Samstag, August 07, 2010

Bestseller Kapitel 05: Trip in den Süden



Am nächsten Morgen erwache ich matschig. Zwar jault kein Kater wie nach einer durchzechten Nacht, müde bin ich dennoch. Quer in Antjes Bett liegend, Füße in der Luft, mit dem Händen auf einer der afrikanischen Figuren. Heute ist der Typ wieder aus Holz. Wenn ich ihn lange genug anstarre, scheint er ironisch zu zwinkern. In meiner Jacke, die auf einem Stuhl liegt, bimmelt mein Handy. Mühselig krauche ich, um die Quelle der Ruhestörung zu eliminieren. Andi. Scheiße. Ich blicke auf die Uhr. Acht.
»Alter, bist du ohne mich losgegondelt? Habe leider verschlafen, aber hättest wenigstens anrufen können», murrt mein Buddy.
„Nee, sorry, bin noch nicht am Bahnhof. Habe auch verpennt. So ein Dreck. Ich ruf die Ahmert an und frage, ob wir später kommen können.»
Die Nummer habe ich glücklicherweise gespeichert.
»Ahmert Publikationen, Sie sprechen mit Frauke Heirich. Was kann ich für Sie tun?»
»Horst Stengel. Ich bin heute um die Mittagszeit mit Frau Ahmert verabredet. Leider habe ich mich heute Morgen ausgeschlossen. Der Schlüsseldienst musste kommen. Riesenstress. Jetzt ist aber alles geregelt. Würde es etwas ausmachen, wenn ich ein wenig später komme?», erfinde ich eine schlechte Geschichte. Die schlechten werden in der Regel eher abgekauft als die wahren.
»Was ein Pech. Mir ist das sogar zwei Mal hintereinander passiert. Ein teurer Spaß. Sie haben mein ganzes Mitgefühl», scheinen meine Sympathien gesichert. »Ich schau eben in Frau Ahmerts Terminkalender. Da haben Sie Glück, heute Nachmittag ist alles frei. Kommen Sie, wann es klappt.»
Ich unterrichte Andi, der sich in ein Café setzen will. Ich kleide mich an und gehe in die Küche.
Ein Typ Anfang zwanzig mit Nickelbrille und Kordjacke schlürft einen Milchkaffee. Kommt mir bekannt vor, kann ich aber nicht einordnen.
»Moin, moin. Ist Antje schon weg?», frage ich.
»Die muss heute ein Referat halten und kopiert ihr Thesenpapier. Ich soll dir das hier geben», reicht er mir einen Briefumschlag. »War eine heiße Nacht, was?», zeigt er ein Ganzkörpergrinsen.
»Du bist ein Mitbewohner, right?», gehe ich nicht näher auf die Anzüglichkeit ein.
»Robert, ich studiere hier Anglistik und Politik», sagt er.
»Wo kommst du her», frage ich, obwohl es mich eigentlich nicht interessiert.
»Ich bin aus Paderborn hergezogen. Dort leben auch meine Eltern noch. Es macht mir Spaß in Hannover. »
Der will mir gleich seine ganze Lebensgeschichte erzählen. Muss nicht sein.
»Ist cool hier: Paderborn ist auch ne Gegend», schalte ich die Lauscher auf Durchzug und öffne das Kuvert. Feines Büttenpapier, die Frau hat Stil.
‚War wunderschön mit dir. Muss leider zur Uni. Drück dir die Daumen für Offenburg. Meld Dich heute Abend. Bist ein toller Typ, Sweety.’
Mein Herz fließt vor Liebe über. Schemenhafte Erinnerungen an den gestrigen Abend tauchen empor. Geile Frau. Naja, so war es mit Bea am Anfang auch. Aber mit Antje wird alles anders, das spüre ich. Ich gieße mir einen Kaffee ein. Genieße den bitteren Geschmack. Ist das Leben nicht schön? Für solche Momente lohnt es sich.
»Und, war sie zufrieden mit dir? », fragt der Paderborner Student, den ich fast vergessen habe. Scheint eifersüchtig zu sein. Aber der Tag ist viel zu schön, um sich mit dem Neidmichel abzugeben.
»Hat nur geschrieben, dass ich bombastisch war. Das wusste ich. Ist aber immer wieder schön, bestätigt zu werden», gebe ich an. Sein Mund öffnet sich, er schnappt nach Luft. Sexueller Frust.
»Solltest auch mal eine gute Nummer schieben. Das rebootet den Organismus, habe ich gehört», zitiere ich den Managertypen aus der Straßenbahn.
»Muss jetzt los. Treff mich mit einer Verlegerin in Süddeutschland. See you», ist es manchmal schön den Dickmatz raushängen zu lassen.
»Viel Glück», murmelt er, ich spür aber, dass er das Gegenteil meint. Was soll’s.
Eine halbe Stunde später finde ich Andi im Café am Eingang des Bahnhofs.
»Du bist eine Trantüte», begrüßt er mich. »Hast das Meeting deines Lebens und verpennst. Muss ja wild gewesen sein, gestern Nacht. Nur eines: Ist sie wirklich unrasiert?»
So eine Frage würde ich nie beantworten, könnte ich auch nicht. Der Nachteil von Drogen scheint zu sein, dass sie den Nebel des Vergessens über die Erinnerungen legen. Ich löse ein Ticket, Andi hat seines schon. Der Zug fährt neun vierzig ab. In Baden-Baden müssen wir umsteigen. Der komplette Süden ist für mich ein böhmisches Dorf. In Baden-Baden gibt’s ein Casino, ansonsten sind mir keine geographischen Details bekannt. Ich glaube, dass die Stadt südlich von Frankfurt liegt. Ist doch immerhin etwas.
Andi geht es nicht anders, aber er ist sich zumindest sicher, dass Offenburg sich als Kunstmetropole der nächsten Jahre etablieren wird. Ist mir eigentlich egal. Hauptsache, es klappt alles mit dem Vertrag. Die Sonne brennt trotz der frühen Zeit. Und es ist schwül. Als der Zug einfährt, stellen wir uns brav an. Mit reservierten Plätzen brauchen wir uns nicht zu sorgen.
Nur als eine ältere Dame sich von der Seite zwischen Andi und mich drängen will, verliere ich meine Buddhanatur.
»Stellen Sie sich hinten an wie alle», fahre ich sie an und komme mir ein wenig spießig vor.
Sie flucht irgendwas über junge Leute, Benehmen und Adolf Hitler. Etwas verwirrt die Gute.
Im Zug erwartet uns ein kleines Problem. Die gebuchten Stühle gibt es gar nicht. Wir sitzen Wagen dreiundzwanzig auf den Plätzen sechzehn und siebzehn. Allerdings fehlen die Nummern zehn bis neunzehn. Eines der ewigen Rätsel der Menschheit und der deutschen Bundesbahn. Wir sprechen einen Schaffner an, der uns völlig unkompliziert in die erste Klasse verfrachtet. Das Glück ist mit mir.
»Sollen wir uns im Bordbistro ein Bier gönnen?», fragt Andi. Ich überdenke meine Finanzen und entscheide mich gegen ein Getränk.
»Die haben hier Saupreise, und mein Budget ist knapp bemessen», kläre ich den Kollegen auf.
»Mir hat Romy zweihundert Euro Taschengeld gegeben. Darf man hier rauchen? », erkundigt er sich.
»In allen Zügen herrscht Rauchverbot», sagt ein vorbeieilender Schaffner.
»Wie soll ich das aushalten. Die Fahrt dauert über vier Stunden. Kotz», stöhnt Andi.
»Kannst ja auf dem Lokus quarzen. Lass mich ein wenig schlafen. War eine kurze Nacht», will ich mich ein wenig ausruhen.
Ich ziehe die Jalousien hinunter, lege die Füße auf den gegenüberliegenden Sitz und schließe die Augen. Andi verschwindet. Ist alt genug auf sich selbst aufzupassen, finde ich.
Mein Schlaf ist nur von kurzer Dauer. Mein Kollege stürzt zurück ins Abteil verfolgt von einer älteren Frau in einem roten Kleid und einem kleinen Jungen mit Baseballkappe, vielleicht drei Jahre alt.
»Schämen Sie sich nicht, auf der Toilette zu rauchen. Damit ruinieren Sie die Gesundheit der Mitreisenden», keift sie.
Ich gebe Andi mit den Augen wilde Zeichen, den Ball flach zu halten. Streiterei bringt nichts.
»Ich habe keine Zigarette geraucht. Bin doch nicht wahnsinnig», widerspricht er.
Die Schrapnelle und ihr Sprössling ziehen ab.
»Ist nicht gelogen, Mann. War ein Joint, fahr ne Art Entzug.»
Jetzt werde ich ärgerlich.
»Ich will und werde heute den wichtigsten Vertrag in meinem Leben unterschreiben. Das lass ich mir durch deinen Kinderkram nicht verderben. Wenn es Ärger gibt, kenne ich dich nicht.»
»Relax, Alter. Alles easy. Die Zicke ist doch weg.»
Ich schließe erneut die Augen, allerdings nur für zehn Sekunden. Dann taucht die Furie mit einem Zugbegleiter auf. Mit dem Zeigefinger spießt sie Andi fast auf.
»Das ist der Mann, der die Toilette verqualmt hat. Entfernen Sie ihn aus dem Zug.»
Der Schaffner, ein Junge Anfang zwanzig, mit Zahnlücke unter einem Schnäuzer, wirkt unsicher.
»Sie haben gehört, was die Frau sagt. Sorry, aber ich muss nachfragen, ob das stimmt.»
Andi ist genervt. Wenn er sich ärgert, zucken die Muskeln seiner rechten Wange.
»Hat die Dame gesehen, dass ich geraucht habe?», fragt er betont liebenswürdig.
»Natürlich nicht, Sie hatten die Tür abgeschlossen, Sie Rauchverbotsübertreter.»
»Ich bin strikter Nichtraucher», beteuert Andi. »Dieser wirklich Ekel erregende Qualm war schon im Raum, als ich die Kackzelle betreten habe. Ich empfinde dieses Verhör im Übrigen als unangenehm. Sollten Sie mich weiter behelligen, sehe ich mich leider gezwungen, meine Rechtsschutzversicherung in Anspruch zu nehmen.»
Wenn es drauf ankommt, wirkt Andi überzeugend. Dann redet er wie ein Banker. Nur der Ausdruck Kackzelle ist ein typischer Andi-Begriff.
»Das ist doch die Höhe. Sie erdreisten sich, mir zur drohen?», gibt die Frau keine Ruhe.
»Wenn Sie den Herrn noch nicht mal beim Rauchen gesehen haben, kann ich nichts machen. Da steht Aussage gegen Aussage», wagt der Zugbegleiter den Rückzug.
»Finden Sie etwa Rauchen gut?», richtet sich der Weltenhass der Dame in rot auf ein neues Opfer. »Die Bundesregierung hat festgelegt, dass wir Nichtraucher geschützt werden müssen. Passivrauchen erzeugt genauso wie Aktivrauchen tödlichen Lungenkrebs. Sie müssen die Einhaltung des Verbots überwachen. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, werde ich mich zuerst bei Herrn Grube beschweren. Sollte das nicht helfen, werde ich Sie persönlich verklagen.»
Der Zugbegleiter kann sich kaum ein Grinsen verkneifen. Seine Gesichtszüge zucken verdächtig.
»Sie haben keinen Beweis. Da kann ich nichts machen. Wenn Sie wollen, wenden Sie sich an die Polizei. Ich muss mich jetzt um andere Fahrgäste kümmern.»
Er verschwindet, die keifende Furie im Schlepptau.
»Ich werden höchstpersönlich für Ihre Entlassung sorgen. Dreißig Jahre war ich in der Politik tätig. Zwar nur auf lokaler Ebene, aber mein Wort hat Gewicht. Sie haben Ihren Beruf verfehlt, junger Mann... »
»Bin ich froh, dass wir die los sind», zupft Andi seinen Hemdkragen gerade.
»Ich will mich mental auf das Gespräch vorbereiten», lege ich mich hin, bedecke meine Augen mit der DB-Mobil und beginne zu dösen.
Erinnerungen an den letzten Abend tauchen aus dem Unterbewusstsein empor. Gibt es eine Zukunft für eine Beziehung mit Antje? Die Frau ist vollkommen ausgeklinkt, ist voller Leben, reißt mit, begeistert, verleitet mich zu ungewöhnlichen Handlungen. Ist sie die Muse, die mich beim literarischen Durchbruch begleitet? Erinnerungen an die plastischen Farben, sich verändernden Formen und mehr als guten Gefühle des Trips laufen auf meiner inneren Leinwand. Wäre es nicht fantastisch, in einem Zustand permanenter alles umfassender Liebe zu leben?
»Hi, ist hier noch frei!», ertönt eine Stimme mehr feststellend als fragend. Ich lupfe die Zeitung und erblicke einen Bundi, der seinen Rucksack im Gepäckregal verstaut.
Andi hält Fotos seiner geometrisch gewagten Skulpturen in der Hand. Er betrachtet ihn mit offensichtlichen Widerwillen, obwohl er vom Hasch leicht zugedröhnt ist. Junge, nicht schon wieder. Halt diesmal den Ball flach, bitte ich inständig. Keinen weiteren Ärger.
Der Soldat öffnet eine Coladose, die zischend braune Brause über den Sitz verteilt.
»Sorry», nimmt er einen Schluck, kümmert sich aber nicht um die Beseitigung. Er stößt auf und wischt mit der Hand über den Mund. Dann holt er einen MP3-Player aus dem Parka, positioniert die über dem Stoppelschnitt verstaute Sonnenbrille vor den Augen.
Ich bin B-Tight; und hasse dich, Ich bin der Neger; und hasse dich, Ich bin ein Junkie; und hasse dich, Ich lieb es dich zu ficken, doch dich hasse ich.
Andi legt die Bilder zur Seite, pumpt sich auf wie Meister Propper. Halt den Mund, Muchacho. Der Typ ist wesentlich größer, stärker und vor allem nüchtern. Meine Gedanken tangieren Andi wenig.
»Was ist das für ein Dreck. Ich will dich ficken, doch hasse dich. So einen Schrott habe ich noch nie gehört. Mach das aus. Wir wollen chillen.»
Ich blicke aus dem Fenster, sehe Bäume, Felder und Blumen vorüberziehen. Wie Kino.
Der Typ schiebt die Sonnenbrille hoch, seine braunen Augen mustern Andi. Dann zieht er die Stöpsel aus den Ohren.
»Haben Sie was gesagt?», fragt er nicht unhöflich.
»Alter, auf Sie kann ich gar nicht. Komm mir nicht auf diese Tour. Ich bitte dich ganz höflich, uns nicht mit diesem Gangster-Scheiß zu nerven. Mein Compadre und ich hören nur anspruchsvollen Hip-Hop. Blumentopf, Zentrifugal, zur Entspannung die Brote. Dieses Gangsta-Bla-Baller-Bla: Ich schrotte deine Rübe und ficke deine Alte verursacht Ohrenkrebs. Weißt du, dass wir Künstler sind? Ich organisiere eine Ausstellung in Offenburg, einer der schönsten Städte Deutschlands. Mein Freund Hotte unterschreibt dort einen Vertrag für einen revolutionären Roman, der ihm Millionen einbringt. Wenn wir wollten, könnten wir uns heiße Chicks und schnelle Schlitten ohne Ende leisten. Ohne diesen Gangster-Quark. Der zieht nur runter und verdummt. Also stell den Dreck aus.»
Andi hat den Bogen überspannt. Warum macht er den Typen an, als wäre er sein Sozialpädagoge. Mir ist unklar, ob er selber an sein Geschwätz glaubt oder einfach Ärger sucht. Ich hab’s: Er fährt eine Selbstmordstrategie. Was die Drogen nicht schaffen, soll pure Gewalt lösen. Andi, so schlecht ist dein Leben auch nicht. In den Augen des Bundis funkelt Mordlust. Er steht auf. Die Muskeln spannen die Arme seines Parkas. Gleich stampft er Andi in den Boden und mich mit. Dabei ist es mir latte, was für debiles Gedudel er sich ins Hirn zieht. Goodbye, süßes Leben.
»Entschuldigung», murmelt der bestimmt zwei Meter große Typ. »Wenn ich gewusst hätte, dass meine Musik stört, wäre ich in ein anders Abteil gegangen. Der Zugbegleiter hatte mich nur zu Ihnen geschickt, weil meine Platznummer nicht existiert. Seltsam, oder? Ich wünsche noch einen schönen Tag.» Er holt seine Tasche aus der Gepäckablage, hebt die Hand zum Gruß und geht ins Nachbarabteil.
»Was war das denn?», fragt Andi fassungslos. »Der pariert ohne Widerworte. Ich sag dir eines, Alter. Die Jugend heute ist charakterlos. Kein Widerstand. So was hätten wir uns nicht bieten lassen. Die zehn Jahre Altersunterschied formen das Blag zum Mann.»
»Lass ihn. Du musst nicht die Welt missionieren. Wenn er dieses Gedudel hören will, bitte. Vielleicht studiert er nebenbei Musikwissenschaft und muss ein Referat über den Zusammenhang zwischen Dummheit und CD-Verkäufen in der Rapszene verfassen? Wer weiß. Es hätte auch ein Penner sein können, der dein Gesicht als Sandsack missbraucht. Sah jedenfalls stärker aus als du.»
Andi überlegt. Fällt ihm sichtbar schwer. THC lähmt, lässt Welt und Gedanken langsamer laufen.
»Weißt du», sagt er nach einer Minute und blickt auf den Boden. »Manchmal finde ich die Welt vollkommen deprimierend. Ich spiel immer den euphorischen Macker, stets einen Joke auf den Lippen. Aber im Grunde finde ich mein Leben trostlos. Ich gurke von Ausstellung zu Ausstellung, von Frau A zu Madame B. Anfangs ist alles aufregend, thrillt, aber nach kurzer Zeit legt sich ein Mantel aus lähmender Langeweile über alles. Ich will weiter, verspüre den inneren Drang, etwas zu ändern und lande bei Tussi C und der Ausstellung in Kleintupfingen. Und täglich grüßt das Murmelmonster», philosophiert er.
»Du brauchst ein Ziel. Eine Vision. Was würde deine Endorphinproduktion kicken, wenn du es erreichst?»
»Lach nicht», blickt Andi auf. »Ich würde ein Ei dafür geben, im Palastmuseum von Katmandu auszustellen. Ist zwar ziemlich hippimäßig, aber Nepal und Indien reizen mich seit Teeniezeiten. Ich habe Timmerbergs Reiseberichte verschlungen und dachte nur: Cool, da willst du auch mal hin. Hat sich bis jetzt nicht die Gelegenheit ergeben. »
»Hast du denn was dafür unternommen? Ich kenn mich in der Branche nicht aus. Vielleicht das Goethe-Institut angeschrieben?»
»Geh weg, die wollen mich eh nicht. Und ich die auch nicht. Sind doch alles bornierte Spießer, die nicht wissen, was wahre Kunst ist. Ich bin für das Leben, so wie ich es führe, vorherbestimmt. Der Zug ist abgefahren. Vielleicht entdeckt mich ein wichtiger Gallerist, aber die Chance ist kleiner, als den Lottojackpott abzuräumen. Art is a lonley job, Darling.»
Andis Deprigesülze ist etwas anstrengend, aber Freund bist du in guten wie in schlechten Zeiten. Außerdem hat er sich immer brav meine Bea-Geschichten angehört. Andis Telefon klingelt.
»Baby», hält sich seine Freude in Grenzen. »Was sollen wir schon machen? Der Zug schippert durch die Landschaft. Flasht total. Irgendwann steigen wir um und dann geht’s ans Eingemachte. Hotte wird den Ahmert-Verlag rocken.»
Das Handy sagt etwas. Scheint nichts zu sein, was Andi hören will.
»Was soll denn der Scheiß? Nur, weil ich ein wenig langsamer spreche, bin ich doch nicht auf Drogen. Du weißt, dass ich das Zeug nicht mehr anrühre.»
Er greift in die Hosentasche und holt eine blaue Pille mit einem Smiley heraus, steckt sie in den Mund, schluckt.
»Frag Horst. Hab ich etwas Illegales zu mir genommen?», schreit er und hält mir den Apparat vor den Mund. Ehe ich zu einer Lüge gezwungen bin, reißt er ihn weg.
»Hast du gehört? Nein», nach einer Pause »Natürlich hast du nichts gehört. Du hörst nur das, was du hören willst. Du liebst mich nicht genug. Dein Herz-Chakra ist verschlossen. Wenn du dein Leben auf die Reihe gekriegt hast, ruf mich wieder an.»
Er zittert, rennt raus und kommt mit einer Flasche Cola wieder. Er braucht eine Minute, um den Deckel aufzuschrauben.
»Fuck. Die Beziehung mit Romy geht auch den Bach runter. Warum passiert das immer mir?» Er trinkt die halbe Flasche leer, dann bietet er mir den Rest an.
»Ist die eine weg, kommt die nächste. Was soll’s», stellt er fatalistisch fest.
»Geh doch die Dinge langsamer an. Romy meint es wahrscheinlich nur gut mit dir.»
»Fällst du mir auch in den Rücken?», faucht Andi. »Wenn sie mein Bestes wollte, würde sie mich einfach gewähren lassen. Ich bin Künstler, ich lebe im Flow.» Grinsend schmeißt er sich noch eine Pille ein. »Und ich gehe mit dir in den Verlag. Sag der Frau, ich wäre dein Agent. Da gibt es gleich zwanzig Prozent mehr Honorar.»
Das bezweifele ich stark. Es macht mir Angst, dass Andi mitkommen will. Ist bestimmt nicht prickelnd, wenn die Verlegerin merkt, dass Andi zugedröhnt ist. Andererseits kann ich ihn kaum in diesem Zustand in der Gegend rumlaufen lassen. Schweren Herzens stimme ich zu.
»Gebongt, kommt mit. Aber überlass das Reden mir. Du bist nur dekorative Begleitung, Capicse?»
»Super, gigantisch, megageil», freut er sich. »Ich darf beim Millionendeal da bei sein. Wir beide zusammen sind unschlagbar. Das wird krass.»
Ich höre nicht mehr zu. Je mehr Pillen er geschluckt hat, desto größer wird der Output akustischen Mülls. Wir steigen in Baden-Baden um und trudeln eine halbe Stunde später in Offenburg ein. Als ich den Bahnsteig betrete, weiß ich noch nicht, dass mein Leben bald aus den Fugen gerät.

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