Böse Stimmen bezeichnen ihn als Mischung aus Mario Barth und Mr. Bean. Mit Recht. Homepage:www.rockdasdorf.de
Sonntag, Juli 18, 2010
Bestseller Kapitel 03: Horst wird umgetauft
III. Horst wird umgetauft
Ich erwache vom schrillen Klingeln. Benommen recke und strecke ich mich. Mein selbst kreiertes Yoga, um den Tag zu begrüßen. Sonst halte ich es mit Churchill: Sport ist Mord. Obwohl die Pfunde um den Bauchnabel etwas Bewegung vertragen könnten. Aber was soll’s. Muss mich fokussieren. Warum habe ich noch mal den Wecker gestellt? Mein Gehirn läuft auf Sparflamme. Das Aufstehen ist für mich die unangenehmste Zeit des Tages, zudem so früh. Neun Uhr. Ich grabe in den hintersten Stuben meines Unterbewusstseins. Dann fällt es mir ein. Vorstellungsgespräch um elf Uhr in Laatzen. Habe ich das als angehender Erfolgsautor überhaupt nötig? Müde schleiche ich in die Dusche. Während das warme Wasser Körper und Seele belebt, komme ich zu dem Entschluss, dass ich meine Kasse aufzubessern muss. Ich kenne mich nicht in der Verlagsbranche aus, aber es wird bestimmt ein bis zwei Monate dauern, bis Geld auf mein gähnend leeres Konto fließt.
Ich trinke einen Kaffee und versuche Bea zu erreichen.
»Yellow Triangle Company, Sie sprechen mit Bea Gunkel», tönt die Stimme meines Exlieblings geschäftig aus der Muschel.
»Horst hier. Wie geht’s?», frage ich und stecke mir eine Zigarette an.
Aus der Leitung dringt gelähmtes Schweigen.
»Gut. Was ist, ich habe viel zu tun», wirkt sie genervt.
»Habe gleich ein Vorstellungsgespräch. Und morgen bin ich beim Verlag, die haben mich eingeladen, weil sie begeistert von meinem Buch sind. »
»Das hast du bereits erzählt», signalisiert sie Desinteresse. Im Hintergrund ruft jemand »Bea, ist der Volkswagentext fertig?»
„Gleich», brüllt sie zurück. Gut, es hat nichts mit mir zu tun. Einfach nur der übliche Bürostress.
»Ich will auch nicht länger stören. Dachte nur, du wolltest mir Glück wünschen.»
Komm mir ein wenig erbärmlich vor. Aber sie soll wissen, dass ich mich bessere.
»Viel Glück», sagt sie, doch ihre Tonalität sagt ‚Lass mich in Ruhe’. »Du hörst, dass ich arbeiten muss. Du machst das schon. Wie immer.» Klingt nach Sarkasmus. Hab ich das nötig? Wie sehr muss sich ein Mann verbiegen, um einer Frau zu gefallen? Hat sie sich nicht gerade deshalb in ihn verliebt, weil er ist, wie er ist? Mit seinen Fehlern?
Ich muss eingestehen, dass unsere Partnerschaft von Anfang an unter einem ungünstigen Stern stand. Bea ist ein Modepüppchen, dabei sehr taff. Der Typ Frau, um den dich deine Freunde beneiden. Sich fragen, aus welchem Zierfischbecken hat der die denn geangelt. Sieht selber eher wie ein Pantoffeltier aus. Bea ist auf einwandfreie Optik bedacht, während ich es eher leger mag. Ich weiß noch immer nicht, was sie an mir gefunden hat. Vielleicht der Rockercharme meiner Lederjacke. Vielleicht war Punkstyle auch in. Jedenfalls geht sie gerne auf Socialising-Veranstaltungen. Xing ist einer ihrer Favorites, so eine Internetplattform für Yuppies oder Leute, die es werden wollen. Ihre Eso-Ader passt da eigentlich nicht ins Bild. Aber Frauen sind oft ambivalente Wesen. Welcher Mann versteht sie wirklich.
Einmal bin ich zu so einem Business-Brunch mitgekommen. Musste mich in Schale schmeißen, was angesichts des eher spärlichen Inhalts meines Kleiderschranks schwierig war. Da bekommst du Krätze. Fand in einer Heilpraktiker-Praxis mitten in der City statt. Überall standen Häppchen mit Gemüsebelag und Sekt rum. Und Horst hatte einen Bärenhunger. Die Leute waren dreimal chemisch gereinigt und mit Perwoll eingeweicht.
»Kladdemann, Regionalleiter von Vorwerk. Unsere ausgezeichneten Produkte dürften allseits bekannt sein. Ist der Teppich voller Dreck, kommen wir, der Dreck ist weg. Haha. Was treiben Sie denn so?», wurde ich sofort von einem Schlipsträger zugetextet. Als ich reflexartig seine Hand schüttelte, missbrauchte er die Gelegenheit, mir eine Visitenkarte zwischen die Finger zu quetschen.
»Ich bin Künstler und studiere hier die Niederungen des White-Trash», antwortete ich. Konnte er nichts mit anfangen und wanderte zum nächsten Opfer. Bea unterhielt sich vorzüglich. Sie lachte, flirtete und lud einige Idioten zu sich in die Firma und zwei sogar nach Hause ein. Mir wurde übel. Als ich fünf Leute mit meinem Spruch verjagt hatte, bekam Bea mit, dass ich mich unwohl fühlte. »Dass sind alles potentielle Kunden. Sei nett, immer lächeln», instruierte sie mich. Keine Chance. Ich verzog mich an die Bar und zog mir Tomatensaftdrinks durch die Speiseröhre. Bah, gab aber nichts Besseres.
»Nimm mich nie wieder zu solchen Moorleichen mit. Die sind schon scheintot auf die Welt gekommen», redete ich mir den Frust von der Seele.
Bea sortierte mit verkniffenem Gesichtsausdruck, die Visitenkarten, die sie abgestaubt hatte.
»Keine Sorge», murmelte sie. »Dein Wunsch sei mir Befehl. Ein Wunder, dass dieser Termin trotz deiner negativen Schwingungen ein Erfolg war.»
Funkstille im Laufe des Tages. Schweigen wie lähmender zähflüssiger Brei, der in die Zahnräder unserer Beziehung drängte und das Leuchten erblassen ließ.
Am Abend saß ich vor dem Rechner, schrieb mir die Seele aus den Fingern, aber heraus kam nur depressiver Seelenmüll. Die Typen von Vorwerk, AWD, die sich hinter Glitzerfassaden von ihren Klimaanlagen das letzte Atom Menschlichkeit aus dem Körper saugen ließen, hatten meine Energie vergiftet. So wollte ich nie werden. Umso erschreckender, dass meine Freundin zu der Gruppe der Mammonzombies gehörte.
»Ich war ein bisschen hart», legte sich irgendwann ihre Hand auf meine Schulter. »Was schreibst du gerade?»
»Interessiert dich eh nicht. Für dich sind deine Freunde im Dreireiher mit den prallen Bankkonten wichtiger als das Leben. Merkst du nicht, wie du dich prostituierst?»
Bea wirkte traurig.
„Von irgendwas müssen wir leben. Schon vergessen? Aber ich bin selber Schuld. Schließlich hast du mich nicht gebeten, mitzukommen. Tut mir Leid.»
Sie hatte ihren Fehler eingesehen. Es bestand also noch Hoffnung auf Besserung. Doch von diesem Zeitpunkt an fraß sich ein Wurm in unsere Beziehung und höhlte sie aus.
»Bist du noch dran?» Habe vergessen, dass wir noch telefonieren.
»Ja, kannst dich mal melden», habe ich mittlerweile jede Hoffnung abgeschrieben.
»Sicher. Es interessiert mich schon, wie es dir geht», gibt sich Bea versöhnlich. »Aber gleich eine Beziehung? Ich weiß nicht. Das muss die Zeit zeigen.»
Besser als nichts. Aber auch nicht viel mehr.
»Ja, gut. Die Pflicht ruft. Man sieht sich.»
Sie legt auf. Ich horche, ob aus der Muschel noch was dringt. Ein letzter Seufzer, der Bedauern verrät. Natürlich nicht.
Missmutig sichte ich meinen Kleiderschrank. Wie gehabt: Viel Fummel vom Second-Hand-Shop und Flohmarkt. Cool, aber für ein Vorstellungsgespräch wenig geeignet. Ob mein neuer Chef auf die zerfetzte Jeansjacke mit Radioheadsticker steht? Wohl kaum. Ist ja kein Gelegenheitsjob, sondern was Zukunftsträchtiges, wie ich Gerd Siebke verstanden habe. Zumindest denkt die Firma so. Mal schauen. Das vorher ausgewählte rote Hemd und die unzerlöcherte Jeans müssen reichen. Ich kleide mich an und stelle erstaunt fest: Mein Abbild im Spiegel gefällt mir. Gebt mir eine Gitarre und ich wirke wie der junge Johnny Cash. Gebt mir ein Hammerprodukt, und ich verscherbele es an Millionen Kunden, die ihr Glück nicht fassen können. Dann könnte ich auf Beas Network-Meetings eine gute Figur machen. Ich bekomme Angst. Verrate ich gerade meine Ideale? Der Gedanke, die Arbeit nur kurzfristig ausüben zu müssen, beruhigt mich. Bald bin ich ein gefeierter Bestseller-Autor und scheide auf dem Malocherleben aus. Dann hänge ich nur noch mit coolen Leuten ab, die wirklich checken, was im Leben abgeht. Fröhlich genieße ich noch eine Camel und begebe mich zur Straßenbahn.
Zehn Minuten Gezuppel mit Linie zehn zum Hauptbahnhof, dann steige ich Richtung Gleidingen um. Ich liebe es, Straßenbahn zu fahren. Das ist für mich kostengünstiges 4-D-Cinema. Wenn ich mir die Gestalten anschaue, stelle ich mir ihre Lebensgeschichten vor. Ist schon die eine und andere Story draus entsprungen. Mir gegenüber sitzt ein Schmerbauch mit Stirnglatze und Matte. Trägt eine schmuddelige Lederweste. Sein Unterkiefer überragt den Oberkiefer um bestimmt fünf Zentimeter. Seht ihr, was ich meine? Welche Macht hat die Wege dieses Typen mit meinen kreuzen lassen? Er hat eine böse Ausstrahlung merke ich. Er sieht, dass ich ihn beobachte und starrt mich finster an. Lasse mich nicht auf ein Blickbattle ein und schaue weg, als hätte ich ihn unbeabsichtigt fixiert. Ich taufe ihn auf den Namen Ingo. Er hat in seinen fünfundvierzig Jahren viele Tiefs erlebt. Wenig Hochs. Die Sonnenstrahlen weichen aus, wenn er sich nähert. Als Kind hat ihn sein Vater geschlagen, Ma hat vor seinen Augen mit anderen Männern gevögelt. Alkohol als permanenter Freund, der das Leben erträglich macht. Doch Ingo hat beschlossen, sich zu wehren.
In seiner angeschmuddelten Nike-Sporttasche befindet sich eine Knarre. Hat er von einem albanischen Hehler auf dem Kiez gekauft, den nur Bares interessiert. Wenn Ingo am Hauptbahnhof aussteigen wird, setzt er sich in die Bahn und fährt nach Mittelfeld oder Vahrenheide, Stadtteile in denen man sich beim Frühstück die Birne mit Vodka zuknallt. Dort kennt ihn niemand. Er geht zu einer Sparkassenfiliale, zieht sich eine Skimütze über den markanten Schädel, wartet bis das Geschäftslokal bis auf die Angestellten leer ist. Dann haut er sich noch einen Jägermeister rein, öffnet die Tür und zieht seine Waffe. Erwartet, dass die Mitarbeiter sich vor Angst in die Hosen machen.
»Hände hoch. Das ist ein Überfall! Alles Bargeld in die Tasche! Sonst vergesse ich mich!»
Trotz Alkohol ist er nervöser als eine Wespe im Colaglas. Und die Anspannung, das dumpfe Gefühl in der Magengegend steigt. Denn die Mitarbeiter bleiben vollkommen ruhig.
»Es tut mir Leid, dass wir Ihren Wunsch nicht erfüllen können. Unsere Geldbestände sind zentral gesichert. Den Code kennt nur der Direktor, und der befindet sich im Urlaub. Wenn Sie von Ihrer Schusswaffe Gebrauch machen wollen, nur zu. Wir sind sowieso unseres Lebens überdrüssig. Kostenlose Überstunden sind Pflicht, wir werden chronisch unterbezahlt und gemobbt, weil wir den Kunden nicht genügend Finanzprodukte andrehen. Meinen Sie nicht, dass für uns reizvoll ist, wenn Sie uns von diesem unbefriedigenden Berufsleben erlösen? Das spart uns viel Zeit. Thema Finanzprodukte: Haben Sie schon an ihre Altersvorsorge gedacht? Bankräuber gehen erfahrungsgemäß oft in den Vorruhestand, und ob dann Ersparnisse und Rente reichen.. »
Ingo ist verwirrt. Er zieht noch einen Jägerflachmann aus der Jackentasche. Prost und runter. Irgendwie wird alles kompliziert und unangenehm. Wenn Banküberfälle so ablaufen, hat er keine Lust drauf. Er mag es bequem und einfach. Nach zwei Minuten Überlegung hat er eine Entscheidung gefällt. »Wo muss ich unterschreiben, Alter? Rente ist echt wichtig.»
So stelle ich mir Ingos Tagesablauf vor. Auf einmal winkt eine Frau. Jung, attraktiv, in ein graues Spießeroutfit gehüllt. Könnte in Beas Kreativitätsschmiede knechten. Obwohl ich sie nicht erkenne, winke ich zurück. Doch sie stürzt sich auf Ingo.
»Hallo Peter», haucht sie ihm ein Küsschen auf die Wange. »Musst du nicht den japanischen Kollegen das Werk zeigen?»
»Hi, Denise», zeigt sich Ingo-Peter erfreut. »Nein, Gott sei Dank. Ich konnte mir den Tag freischaufeln und gehe mit Erni squashen. Das rebootet den Organismus. Ich hoffe, dann bin ich für die anstehenden Aufgaben der nächsten Wochen gewappnet.» Peters Stimme vibriert mit denselben dunklen sexuellen Schwingungen wie ein Barry-White-Song.
Denise scheint darauf anzuspringen. Sie grinst ihn verstrahlt an, als wäre er der sexiest man alive. Nicht zu glauben, dass Frauen auf so schräge Vögel fliegen. Mit dem Bankräuber habe ich knapp daneben gelegen.
Das Firmengebäude der Pekingtech liegt in Laatzen in einem Gewerbegebiet nah dem Schlachthof. Nach kurzer Busfahrt und einigen Metern per pedes stehe ich vor einem zweistöckigen Bau in Ufoform. In der Glassfassade spiegelt sich mein Konterfei. Das einzige sympathische an dem Gebäude. Denn es ist offensichtlich, dass hier Geld gescheffelt wird, Kohle, Zaster, Penunzen. Der Mensch ist egal. Der ist nur funktionierende Nummer im System. Hier soll ich schaffen? Übelkeit macht sich in meinem Magen breit. Ich fühle mich zerrissen. Schließlich denke ich: Augen zu und durch. Schließlich brauche ich den Schotter.
Ich denke an meinen glücklichsten Moment mit Bea, strahle über den ganzen Körper und wandle gleich einer Lichtgestalt in den Tempel des Mammons. Ein kleingewachsenes, schlecht frisiertes Mädchen hütet den Empfang.
»Guten Tag. Ich heiße Horst Stengel, man erwartet mich zum Vorstellungsgespräch», spiele ich den Selbstbewussten.
»Herr Chong erwartet Sie bereits seit zehn Minuten», blickt die Frau auf die überdimensionierte Uhr im Foyer. Der Eingang ist großzügig gebaut, Drucke von Jason Pollock spiegeln Bildung vor. Die Portraits einiger chinesisch dreinblickenden nadelgestreiften Typen leisten ihnen Gesellschaft.
»Stand im Stau», lüge ich. Interessiert sie aber auch nicht weiter. Durch einen langen Gang –hier hängen Bilder mit Computerteilen- werde ich zu einem Büro geführt.
Das Mädel klopft und öffnet.
»Ich habe hier den Herrn Stengel.» Die Antwort kann ich nicht hören, aber sie drückt mich an der Schulter. Also hinein die Höhle des Löwen.
Hinter einem überdimensionierten Schreibtisch aus dunklem Holz thront in einem Ledersessel ein älterer chinesischer Herr in einem knallroten Anzug. Bis auf ein Laptop ist der Tisch leer. Kein Papier, kein Stift, noch nicht einmal eine Zeitung.
»Guten Tag. Ich bin die Professor Johnson Chong», erhebt er sich und drückt mir lasch die Hand. Berührt mich kaum. Lächelt aber starr wie die Typen vom China-Imbiss. »Ich freue mich, dass Sie arbeiten wollen.»
Er lächelt weiter und betastet die goldenen Ringe an seinen Fingern.
»Ich habe gehört, alle Deutschen sind pünktlich. Du bist aber nicht in Zeit.»
Oh, ist das ein gutes Zeichen, dass er mich jetzt duzt?
»Stand im Stau. Der Verkehr am Vormittag ist mörderisch.»
Er nickt wie ein Wackeldackel auf Morphium.
Ich drücke ihm meine Bewerbungsunterlagen in die Hand. Lebenslauf und Zeugnisse sind etwas spärlich. Aber die ganzen Nebenjobs kann ich schlecht aufführen.
»Herr Siebke meinte, bei Ihnen sei eine Stelle im Verkauf frei, für die ich optimal geeignet sei», schwillt meine Brust. Im Geiste sehe ich mich Computerteile quer durch die Welt befördern. Von China nach Hannover nach Dubai bis nach Indien. Warum eigentlich nicht. Ich freunde mich mit dem Job an. Dient der Völkerverständigung, ein Hoch auf die internationale Verbrüder- und Verschwesterung.
Noch immer grinsend schüttelt er den Kopf.
»Nicht verkaufen! Du sollst machen Buchhaltung. Rechnungen kontieren und so was.»
Buchhaltung, davon habe ich nicht die geringste Ahnung. In meiner Umschulung habe ich die Klausur in Rechnungswesen so was von versemmelt. Ich versuche meine Mimik zu beherrschen, um die Enttäuschung zu verbergen.
»Nicht verkaufen?», fragte ich, als ob ich geistig minderbemittelt sei.
»Stelle im Verkauf schon vergeben. Du machst Buchhaltung, sonst keine Arbeit.»
Super. Zögerlich sage ich »Buchhaltung kann ich auch. Mach ich sogar lieber als Verkauf. Wie viel würde ich denn verdienen?» Eigentlich stellt man diese Frage erst am Ende eines Vorstellungsgesprächs, aber wenn ich schon in die dröge Welt der Zahlen eintauchen muss, soll es sich wenigstens lohnen.
Chong nickt wieder grinsend.
»Oh, Stelle wird gut bezahlt. Anfang tausendsiebenhundert Euro, später mehr. Gerd Siebke sagt, du sein guter Junge. Wenn du willst, du hast Job. Aber du müssen viel arbeiten. Deutsche sind fleißig.»
Erwartungsvoll mustert er mich. Ist ja ne ganze Stange. Voller Scham muss ich mir eingestehen, dass ich ganz fickrig werde, wenn ich an die Kohle auf meinem Konto denke. Bin ich auf dem Weg zum Kapitalisten? Fängt so das Leben als Zombie in der Mammonwelt an? Erst kleinen Verlockungen nachgeben, und schon gehört deine Seele dem Beelzebub. Was soll’s. Ist ja nur für kurze Zeit.
»Damit bin ich einverstanden», verkünde ich. »Wann soll ich anfangen?“ Ist ja schon komisch, dass er noch nicht mal einen Blick in meine Bewerbungsunterlagen geworfen hat. Aber andere Nationalität, andere Sitten. Er mag mich und vertraut mir. Eine gute Angewohnheit, auf sein Bauchgefühl zu hören.
»Oh, du musst erst Praktikum machen. Meine Frau ist Chef von Buchhaltung. Du arbeitest zwei Stunden mit ihr. Dann wir können machen Vertrag.»
Scheiße. Ich hätte wissen müssen, dass da ein Pferdefuß hinter der Grinsefassade lauert. Die wird merken, dass ich von Buchhaltung noch weniger Ahnung habe als von Meeresbiologie.
Aber mit Frauen komme ich in der Regel gut zurecht. Ein bisschen geschmeidige Konversation mit der Dame des Hauses. Dann dürfte der Job eingesackt sein.
„Gerne. Machen wir das so. Eines noch. Wofür sind Sie eigentlich Professor? Reines Interesse», beherzige ich den Tipp aus dem Internet, viele Fragen zu stellen.
Das Grinsen von Herrn Chong bröckelt ein wenig, er hält es aber aufrecht.
»Ich sein Professor in China für deutsche Sprache», antwortet er ein wenig zögerlich und holt einen Kuli aus dem Jackett, den er nervös betastet.
»Ein Kollege», entfährt es mir vor Freude. »Ich habe auch einige Semester Germanistik studiert und schreibe auch. Mein erster Roman wird bald veröffentlicht. Was ist Ihr Fachgebiet?»
Chong überlegt. Jede einzelne Gehirnzelle scheint zu rotieren. Seine Stirn legt sich in Furchen. Er atmet Luft in den Mund, plustert die Wangen auf und lässt sie schließlich ab.
»Für das deutsche Grammatik», sagt er schließlich. Meine Spezialgebiete interessieren ihn nicht. Wahrscheinlich hat er für den Professor einen Pferdekarren Yuans in die Universität gefahren. Aber wahrscheinlich fragt niemand nach der Titelfabrik.
Er greift zum Telefonhörer.
»Ich rufe Frau, dass sie zeigt dir Arbeitsplatz. Dann Vertrag», nickt er wieder freundlich. Unergründliche Leute, diese Chinesen. Mir fällt etwas ein. Wenn ich morgen nach Offenburg fahre, kostet das eine Kleinigkeit. Und zwar fast zweihundert Schleifen. Habe mir bis jetzt noch keine Gedanken gemacht, wie ich die zusammenkratze, denn mein Konto ist ratzekahl leergefegt.
»Ich hätte eine kleine Bitte. Könnte ich einen Vorschuss auf mein erstes Gehalt kriegen? Vielleicht», ich überlege kurz »dreihundert Euro. Ich habe dringende Verpflichtungen. Ich werde mich dafür auch besonders anstrengen.» Ich wundere mich über die eigene Frechheit, aber mehr als ablehnen kann er auch nicht.
»Wenn wir machen Vertrag, du kriegst Vorschuss, kein Problem», grient er wieder. Strike. Mir gelingt aber auch alles.
»Danke. Sie werden es nicht bereuen», strahle jetzt auch ich. Offenburg, ich komme.
Wenig später führt mich Chongs Frau in einen spärlich möblierten Raum mit grünen Tapeten. Strange. Zwei Schreibtische mit Rechnern und einer Unmenge von Papieren. Soll ich das etwa alles wegbuchen, kontieren oder sonst wie bearbeiten? Die Dame heißt Juvenna, ist Mitte fünfzig, klein und gedrungen wie ein Monchichi. Trotz des Alters finde ich ihre Stimme unglaublich sexy. Ein warmes Timbre, das einen Mann zum willenlosen Subjekt degradiert. Allerdings nur, wenn ich ihr mit geschlossenen Augen lausche. Und dazu habe ich keine Gelegenheit.
Denn von Anfang an gibt es ein kleines Problem: Juvenna soll mich anlernen und versteht kein Deutsch, Englisch immerhin rudimentär. Sie ist auch keine Chinesin wie der Professor, sondern stammt von irgendeiner asiatischen Insel, von der ich noch nie gehört habe. Die Chefin nennt mich Debi. Das zwar mit erotischer Stimmlage, aber inhaltlich falsch. Zwei Mal weise ich sie darauf hin, dass ich Horst heiße, dann resigniere ich. Lieber ein Debi mit Arbeitsvertrag, als ein Horst ohne. Sollte mich jemals ein Verlag bitten, einen Wälzer mit geflügelten Worten herauszugeben, werde ich dieses Sprichwort aufnehmen.
Juvenna hält nicht viel von Ordnung. Gut, ich auch nicht. Aber dass ich zwischen Rechnung und Briefen ständig in ihre gebrauchten Taschentücher greife, finde ich etwas übertrieben. Sie schmeißt den Rechner an und irgendeine Buchungssoftware läuft. Sie starrt mich erwartungsvoll an, sagt erstmal nichts. Als ich sie frage »What should I do, Madam?» haucht sie in einer unbekannten Sprache akustische Ohrenschmeichlersätze, als wolle sie mich verführen. Ihre genervte Mimik deutet allerdings darauf hin, dass ich mich auf dem falschen Dampfer befinde.
Da ich nichts erwidern kann, schnappe ich mir die nächstbeste Rechnung und die Kontenliste. Ohne Hauch einer Ahnung rate ich zwei Konten, trage sie in den Stempel auf der Rechnung und hacke die Nummern in die Tastatur. Das scheint gut gewesen zu sein. Freundlich nickt Juvenna. So arbeite ich zehn Rechnungen durch, wobei ich die Konten ändere, um Abwechslung in die Tätigkeit zu bringen. Juvenna strahlt und sagt »Stop, it’s enough. You have job. »
Drei Kreuze. Ihr Mann freut sich und sie quatschen fünf Minuten, ohne dass ich ein Wort verstehe. Dann geht es zur Sekretärin. Der Vertrag ist schon ausgedruckt.
»Du fangen nächste Woche an», verabschiedet mich der Professor. »Gebongt, Chef.» Kaum zu glauben, aber ich bekomme wirklich den gewünschten Vorschuss. Das Glück schüttet sein Füllhorn über mich aus.
»Ich bin Janina», stellt sich das Mädel vom Empfang vor. »Deine Vorgänger haben es meistens nicht lange hier ausgehalten. Der Professor ist in Ordnung, aber Juvenna heißt bei den Kollegen nur der Drache.»
Ich bedanke mich für die Einführung in die Firmeninterna. Morgen ist der Buchvertrag unter Dach und Fach, vielleicht brauche ich die Bekanntschaft mit dem asiatischen Drachen gar nicht zu vertiefen.
Ich verabschiede mich brav bis Montag und verspreche, die notwendigen Personalunterlagen vorbeizubringen. Wo ist denn nur mein Sozialversicherungsnachweis? Aber bis dahin ist ja noch jede Menge Zeit.
Euphorisch fahre ich nach Hause. Unterwegs befühle ich die sechs braunen Scheine in der Tasche. Ja, sie sind real. Ich bilde mir das nicht nur ein. Mein Startgeld für die Autorenkarriere.
Zu Hause setze ich mich an den Computer, um weiter das Schicksal von Fred Sauger zu ergründen, doch meine Gedanken schwirren umher, lassen sich nicht fokussieren. Ich will den Abend in Gesellschaft verbringen. Nicht zu lang, schließlich muss ich um sechs Uhr starten, um mittags in Offenburg zu sein. Bea? Nein. Das letzte Telefonat hat mich runter gezogen. Um Morgen überzeugend zu sein, benötige ich Charisma. Und es leuchtet nur der, der sich gut fühlt. Steht in irgendeinem Businessschmöker, den ich bei der Decius-Buchhandlung vom Grabbeltisch erstanden hab. Gute Klolektüre. Vielleicht ist was dran. Auf Andi habe ich heute keine große Lust. Ich habe den Eindruck, dass er immer dasselbe erzählt. Neue nebulöse Projekte, Partys, Frauen. Alles toll, aber insgeheim wirkt er unglücklich. Wie so viele in der Szene. Die meisten Bekannten reden lieber, als den Arsch hochzukriegen und die großartigen Projekte in die Realität umzusetzen. Vielleicht gebe ich auch immer den gleichen Schmarren zum Besten, ich weiß es nicht. Aber jetzt starte ich durch. Erhebe mich aus dem Kreis der ganzen Möchtegernschriftsteller, die nur für Schublade und ihre Handvoll Kumpels schreiben. Immerhin ist Andi ein Netter, jemand auf den ich mich Tag und Nacht verlassen kann. Vielleicht wird ihn mein Erfolg beflügeln, selber zu neuen Ufern aufzubrechen. Ich gönne es ihm. Zu viel Grübeln verursacht Verstopfung, hat meine Oma immer gesagt. Ich brauche Abwechslung.
Da kommt mir eine Idee. Ich durchwühle meine Geldbörse und werde schnell fündig.
»Antje Fellatio. Ich besorg’s dir, wie du’s brauchst.»
Ganz schön wild die Frau. Vielleicht war es ein Fehler sie anzurufen. Was soll ich antworten. Mir fällt nichts Cooles ein. So suche ich bestimmt eine Minute nach einer geeigneten Antwort.
»Hallo, wenn du so ein abgefuckter alter Sack bist, der junge Frauen anruft und sich dabei einen runterholt, nur zu. Ich stehe auf Telefonsex!», schallt es aggressiv aus dem Hörer.
»Ich bin’s, Horst», quetsche ich eingeschüchtert raus.
»Hei, Alter. Ist stark, dass du anrufst. Wie ist es? Hast du den Buchvertrag eingesackt?“, scheint sie sich zu freuen.
»Morgen ist der große Tag. Bin mächtig stolz. Ist immerhin mein Debüt. Beim vierten, fünften Roman sehe ich das bestimmt gelassener. So bin ich etwas nervös. Fahre morgen früh nach Offenburg, schau mir die Räumlichkeiten an, vielleicht gehen wir essen und lassen dann die Sektkorken fliegen. Bier wäre mir ja lieber.»
»Mir auch», lacht Antje. »Aber für einen Buchvertrag würde ich eine Ausnahme machen. Das Leben ist ein einziger Kompromiss, Alter. Gibt jedenfalls Fame in der Community. Musst dir aber auch klar sein, dass manche Kollegen neidisch sein werden.»
»Damit kann ich leben», spiele ich den Starken. »Hast du Lust, heute Abend abzuhängen und zu chillen?», wage ich mich auf dünnes Eis. Sie hat sicherlich keine Zeit, findet mich unattraktiv oder uncool.
»Hm, muss noch ein Referat für die Uni vorbereiten. Der Hof zu Zeiten Shakespeares, ziemlich bildungsbürgerlich. Aber schadet ja nichts, sich mit dem historischen Krams auszukennen.» Wie ich mir gedacht habe. »Aber heute Abend, klar, warum nicht. Du kommst vorbei, und ich koche einen Happen für uns. Können uns dann eine DVD ansehen, hab was vom Poetry Slam in Leipzig.»
»Cool, Anschauungsunterricht für die eigene Performance. Kann nie schaden», fasse ich mein Glück nicht.
»Alter Falter, Du glaubst es nicht», gibt sie sich exstatisch. »Da sind Hammertypen aufgetreten. Sushi, Böttcher und Konecny. Die rocken den Saal. Vielleicht rappe ich mein Referat», überlegt sie.
»Ob das der Prof cool findet? Die sind doch verstaubter als das Oxford Dictionary.»
»Unterschätz den ollen Dick nicht», widerspricht sie vehement. »Für seine Zeit war der abgefahren bis in die Haarspitzen, genialer Typ. Du kannst die Texte der Klassiker für den Slam grandios parodieren. Denk an Wehwalt Koslovskys Schiller fickt. Gigantomanisch.»
»Ich les auch ab und an die alten Herren», flunkere ich. »Will meine Roots kennen. Hamlet ist ja ein ins Universum gefurzter Rap, ein vorweggenommener Ginsberg.»
»I tell you», bestätigt Antje. »Um zwanzig Uhr bei mir. Wittekindstr. 28. Freu mich.»
Kaum hab ich aufgelegt, klingelt es.
»Alter, was geht ab? Hast du Lust, dich im Chez Heinz mit mir zu treffen?» Andi redet hektisch, als hätte er was eingeschmissen.
»Keine Zeit. Hab so eine Art Date.»
»Ein Date? Fantastisch, ist auch höchste Zeit, dass du den Bea-Trip verlässt. Die Alte bringt nichts Gutes. Zu settled. Wer ist es denn, kenn ich die Braut?»
Eigentlich will ich mit Andi nicht über Antje sprechen. Vielleicht redet er mir das Date kaputt. Na was soll’s, schließlich erzählt er mir auch seine Frauengeschichten.
»Eine Slamer-Kollegin, Antje Fellatio. Weiß nicht, ob ihr euch über den Weg gelaufen seid.»
Andi lacht, etwas hysterisch, was mich ärgert.
»Mensch, die Tussi hat‚’ne exzellente Optik, aber was sie so von sich gibt. Ich bin eine Drecksfrau und ficke gerne. Weiß nicht, ich streichele lieber zahme Kätzchen, als mir die Finger von Panterinnen abbeißen zu lassen.»
»Was macht Inga? », wechsele ich das Thema.
»Romy», klingt er etwas eingeschnappt. »Alles easy. Wir sind im Honeymoon. Ziehen bald zusammen. Ist das nicht eine gute Neuigkeit?» Überzeugend klingt das nicht. Außerdem zittert seine Stimme, als stünde er kurz vor der Exekution.
»Alles in Ordnung?», frage ich. Eigentlich spielen körperliche und seelische Befindlichkeiten keine Rolle in unserer Freundschaft. Andi Szenetiger ist immer gut drauf. Aber heute wirkt er, na, ich weiß nicht. Bin kein Psychodoc oder Mediziner.
»Natürlich, was soll das?» reagiert er auch gereizt. »Bereite gerade eine Ausstellung in Pinneberg vor. Sculptures stoned washed. Bin durch diverse Steinbrüche in ganz Dummdeutschland getrampt, um Material zu ranzukarren. Das wird der Renner. Ich sag’s dir. Bin nur etwas überarbeitet.»
Wahrscheinlich Material, um Luftschlösser zu bauen.
»Das wird es sein», gebe ich ihm Recht. »Muss mich noch mental vorbereiten. Ich ruf dich an, wie es beim Verlag gewesen ist. »
»Mach das, Alter. Fingers crossed.»
Kapitel 04 Blitzdating mit dem Medizinmann erscheint urlaubsbedingt wahrscheinlich am 01.08.10.
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2 Kommentare:
Bin ganz frisch hier gelandet, weil mir ein Buch von dir empfohlen wurde. Klasse Münsterlandkrimi!
Danke, Krimifan. Freut mich sehr, dass dir meine Bücher gefallen.
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