Montag, August 16, 2010

Bestseller Kapitel 06: Badisches Business



Der erste Eindruck von der Stadt ist positiv: Adrette Fachwerkhäuser, saubere Gehwege. Hier kannst du als Rentner geruhsam deinen Lebensabend verbringen. Innerhalb der nächsten dreißig Jahre möchte ich hier aber nicht versauern. Wir holen uns Salami-Baguettes in einer Bäckerei und fragen nach dem Weg. Die Verkäuferin ist ebenfalls adrett, braune Haare, die in Wellen bis zur Schulter fallen. Ein Nasenstecker peppt die Optik auf. Aber ihr vernuschelter Dialekt geht gar nicht. Andis Flirtversuche enden abrupt.
Allerdings begeht er auch den Fauxpas zu fragen, ob sie Schwäbisch spricht.
»Badisch, das hört man doch», zeigt sie sich verärgert.
»Ist das nicht dasselbe?», fragt Andi.
»Möchten Sie noch etwas? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit für Plaudereien», fragt sie schnippisch in reinstem Hochdeutsch.
Den Weg zur Gerberstraße verrät sie uns aber.
»Heute ist kein Glückstag», seufzt Andi. Seine Gefühlszustände wechseln minütlich zwischen Euphorie und Depression. Meine Stimmung ist unverändert gut.
Nach einer Viertelstunde strammen Fußmarschs haben wir das Ziel erreicht. Ein Gebäude mit Kalksandsteinfassade, hell und einladend. Im Eingangsbereich sind Unmengen von Büchern gestapelt. Drei- bis Viertausend schätze ich und bin beeindruckt. Andi ebenso.
»Wow, ich habe noch nie so viele Bücher auf einem Haufen gesehen. Die Titel klingen aber nicht besonders cool. Tante Gertruds Rezepte aus dreißig Jahren, Die Kriegsgefangenschaft des Ernst Lüdtkes, Wellensittichhaltung im antiken Rom. Ich bin ja nicht der Literaturexperte, aber Reißer heißen anders.»
Er hat nicht Unrecht, aber ich will mir die Stimmung nicht vermiesen lassen.
»Das ist ein kleiner Verlag. Die brauchen einen richtigen Hit, der ihnen zum Durchbruch hilft. Ich brauche einen Verlag als Plattform. Das ist die ideale Symbiose. Zu einem dieser großen Häuser will ich eh nicht. Die beuten dich nur aus. Verdienen sich dumm und dusselig. Dabei schaut der Autor in die Röhre und bekommt dabei sogar das Auge ausgestochen. Nee, das passt schon.»
Eine ältere Dame löst sich von einem Bücherregal. Sie ist mir gar nicht aufgefallen. Braunes Kostüm und Nickelbrille. So habe ich mir Verlagsmitarbeiter vorgestellt. Vielleicht eine Lektorin.
»Kann ich Ihnen helfen?», fragt sie freundlich.
»Klar können Sie», reitet Andi wieder auf der Spitze einer Euphoriewelle. »Mein Kumpel Hotte hat den Megabestseller verfasst. Memoiren eines Blutengels. Der wird den deutschen Büchermarkt punken. Heute wird der Vertrag unterzeichnet. Stellen Sie schon mal den Sekt kalt.»
Understatement würde uns cooler zu Gesicht stehen.
»Ich bin Horst Stengel. Frau Ahmert erwartet mich. Mein Roman handelt außerdem von einem Egel, keinem Engel», versuche ich Andis hibbelige Angeberei mit geschäftsmäßiger Sachlichkeit auszugleichen. Gleichzeitig ziehe ich an Andis Shirt.
»Was soll denn das?», demonstriert er Unverständnis. Da hilft nur eines: Augen zu und durch.
»Herr Stengel, es freut mich, Sie persönlich kennen zu lernen. Ich bin Gabriele Hinkel, Frau Ahmerts Assistentin. Uns allen hat Ihr Buch sehr gut gefallen. Schön, dass Sie Teil der Verlags-Familie werden möchten. Ich bringe Sie gleich zur Chefin.»
Oho, sie haben alle mein Buch gelesen, sie werden mir einen lukrativen Vertrag anbieten. Meine Glückshormone schlagen Purzelbäume.
Sie führt uns über Wendeltreppen bis ins zweite Stockwerk. An den Wänden Bilder historischer Stadtansichten Offenburgs. Gefällt mir. Etwas gediegen, aber viel versprechend. Die können sich einen Horst Stengel leisten.
Das Verlegerinnenzimmer ist nicht weniger bürgerlich. Von den Wänden lächeln Klassiker: Die Manns, Goethe, Grass, Kafka, einige kenne ich nicht.
Gisela Ahmert ist jünger, als der Name vermuten lässt. Vielleicht Anfang vierzig. Ihre brünetten Haare türmen sich auf ihrem Kopf, was sie wesentlich größer erscheinen lässt. Die eleganten Stöckelschuhe dienen demselben Zweck. Netto bringt sie es auf schlappen einen Meter fünfzig, vorteilhaft geschätzt. Ihre blauen Augen sind schwarz umrandet. Wirkt traurig und passt nicht zum geblümten Kleid.
»Der Herr Stengel», stellt mich die Hinkel vor. Frau Ahmert knipst wie auf Knopfdruck ein strahlendes Lächeln an.
„Ich freue mich, dass wir uns endlich persönlich kennen lernen», singt sie mit melodischer Altstimme. »Wir fanden Ihr Buch großartig. Wirklich fantastisch.»
Sie mustert Andi nicht ganz so freundlich. Dabei hat er noch nichts gesagt.
»Wer ist denn Ihre nette Begleitung?», fragt sie kalt.
»Andreas Bohemian, ein Freund und bekannter Künstler. Er möchte mit mir meine literarische Heimat besichtigen. Das ist doch kein Problem?» sage ich. Sie blickt wenig begeistert, sagt aber »Gerne, wir freuen uns immer, Freunde und Familienangehörige unserer Autoren begrüßen zu dürfen. Das rundet das Bild ab. Schließlich wollen wir Sie möglichst umfassend den Lesern präsentieren. Es weckt Interesse, dass Sie sich in Künstlerkreisen bewegen. Eine für Sie sicherlich langweilige Marketinggeschichte.»
»Haben Sie vielleicht einmal eine Ausstellung von mir besucht», fragt Andi begeistert. »Ich stehe gerne für Interview und Home-Stories zur Verfügung, wenn es Hotte hilft. In einem Monat können Sie meine Skulpturen in der Sparkasse Idar-Oberstein besichtigen, oder war es Idenhausen? Ach ich weiß nicht mehr. Ich maile Ihnen noch den Ort.»
»Wenn ich es einrichten kann, gerne. Gabi wird nachher meinen Terminkalender prüfen», strahlt Gisela. Dennoch habe ich den Eindruck, dass sie Andis künstlerisches Output nicht die Bohne interessiert. Ist ja auch Verlegerin.
»Ich finde es toll», bringe ich mich ein »dass Sie mein Buch verlegen wollen, obwohl es noch nicht fertig gestellt ist. Soviel Vertrauen ist in der Literaturszene selten.»
»Kein Problem, mein Freund. Was Sie geschickt haben, hat uns restlos begeistert. Auch wenn ich mich da wiederhole. Fantastisch wäre untertrieben.
Für einen kleinen Verlag wie uns könnten sie das Zugpferd in eine erfolgreiche Zukunft sein», verbreitet Gisela Euphorie. »Möchten Sie einen Augentrosttee?»
»Was?», fragen Andi und ich wie aus einem Mund.
»Augentrost», blickt sie uns an, als ob wir vollkommen unwissende Banausen seien. »Ein bekömmliches Kraut, das Hals und Atemweg befreit. Regelmäßiger Genuss führt zu einem gesunden, glücklichem und heiligem Leben.»
Das erscheint mir suspekt. Kaffee wäre mir lieber. Aber schließlich geht es um einen Vertrag. Also sage ich »Gerne. Wer will nicht glücklich leben.»
Andi lehnt ab. »Haben Sie vielleicht einen Latte Macchiato?», fragt er.
Hat sie nicht. »Kaffee in jeder Form lehne ich ab. Koffein ist eine Substanz, die unser zentrales Nervensystem ins Chaos stürzt. Ebenso Alkohol. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn die Menschen sich von aufputschenden Drogen fernhalten würden. Finden Sie nicht?»
Andi blickt verlegen auf den Boden. Auch meine Sympathien für Gisela verringern sich. Es kann jeder nach seiner Fasson glücklich werden, aber diese Missioniererei muss nicht sein. Ach was, denke ich, schließlich geht es um einen Vertrag. Da sehe ich großzügig über Verbrechen gegen den guten Geschmack hinweg.
»Finde ich auch», lüge ich daher. Sie gießt aus einer mit asiatischen Schriftzeichen verzierten Kanne eine trübe Flüssigkeit in eine Tasse.
Ich nippe höflich, das Zeug schmeckt gesund, also miserabel. Wird nie mein Lieblingsgetränkt werden.
»Kommen wir zum lästigen Papierkram», Gisela holt einen Haufen dicht bedruckter Blätter aus der Schublade.
»Wenn Sie das Buch fertig haben, würden wir es innerhalb eines halben Jahres auf den Markt bringen. Solange benötigen wir, um das Cover zu erstellen, ISBN anzumelden, es in den Buchhandlungen vorab zu bewerben. Sie erhalten fünf Prozent Autorenhonorar. Vorab können wir leider nichts zahlen. Halt die üblichen Bedingungen. Bitte unterschreiben Sie auf der letzten Seite, nachdem Sie den Vertrag sorgsam durchgelesen haben.» Sie gibt sich jetzt als toughe Businessfrau.
Bin doch kein Jurist. Oberflächlich blättere ich das Papierwerk durch. Honorar stimmt. Erstauflage viertausend. Ist ja nicht die Welt. Gisela hat bereits unterschrieben.
»Was meinen Sie, wie viel Bücher werden wir verkaufen? », frage ich.
Sie blickt kurz an die Decke. »Um erst einmal in den Markt zu kommen, halten wir die Erstauflage gering. Aber ich denke, dass wir im zweiten Jahr noch einmal zehntausend Bücher nachdrucken werden. Wir setzen große Hoffnung in Ihr Werk. Wie gesagt, außergewöhnlich und viel versprechend.»
»Und wie viel wird mein Buch kosten?», frage ich.
»Wir werden es als Paperback herausbringen. Da sind zwölf Euro ein guter Preis. Das kann sich jeder leisten.»

Ich überschlage meinen Verdienst. Bei Abverkauf der ersten Auflage würden zweitausendvierhundert Euro auf mein Konto wandern. Das ernüchtert. Ich hatte mit zwanzig- bis dreißigtausend gerechnet.
Sie bemerkt meinen enttäuschten Blick.
»Nach Verkauf der zweiten Auflage erhalten sie über achttausend Euro. Zudem kommen Lesungshonorare und Lizenzgebühren für die Verwertung der Zweitrechte. Wenn Ihr Buch verfilmt wird, haben Sie ausgesorgt, mein Freund. Für eine Lesung erhalten Sie um die fünfhundert Euro. Nicht schlecht für zwei Stunden Arbeit, oder? Ich wünschte, ich könnte auch so schreiben wie Sie. Leider ist das Verlegen von Büchern viel zeitaufwendiger», stöhnt sie und nippt an ihrem Glückseligkeitsgesöff.
Was sie sagt, klingt gut. Ich sehe mich in einem riesigen Saal am Pult. Vor mir eine unüberschaubare Menschenmenge, die an meinen Lippen klebt, jedes Wort gierig in sich hineinsaugt, mich als Visionär vergöttert. Den Scheck über fünfhundert Euro brauche ich eigentlich nicht, nehme ihn aber, um meine Fans nicht zu beleidigen. Andi schaut neidisch. Weiß ja nicht, was er mit seinem Kunstkram verdient, aber wenn es sich in ähnlichen Dimensionen bewegen würde, bräuchte er keine Gönnerinnen, die ihn aushalten.
»Kann ich mit den Lesungen schon anfangen? Ich habe ja bereits einen Großteil fertig geschrieben. Zurzeit arbeite ich als Buchhalter, das ist für einen Künstler nicht gerade der Brüller.»
Gisela reckt die Hände zur Zimmerdecke.
»Sie Armer. Das ist natürlich keine adäquate Beschäftigung für einen Autoren. Natürlich können Sie gleich loslegen. Wir werden uns auch bemühen, Veranstaltungen nah Ihrer Heimat zu akquirieren. Diese zeit- und nerven raubende Lohnarbeit gehört der Vergangenheit an.»
Das klingt klasse. Die Frau nimmt mir alle Ängste, zeigt mir eine goldene Zukunft auf. Ich unterschreibe voller Stolz. Wie viele Autoren veröffentlichen nur in kleinen Fanzines, die eh keiner liest? Ich denke an meine Slamerkollegen, im Grunde träumt jeder von ihnen von einem Buchvertrag. Als einer der wenigen lebe ich diese Vision.
»Sollen wir auf den Vertrag mit Sekt anstoßen oder einen Happen essen gehen?», fragt Andi. Gute Idee, ich bin auch in Feierlaune. Lassen wir die Puppen tanzen.
»Tut mir leid», seufzt Gisela. »Alkohol habe ich nicht im Haus. Und meine Zeit ist knapp bemessen. Daher werde ich leider nicht mit Ihnen speisen können. Aber es gibt in Offenburg viele gute Lokale. Auch auf Bio- und veganische Kost spezialisierte. Wenn Sie in Richtung Bahnhof laufen, werden Sie rasch fündig.»
Gut. Macht sicherlich wenig Spaß, mit Augentrosttee anzustoßen, daher bin ich ihr nicht böse. Wir erheben uns.
»Überweisen Sie bitte die dreitausend Euro bis Ende nächster Woche.»
Andi erstarrt, ich erstarre. Da haben wir uns sicherlich verhört.
»Bitte?», frage ich.
»Ihre Beteiligung. Es ist üblich, dass der Autor einen Teil der Druckkosten übernimmt. Steht im Vertrag.»
»Bitte?», wiederhole ich wie ein Papagei. Ich fühle mich, als hätte mir jemand mit einer Ramme den Magen durchbohrt. Andis weit geöffnete Augen blicken hilflos.
»Davon haben Sie bisher kein Wort gesagt. Wie soll ich dreitausend Euro aufbringen? Soviel verdiene ich nicht.»
»Mein lieber Herr Stengel», entgegnet die Verlegerin kühl. »Der Verlag kann nicht das ganze unternehmerische Risiko tragen. Wissen Sie, was ein Druck kostet? Wahrscheinlich nicht. Sonst würden sie keine abstrusen Diskussionen anzetteln. Es ist völlig normal, dass sich der Autor beteiligt. Dafür bekommen Sie schließlich zweihundertfünfzig Bücher zur Verfügung gestellt. Ihnen entsteht somit keinerlei Verlust», bügelt sie mich ab. »Ein Rücktrittsrecht ist nicht im Vertrag verankert. Ich bitte um pünktliche Zahlung, so dass wir die Veröffentlichung planen können.»
Jetzt zeigt sie sich knallhart, von der freundlichen Ökotante bleibt nur die Tasse mit lauwarmen Augentrosttee übrig. Andis Mund steht offen. Die Wirkung der eingeschmissenen Stimulantien scheint schlagartig aufgehoben.
»Ich schätze Sie als ehrbaren Geschäftsmann, der sich an Vereinbarungen hält», lächelt sie eisig. »Bitte entschuldigen Sie mich. Die Arbeit ruft», bugsiert sie uns aus dem Büro.

Fassungslos tapsen Andi und ich den Weg zurück auf die Straße und stolpern in Guidos Eck, eine Kneipe in der nächsten Straße.
Schummriges Licht fällt durch gelbe Scheiben. Guido ist ein korpulenter Riese mit buschigem Schnäuzer und fettig glänzender Miniplifrisur, der den Eindruck erweckt, als würden wir noch immer in den Achtzigern leben. Scheint uns nicht zu mögen, denn er stellt die zwei Halben wortlos vor uns hin. Ich habe aber auch andere Probleme, als mich über unfreundliche Schwaben oder Badener zu ärgern. Ich hole den Vertrag aus der Tasche und suche die Passage, nach der ich dreitausend Euro zahlen muss.
Nach fünf Minuten finden wir sie auf der zwölften Seite im Kleingedruckten: Der Autor erwirbt zweihundertfünfzig Bücher für Euro dreitausend. Dieser Betrag ist nach Vertragsabschluss sofort zu überweisen.
»Das ist ja abgefuckte Scheiße», bringt Andi die Misere auf den Punkt. »Die Alte hat dich gelinkt. Für dein eigenes Buch löhnen. Habe ich noch nie gehört.»
»Ich fürchte, da komm ich nicht raus», murmele ich tonlos. »Wo soll ich jetzt soviel Kohle auf die Schnelle herbekommen?»
Andi blickt zu Guido. Der trocknet mit dem Rücken zu uns Gläser ab. Rasch wirft Andi eine Pille ein, was seine Stimmung sichtbar aufhellt.
»Mensch, egal. An das Geld kommen wir schon. Immerhin hast du den Fame, ein veröffentlichter Autor zu sein. Wer kann das schon von sich behaupten. Die Wenigsten. Rumheulen bringt nichts. In die Hände gespuckt und ran an die Buletten.»
Andis Stimmungswechsel finde ich anstrengend. Mir ist danach, in Selbstmitleid zu baden. Wenn ich alleine wäre, würde ich heulen. Zu recht, wie ich finde. Natürlich hätte ich den Vertrag sorgfältiger lesen müssen. Da kreide ich mir an. Aber die Alte hat mich sauber abgezockt.
»Na komm», haut mir Andi aufmunternd auf die Schulter. »Wer kann dir was leihen. Antje? Dein Chinamann?»
Ich will mich eigentlich nicht mit Fragen der Geldbeschaffung befassen, es bleibt mir aber nichts anderes übrig.
»Antje will ich nicht anhauen. Unsere Beziehung steht gerade am Anfang. Nee, die würde auf mich herabblicken. Das geht nicht. Meinen Job hab ich noch gar nicht angefangen. Ist ein Wunder, dass ich bereits einen Vorschuss bekommen habe. Die Quellen kann ich nicht anzapfen. Kannst du vielleicht das Geld locker machen?»
Andi schüttelt den Kopf.
»Dreitausend Euro? Die wird Romy kaum rausrücken. Wie du mitbekommen hast, steht es mit uns momentan nicht zum Besten. Mein Alter hat diesen Monat auch schon fünfhundert Taler rüberwachsen lassen. Wenn ich wieder angekrochen komme, beginnt er, mein Leben zu hinterfragen und drängt mich vielleicht zu einem Spießerjob.»
Schweigend blicken wir in unsere Biergläser, sinnieren, suchen nach der einfachen Lösung. Mein Handy klingelt.
»Sweety. Ich habe dich vermisst», plaudert Antje fröhlich. »Darf ich gratulieren?»
Gedanken rattern von rechts nach links, von oben nach unten durch meinen Kopf.
»Natürlich, alles ist ganz fantastisch», lüge ich, zwinge mich zum Lächeln, damit meine Stimme meinen Gemütszustand nicht verrät. »Die drucken viertausend Bücher. Nette Verlegerin, die an mich glaubt.»
»Alter Falter. Super. Freu mich wahnsinnig», jubelt sie. Ist vollkommen aus dem Häuschen. »Das hätte ich mir nie träumen lassen. Geil. Hammer. Mein Freund wird groß raus gebracht. Schade nur, dass du weg bist. Das müssten wir sofort feiern. Wann kommst du zurück?»
Es freut mich, dass sie mich als ihren Freund bezeichnet. Eigentlich haben wir den Status unserer Beziehung bisher nicht diskutiert. Höchstens, als wir vom LSD ferngesteuert wurden. Oder meint sie einen Freund? Egal, meine aktuelle Notlage kann ich ihr nicht gestehen. Diese Freude zu trüben, als Loser dazustehen, das bringe ich nicht übers Herz und die Lippen.
»Weiß noch nicht», sage ich diesmal die Wahrheit. »Vielleicht erkunden wir die Stadt. Ich melde mich bei dir.» Ich brauche Zeit, um die Ratlosigkeit zu überwinden.
»Schade», zeigt sich Antje enttäuscht. »Hätte es gerne mit dir krachen lassen, Sweety. Na, dann melde dich, wenn Du weißt, wann du ankommst.»
»Ja, bis bald. See you.»
»Machs gut, Kleiner.»
Sie legt auf, und ich fühle mich noch schlechter.
»Klang nicht besonders herzlich. Findest du sie nicht mehr scharf? Das ging ja schnell», meint Andi.
»Quatsch», werde ich ärgerlich, am meisten auf mich selbst. »Was soll ich ihr sagen? Sie findet mich als Autor heiß. Wenn ich erzähle, dass ich meine Bücher selber kaufen muss und dafür kein Geld habe, stehe ich als Versager da. Hast du noch eine Idee, wen ich anpumpen kann?»
Andi überlegt, will noch eine Pille einschmeißen, doch ich halte ihn zurück.
»Das reicht für heute, Buddy.»
»Mit Ecstasy kann ich besser denken», antwortet Andi, doch seine Gesichtsmuskulatur zuckt verdächtig. Erstaunlicherweise ist das Thema vorerst für ihn abgehakt.
»Mach dir keinen Kopf über Antje. Kenn die Frau zwar nicht aus dem Effeff, aber die steht auch auf dich, wenn es nicht kugelrund läuft. My two cents. Was die Kohle betrifft: Da gibt nach meiner Einschätzung zwei Möglichkeiten. Deine Eltern werden dich bestimmt bei der Erfüllung deines Lebenswunsches unterstützen. Und Bea, die fühlt sich noch immer verantwortlich für dich. Hat zwar mit der Liebe nicht geklappt, aber sie wird es nicht übers Herz bringen, dass du total abrutschst. Du darfst nur nicht den Eindruck erwecken, als wolltest du wieder ihr Lover sein. Zwei Ölquellen, die nur darauf warten, abgepumpt zu werden.»
Ich überlege. Andi sieht die Situation erstaunlich klar. Das Verhältnis zu meinen Eltern ist zwar angespannt, sehe sie am liebsten alle fünf Jahre und das ist schon zu oft. Aber wenn ich Besserung gelobe, dürfte da etwas abzustauben sein. Und Bea ist auch eine gute Adresse. Es geht mir zwar gegen den Strich, mich durch die Gegend zu schnorren, aber was bleibt mir anderes übrig.
»Wir fahren zu meinen Alten nach Duisburg», beschließe ich.
»Klasse», meint Andi. »Du, ich stell da in der Ecke aus. In einem Kaff namens Wesel. Lass uns anschließend da vorbeifahren. Ich will checken, ob sich meine Exponate da wohl fühlen.»
Ist genehmigt.

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