», nimmt der Fahrer einen Schluck aus seiner Cola-Zero-Flasche und stößt auf.
»Geh weiter, die Leute wollen durch», beschränkt er sich aufs Praktische.
»Wichser», murmelt Andi, während wir Plätze in der Busmitte einnehmen. »Das viel gelobte Charisma kann ich bei diesem Klobusch mit der Lupe suchen und finde nur Dreck.»
»Stehst du wirklich auf Motörhead?», frage ich ungläubig.
»Absolut», strahlt Andi. »Außerdem will ich ihn gnädig stimmen, wenn wir seinen Scheiß nicht kaufen.»
Er grinst.
»Besonders die Scheibe mit Brian Robertson. Der Kerl ist im Primaballerinatütü bei einem Hells-Angels-Treffen aufgelaufen. Das ist schon cool für eine Rockersau.»
Es stellt sich heraus, dass der Fahrer gar nicht Klobusch ist. Als alle ihre Plätze eingenommen haben, schließen sich die Türen, und der Typ greift zum Mikrophon.
Mürrisch eröffnet er »Hallo, bei einer der beliebten Touren von Fröhlich Reisen. Der Bus ist allerdings nur gemietet. Ich bin der Manni. Wenn ich Sie fahren soll, müssen Sie eine Transfergebühr von 20 Euro bezahlen. Ich sammle gleich das Geld ein.»
»War nicht alles für lacko laut Prospekt? », fragt Antje erstaunt. »Ich habe kein Geld mit.»
Kathrin und ich ebenso wenig. Fängt gut an. Einige Rentner murren auch.
»Wenn es Ihnen nicht passt, da ist die Tür», erklärt Jupp mürrisch.
»Es hieß, der Ausflug sei gratis», entrüstet sich ein Mann.
»Fuck, umsonst ist nur der Tod. Bekommst dein Leben lang Zucker in den Arsch geblasen und bist nicht bereit, die Spritkosten für diesen Ausflug zu zahlen. Auf Schmarotzer wie dich scheiß ich», verliert Jupp die Fassung. Seine Stirn läuft rot an und eine dicke Ader am Hals pulsiert. Er fummelt an der Patronenkette rum.
»Wenn wir uns mit dem anlegen, ist der Trip gestorben», flüstert Kathrin. Andi durchwühlt die Taschen und findet zwei Fünfziger.
»Hoffentlich lohnt es sich. Der Kerl ist der reinste Psycho.»
»Mit den Rentnern können sie es wohl machen», gebe ich meinen Senf dazu. Ein Unternehmen, dass wirklich auf Kundenbindung aus ist. Anhauen, umhauen, abhauen.
Der Rentner schluckt seine Flüche hinunter und zahlt, genau wie wir. Keiner steigt aus.
»Mit der Lüneburger Heide wird es heute nichts», offenbart Manni via Mikro, als die Taler eingesammelt sind.
»Es nehmen mehr Leute an der Veranstaltung teil, als wir geplant hatten. Es geht daher heute in den Deister. Viel Spaß.»
Ein entrüstetes Gemurmel macht sich breit. Das stört den Fahrer aber nicht. Er wechselt die CD und beschallt uns in brutaler Lautstärke mit volkstümlicher Musik: Ich mag es, wenn die Berge glühn, als ob der Himmel Feuer fing im Sonnenuntergang. Dann geh ich schweigend neben dir, hab dich im Arm und wünsche mir, es bleibt ein Leben lang.
Antje greift mir unter den Arm und kuschelt sich an mich.
»Die Mucke weckt meine romantische Seite, Süßer», flüstert sie. »Egal ob Deister oder Heide, Hauptsache wir haben uns.»
Auch Andi und Kathrin schmusen. Keiner der Mitreisenden beachtet uns.
Zu tief sitzt die Enttäuschung, dass wir nicht unser ursprüngliches Reiseziel ansteuern. In irgendwelchen Käffern im Hannover Vorland sammeln wir noch weitere Schunkelwillige ein, bis Jupp irgendwann von der Straße abbiegt und auf einen verlassenen Hof fährt. Hotel Schildereck verrät die vergilbte Aufschrift auf einem Metallschild. An den Wänden des heruntergekommenen Fachwerkhauses prangen Reklameschilder von Sinalco Cola und Wicküler Pils. Efeu schlängelt sich in Wildwuchs um das Gebäude. Müsste mal gestutzt werden. Wenn das Haus bessere Zeiten gesehen hat, liegen sie lange zurück.
Ein schwarzer VW-Bus parkt vor dem Haus. Ein etwa vierzigjähriger Mann in silbernem Showanzug, Schnäuzer bis zu den Ohrenwinkeln und braungelockten schulterlangen Haaren holt Kartons aus dem Inneren. Sieht wie ein heruntergekommener Schlagersänger der Siebziger auf Abschiedstournee aus.
Jupp öffnet die Bustür.
»Frischfleisch», begrüßt er den Kistenschlepper. Der strahlt daraufhin wie ein ukrainischer Atomreaktor.
»Treten Sie näher, Ladies und Gentlemen. Frühstück für die hungrigen Mäulchen ist bereits angerichtet. Nur vom Feinsten. Da hat sich Didi nicht lumpen lassen. Die Konkurrenz nennt mich auch hinter vorgehaltener Hand Didi Dämlich. Weil ich für meine Gäste ein Vermögen verschleudere, haha. In einer halben Stunde widme ich mich euch mit Haut und Haaren.»
Das Schwesternpaar gerät in Ekstase, klopft ans Busfenster und jubelt »Didi, wir sind wieder hier.»
»Meine Fans, geliebte Wesen. Mein Herz glüht vor Freude, wenn ich euch sehe. Das ist die Bestätigung für meine Arbeit. Wonderful.», wischt er sich den Schweiß von der Stirn.
»Was für ein Schleimbeutel», flüstert Antje. Ich nicke. Als wir aus dem Bus trotten, hat uns Klobusch gleich im Visier.
»Auch jüngere Leute wollen sich von mir in die bunte Welt der Produktinformationen entführen lassen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie ich mich freue», treten seine Augen fast aus dem Kopf.
Jeder von uns muss ihm die schweißige Pfote drücken.
»Aber auch schön einkaufen, mein Freund», flüstert er mir ins Ohr. »Die Kosten müssen schließlich gedeckt werden, und ich habe Frau und drei Kinder mit schier unerfüllbaren Wünschen.»
»Sicher», lüge ich. »Wenn die Klamotten gut sind.»
Er soll uns die Fernseher überreichen und dann Abflug. Die beiden Schwestern werden mit Küsschen links und rechts begrüßt wie lang vermisste Tanten. Wir schlurfen unterdessen ins Innere.
Hier sieht der Gasthof nicht besser aus als von draußen, eher schlimmer. Der gelb verfärbte PVC-Belag im Eingangsbereich müsste dringend gereinigt werden. An den Hirschgeweihen, die die Wände schmücken, flattern brüchige Spinnweben. Der Wirt, eine Herr im Alter unserer Mitreisenden scheint sein bester Kunde zu sein. Riecht auf fünf Meter gegen den Wind nach Korngetränken, als hätte er seine Kleidung damit gewaschen. Weißes Hemd, das er über der grauen Stoffhose trägt, damit es am Bauch nicht spannt. Zudem schielt er. Haus und Inhaber bilden eine homogene Einheit.
»Immer hereinspaziert», gröhlt er. »Es ist angerichtet für die feinen Herrschaften.»
Unsere Mitreisenden fühlen sich geschmeichelt. Wir empfinden es eher als abfällig.
Er öffnet und die Tür zu einem großen Saal. An den Wänden blättert die Tapete ab. Das Parkett ist an vielen Stellen gesplittert, so dass wir diversen Stolperfallen ausweichen müssen.
Lange Bierzelttische, die auch nur selten gereinigt werden.
Wir setzen uns in die letzte Reihe.
»Ich bin nicht pingelig, aber das hier ist der letzte Drecksstall», mault Antje. Kathrin kramt ein Taschentuch hervor und wischt angewidert eine Bierlache auf.
Andi sagt nichts, starrt nur an die Wand, als würde sich dort in wenigen Augenblicken der heilige Geist manifestieren.
»Alles klar, Alter?», frage ich besorgt.
Andi schweigt weiter. Vor jedem platziert eine mürrische Kellnerin Eier in Schnapsgläsern.
»Eierbecher sind aus», erklärt sie einem meckernden Rentner.
Dazu gibt es einen Teller mit zwei Scheiben Graubrot und Marmeladentöpfchen, die höchstens neben den abgebildeten Erdbeeren gelagert haben.
Andi zündet sich eine Zigarette an. Rauchen ist hier erlaubt, wie ein Schild verkündet, da geschlossene Gesellschaft.
»Ich muss mein Konzept überdenken», murmelt er. »Muss platter werden. Löwen malen, die eine weiße Rose im Maul tragen. Ich komm nicht darüber weg, dass meine Bilder neben Hitlerfotos ausgestellt wurden. Meine Message war immer: Stellt euch gegen den Mainstream, seid anders als die abgefuckte Masse mit ihren Bausparverträgen und Rentenängsten. Stellt euch gegen das faschistoide System, das euch keine Luft zum atmen lässt. Und nun das.»
Er gießt Kaffee aus der fettigen Plastikkanne in einen Pappbecher.
»Was denkst du», fragt er. »Übertreibe ich?»
»Ich glaube schon. Auch wenn uns vieles hier nicht passt. Immerhin können wir uns künstlerisch verwirklichen. Ist doch egal, wie wir die Sau rauslassen. Stört keinen in diesem Land.
In Russland würden wir dafür umgebracht oder nach Sibirien geschickt. War doch einfach ein blöder Zufall, dass deine Werke in diesem Nazischuppen standen.»
»Es gibt keine Zufälle, Hotte», erwacht Andi aus der Lethargie. »Alles was wir tun, hat auf höherer Ebene eine Auswirkung. Meine Kunst muss irgendwas Menschenverachtendes ausstrahlen, sonst fänden es die Glatzen nicht heiß.»
»Ich glaube nicht, dass die es heiß fanden. Passte nur irgendwie in den Raum. Die verleiben sich jetzt auch Ton, Steine, Scherben und die Ärzte ein. Hab ich in der Antifa-Zeitung gelesen. Und das sind Gruppen, die über jeden Zweifel erhaben sind, mit dem braunen Dreck zu paktieren, oder?»
Kathrin schmiegt sich an ihn. »Ich weiß, dass du keiner von denen bist.»
»Schon gut, vielleicht habt ihr Recht», wiegelt Andi ab. Antje grinst ihn an.
»Jammer nicht so viel. Mach den Rücken gerade und schau nach vorne. Reicht doch, dass du weißt, dass du mit den Arschlöchern nichts am Hut hast. Wer was anderes sagt, kann dich doch kreuzweise.»
»Okay, ich spreche nicht mehr darüber», winkt Andi mit weißer Fahne. »Wann geht’s denn endlich los? Dass Essen ist ungenießbar.» Da stimmen wir überein. Antje steckt demonstrativ zwei Finger in den Mund, Kathrin findet alles lustig.
Jetzt. Es erschallt der Ententanz, unsere Mitreisenden wackeln mit den Armen und Didi Klobusch springt auf die Bühne.
»Meine Lieben, herzlich willkommen zu Didis gigantischer Geschenkshow. Mein Motto: Alles muss raus zu Schleuderpreisen.»
Er hat ein Headset umgeschnallt und jumpt über das Podest wie Donald-Duck auf Speed. Zunächst werden irgendwelche Billigartikel wie Wecker, Putzlappen und Klobürsten vorgestellt. Gibt es bei einschlägigen Händlern für einen, bei Didi für zwanzig bis dreißig Euro. Eingebettet ist das ganze in Quizfragen auf Neun-Live-Niveau.
»Dieses Taschenmesser, das so manchem Schweizer Offizier das Leben gerettet hat, kostet nicht zehn, zwanzig, vierzig oder fünfzig Euro. Wer den Preis errät, erhält eines geschenkt.»
Ein wie Didi schnauzbärtiger Herr weiß die Lösung und erhält das Hammergeschenk. Er hat anscheinend schon alle Produkte erworben und findet alles toll, super oder giga. Scheint Didis Verkaufspartner zu sein. Wenn keiner kaufen will, rückt Klobusch dem einen und anderen auf die Pelle.
»Du kannst doch nicht meinen, so eine tolle Fahrt ist komplett umsonst. Etwas müsst ihr schon kaufen, sonst lege ich drauf.»
Die meisten knicken dann ein. Zu uns ist er Gott sei Dank noch nicht gekommen.
Dann stellt er Nahrungsergänzungsmittel vor. Der Preis steigt. Kostet nur siebenhundertneunundneunzig Euro, ist aber von zweitausend herabgesetzt. Sollen das Leben unermesslich verlängern. Aber für unsere Gesundheit ist uns doch kein Geld der Welt zu schade.
Die Leute zeigen sich zunächst zurückhaltend, doch Didis Nötigungstour zieht. Von den fünfzig Leuten ergreift die Hälfte die Gelegenheit beim Schopf und sichert sich die Pillen.
»Was ist mit dir? Du hast noch gar nichts gekauft. Findest du das in Ordnung? Ich habe dir eine schöne Fahrt hinaus aus deinem schäbigen Leben geschenkt. Auch wenn du jung bist, mit Vita Vitaminexplosion wird dein Leben gesünder und lebenswerter. Darf ich dir eine Probierpackung für lumpige zweihundert Euro einpacken. »
Didi hat sich Kathrin herausgepickt. Die schaut uns hilflos an. Bloß nicht aus der Rolle fallen.
»Bin gerade nicht so flüssig», spricht sie die Wahrheit, die aber eine Hyäne wie Klobusch einen Dreck interessiert.
»Kein Problem. Bei Didi kannst du auch auf Raten kaufen. Bist doch schon achtzehn. Wer alt genug zum Bumsen ist, dem gewährt Onkel Didi Kredit.»
Einige Rentner lachen.
»Willst du ein paar in die Fresse?», steht Andi auf. Wenig diplomatisch, aber mich juckt es auch in den Fingern. »Sie hat kein Geld für deinen Mist. Lass sie in Ruhe.»
Didi hebt bedauernd die Arme zum Himmel.
»Erst die anderen für den klasse Ausflug zahlen lassen. Dann frech werden. Solche Penner haben wir gerne. Hab ich nicht Recht?»
Vereinzelt ertönt Zustimmung. Klobusch winkt in Richtung Tür, und Manni und ein Kollege gleichen Kalibers in einer Lederkutte setzen sich in Bewegung.
»Wenn die Andi und Kathrin rausschmeißen, gehen wir auch», flüstere ich Antje zu.
»Denk an die Geschenke, die sollten wir noch abgreifen. Dann pissen wir in Rockermannis Bus», flüsterte sie zurück. Jupp packt Andi, der andere Kathrin und zerrt sie aus dem Saal. Nie wieder Kaffeefahrt, schwör ich mir.
»Was ist mit euch», visiert Klobusch Antje an. »Habt ihr auch was an Didis Stil auszusetzen? Gekauft habt ihr auch noch nichts.»
Die Rentner wirken mittlerweile aufgeheizt. Einige brüllen »Kaufen, kaufen», als würden sie mitverdienen.
»Später, wir brauchen noch mehr Infos», flötet Antje und blinzelt Didi zu. Er ist verwirrt und lässt uns in Ruhe. Er wird noch weiterer Mist zu horrenden Preisen vorgestellt. Den Rentnern wird fleißig Alkohol nachgeschenkt und die Verkäufe steigern sich.
Um siebzehn Uhr verkündet Didi das Ende der Show. Jetzt kämen die Geschenke. Um sie austeilen zu können, würde er jeden einzelnen in ein Nebenzimmer rufen.
Ich komme vor Antje dran. Didi sitzt an einem Tisch. Neben ihm ein Paket mit Geschirr, einem Miniaturradio, luftgetrockneter Salami und mehreren Schlager-CDs. Michael Holm kann ich auf einer Hülle entziffern. Wert insgesamt cirka fünfzehn Euro. Kein Fernseher, ich könnte heulen.
»Schade, dass dir keines meiner Produkte gefallen hat. Aber Geschenke gibt es trotzdem, da lässt sich Didi Klobusch nicht lumpen. Brauche nur deine Empfangsbestätigung.»
Er legt mir einen Zettel vor, ein Pinnchen mit Wacholder daneben.
Ich blicke auf den Wisch, der erstaunlich viel Text enthält. Da sehe ich es. Unten auf der Seite, geradezu dämonisch klein gedruckt. „Mit Akzeptanz der Geschenke durch meine Unterschrift, erwerbe ich ein Paket Lamadecken Marke Lama-Warm A zum Preis von tausendzweihundert Euro. Dieser Betrag wird von Fröhlich Reisen von meinem Konto abgebucht.» Das Konto soll man angeben, weil man angeblich an einer Lotterie teilnimmt. Das ist in fetten Lettern abgedruckt.
»Das unterschreib ich nicht. Ich möchte keine Lamafelle.»
»Oh, da hat einer ganz genau gelesen», trieft Klobuschs Stimme vor Sarkasmus. »Ohne deinen Otto, gibt es keine Geschenke. Verpiss dich und lass dich nie wieder blicken», wird er ordinär.
Er nimmt meinen Schnaps und kippt ihn selber hinunter.
Draußen nehme ich Antje am Arm.
»Lass uns verschwinden. Keine Geschenke, der will uns noch Decken zu horrenden Preisen verticken.»
»Scheiße»¸bedauert Antje. »Ich hatte noch eine kleine Hoffnung, dass wir Verkaufbares mitnehmen können.»
»War von vornherein eine Floppidee», lasse ich meinen Frust raus. »Kannst du doch überall lesen, dass die Typen nur auf Abzocke aus sind.»
»Einen Versuch war es Wert, oder? Die tausend Tacken fehlen noch immer.»
Draußen finden wir Andy und Kathrin auf einer Bank. Beide halten sich im Arm.
»Das Arschloch will uns nicht mit zurücknehmen», zeigt Andi auf Manni, der gegen einen Zaunpfahl pinkelt.
»Eigentlich wollten sie uns verprügeln. Aber als ich erzählt habe, dass mein Alter Richter ist, haben sie uns in Ruhe gelassen.» Sie spuckt in Richtung Jupp, was aber den nicht im Geringsten stört. Er spitzt den Mund zum Kuss und lacht schallend, was in röchelndem Husten endet.
»Wir können uns mit denen anlegen, aber physisch sind die stärker», stelle ich fest. »Hast du noch Geld für ein Taxi?»
»Fick dich selbst, Alter», schreit Antje Juppi an. Doch der fasst nur genussvoll in seinen Schritt und grinst sie provozierend an.
Andi durchwühlt sein Portemonnaie und hält triumphierend einen braunen Geldschein hoch.
»Wo sind wir überhaupt? », fragt Antje. »Für den Taxifahrer ist es sicherlich interessant, wo er uns aufgabeln muss.»
»Bad Münder hat Jupp geäußert», seufzt Kathrin.
Andi zückt sein Handy, und zehn Minuten später fährt das Taxi vor.
Opa Heinz kommt dick bepackt nach draußen.
»Gute Angebote hat er heute gehabt, der Didi. Nehmt ihm nicht übel, dass er euch rausgeschmissen hat. Der steht auch unter Druck. Wenn er nicht verkauft, gibt’s Saures von seinem Chef. So ist das heutzutage. Aber im Grunde ist er ein herzensguter Mensch.»
Wir winken freundlich und wünschen ihm ein gutes Leben. Unser Mitgefühl für Didi und Jupp hält sich in Grenzen.
Den jungen Türken am Lenkrad können wir auf fünfzig Euro Festpreis festlegen. So gondeln wir heimwärts.
»Das war ein kompletter Reinfall», stellt Andi noch mal fest. »Wo kriegen wir die fehlenden tausend Euro her?»
»Hau doch deinen Chef auf einen weiteren Vorschuss an», sagt Antje. »Wenn die feiern, ist er vielleicht in freigiebiger Stimmung. »
»Ich habe da noch keine Stunde gearbeitet. Und dann um einen weiteren Vorschuss fragen? Ist selbst für mich ein wenig dreist.»
Als alle mich tadelnd anschauen, gebe ich nach. »Was soll’s. Hab eh nicht vor als Buchhalter zu arbeiten. Und wenn die Honorare fließen, zahle ich es ihm sofort zurück.»

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