Dienstag, August 03, 2010

Bestseller Kapitel 04: Flotter Dreier mit dem Medizinmann



IV. Flotter Dreier mit dem Medizinmann

Die Wittekindstraße kenne ich. An der Ecke sind zwei Dönerläden, also beste Wohnlage. Der Schwarze Bär mit Capitol, einer Konzert-Location, wo ich letztens die Cowboys von Boss Hoss bewundern durfte, hat auch ihre Reize. Die Disco soll allerdings unterirdisch sein.
Vor Antjes Haus finde ich kein Klingelschild mit Fellatio. Hätte ich mir denken können. Ich zück das Handy.
»Sweety, wo steckst du?»
»Vor deiner Tür. Wo soll ich klingeln?»
»Weber heißt der Jackpott.»
Die Tür wird geöffnet. Antje wohnt in einer WG mit anderen Studenten in einem efeuumrankten Anbau auf dem Hinterhof. Klasse. Ihre Kommilitonen sind auf dem Ritt. Sturmfreie Bude. Antje steht mit Schürze und Topflappen aufgestylt am Herd und befreit eine Auflaufform. So sieht sie fast zahm aus. Der knallige, pinke Lippenstift und die kajalumrandeten Augen verraten aber ihre Herkunft: Ein Vamp.
»Ich hoffe, du magst Lasagne Bolognese, Süßer. Mehr habe ich kulinarisch nicht zu bieten», blickt sie mich mit gespieltem Selbstzweifel an.
»Super», freue ich mich. Hab auch richtig Hunger. »Koch ich auch manchmal, wenn’s mal kein Fertiggericht sein soll. Ist aber bestimmt nicht so gut wie deine.» Das ist dreist gelogen, da ich gerade den Karton einer Wagner-Fertig-Pizza öffnen kann. Aber manchmal ist die Wahrheit einfach nicht zweckdienlich.
»Du machst mich schwach, Sweety», blinzelt Antje.
Das Hackfleisch-Nudel-Gemisch schmeckt köstlich. Sie hat den Raum abgedunkelt, Kerzen angezündet und ruhige Mucke von den Tindersticks aufgelegt. Da scheint was zu gehen.
»Beim Referat hab ich doch die klassische Variante gewählt. Auftritt im Kostüm. Das gibt wenig Fame, dafür den Schein», grinst sie. »Lass uns spielen. Blitzdating. Jeder hat zehn Minuten Zeit, den anderen mit dem verbalen Käseraspel zu löchern. Dann entscheiden wir, ob wir miteinander ins Bett gehen. Wie findest du die Idee, Sweetheart?»
Ich fühle mich überfallen. Als Mann übernimmst du die Initiative und kehrst nur ungern deine Seele nach außen. Diese Frau scheint kein Problem damit zu haben. Ich hüstele, kann meine Verlegenheit kaum verbergen. Aber das Dessert verspricht viel. Deshalb vergesse ich gern die Konventionen.
»Super. Was möchtest du wissen?», druckse ich.
»Herr Horst Stengel. Sie sind ein berühmter Schriftsteller, der Michael Moore der Hannoveraner Slamerszene. Freunde nennen Sie Hotte. Mal Hand aufs Herz, wie lautet der Name hinter dem Pseudonym?»
Das fängt peinlich an.

»Horst Stengel ist kein Pseudonym. Für Stengel kann niemand was. Und Horst: Meine Mutter fand Horst Janson als Bastian ganz toll. Das ist eine verstaube Fernsehserie aus den Siebzigern. Dieses spitzbübische Lächeln hätte sie verzaubert. Als Jugendlicher in den Achtzigern war ich damit gestraft. Die coolen Macker hießen Christian, Martin oder Michael. Wenigstens Klaus. Horst war ein klassischer Loosername. Hab ich doch in meinem letzten Slamtext erläutert. Heute ist es mir aber egal», lüge ich »Der Name ist so schlecht, dass er schon wieder cool ist.»
»Intime Details aus dem Leben des neuen Sublit-Stars. Erzählen Sie weiter. Lassen Sie das Publikum an ihren schmutzigen Geheimnissen teilhaben.»
»Ich hatte eine Schwester, Karin, genannt nach Karin Anselm. Die spielt die Freundin vom Bastian in dieser Uraltserie. Karin ist direkt nach der Geburt gestorben. Meine Eltern haben daraufhin zu Jesus gefunden. Sind Mitglieder einer freikirchlichen Gemeinde. Mein Vater predigt und lässt sich die Haare wachsen, meine Mutter schweigt und lässt die Haare wachsen. Das will angeblich Jesus.»
»Abgefahrener Trip», staunt Antje. »Warum schweigt deine Mutter?»
»Diese Leute glauben, dass nur Männer Wertvolles zu sagen haben, die Frauen müssen andächtig lauschen und ihren Gebietern folgen. Gehirnwäsche wie bei Scientology. Sind krass drauf, meine alten Herrschaften.»
»Sweety, du hattest bestimmt eine Hardcore-Jugend», liegt ein Hauch von Mitleid in Antjes Stimme.
Ich bemühe mich, mir nicht selbst Leid zu tun.
»War heavy. Die Kumpels haben auf Feten gesoffen und Weiber flachgelegt. Ich musste währenddessen Petrusbriefe lesen. Meine Alten haben mir die Jugend versaut. Keine Frage. Aber aus mir ist trotzdem was geworden, oder?»
»Müssen wir ein anderes Mal vertiefen, ich habe ja nur zehn Minuten. Wie sieht’s aus mit Beziehungen? Nachdem du die Fesseln des Christentums gesprengt hast, hast du bestimmt wild durch die Gegend gevögelt», kommt sie aufs nächste peinliche Thema.
»Bin eher der monogame Typ», gestehe ich. Sie nickt anzüglich, glaubt mir kein Wort. »Wegen meiner letzten Beziehung bin ich nach Hannover gezogen. Wollte nie den Pott verlassen. Dort war meine Base. Hab mich wohl gefühlt, aber für Bea habe ich dieses Opfer gebracht. Sie ist eine tolle Frau. Leider scheinen wir auf anderen Planeten zu leben. Sie liebt feudales Leben, ich den Bodensatz der Gesellschaft. Das Abgefuckte, die Gosse. Mir ist der Dönerkäufer um die Ecke lieber als der geistlose Vorsitzende irgendeines Trendunternehmens. Aber Bea steht auf solche…»
»Warum heulst du ihr noch immer hinterher? », unterbricht mich Antje. Wirkt etwas genervt. Nun, sie hatte gefragt. »Ist doch eine richtige Tussi. Was willst du mit der. Aber die Zeit drängt. Wovon träumst du? Kind, Karriere, Karren?»
»Bea ist keine Tussi, da tust du ihr unrecht», widerspreche ich.
»Eine Schlammfotze, die vorgibt ein Platindöschen zu besitzen. Vergiss die Alte. Bringt dir nur Unglück», lacht Antje. »Ihre Antworten, Herr Stengel, please.»
Macht keinen Zweck, Beas versteckte Vorzüge zu rühmen. Eigentlich hat sie Recht. Glücklich hat mich Bea nicht gemacht. Aber sind wir nicht alleine für unser Glück verantwortlich? Ist ein Partner nicht nur jemand, der es mit uns teilt? Ich kehre aus den Tiefen der Stengelschen Philosophie zurück.
»Diese typischen Männerziele sind mir latte. Ich ziehe die Straßenbahn jedem Sternschlitten vor. Kinder, warum nicht? Aber erst später. Möchte jetzt mein Leben genießen, ohne Verantwortung für jemand anderen tragen zu müssen. Karriere möchte ich schon machen.»
Erstaunt mustert mich Antje, zieht fragend eine Augenbrauen hoch. Ich greife mir ein Herrenhäuser.
»Ich brauche nicht unbedingt im Geld schwimmen wie Onkel Dagobert. Das würde mich ankotzen. Aber es wäre schön, wenn ich von der Schreiberei leben könnte. Mehr im Untergrund. Bin da auf einem guten Weg. Die Memoiren eines Egels werden ein Undergroundbestseller. Dann muss ich nicht länger den Staat schröpfen. Ich will wirklich nichts mehr mit diesem Ämterlauferei zu tun haben.»
»Find ich gut», nickt Antje. »Das geht mir auch so. Ich sehe zu, dass ich mein Bafög so schnell wie möglich zurückzahle. Wird schwierig genug, ist aber mein persönlicher Ehrgeiz. Du bist dran.»
Ich werde verlegen. Diese Kreuzverhöre sind echt nicht mein Ding.
»Los, worauf wartest du? Die zehn Minuten laufen», ermuntert mich Antje.
»Woher kommst du? Was machen deine Eltern? Wer sind deine Homies?»
»Zunächst einmal fühle ich mich geehrt, dass der berühmte Autor Hotte Stengel mich interviewt. Das bringt mein kleines literarisches und künstlerisches Licht zum leuchten. Ich kann allerdings nicht auf so entfernte geografische Wurzeln wie das Ruhrgebiet zurückweisen. Ich wurde in einem Kaff bei Hildesheim in die Welt geworfen. Habe diesen Flecken von frühster Jugend an gehasst. Ich wollte unbedingt in die Großstadt. Bin in dem Dorf immer angeeckt. Ob in der Schule, im Konfirmandenunterricht, im Schwimmverein. Da habe ich nur Frust geschoben. Ich wollte immer weg. Bin zum Studium nach Hannover gezogen, Kunst und Englisch auf Magister. H-Stadt ist nur geil. Vor allem Linden und die Nordstadt. Habe gleich Homies gefunden, bin akzeptiert. Es gibt sogar Leute, denen meine Bilder und Texte gefallen.»
Ich erzähle ihr von Andi und seinen Kunstprojekten.
»Gute Ausstellungen zu bekommen, finde ich auch schwer», meint sie. »Aber noch studier ich. Da mach ich mir später Gedanken drüber.»

Sie führt mich in ihr Zimmer, einem mit dunklen Tüchern abgehängten verwinkelten Raum. Mehrere afrikanische Figuren mit herausgestellten Geschlechtsteilen bewachen das Bett. An den Wänden hängen Farbcollagen. Kann ich nicht viel mit anfangen, habe auch keine Ahnung von Kunst. Seltsam, dass ich Künstler anzuziehen scheine.
»Toll», lobe ich.
»Dieses Werk heißt Möse der Welt», zeigt sie auf ein pinkes Geschmiere, in dem ich keine Form erkennen kann.
»Meinst du, in Hildesheim lässt sich ein Bild mit diesem Titel ausstellen. In Hannover kein Problem.»
Wir setzen uns auf den Boden. Sie legt eine Doors-CD in die Anlage. Über Manzareks Arpeggios flüstert Morrison Riders in the storm, into this world we’re born, into this world we’re thrown.
»Jeder braucht Leute, mit denen er auf einer Ebene kommunizieren kann», gerät sie auch auf die philosophische Schiene. »Was gibt sonst im Leben Halt? Es wird versucht, dir zu suggerieren, dass du Teil von vielen großen Einheiten bist. deiner Familie, des Staates, Deutschlands, Europas. Ich konnte mich da nie wieder finden. Aber auch ich brauche Bestätigung, jemanden, der mir Feedback gibt. Und das, obwohl ich eine starke Frau bin. Bevor ich Teil der Community in Hannover geworden bin, habe ich mich ziemlich verloren gefühlt.»
Verstehe ich.
»Ja, hier gibt es Menschen, die mich unterstützen. Ich kann lesen, feiern. Wenn ich Muskelmasse brauche zum Getränkeschleppen, findet sich auch immer jemand. Und die geistige Ebene sowieso. Hier schreiben und denken viele in der gleichen Richtung wie ich. Social Beat, Literatur von der Faust in die Fresse», sage ich.
»Meine Eltern sind liebe Leutchen», fährt Antje nach einer Schweigeminute fort. »Mein Vater war bei der Deutschen Bahn, meine Mutter Hausfrau. Ich bin ziemlich spät gekommen, sie hatten eigentlich nicht mehr mit einem Kind gerechnet. Vielleicht sind sie altersmäßig zu weit weg von mir. Jedenfalls verstehen sie nicht, was ich mache, sitzen lieber vor der Kiste als sich zu verwirklichen. Aber sie können nicht anders. Ich liebe sie, kann aber nicht alles mit ihnen teilen. Dafür sind sie zu strange. Freunde habe ich einige. Wir haben einen Kunstzirkel gegründet. Vaginalverkehr. Sind klasse Mädels und sogar zwei Macker dabei. Und meine Homies vom Sub-Lit kennst du ja. Viele Leute von der Uni. Ich bin für Kunst und Anglistik eingeschrieben. Habe ich aber schon erzählt», kichert sie.
Sie hängt immer mit Johnny Schmidtke und Magda Pompadour ab. Johnny ist ein ziemliches Großmaul, aber wichtig in der Szene. Gibt ein Literaturfanzine, den Bombenleger, raus. Habe eine Story dort veröffentlicht. Andere Texte von mir waren ihm zu subtil. Ist aber eher Neid. In der Szene sind seine Storys nicht besonders angesehen. Eine Veröffentlichung bei ihm bringt keine Kohle, nur Fame, wobei dieser wegen Johnnys bereits erwähnten schlechten Rufs etwas zweifelhaft ist. Magda macht dasselbe wie Antje, aber Universen miserabler. Einmal hat sie die vollen sieben Minuten beim Wortmacht-Slam abgenudelt, indem sie den Männern in der Audience ‚Schwanzgesicht’ ins Gesicht gebrüllt hat. Das war selbst dem toleranten Hannoveraner Publikum zu plakativ.
»Du willst sicher wissen, was mit Mackern läuft?», entfällt der anstrengende Fragenteil für mich.
»Als ich in Hildesheim wohnte, hatte ich für Männer nur Verachtung übrig. Bornierte Popperschweine, die für eine Nachkommastelle der Abinote ihren besten Kumpel opfern würden. Das war an der Uni anders. Hei, es gibt Männer, die denken können, für die Solidarität mehr als ein Fremdwort aus dem Geschichts-LK bedeutet. Keine Pseudopunkfrisuren, keine Espritklamotten, Männer mit Stil und Brain. Ich habe mich jede Woche neu verliebt, habe Lover und Betten wie Slips gewechselt. Immer auf der Suche nach jemand noch Besserem, nach dem Maximum an Liebe. Irgendwann habe ich erkannt, dass dieses Rumflippen nicht das Richtige für mich ist. Ich suche jetzt den Einzigen, meine andere Kugelmenschhälfte, meine Bestimmung. Verstehst Du mich, Sweety? Den Gott, mit dem Sex Kunst wird.»
»Ja», gebe ich ihr Recht. »Unsere Eltern hatten es einfacher. Vor zwanzig, dreißig Jahren war der Weg der Menschen vorgezeichnet. Klar, es gab die Hippies, aber die wurden vom Proletariat ignoriert oder neidisch ausgelacht. Du hast die Schule besucht, Ausbildung oder Studium absolviert und hast geheiratet. Da wurde nichts hinterfragt. Deine Homies aus der Jugend bleiben Freunde bis ans Lebensende. Egal, ob es passt oder ob du die Typen zum Kotzen findest. Bei Beziehungen das Gleiche: Auch wenn das Feuer zwischen Macker und Perle auf Sparflamme kocht oder erloschen ist; Du bleibst zusammen, gehst vielleicht mal fremd oder in den Puff. Aber vom vorgezeichneten Weg wird nicht abgewichen. Ich bin Gegner von diesem konservativen Scheiß, aber dieser monogame Trip hat was für sich. Auch wenn unsere Gründe anders sind als die unserer Eltern. Und Sex als Kunst finde ich cool»
Antje strahlt, wir verstehen uns. Zwei haltlose Seelen auf den Trampelpfaden des Lebens auf der Suche nach der Allee zum großen Glück. Dabei keine Idee, wie dieses aussehen, sich anfühlen wird, nur das Wissen, dass es irgendwo da draußen auf uns wartet.
»Ich habe einen Traum», flüstert sie. »Ich möchte an der Steinhard School of Culture, Education and Human Development in New York studieren. Da kann ich Kunst, Theater und Literatur verbinden. Mensch, das wäre der Hammer. Und mein Englisch wird nach ein paar Monaten rocken.»
Sie will weg, das ist ein Schlag in die Magengrube.
»Du liebst doch Hannover? Warum willst du in die Staaten?», flüstere auch ich, obwohl niemand außer uns in der Wohnung ist.
»Da kann ich mich entfalten, lerne szenige Typen kennen, kenne die neusten Trends Jahre, bevor sie nach good old Europe rüberschwappen. Für die Entwicklung meiner Personality ist das der nächste Step, der mich um Universen weiterbringt. Ist doch der Hammer, oder siehst du das anders?»
„Nein, finde ich auch», gebe ich zu, obwohl ich meine Zukunft in Hannover sehe. Na, noch ist sie ja da. Warum soll ich mich um ungelegte Eier sorgen. Mein Handy klingelt. Immer im unpassenden Augenblick. Andi.
»Was gibt’s?», frage ich unwirsch. Der weiß doch, dass ich ein Date habe.
»Alles klar, Alter? Hoffe, ich habe euch nicht bei orgiastischen Liebesspielen gestört? Vögeln ist gut für das seelische Befinden, glaub mir. Da verschwinden viele Probleme wie von selbst», quatscht er. Bedröhnt, da bin ich mir sicher.
»Ich habe keine Zeit zu plaudern. Rück raus, was du willst.»
Antje dreht sich eine Zigarette, ich gebe ihr ein Handzeichen, dass mein Gespräch nicht lange dauern wird.
»Du fährst doch morgen zu diesem Verlag nach Süddeutschland. Da komme ich mit. Da gibt es bestimmt coole Locations, wo ich ausstellen kann. Will mal die City abchecken. Offenbach war das, nicht wahr?»
»Offenburg, das liegt bei Karlsruhe. Offenbach ist eine Vorstadt von Frankfurt», glänze ich mit geographischem Wissen.
Nach einer kurzen Denkpause sagt er »Ist egal, kommt sicherlich auch gut. Jetzt sag schon, nimmst du mich mit? Während du mit Verlagstante den Business-Kram abwickelst, streife ich durch Streets und scoute.»
Warum nicht. Die Zugfahrt wird bestimmt lustiger mit einem Gesprächspartner.
»Ich starte um sechs vom Hauptbahnhof. Sei pünktlich. Hast du genügend Asche für die Fahrt?»
»Super, Hotte. Geld ist kein Problem. Quatsch mal mit Romy. Die pumpt mir sicherlich was. Und mein Alter ist auch für ein paar Taler gut. Halt die Ohren steif und nicht nur die.»
Etwas abgeschmackt, aber ich freue mich über die Gesellschaft. Da sehe ich über die unpassenden Bemerkungen großzügig hinweg.
»Mein Kumpel Andi», erklär ich Antje. »Er fährt mit mir nach Offenburg.»
Antje nickt, ihre Augen haben sich geweitet.
»Bist du experimentierfreudig? Willst du neue Sichtweisen des Lebens kennen lernen?», fragt sie verschwörerisch.
Was soll denn das. Ich schaue erstaunt. Sie geht zum CD-Schrank und legt A saucer full of secrets von Pink Floyd auf. Ein wenig antiquierte Mucke, aber schön. Chillt.
»Schon mal auf einem Trip gewesen? Hast du dich schon einmal komplett gehen lassen? Die Spur der Erkenntnis verfolgt wie ein indischer Yogi?»
Meine Seele steht eher am Anfang der Erleuchtung. Eher Taschenlampe als Atomreaktor. Andi ist da wesentlich experimentierfreudiger. Manchmal beschleicht mich allerdings der Eindruck dass er mit Hilfe diverser Substanzen in den Ferrari Richtung Weltflucht steigt. Mit genug Chemie in der Blutbahn wirkt die Vernissage in Buxtehude-Pannasberg wie die Weltausstellung in London. Ich selber habe früher oft gekifft. Hat mich träge gemacht, war aber nett. Alle Gedanken über triste Gegenwart und schwarze Zukunft werden von süßen Rauchschwaden bunt gefärbt. Leider bleibt am nächsten Tag meist der räudige Blueskater, der seine Krallen rachelustig an deinen Gehirnwindungen wetzt. Aber warum nicht.
»Ich erweitere ständig meinen Horizont», gebe ich an. »An was denkst du?»
Aus Ihrem Schreibtisch holt sie zwei kleine Pillen hervor.
»Lysergsäurediethylamid, das Ticket zum Reich der Götter, jedes Mal anders, abenteuerlich bunt wie ein I-Max Kino, das Manna der Neuzeit», schwärmt sie wie ein Drogendealer.
»Gönne ich mir auch ab und an», schwindele ich. Mulmig wird mir schon. Unter Drogen verlierst du die Kontrolle. Hoffentlich mache ich keinen Blödsinn. Einmal war ich so bekifft, dass ich vor den Augen meiner neuen Flamme mitten ins Zimmer pinkeln wollte. Als ich nüchtern war, wäre ich am liebsten vor Scham im Boden versunken. Sie hat auch wenig später aus fadenscheinigen Gründen unsere Beziehung beendet. Meine Vorsicht ist also berechtigt. Doch Antje wird ihre Erfahrungen gemacht haben, warum zerbreche ich mir den Kopf.
Wir schlucken die Mikros und spülen mit Bier nach. Schweigen. Schauen uns an. Nach gefühlten Stunden merke ich noch immer nichts. Nur die Musik wabert durch den Raum.

»Ich sehe dein wahres Ich», meint Antje. »Deine DNA ist wunderschön. Wow. Grüne Spiralen, die sich ins Unendliche drehen. Und deine Aura. An manchen Stellen etwas staubig, aber außen strahlend blau wie ein wertvolles Bild, das lange auf dem Dachboden auf Entdecken gewartet hat. Du bist ein Schatz, Sweetheart.»
»Mir gefallen deine Brüste, zarte Knospen auf den welligen Hügeln. Ich kann durch deine Kleidung sehen, ist vollkommen abgefahren», rede ich, als hätte ich Quatschwasser genascht.
Antje bewegt sich, als wolle sie sich ausziehen. Seltsam, sie ist doch nackt. Aber ihre Farbe ändert sich. Das milchige Weiß ihrer Haut transformiert sich zu einem sanften Rot. Sie erscheint viel größer als vorher, bestimmt ein Meter neunzig.
»Komm zu Mama, Baby», tönt es wie von einem roten Chor. Ich kann die Schallwellen sehen, wie sie aus ihrem Mund dringen, sich verwirbeln und wie Pfeile auf meine Ohren treffen. Strange, dass ich auch meine Ohren sehen kann.
»Greif zu, die Chance bietet sich nicht oft», erzählt auf einmal der afrikanische Häuptling mit dem Riesenständer. Ist eigentlich aus Holz, dachte ich, jetzt sieht er aber wie ein Mensch aus.
»Hörst du die Figur sprechen? », frage ich Antje, die mittlerweile auf Normalgröße geschrumpft ist. Dafür sieht sie noch viel besser als normal aus. Normal, was ist normal auf dieser Welt? Tausend Gedanken schießen durch meinen Kopf. Ein Overflow an Kreativität. Möchte gleichzeitig an meinem Schreibtisch sitzen, all die tollen Geistesblitze in die Tastatur hacken und Antje lieben.
»Sweety, ich hör sie auch», singen zehn Antjes, die auch auf dem Sofa vor mir sitzen. »Wir erleben eine Kommunion des Geistes. Wir teilen unsere Wahrnehmung, werden eins.»
Mit unsicheren Schritten wanke ich zum Sofa. Welche Antje ist die Richtige? Hände betasten meinen Körper, wandern unter mein Shirt. Ich orte sie von der Antje rechts. Auf einmal verschwinden die vielen Frauen und ich sehe gar nichts mehr. Ich bin in einem dunklen Raum, spüre nur noch, bin reines Gefühl, die Essenz des Lebens. Meine Hände tasten auch, fühlen dünnen Schweiß auf nackter Haut. Ab und an dringen orangene Pink-Floyd-Klänge durch meine Haut. Laben mich, tun mir gut. »Sweety», dringt Antjes Stimme wie euphorisierender Zucker durch die Augen in meinen Körper. »Lass unsere Körper verschmelzen.»
Antje ist wieder aufgetaucht. Zumindest ihre Hände, die an Materie gewinnen. Irgendwie sieht sie luftig und plastisch zugleich aus. Ich komme da nicht mehr mit. Erinnert mich an die indische Göttin Shatki, die ich mal in einem Buch gesehen habe. Erstaunlicherweise kann ich nicht richtig nach ihr greifen. Bin auch mehr Luft als Fleisch. Ich versuche sie zu berühren, zu liebkosen. Meine Hände greifen in ihr Inneres. Verwöhnen ihr Herz, ihre deutlich vor mir pulsierenden Energiezentren mit Zärtlichkeiten. Auch sie greift in mich und holt mein pumpendes Herz aus meinem Körper. Tut nicht weh. Sie küsst es, streichelt es und kuschelt ihren Kopf an ihm, dann legt sie es wieder zurück.
Der Medizinmann steht neben uns. Eigentlich mag ich keine Zuschauer beim Sex, aber er ist ein alter Vertrauter, fast ein Teil von mir.
»Lasst eurer Liebe Flügel wachsen, werdet eins», spricht er in Kisuaheli, das ich auf einmal besser verstehe als meine Muttersprache.
Mein Penis wächst, wächst, wächst. Antje nimmt ihn in den Mund, die Höhle des Garten Edens. Wie schafft sie das nur.
»Ich liebe dich», schallt es aus ihren Poren, aus denen blaue Dampfkringel aufsteigen. Ist das spacig.
»Ich liebe dich noch mehr», fühle ich Verbundenheit wie noch nie in meinem Leben. Seltsam, so was habe ich Bea nie gesagt. Eigentlich ein Beziehungskiller, aber im Moment ist uns alles egal. Ist das die Vereinigung von Alpha und Omega, verbindet sich mein Universum mit dem großen Weltenraum?
Antje gibt meinen Schwanz frei, der nach Vereinigung giert. Liebevoll lege ich meinen anderen Teil auf den Boden, blicke in ihre Augen, die meine sind, schaue in die Tiefe ihrer Möse und beginne sie zu ficken. Wir sind eins, eins mit uns, eins mit der Welt. Dass Antje nicht wie Bea stöhnt, sondern Arien singt, beflügelt mich. Schwerelos bewege ich mich auf und ab, bin nur noch Lust.
»Ich weiß ein Mittel, dass dir, mein Schätzchen, wenn du fein fromm bist, Heilung verschafft», jubiliert meine Geliebte. Ich weiß, dass die Worte aus Don Giovanni stammen, obwohl ich die Oper noch nie gehört habe. Ich bin mir ein einziger Mystizismus. Lust und Körper sind eins. Hab noch nie gespürt, dass meine Zehennägel und meine Haare gleichzeitig erregt sind. Um uns herum das Weltall. Planeten und Sterne kreisen, kichern und erneuern sich. Unsere Lustkurve erreicht ihren Höhepunkt, drängt auf Erfüllung. Der schwarze Mann schwebt mit Speer und Tigerfell bekleidet neben uns.
»Lasst euch gehen, jetzt ist der Moment gekommen, der die Welt verändern wird.»
Ich komme, sie kommt, wir kommen. Gewaltig und schwappen Wellen ungezügelter Lust durch unsere Leiber. Liebe vermischt die Flüssigkeiten unserer Körper, hebt die Grenzen unserer Existenzen auf. Antjes Arien transformieren zum Urschrei.
»Wollte nicht stören», schwebt ein kleiner Junge mit Nickelbrille und Kordjacke neben uns »Soll ich für euch mitkochen?»
»Heilung, Heilung», singt Antje. »Lasst uns mit den Speisen eins werden», grölt es aus meiner restlos befriedigten Haut.
»Ihr seid ja vollkommen schräg drauf», echot die Nickelbrille und setzt sich Richtung Mond ab. Wir zerfließen in Wohlgefühl.

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