Donnerstag, Januar 24, 2008

Frodos Pestatem

Aus dem Leben eines Landschnüfflers

Sie war erstens eine Kundin und hatte zweitens kein Geld. Normalerweise erlischt mein bei Punkt 1 erwachtes Interesse bei Kenntnis von Punkt 2 sofort. Bin schließlich Geschäftsmann, Inhaber der größten Bulderner Detektei, und nicht die Caritas. Naja, ist kein Kunststück werdet Ihr sagen: Laut Wikipedia bewohnen 5.828 schwarze Seelen diesen Flecken. Aber ohne Angeberei bezeichne ich mich als erfolgreichsten Schnüffler des südlichen, wenn nicht sogar des kompletten Münsterlandes. Das sind Pfunde, mit denen ich in meinem Marketing-Newsletter wuchere. Was nützen Fakten, wenn man sie nicht zum eigenen Vorteil ausposaunt? Aber ich schweife ein wenig ab.

Es war ein trister Novembertag. Westfälischer Fisselregen tränkte die Äcker und transformierte die Böden rings um meinen Bauernhof in eine matschige Seenlandschandschaft. Nur die Schafe mähten unverdrossen auf der Wiese vor meinem Anwesen, als gäbe es kein Morgen. Ansonsten waren die Bulderner Feldwege wie leergefegt. Mein Auftragsbuch war leer wie die Bierflaschen in meinem Keller. Endlich mal Zeit für die Steuer. Als ich gerade alle Unterlagen des vergangenen Jahres auf meinem Fußboden ausgebreitet hatte, Kaffee und Camel ohne in Position gebracht hatte. Klingelte es.

Ein Meter achtzig geballte Erotik. Rabenschwarzes Haar, zarte Augenbrauen, knabenhafte Figur, knackiger Hintern. Okay, ich geb zu, dass ich manchmal ein wenig oberflächlich bin. Mann, muss ich mehr sagen. Sehr visuell.
Sie hieß Christiane van der Weppen. Da raschelten in meinen Ohren die Euroscheine, alter westfälischer Adel. Aber nein, Harz 4 Empfängerin. Ihr Pudel Bilbo war entlaufen. Mitten in Buldern-City. War im Edeka-Lädchen gewesen und hatte ihn vor dem Geschäft an eine Laterne angeleint. Unzureichend. Als sie mit Käse, Wurst und der neusten Renate, irgendeiner Zeitschrift für die gebildete Frau von heute, nach draußen getreten war, konnte sie nicht mal einen Köttel von dem Wollknäul erblicken.

‚Ein Fall für Dieter Nannen?’, fragt Ihr zu Recht. Normalerweise nein. Für die zwanzig angebotenen Tacken hieve ich meinen Edelhintern nicht aus der Couch. Doch die fulminante Optik der Tante vernebelte meine Sinne. Auftrag angenommen, Steuerkrams auf einen Haufen gekickt und raus in den Regen. Eine Stunde Herumstromerns durch die Bulderner Gassen später war der Ausreißer gefunden. Schnüffelte gerade in einem Vorgarten am Hinterteil eines gedrungenen Mopses.

Als ich der Kundin die frohe Botschaft telefonisch übermittelte, überwältigte sie die Euphorie. Kenn ich so nicht; meine Kunden sind zufrieden, auf eine eher ruhige Weise. Westfalen neigen sowieso selten zu Gefühlsausbrüchen. Doch Christianes Endorphinproduktion schien zu explodieren. Ich sei Ihr Held, hätte ihr Leben gerettet, nur durch mich machte ihre Existenz wieder Sinn. Hallo? Ich hatte lediglich die Flohkolonie namens Bilbo wieder gefunden.

Und jetzt kommen wir zum interessanten Teil der Geschichte. Die Sahneschnitte lud mich zur Belohnung zu einem gemeinsamen DVD-Abend ein. Da hatte sich die Mühe doch einmal gelohnt. Auf was für Streifen ich stehen würde, fragte sie. Action, Splatter, Suspense, schoss ich aus meiner verbalen Pistole. Das ließe sich einrichten, ihre private Videothek sie in diesem Bereich gut ausgestattet. Kurz den leeren Terminer gecheckt und zugesagt. Mensch, jetzt vibrierten auch meine Neuronenbahnen. 20 Uhr bei ihr, zurrten wir das Date fest.

Zur Heute-Zeit ließ ich die Flimmerkiste dunkel. Schwarzes Hemd, Boss-Jeans, dunkelblaues Sacko. Ich sah aus, wie ein Teilnehmer des Detetective-Model-Contests.
Sharp eight klingelte ich beim etwas schäbigen Mehrfamilienhaus im Sandgrubenweg 33. Pudel Bilbo im Schlepptau. Die Begrüßung erinnerte an Szenen, als Papst Benedikt durch Colonia gegurkt war. Zunächst wurde das Vieh geherzt und abgeschleckt; ich wenigstens umarmt. Inbrünstig. Die psychedelischen Tapeten und abgewetzten Ikea-Teppiche im Wohnzimmer störten mich nicht mehr. Ich hatte nur mein Ziel im Visier. Einen kinästethisch prickelnd anregenden Abend mit meinem Groupie. Auf dem Pressholztisch von Roller mit knallig gelber Plastikdecke tummelten sich schon Chips und einige Krombacher-Kollegen. Hej, vielversprechend wäre zu diesem Zeitpunkt ein untertriebener Ausdruck gewesen.

Doch dann der Hammer. Das Objekt meiner Begierde schmiegte sich an mich und legte eine zarte Hand auf meine Augen.
„Rat mal, was wir uns heute anschauen.“
Da ich meine Wünsche klar geäußert hatte, gingen meine Mutmaßungen alle in eine Richtung.
„Terminator 2? Glimmerman? Vielleicht etwas Nachdenkliches? Desperado?“
Alles falsch. Als ich nach fünf Minuten langsam vor Spannung berstend die Augen öffnete, fielen mir die Pupillen aus dem Schädel.
„Wir schauen uns alle drei Teile von Herr der Ringe an, mein absoluter Lieblingsstreifen. Da ist alles drin, was Du von einem guten Film erwartest, mein Held.“
Irrtum! Gewaltiger Trugschluss! Nicht einmal rudimentäre Menschenkenntnis! Ich hasste sämtliche Fantasy-Produkte wie einen schmerzenden Eiterpickel in der Arschritze. Als die Filme ermals über die Leinwand flimmerten, konnte man kein Gespräch führen, ohne dass die Sprache auf Elben, Zwerge und sonstige Schleimbeutel kam, die mit unserer irdischen Realität nicht das Geringste zu tun haben. Für jeden toten Hobbit würde ich ein Monatsgehalt Kopfgeld latzen.
„Mein letzter Freund hat mich verlassen, weil ich zwei Monate ununterbrochen Tolkien verschlungen habe. Seine Romane reinigen mein Innerstes.“
Vollstes Verständnis für den Kumpel. Andererseits stand mir nach diesem cineastischen Martyrium das erotische Paradies offen. Also Klappe dicht und gute Miene zum finsteren Spiel.
„Ich mag diese putzigen Wuschelwesen genau wie Du“, war ich erstaunt, dass mir kein Pinocchio-Zinken aus der Visage ragte. Chris strahlte heller als der Atomreaktor von Tschernobyl.

Und so nahm der Abend seinen Lauf. Das Bier floss in Strömen, hauptsächlich in meine Kehle. Meine Gastgeberin starrte nur wie hypnotisiert auf die Mattscheibe. „Herrlich.“, „Ist der nicht süß?“, „So Gemein!“ sonderte sie als Konversation ab. „In der Tat.“;Wie ein Babypopo.“, „Hmhm“, glänzte ich auch nicht gerade mit rethorischem Feinschliff.
Immerhin kuschelte sich Christiane an mich; allerdings wurde jeder Versuch meinerseits den Kinoteil des Abends vorzeitig zu beenden durch harsches „Pst!“ im Keim erstickt.

Gefühlte dreißig Stunden später, stramm wie nach einer Kneipentour mit meinen Essener Kumpeln, ertönte endlich die Abspannmusik von Teil drei. Schrecklich wäre ein Euphemismus. Der Anblick von diesem widerlichen Fellgesocks hatte an meinen Eingeweiden gezerrt, sämtlich Köpersäfte in Eiter verwandelt und mich am ganzen Leib zittern lassen. Naja, ich übertreibe gerne, aber nur ein wenig. Dann endlich, endlich, endlich war jetzt Raum für Zärtlichkeit.

Chris hätte noch nie einen so sensiblen Mann wie mich getroffen, der auch noch ihre große Leidenschaft teilen würde. Gern ließ ich sie in dem Glauben. Und bald trafen sich unsere Münder, verwirrten, entwirrten und verwirrten sich Hände und Arme. Wechsel der Lokalität ins Wasserbett. Ich bin nicht gerade mit mangelndem Selbstbewusstsein gestraft, aber ohne Übertreibung: Ich bin der ultimative Liebhaber. Und daher geriet mein Chris, mein kleines Wonnehäschen mit dem schlechten Geschmack, schon bald in Ekstase.

Ihre Fingernägel krallten sich in meinen Rücken, ihr Gesicht verzerrte sich vor Wonne, sie stöhnte und schrie: „Besorgs’s mir so richtig, Frodo!“

Ich war wie gelähmt. „Was ist denn los? Mach weiter!“, flüsterte sie.
„Moment mal, was hast du da gesagt?“
„Besorg’s mir so richtig. Aber hör jetzt mit der Quatscherei auf.“
„Nee, das andere.“ – „Ach, Frodo, sorry, da ist meine Fantasie wohl mit mir durchgegangen. Aber Du stehst doch auch auf den niedlichen Wuschel, mein Superhobbit.“

Ich sprang auf, kleidete mich rasend schnell an und flüchtete. Unbefriedigt, undgeduscht und bis auf den mickrigsten Zellkern gedemütigt. So ein Fiasko.

Versteht mich nicht falsch. Ich bin ein harter Kerl, den nichts so leicht aus den Socken haut. Aber ich als Banging Hobbit? Grandiose Optik ist nicht alles; die mentalen Welten müssen aus meiner Sicht kompatibel sein. Chris’ und meine waren es definitiv nicht. Sie hat danach noch eine Woche mit meinem AB gequatscht, dann hat sie aufgegeben. Die zwanzig Euro Schnüfflerlohn habe ich abgeschrieben. Soviel ist mir Geld nicht wert.

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