Montag, August 30, 2010

Bestseller Kapitel 08: Esel ficken in der national befreiten Zone



08. Esel ficken in der national befreiten Zone

Am nächsten Morgen wecken uns laute Stimmen. Verwirrt reibe ich mir den Schlaf aus den Augen, auch Andi und Kathrin haben Schwierigkeiten sich zurechtzufinden. Flirrendes Licht fällt durch das Fenster, reizt die Augen und die Stimmung. Kathrins erste Worte sind »Oh Scheiße». Sie küsst den immer noch in anderen Welten schwebenden Andi und schleicht sich aus dem Zimmer.
»Moin. Alter, was ist das für ein Lärm?» Er will sich eine Zigarette anzünden, doch ich stoppe ihn.
»Für zwei Stunden verhalten wir uns, dass es meinem Vater gefallen könnte. Verstanden?»
»Schon gut», grinst Andi. »Die Kohle für dein Buch kriegen wir zusammen, aber hier bestimmt nicht. Lass uns schauen, was bei deiner Family los ist. Hasta la vista und ab die Post.»
Der Krach kommt aus dem Wohnzimmer. Dort finden wir Vater und Mutter, wieder vollkommen schwarz gekleidet, vor der Flimmerkiste.
»Der Schrecken eines Weltkriegs vergeht im Blick auf die Ewigkeit. Der Zorn, der sich über alle ergießen wird, welche die angebotene Barmherzigkeit, Gnade und Erlösung des Jesus Christus ablehnen, ist viel schrecklicher. Hallelujah, liebe Brüder», dröhnt ein bärtiger Mann im Talar.
Die aufgeheizte Menge in der Turnhalle schreit hysterisch »Gelobt sei Gott, Hallelujah.»
Meine Mutter fordert uns mit einer Handbewegung zum Sitzen auf, doch wir stiefeln in die Küche. Dort sitzt Kathrin bereits am Küchentisch, hat Kaffee gekocht.
»Machen die nichts anderes als beten?», fragt sie entnervt.
»Ich fürchte nicht», murmele ich. Eigentlich sollten die eigenen Eltern nur während der Pubertät peinlich sein, aber diese Show ist nicht mehr zu toppen.
»Mein Alter ist Nazi», wirft Andi ein. Er nimmt einen Schluck Kaffee und eine Scheibe Brot aus dem Korb. »Kein richtiger», schmatzt er. »Aber er sondert eine Menge Stuss über Juden ab. Die wollen die Weltherrschaft und sind an den steigenden Benzinpreisen schuld. Früher hat mich das aufgeregt, heute denke ich: Lass ihn doch erzählen. Er hat auch gute Seiten, ist nur ein wenig blöd.»
»Juden mag mein Vater auch nicht. Die haben schließlich Jesus umgebracht. Ist egal, dass der Messias selber Jude war.»
»Ein religiöser Nazi. Das ist die höchste Stufe der Verblödung», fällt Andi sein abschließendes Urteil. Obwohl er Recht hat, gefällt mir nicht, wie er über den Alten spricht.
»Er hat viel mitgemacht, vergiss das nicht. Seine Erlebnisse haben ihn zu dem Menschen geformt, der er heute ist. Er war nicht immer ein Loser. Der frühe Tod meiner Schwester hat ihm die Psyche verdreht.»
Kathrin schaut zweifelnd.
»Ich bitte dich. Klar ist es hart, ein Kind zu verlieren. Aber das passiert vielen Leuten. Werden die alle zu religiösen Spinnern? »
Vielleicht stimmt das. Aber ich habe keine Lust darüber nachzudenken.
Die Predigt ist zu Ende. Meine Eltern betreten den Raum. Mutter lächelt, Vater mit strengem Blick.
»Ihr habt euch bereits bedient, wie ich sehe», setzt er sich an den Tisch. »Du sollst nicht stehlen, weißt du, wo das steht, Horst?»
„Hiob, lass den Jungen. Die Kinder sind unsere Gäste», wirkt Mutter wütend. Der Alte schaut, als wolle er ihr eine Predigt halten, sagt aber nichts.
Mutter stellt Marmelade, Wurst und Käse auf den Tisch. Dann spricht Vater ein salbungsvolles Gebet. Er möchte, dass unsere Sünden vergeben werden, obwohl er nicht glaubt, dass das möglich ist. Süffisanter Unterton. Andi und Kathrin verdrehen die Augen.
Hiob nippt an seinem Kaffee.
»Ich habe gestern Abend noch mit deiner Mutter gesprochen. Du willst Geld für dein Buch. Ich halte nichts von der Schreiberei, doch Mama will, dass ich dich unterstütze.»
Wir drei schauen erstaunt aus der Wäsche.
»Ich habe in dieser Nacht hart mit mir gerungen, habe den Herrn gefragt und Antwort erhalten. Du sollst Geld von mir bekommen. Aber ich will sehen, dass du es wirklich ernst meinst. Ich gebe dir zweitausend Euro. Den Rest musst du selber hinzuverdienen. Wer sich selbst hilft, dem wird auch der Herrgott helfen.»
Zweitausend, ich bin begeistert.
»Danke», stammele ich.
»Sie wissen nicht, Herr Hiob, wie sehr Sie Horst damit weitergeholfen haben», strahlt Andi. Kathrin nickt auch freudig. »Sie sind gar nicht so übel, wie ich dachte.»
Die Miene des Alten verfinstert sich sofort.
»Es ist der Willen Gottes, den auch ich nicht immer verstehe», knurrt er. Er drückt mir einen Scheck in die Hand. Dabei zittert er leicht. Dann quetscht er meine Hand.
»Auch wenn ich dich nicht verstehe. Viel Glück in deinem weiteren Leben», brummt er. Wenn mich nicht alles täuscht, bildet sich eine Träne in seinem rechten Auge. Doch er steht auf.
»Ich muss die heutige Andacht vorbereiten. Macht es gut und geht mit Gott.»
In einem Historienfilm würde jetzt ein Heiligenschein über seinem Kopf leuchten, so verlässt nur ein alter Mann voll Zorn auf eine Gesellschaft, die er nicht versteht, den Raum.
»Danke, Mama. Ich weiß, dass du es schwer hast. Umso dankbarer bin ich, dass du dich für mich eingesetzt hast.»
»Ich führe das Leben, das ich mir ausgesucht habe. Mit deinem Vater bis zum Tod. Bitte geht jetzt, sonst überlegt es sich dein Vater mit dem Geld noch und will es zurück.»
Kathrin hat bereits gepackt, Andi und ich tragen unser Gepäck am Leib. Zum Abschied umarme ich meine Mutter. Sie weint. Ich kann mich vor den Freunden gerade noch zurückhalten. »Bis bald», verabschiede ich mich, denke aber, dass es lange dauern wird, bis ich wieder nach Duisburg zurückkehren werde.

Wir fahren zum Bahnhof und steigen in den Zug nach Wesel.
»Hätte nie gedacht, dass dein Alter etwas herausrückt», kann Andi es noch immer nicht fassen.
»Ich auch nicht. Aber ein Riese fehlt mir noch immer.»
»Da habe ich eine Idee.» Wir schauen Kathrin groß an. Eine Idee, die tausend Euro bringt?
»Es gibt doch überall Kaffeefahrten. Da fährst du mit lauter Senioren in ein Hotel, wo Lamafelldecken und Wärmeflaschen verkauft werden.»
Bei uns ist der Groschen noch nicht gefallen. Andi schiebt sich unauffällig eine Pille in den Mund.
Schließlich sage ich »Sollen wir den überteuerten Scheiß etwas weiterverkaufen? »
»Nein», rauft sie die Haare bei soviel Begriffsstutzigkeit. »Da gibt es jede Menge umsonst. Porzellan, Fernseher, Bestecke. Da können wir echt was abziehen. Und unsere Geschenke verscherbeln wir bei Ebay.»
»Das ist eine super Idee», entflammt Andi vor Begeisterung. »Die betrügen alte Leute, also ziehen wir die auch ab. Ganz legal. Megageil.»
Er gibt ihr einen langen Kuss. »Kann klappen», meine ich schließlich. »Wenn wir zu Hause sind, schaue ich im Briefkasten nach. Da kommt jede Woche so ein Mist. Für tausend Euro brauchen wir aber viel Plunder», überschlage ich.
»Ach was. Bei drei Flimmerkisten haben wir das Geld doch schon in der Tasche», Andi und Kathrin klatschen sich ab. Na, vielleicht bin ich einfach zu pessimistisch. Es ist in jedem Fall schön, dass meine Freunde mich unterstützen. Alleine wäre das kaum durchzustehen.

Obwohl ich den Großteil meines Lebens in Duisburg verbracht habe, war ich noch nie in Wesel. Wird schon seinen Grund gehabt haben, denk ich mir. Wirkt kleinstädtisch, hübsch, aber gähnend langweilig. Hab auch nie einen coolen Menschen getroffen, der aus Wesel kommt. Uncoole allerdings auch nicht. Wenn hier dein Hund auf den Bürgersteig scheißt, weiß es sofort das ganze Dorf. Hurra.
»Wie kommst du an eine Ausstellung in diesem Kaff?», fragt Kathrin. Eine gute Frage.
»Das ist eine lange Geschichte», windet sich Andi verlegen. »Ich kenn so einen Typen, den Turner, der wohnt in einer WG mit einem anderen Typen, der ursprünglich aus Wesel kommt. Heißt Säge mit Spitznamen. Habe mal bei Turner gechillt und Fotos von einigen Bildern rumgezeigt. Fand Säge ganz toll. Er hat gemeint, er kennt einen abgefahrenen Schuppen in seiner Heimatstadt. Wenn die meine Bilder ausstellen, würden die Weseler voll drauf abfahren. Die hätten Geschmack.»
Ich will nicht vorschnell urteilen, aber Wesel wirkt wirklich nicht, als ob sich seine Bewohner durch außergewöhnlichen Geschmack auszeichnen würden.
»Wie heißt denn das Lokal?», fragt Kathrin.
»Club 88, glaub ich. Soll direkt in der Innenstadt liegen.»
»Gibt’s den echt schon seit zwanzig Jahren?»
»Keine Ahnung. Mal schauen, ob die Bilder von mir verkauft haben. Nur Bares ist Wahres», hofft Andi. Er nimmt Kathrins Hand. Sie lächelt. Ich habe den Eindruck, dass sie zu Andi passt. Besser als Petra, Nina, Imke und all die anderen. Vielleicht sind Alter und Bildungsstand egal, die reine Chemie zwischen den Seelen entscheidet über den Erfolg einer Beziehung.
Kurz darauf sind wir angekommen. In der verschlafenen Fußgängerzone direkt am Bahnhof liegt das Lokal zwischen einer Bäckerei und der Deutschen Bank. Ich vermute, dass es sich um eine Disko handelt. Ein Café scheint aber angeschlossen zu sein. Hat auch offen. Super, keiner von uns hat Lust, bis zum Abend Wesel zu erkunden.
Die Einrichtung wirkt oldfashioned. Eichentische und Bänke, erinnern an bayrische Gemütlichkeit, die der Otto-Normal-Niederrheiner wenig zu schätzen weiß. An den Wänden schwarz-weiße Fotos, auf denen ich aber aus der Distanz nichts erkennen kann.
Andi wendet sich an den Barkeeper. Einen drahtigen Jugendlichen mit überdimensionierter Hornbrille und Stoppelschnitt. Er trägt ein weißes Shirt mit der Aufschrift National Pride.
»Ich bin der Künstler, der hier ausstellt. Andreas Bohemian, wer ist denn hier für die Ausstellungskonzeption zuständig?“, fragt Andi.
Seine Frage wirkt bei dem schmuddelig unfreundlichen Ambiente etwas seltsam. Kathrin winkt mich zu sich. Sie zeigt auf die Fotos an den Wänden. Ich trete näher und erblicke Neonazigesocks bei Aufmärschen. Prost Mahlzeit.
»Willst du mich anmachen. Bist du eine Zecke?», fährt der Typ Andy an.
Andy kapiert nicht.
»Was meinst du mit Zecke? Wer organisiert hier das Art-Management? Kann ich den sprechen?»
Aus einem Hinterraum kommen mehrere kurz geschorene Gestalten. Kapuzenpullis von Lonsdale, Springerstiefel. Entzückende Genossen, von denen man sich am besten fernhält.
Kathrin geht zu Andi.
»Ich glaube, wir sind hier falsch. Die haben die Bilder nicht. Lass uns gehen», versucht sie ihn hinaus zu bugsieren.
»Gibt es Probleme, Ratti?», fragt der quadratische Kampfzwerg mit Kartoffelnase. Auf seinem Handrücken ist Hass in Sütterlinlettern tätowiert.
»Die Zecke erzählt was von Ausstellung. Klingt wie ein Sozialarbeiter, ist aber keiner», er beugt sich über den Tresen und funkelt uns an.
»Habt ihr gehört? Euer Profil ist heute nicht angesagt», lacht Hassquadrat dreckig.
Hat Andi was geraucht oder geschluckt? Er sucht das Gespräch mit den ewig Gestrigen, was nicht gut gehen kann.
»Hier müssen Bilder von mir hängen. Säge hat die vorbeigebracht. Die würde ich gerne wieder mitnehmen, wenn ihr nichts vertickt.»
Auf einmal holt der Typ hinter der Bar einen Baseballschläger hervor.
»Wenn ihr nicht freiwillig Leine zieht, helfe ich nach. Euch Judenabschaum verfrühstücke ich.»
»Moment mal», hebt der quadratische Typ den Arm. »Du bist ein Kumpel von Säge?»
Alle starren ihn an, dann starren alle Andi an. Die Atmosphäre im Raum ist voll aggressiver Spannung.
»Sag ich doch die ganze Zeit», bestätigt Andi. Ich möchte am liebsten weit weg sein. Bahamas, Mallorca oder auf der Mülldeponie in Sao Paulo. Nur nicht hier.
»Mensch, das ist ein Homie. Säge ist ein Kumpel aus alten Kampfzeiten. Der schaut immer rein, wenn er seine Eltern in Wesel besucht. Der weiß auch, dass Schwatte auf Bäumen leben sollten. Ich bin Fightpig, gib mir Fünf auf Deutschland als national befreite Zone.»
Kathrin murmelt, dass sie gerne im Klamottengeschäft gegenüber stöbern möchte. Schon ist sie weg.
»Ratti, leg Mucke auf. Das müssen wir feiern. Wie heißt ihr und wo kommt ihr her?»
Widerwillig geben wir Auskunft.
»Hannover, war ich noch nie. Gibt es da auch so viele Kanacken?»
Ich verwerfe den Gedanken, ihm einen Vortrag über Toleranz und Gleichheit zu halten. Stattdessen sage ich diplomatisch »Ist schon okay.»
»Mensch, Alter. Ihr seid weiter als wir. Habt die Brut bereits in die Löcher zurückgedrängt, wo sie heraus gekrochen ist. Respekt, Alter, Respekt.»
Erstaunt stelle ich fest, dass es sich schlimmer anfühlt, von diesem Abschaum gemocht als gehasst zu werden.
Ratti hantiert hinter der Bar herum. »Mucke startet gleich, Cheffe. Und dann schmeiße ich eine Runde.»
Aber zuerst wird die Anlage hochgefahren. Ich kriege nur Satzfetzen mit, aber die reichen. In ohrenbetäubender Lautstärke dröhnt „Einmal im Jahr kommt Nikolaus, dreimal am Tag kommt Holocaust, BRD - was heißt das nur?! Bubis Rache – Diktatur“.
»Lass uns die Biege machen. Das kann unangenehm enden», flüstere ich Andi zu.
»Ohne meine Bilder gehe ich nicht», wippt er grinsend im Takt. Die kurzhaarigen Kollegen freuen sich.
»Das wird Säge büßen. Meine Bilder bei diesen Arschgeigen unterzubringen», flucht er.
Ratti stellt uns fünf Flaschen Krombacher hin.
»Ich glaube, ich weiß, wo deine Bilder hängen. Haben einen Ehrenplatz», feixt er.
Wir traben mit den Kollegen in ein Hinterzimmer. An Andis Blick erkenne ich, dass wir das Ende unserer Suche erreicht haben.
In dem klassenzimmergroßen dunklen Raum hängt eine Galerie des Schreckens an der Wand: Göbbels, Himmler, Eichmann, und ein paar neuere Aufnahmen. Wahrscheinlich NPD-Funktionäre. Fightpig deutet auf die Stelle zwischen Rudolf Hess und Adolf Hitler.
»Echt stark, Alter. Erinnert an Riefenstahl. Das ist nationale Kunst. Nicht so ein entarteter Untermenschendreck.»
Die Collage zeigt eine mit Pickeln verfremdete Marilyn Monroe beim Bowlen. Ich bin selber kein großer Kunstkenner, aber Andis Sarkasmus schreit geradezu aus dem Bild.
»Das andere finde ich nicht ganz so prall. Aber bei Kunst bin ich nicht der Checker», die Nazis gröhlen und stoßen mit den Bierflaschen an.
Er meint eine Skulptur aus geometrischen Figuren. Ich kenne das Werk. Wenn ich mich recht entsinne heißt es Sulamith in der Gaskammer. Ironie, dass es hier steht.
»Wisst ihr. Ich verkaufe meine Bilder. Wenn es bis jetzt niemand erwerben wollte, versuche ich es woanders», tritt Andi in die Verhandlung ein.
»Ich finde dein Zeug stark. Mensch, das ist völkisch allererste Sahne», mischt sich ein kantiger Schrank aus dem Trio ein.
»Gut gebrüllt, Schabe. Deine Werke sind voll auf unserer Linie. Wenn du Kohle brauchst, wir legen zusammen und kaufen dir die blonde Schlampe ab. Diese Kugeln nehmen wir auch, weil du ein arischer Künstler bist.»
Ich krieg gleich Pimpernellen. Andi greift in seine Hosentasche. Holt etwas raus und steckt es sich unauffällig in den Mund. Einen kleinen Muntermacher.
»Ich habe das Bild und die Skulptur bereits Interessenten versprochen», lügt er. »Die wollen fünfhundert Euro pro Stück zahlen.»
»Glaub ich nicht», verfinstert sich Fightpigs Miene. »Letztendlich hast du doch nur Farbe auf eine Leinwand geklatscht. Welcher Penner zahlt soviel Reichsmark dafür? Findest du es nicht arschgeil, dass deine Klamotten neben den größten Männern der deutschen Geschichte hängen?»
Die Stimmung droht zu kippen.
»Doch, echt super. Aber ich muss schließlich von irgendwas leben.»
Fightpig blickt prüfend seine Kollegen an.
»Unsere Kameradschaft hat eine Kasse, wo wir etwas Geld gesammelt haben. Wir können dir hundert Taler geben. Für beides zusammen. Dafür hängt es bei Deutschen, die dein Werk zu schätzen wissen.»
»Ihr wisst doch: Für einen Deutschen zählt sein Wort. Wenn ich etwas versprochen habe, halt ich es.»
Andis Augen funkeln. Ich hoffe, er übertreibt es nicht. Normalerweise ziehen solche Genossen Schläge Argumenten vor.
»Willst du etwa lieber an Kanaken verkaufen? Ich glaub es nicht», Fightpig wirkt gereizt. Seine kleinen Augen verengen sich, seine Wangen plustern sich auf. Die Gefolgschaft schaut gebannt an. Scheinen nur auf ein Signal zum Losprügeln zu warten.
»Natürlich will ich an euch verkaufen», beruhigt Andi. Aus dem Nebenraum dringt „Die ganzen Scheiß-Kanaken stinken wie die Pest. Und wie sie Fußball spielen, das gibt dir den Rest. Keine Ahnung vom Leder kicken. Doch im Knoblauch fressen und Esel ficken“
Auf einmal geht Andi einen Schritt auf Fightpig zu und stößt ihn vor die Brust. Völlig unerwartet, vor allem für den Quadratischen.

»Hey Alter, das war dein Todesurteil, ich mach dich platt», stolpert er und setzt sich auf sein Hinterteil. Andi reißt sein Bild von der Wand, greift sich die Skulptur und sprintet los. Ich ebenfalls. Die Schlägertruppe erwacht aus ihrer Lähmung. Schabe hechtet vorwärts, erwischt aber nur Andis Sakko, an dem er abgleitet. Ich schlängele mich an ihm vorbei. Dank seines großzügigen Alkoholkonsums kommt Fightpig zu langsam auf die Beine. Er flucht und brüllt uns diverse Todesarten nach, die wir sterben werden. Wir drehen uns nicht mehr und stürmen durch den Vorderraum. Ratte spielt mit einem drallen Skingirl Kicker.
»Was ist denn los? », staunt er. »Halt sie auf, die Wichser machen wir fertig!», brüllt Schabe. Doch auch er kann seine Bewegungen nicht mehr optimal koordinieren, stolpert mehr als zu laufen.
Wir stürzen aus der Tür. Passanten glotzen neugierig. Kathrin steht vor dem Bekleidungsgeschäft gegenüber, schaltet sofort und rast los. Die Glatzen kommen aus dem Club gerannt, brüllen wirres Zeug. Bleiben aber stehen. Gott sei Dank. Im Nahkampf wären wir ihnen hoffnungslos unterlegen.
Nach Luft japsend erreichen wie den Bahnhof. Der nächste Zug nach Duisburg fährt in zehn Minuten, von dort geht es stündlich nach Hannover. Kathrin schmeißt ihren Rucksack vor einen Pfeiler.
»Mit euch erlebe ich an einem Tag mehr als in den neunzehn Jahren davor», stöhnt sie. »Ich weiß aber noch nicht, ob mir das gefällt. Erst eine Nacht bei den bibeltreuen Christen, dann von Skinheads verfolgt. Ich fühle mich zu jung für einen Herzinfarkt.»
Eine halbe Stunde später rollen die Räder Richtung Hannover.

»Ich konnte diesen Arschlöchern unmöglich meine Bilder überlassen. Bin vollkommen deprimiert», jammert Andi und starrt mit leerem Blick aus dem Fenster. »Nachher wird mein Name in Verbindung mit diesen Verbrechern genannt. Soviel Geld können die mir gar nicht zahlen, dass dort ein echter Bohemian ausgestellt wird. Zum Kotzen. Diesen Säge massakrier ich.»
»Nimm es nicht so schwer», tröstet Kathrin. »Wusstest du ja nicht. Nazis haben schon immer Künstler missbraucht. Denk mal an Richard Wagner oder Beethoven, Maler waren bestimmt auch dabei. Du bist jedenfalls in guter Gesellschaft.»

Sie lehnt sich an Andi, der sie gedankenverloren streichelt. Ein schönes Paar, denke ich.
»Ich fühle mich leer», sagt Andi. »Wenn ich missverstanden werde, muss es an mir liegen. Vielleicht sind die Aussagen meiner Werke zu interpretierbar. Meine schlechten Gedanken dringen aus meinem Unterbewusstsein durch mein Hände in meine Bilder: Und diesen Verbrechern gefällt es.»
Er blickt uns fragend an.
»Die verstehen doch gar nichts von Kunst. War nur Zufall, dass deine Werke dahin gekommen sind. Und beurteilen können die höchstens die Qualität von Baseballschlägern und Knarren.»
Andi lächelt sie dankbar an. Es ist aber zu merken, dass er ihr nicht glaubt.
»Es gibt keine Zufälle im Leben», meint er. »Ist schon krass. Eigentlich will ich nur ein beschissen einfaches Leben führen. Stattdessen gerate ich von einer Katastrophe in die nächste.»
»Geht mir nicht anders», versuche auch ich meinen Beitrag als Seelsorger zu leisten. »Aber plötzlich geht es aufwärts. Buchvertrag, neue Freundin. Ich glaube, die Welt steht mir momentan offen. Alles ist bunt und abenteuerlich. Du wirst bestimmt auch durchstarten. Eine passende Frau scheinst du gefunden zu haben», grinse ich.
»Hotte, es gibt Menschen, die zum Erfolg erwählt worden sind. Wie du. Aber andere bleiben verkannte Genies. Zu dieser Gruppe gehöre ich. Womit ich mich aber nicht als Genie bezeichnen will. Ich habe einfach kein Glück.»
Kathrin streichelt ihn, küsst ihn.
»So ein griechischer Philosoph hat gemeint, dass alles fließt. Jeder momentane Zustand kehrt sich irgendwann in sein Gegenteil um. Du brauchst nicht traurig sein. Das Leben ist schön. Hör doch einfach mal inspirierende Musik wie Xavier.»
Andi nickt. Ein schlechtes Zeichen. Wir sind uns einig, dass die rührseligen Songs der Heulboje Pickel sprießen lassen. Wenn er nicht protestiert, befindet er sich nahe der Resignation. Jeder hängt bis Hannover seinen Gedanken nach.
Dort beschließen wir, später zu telefonieren. Ich werde mich nach einer lukrativen Kaffeefahrt forschen, die beiden werden bei Andi chillen. Die letzten zwei Tag waren für uns alle anstrengend.

Ich setze mich in die Straßenbahn und fahre zu Antje.
»Oh Sweety, wieder im Lande?», fragt sie etwas unterkühlt, küsst mich betont flüchtig.
»Ich habe zwar keinen Anspruch auf dich. Aber hättest dich ruhig noch mal melden können.»
»War etwas stressig. Tut mir Leid», entschuldige ich mich. Dann erzähle ich, was passiert ist. Die dreitausend Euro spare ich doch nicht aus. Lügen vergiften eine Beziehung.
»Krass. Ich kenne mich in der Verlagsbranche nicht aus. Ist das wirklich normal?»
»Ich weiß nicht», muss ich gestehen. »Wahrscheinlich nicht. Aber die bringen mein Buch raus. Sonst wollte es bisher keiner. Und die Ahmert macht den Eindruck, als ob sie mein Buch pushen könnte.»
Wir hocken uns auf das Sofa, kuscheln, knutschen. Wir sind wieder einig.
»Mach dir keine Sorgen», flüstert Antje. »Das kriegen wir hin.»
Ich erzähle von Andis Idee mit der Kaffeefahrt.
»Ich habe da einige Prospekte», meint Antje. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir da Geschenke für tausend Euro zusammenbekommen. Na, ein Versuch ist es wert.»
Sie geht in die Küche und kommt mit einem Stapel Papieren wieder. Da klingelt mein Telefon.
»Hallo Horst, Janina von Pekingtech hier. Der Professor lässt fragen, ob du morgen Abend zum chinesischen Sommerfest in der AWD-Hall kommen möchtest. Er hat die komplette Firma eingeladen.»
Warum nicht? Essen und Trinken sind bestimmt umsonst. Da kann ich sicherlich auch mit dem Chef klären, dass ich gar nicht bei ihm anfangen will. Wenn sich meine Bücher wie von der Ahmert verkaufen, brauch ich keinen Lohnjob mehr. Könnte eher Lesungen akquirieren, als Computerteile zu verbuchen. Wäre nur die Sache mit dem Vorschuss. Den muss ich zurückzahlen. Aber wenn wir die Präsente von der Kaffeefahrt vertickt haben, bleibt bestimmt was übrig.
»Kann ich jemanden mitbringen?», frage ich.
»Kein Problem, die Feier fängt um zwanzig Uhr an.»
Antje ist ganz entzückt, als sie von der Einladung hört.
»Ich bin ja nicht die Businesstante, aber mit lauter Chinesen abzufeiern, ist schon cool. Tolle Kultur. Konfuzius war zwar Spießer aber Lao-Tse ist ein Macker. I-Ging, chinesische Mauer», zählt sie alles auf, was sie vom Land der Mitte kennt.
»Ist aber auch eine Diktatur», gebe ich zu denken. »Die haben nur eingeschränkten Zugang zum Internet. Regimekritiker werden in den Knast gesteckt. Ich will nicht in China wohnen.»
»Spielverderber», gibt mir Antje einen Klaps. »Aber die mit denen wir feiern, unterdrücken ja niemanden. Deine Kollegen sind keine Politiker, sondern Otto-Normal-Chinesen.»
»Nein, machen alle einen netten Eindruck», beruhige ich. Das Telefon klingelt wieder.
»Ich bin’s», meldet sich Bea. Was will die denn?
»Wollte mich nur erkundigen, wie es mit dem Verlag gelaufen ist.» Klingt versöhnlich. Hat sicher gemerkt, dass unsere Trennung ein Fehler war. Aber wenn sie mich jetzt zurück will, hat sie sich geschnitten. Ich bin glücklich mit Antje. Daher gehe ich zu ihr und streichele sie. Antje lächelt und leckt lasziv meinen Arm.
»Super, ich habe den Vertrag. Mein Roman wird dieses Jahr erscheinen», informiere ich, lasse aber die Geschichte mit dem Finanzierungsengpass aus.
»Schön, dann werd ich bald von dir lesen. Ich kriege doch eine Widmung vom Erfolgsautoren», schleimt sie.
»Sicher», gebe ich mich kurz angebunden.
»Was ich noch sagen wollte», druckst sie herum. »Ich habe da jemanden kennen gelernt. Einen Mann. Ist auf einer dieser Xing-Parties passiert: Eine von diesen Feten, die du so hasst.»
Nee, das darf doch nicht sein. Warum erzählt sie mir so was. Es gibt einen kleinen Stich in der Herzgegend.
»Ich habe auch jemanden kennen gelernt. Antje, wir sind sehr glücklich», hoffe ich, dass sie bissig „Da hast du dich schnell getröstet“ antwortet. Tut sie natürlich nicht.
»Das freut mich für dich», sagt sie. »Pierre ist ein herrlicher Mann. Er mag auch die Oper und Kunstausstellungen. Letztes Wochenende waren wir auf einer Charity-Veranstaltung mit Christian Wulff. Zudem hat er eine spirituelle Ader: Er richtet sein Leben nach Buddhas Lehren aus», schwärmt sie.
»Toll», kann ich mir nicht verkneifen. Antje legt einen Arm um mich, mit der freien Hand massiert sie mich im Schritt.
»Und weißt du, was das Beste ist: Pierre ist Filmproduzent. Der ist so richtig dick im Geschäft. Ich habe ihm von dir erzählt. Und er war sofort interessiert.»
An mir?
»Ich habe zuletzt beim Schultheater Wilhelm Tells Sohn performt. Wofür braucht der mich?», frage ich neugierig.
»Der braucht ständig Drehbücher oder hat Stoffe, die zu Drehbüchern umgearbeitet werden müssen. Das kannst du doch? »
»Klar», sage ich. Eigentlich habe ich keine Lust für Beas Macker zu ackern.
»Wenn mir der Stoff gefällt. Ich mache ja nicht alles.»
»Das habe ich Pierre auch gesagt. Aber er meinte, wenn du Interesse hast, kämt ihr schon ins Geschäft. Soll ich dir seine Nummer geben?»
»Wenn es sein muss», knurre ich. Würde mich lieber auf Antje konzentrieren. Meine Hose droht zu platzen.
»Muss nicht. Ich dachte, das wäre für dich eine gute Möglichkeit»,
wirkt sie beleidigt.
Was soll’s.
»Sag schon», stöhne ich. Antjes Hand bewegt sich schneller.
»Geht es dir nicht gut?», fragt sie besorgt.
»Doch. Habe nur einen nervösen Tick.»
Ich nehme eine Pizzeriakarte und notiere.
»Vielen Dank», hoffe ich, dass unser Gespräch bald zu Ende ist.
»Ich lese von dir. Dann bis bald. Wir können gerne auch mal was zu viert unternehmen.»
Sie hat wirklich einen Schuss. Woran ist unsere Beziehung gescheitert? Unter anderem daran, dass jeder andere Dinge mochte als der andere. Na, ich will ihr nicht ihre Illusionen rauben.
»Sicher. Wir telefonieren. Danke für den Tipp mit Pierre. Bis bald.»
Antje hat meine Hose geöffnet und meinen Schwanz in den Mund genommen. Sie saugt wie eine Wahnsinnige.
»Das würde mich freuen. Hoffentlich meldest du dich mal.»
Ich komme.
»Jaaa», schalte ich das Telefon aus.
»War das deine Ex?», wischt sich Antje den Mund ab. Erschöpft lasse ich mich auf einen Stuhl sinken.
»Sie hat einen Neuen, der in der Filmbranche tätig ist. Ich soll für ihn schreiben», gebe ich mich abgeklärt.
»Ist doch fantastisch», jubelt Antje. »Mensch, Sweety. Du bist ein Glückspilz. Tausend Türen öffnen sich für dich. Das mit der Kohle wird schon klappen. Und wenn ich dann im Big Apple die Zeitung aufschlage, lese ich vom German Success Writer Hot Stengel.»
»Hot Stengel, ich glaub’s dir wohl.»
Ich schnappe sie mir und kitzele sie durch. Für eine obercoole Frau ist sie wirklich niedlich. Anschließend feiern wir im Bett unser Wiedersehen. Was für ein Leben. Ich bin noch nie so glücklich gewesen. Zwar bleibt noch der kleine Schatten der fehlenden tausend Euro, aber die Zukunft wird fantastisch.

Am Abend lassen wir uns Pizza Thunfisch, Zwiebeln, Meeresfrüchte für mich, Mozarella für Madame, kommen und studieren Flyer.
»Hier. Das ist es», wird Antje fündig. »Fahren Sie mit uns in die Lüneburger Heide. Lassen Sie sich von Spitzenköchen verwöhnen. Tombola mit Verlosung von zwanzigtausend Euro. Zudem erhält jeder Teilnehmer ein Phillipsgerät, eine Porzellanservice von Rosendaal und einen Frühstückskorb. Und das Beste zuletzt: Die Fahrt kostet Sie keinen Cent. Melden Sie sich sofort unter unserer 24-Stunden-Hotline-Nummer an.»
»Die Verlosung ist bestimmt Nepp», meine ich. »Kannst du in jeder Fernsehsendung hören, dass die später nichts davon wissen.»
»Aber Preise gibt es immer», beruhigt Antje. »Ich finde die Idee deiner Freunde gut. Auch wenn die nicht hochwertig sein werden. Bei Ebay können wir die Fernseher für gutes Geld verscherbeln. Ich habe da mal aus Fun eingeschweißtes Schamhaar versteigert. Da habe ich über hundert Euro für bekommen. Damit hätte ich mir locker das Studium von finanzieren können. Leider hat mich Ebay dann gesperrt. Es wäre anstößig», wir lachen.
»Ein wenig schon, oder?»
»Hätte nie gedacht, dass du ein Spießer bist», knufft sie mich in die Seite. Wir küssen uns.
Ich informiere Andi über unseren Plan. Klingt etwas außer Atem. Kathrin und er scheinen sich genauso wie wir vergnügt zu haben.
»Super, wir sind dabei», birst auch er vor Tatendrang. Dann klingt er auf einmal depri „Bin ein wenig down. Wegen den Nazis. Alter, das darfst du keinem erzählen. Dann bin ich überall unten durch. Meine Karriere ist vorbei, bevor sie überhaupt gestartet ist.»
»Das wird keiner erfahren. Und wenn schon. Liegt ja nicht an dir. Weiß doch jeder, dass du vollkommen korrekt bist.»
»Meint Kathrin auch. Die Kleine ist wirklich klasse. Aber wenn du erst mal einen schlechten Ruf hast… Ich kann mich doch nirgendwo mehr sehen lassen. Ich glaube, ich sollte einen rauchen. Das reinigt die Mentalflora.»
»Hör auf Kathrin. In ein paar Wochen hast du Ratte und Konsorten vergessen. Deine Bilder hast du auch wieder.»
»Alles Scheiße», schiebt er Frust.
Kathrin ruft im Hintergrund, dass er endlich zum Ende kommen soll.
»Hei, ich quatsch gerade mit meinem besten Kumpel, Horst. Uns bringt nichts auseinander, hörst du», brüllt er.
»Komm mal wieder runter», versuche ich ihn zu beruhigen. »Verbring einen heißen Abend mit Kathrin. Morgen gehen wir auf Butterfahrt. Das wird ein Heidenspaß. Und dann sieht die Welt anders aus.»
»Hast recht, hast recht, Alter», murmelt er ergeben. »Bis morgen. Horst, eines wollte ich dir schon immer sagen: Ich liebe dich.» Danach legt er auf, ohne die Antwort abzuwarten. Völlig strange.
»Andi ist vollkommen fertig. Ich mach mir echt Sorgen um ihn. Er hat gesagt, er liebt mich.»
»Na und. Ist doch okay», findet Antje. »Habt ihr beide schon mal miteinander geschlafen?»
»He, wir sind Männer. Hetero-Männer», ärgere ich mich über ihre Frage.
»Na und?», meint sie. »Ich stehe auch primär auf Männer, aber Frauen finde ich auch sexy. Warum solltet ihr beide nicht? Das hat ja nichts zu bedeuten. Einfach explodierende Lust zwischen zwei Körpern.»
Das Gespräch geht mir doch ein wenig zu weit. Auch wenn ich gut mit Homos auskomme. Die Vorstellung selber mit einem Mann. Nein.
»Er hat das eher mental gemeint», erkläre ich. »Nicht körperlich. Liebe zwischen verwandten Seelen. Was mir nicht gefällt: Er ist mal euphorisch, kurz darauf total deprimiert. Mit seinen Drogen versucht er sich ein mittleres Gefühlslevel zu mixen, aber die Schwankungen werden immer extremer.»
»Drogen sind eine nette Abwechslung, können kicken. Aber permanent sollte man sich nicht zuknallen. Ist dann nicht besser, als der Alki in der Eckkneipe. Trotzdem freue ich mich, ihn morgen kennen zu lernen. Meinen Konkurrenten», grinst sie und streichelt mich.
Ich küss ihren Kopf, liebe sie sehr.

Dann rufe ich die Hotline an. Eine versoffene Stimme meldet sich.
»Fröhlich Reisen, Klobusch.»
»Guten Abend, Horst Stengel. Ich möchte mit drei Freunden zusammen an Ihrer Fahrt morgen in die Lüneburger Heide teilnehmen.»
»Super. Ein paar Plätze sind noch frei. Von wo rufen Sie an?»
»Hannover.»
»Dann stellen Sie sich… Warten Sie mal.» Er durchsucht Akten oder so was, nimmt einen Schluck aus einer Flasche, macht ein leises Bäuerchen.
»Am Taxistand gegenüber der Post in Limmer aufstellen. Unser Manni kommt mit dem Bus vorbei und lädt Sie ein. Und dann geht’s ab zu den Heidschnucken», lacht er schallend. Den Witz habe ich nicht bemerkt.
»Alles gebongt», gebe ich Antje bekannt. »Wir sind dabei.»
»Zeug für tausend Taler ist unser», brüllt sie martialisch. Langsam glaube ich es auch

Freitag, August 27, 2010

Matthias Sachau: Wir tun es für Geld


Unterhaltsames Gagfeuerwerk mit Tiefgang



In meiner knapp bemessenen Freizeit bevorzuge ich Spannungsliteratur und komische Bücher. Matthias Sachaus Wir tun es für Geld zählt zu letzteren.

Unterwäscheverkäufer Lucas schlägt sich mit wenig Aufwand durchs Leben. Als Freunde vorschlagen aus Steuergründen Mitbewohnerin Ines zu heiraten, willigt er ein. Denn Ines übernimmt die Miete der gemeinsamen Wohnung. Pikanterweise sind Lukas und Iris kein Paar, sondern nur Freunde. Lukas hat eine On-Off-Beziehung mit der nymphomanen Vanessa, Iris ist mit dem Yuppi Bernd liiert. Dies läuft lange Zeit gut, bis der etwas lebensuntüchtige Finanzbeamte Ekkehard Stöcklein-Grummler ins Haus zieht. Ab sofort müssen Ines und Lukas ein Ehepaar spielen. Und dies intensivst, denn der einsame Staatsdiener freundet sich mit dem Scheinehepaar aus Mangel an anderen Freunden sofort an.

Wir tun es für Geld ist ein liebevoll geschriebener und sprachlich pointierter Roman, der von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Das liegt weniger an der Handlung als an den vielen witzigen Szenen voller Situationskomik. Ob es sich um Hi-Fi-Abende mit Akustiktechnikfanatiker Ekkehard handelt oder den Unterwäscheverkauf im Kaufhaus. Ich fühlte mich glänzend unterhalten. Zudem sind die Protagonisten glaubwürdig und trotz aller Schrägheit sympathisch.

Wer Tommy Jaud oder Moritz Netenjakob liebt, kommt um Matthias Sachau nicht herum. Sehr zu empfehlen.

Sonntag, August 22, 2010

Bestseller Kapitel 07: Hiob richtet



Nachdem wir in Mannheim umgestiegen sind, sitzen wir im ICE nach Duisburg. Nur weg aus Offenburg, der Stadt, wo Pech und Schwefel Hochzeit feiern. Die Räder rattern monoton, Regen peitscht durch die Landschaft, das Abteil riecht verboten, als hätte jemand vor geraumer Zeit Harzer Käse unter den Polstern versteckt. Andi hat die Tickets gezahlt. Trübe starre ich aus dem Fenster und hadere mit dem Schicksal. Warum gerate immer ich in so eine Scheiße. Andi hat den MP3-Player herausgeholt und hört Johnny Cashs A hundred highways. Ist schon seltsam, dass nach deinem Tod um deine Stimme herum ein Album gebastelt wird. Ob nach meinem Ableben auch Zitate von mir zu einem posthumen Roman zusammengestellt werden? Hat was von Leichenfledderei, aber Cash ist auch aus dem Grab hinaus grandios. Da sind Andi und ich einer Meinung. Die leisen Gitarrentöne verstärken meine Melancholie.
Die Tür des Abteils öffnet sich. Ein Mädchen mit rotblonden Haaren, Rastafrisur, hantiert ungelenk mit Ihrem überdimensionierten Rucksack herum.
»Ist bei euch noch was frei? », fragt sie.
Am liebsten möchte ich mit meinem Elend alleine sein, habe keine Lust auf Gesellschaft. Dennoch weise ich auf die vier freien Plätze.
»Was machst du gerade?», frage ich wenig intelligent, während sie ihr Gepäck in der Ablage verstaut.
»Zug fahren?», grinst sie. »Gondele mit dem Tramperticket durch Deutschland.
»Und wo warst du bereits, oder geht die Reise erst los?»
»Du bist ganz schön neugierig, Alter. Aber um dich auf dem Laufenden zu halten: Hab mir Mannheim angesehen. Ich wollte die Spuren Xavier Naidoos erkunden. Kein Wunder, dass er so beseelte Musik macht. Kommt aus einer völlig abgefuckten Stadt. Schätze, weil sie im zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört wurde.»
Interessiert mich einen Dreck, will nur Konversation betreiben, um mich abzulenken. Sieht sie nicht, dass das Schicksal mir einen Scheitel gezogen hat? Da muss sie mir nichts über die Heulboje Naidoo erzählen. Ich merke, dass ich ungerecht gegenüber meiner Umwelt bin und lächele etwas gezwungen. Andi öffnet die Augen. Was er sieht, gefällt ihm. Er zieht die Stöpsel aus den Ohren.
»Ich hab das nur am Rande mitbekommen», plaudert er drauf los. »Findest du wirklich diesen Gospelsänger cool? Ist doch alles Masche. Weißt du, dass er die Böhsen Onkelz mag? Alles Faschos», macht er seinen Standpunkt deutlich.
»Na wenn du das sagst», grinst sie. »Ich bin übrigens Kathrin.»
Wir stellen uns ebenfalls vor. Vielleicht ist Small-Talk eine gesunde Abwechslung von kranken Gedanken.
»Da ich hier schon Pressezentrum gespielt habe, was macht ihr denn so?», fragt Kathrin neugierig. Mit Anfang zwanzig findest du alles und jeden interessant. Die Welt ist eine große, bunte Wundertüte, aus der du Lakritze, Weingummis oder Plastiksuperhelden herausfischst.
»Wir sind Künstler und kommen aus der geilsten Stadt der Welt», spielt Andi den Mann von Welt. Die Wirkung der Pillen hat ein wenig nachgelassen. Schwitz- und zitterfrei macht er einen fast normalen Eindruck.
»Und welche soll das sein?», fragt Kathrin. »Ich komme aus Hamburg, da geht nichts drüber. Schanzenviertel und St. Pauli sind die ultimativen Feierecken. Cheap and dirty.
Ich werde dort Päda für Grundschulkids studieren. Das ist relativ einfach, und du hast früh Feierabend», blickt sie uns um Zustimmung heischend an.
»Coole Sache. Aber Hansecity ist doch gar nichts. Schau dir H-Town an. Die Geile an der Leine», tönt Andi wie ein alternativer Reiseführer.
»Was ist denn H-Town?», fragt Kathrin und holt eine Flasche Astra aus dem Rucksack. »Husum oder Hachenburg?»
Die Bildungslücke sei verziehen. Mit zwanzig kann man noch nicht alles gesehen haben.
Wir sind nett und klären sie auf.
»Hannover, Verzeihung H-Town, hat den Ruf, fader als abgestandener Kamillentee zu sein. Ihr steht doch nur in der Zeitung, wenn die Punks eure Innenstadt renovieren.»
»Üble Gerüchte, Baby. Du musst einfach mitkommen. Ich lade dich ein. Dein Ticket gilt doch noch ein paar Tage?», prescht Andi vor.
»Warum eigentlich nicht? Hannover stand zwar nicht auf meiner Tourliste, aber ich bin da frei. Fahrt ihr jetzt nach Hause?»
»Nee, Richtung Pott. Duisburg, um genau zu sein. Hotte muss da was mit seinen Alten klären. Geht um Kohle für seinen Roman.»
Muss er ihr nicht gerade auf die Nase binden.
»Wie schon gesagt: Wir sind Künstler. Ich bastele an Skulpturen rum, der Horst schreibt dicke Schwarten und slammt ein wenig durch die Gegend.»
»Cool. Du musst mir unbedingt zeigen, was du machst. Ich bin eher der mathematische Typ, auch wenn ich nicht so aussehe», säuselt sie. » Offensichtlich findet sie uns exorbitant interessant. Möchte mit uns in Duisburg stoppen. Na, das wird nicht einfach, meinen verbohrten Eltern die Anwesenheit einer Frau und meines ausgeflippten Freundes zu erklären. Aber gastfreundlich sind sie ja. Hoffe ich. Das letzte Mal hab ich sie vor drei Jahren gesehen. War nicht so erfreulich. Als sie meiner damaligen Freundin Tanja erklärt haben, dass Frauen nach Jesus’ Worten nicht arbeiten dürfen, gab es eine Riesendiskussion bei der ich Jesus, Gott und Noah verfluchte. Mein verpeilter alter Herr erklärte mich daraufhin als gottlos und unwürdig, seine heiligen Hallen zu betreten. Marion trennte sich kurz darauf von mir, da meine Familie ihr zu strange war. Kann ich doch nichts für. Jedenfalls finde ich es schwierig, jetzt wieder angekrochen zu kommen und den reuigen Sünder zu spielen.
Unvermittelt sagt Andi: »Gerne, freut mich, wenn du mitkommst. Willst du eigentlich mit mir ficken? Ich stehe für Aktivitäten in der Horizontalen jeder Zeit zur Verfügung.»
Kathrin schaut ihn verdutzt mit weit geöffneten blauen Augen an. Überlegt, ob sie ihn akustisch richtig verstanden hat.
Andi blickt fragend zurück. Sie merkt, er hat es wirklich gesagt.
»Ich denk drüber nach», flüstert sie mit frechem Blitzen in den Augen. Andi, der Womanizer. Wäre schön, wenn er dies Charisma bei dem Projekt Geldbeschaffung für Hotte einsetzen würde. Aber bei meinen Eltern sehe ich da nur geringe Chancen. Zumindest für Andi. Kann mir nicht vorstellen, dass sie auf ihn stehen.

Gegen achtzehn Uhr treffen wir in Duisburg ein. Der Bahnhof begrüßt uns freundlich, zeigt sich aber trist wie immer. Durchgangsverkehr, aber kein Feiern in schicken Bars, oder Schnacken in trendigen Cafés. Kein Vergleich zum Berliner oder Hannoveraner Hauptbahnhof. Coole Schuppen wie das Metaluna, eine Punkkneipe, gibt es in Nähe des Verkehrsknotenpunktes auch nicht mehr. Nur das Old Daddy in der Steinschen Gasse ist ein geiler Feierladen. Kann aber sein, dass du dort mal eine Abreibung bekommst, ohne den Grund zu kennen. Der Innenhafen mit teuren Läden ist eher was für die gesettleteren Kollegen. Andi und Kathrin zeigen sich wenig beeindruckt. Gut, Duisburg ist eine Stadt, die ihren Charme erst auf den vierten oder fünften Blick offenbart. Ist aber meine Heimat und daher mag ich diese raue City, deren Image noch immer von Tatort-Kommissar und Namensvetter Horst Schimanski geprägt ist.
»Alles ein wenig schäbig hier»¸kommentiert Kathrin. Andi steckt sich eine Zigarette an.
»Alter, hier liegen deine Roots. Ist zwar kein Schmuckstück, aber wenn du woanders herkommen würdest, wärst du ein anderer Mensch. Verstehst du, was ich sagen will?»
Ein wenig. Im Magen macht sich ein flaues Gefühl breit. Es ist nicht leicht, deinen Erzeugern gegenüberzutreten, mit denen du bis auf den Nachnamen nichts gemeinsam zu haben scheinst.
Mit der Straßenbahn lassen wir uns zur Neidenburger Straße in Wedau kutschieren. Meine Freunde schauen aus dem Fenster und kriegen sich nicht ein, wie hässlich Duisburg ist. Dabei gibt es ganz andere Städte, die dieses Prädikat verdienen wie zum Beispiel Wolfsburg oder Leverkusen. Aber sollen sie lästern. Kathrin schaut Andi immer an, wenn er woanders hin sieht. Da scheint was zu gehen. Erstaunlicherweise hat er sich keine Pille, kein Pülverchen oder Heftigeres eingeschmissen, seit sie mit uns reist. Scheint einen guten Einfluss auf meinen Kumpel auszuüben. Romy existiert nicht mehr.
Wenig später stehen wir vor der taubengrauen Doppelhaushälfte, in der ich das erste Drittel meines Lebens verbracht habe.
»Wenn meine Eltern etwas sagen, immer Ja und Amen antworten. Dann klappt das vielleicht mit der Kohle», gebe ich die Direktive zum Erfolg heraus.
»Wieso? Seid ihr nicht auf einer Wellenlänger?», fragt Kathrin. Andi grinst. Er kennt meine Alten zwar nicht, aber genug haarsträubende Geschichten.
»Du wirst schon sehen.»
Ich klingele, das flaue Gefühl verstärkt sich. Fast wünsche ich mir, eine von Andis Pillen eingeschmissen zu haben, auf einer blauen Wolke zu schweben und das Geschehen distanziert betrachten zu können. Zu spät.
Die Tür öffnet sich. Mama. Anderthalb Meter groß in einem grünen Kleid, die grauen Haare zu einem Zopf zusammengebunden. Der Zahn der Zeit hat an ihr genagt, die eine oder andere Falte hat sich in ihr Gesicht gegraben. Sie starrt mich an. Kann es nicht fassen, dass ich vor ihr stehe. Schließlich sagt sie »Junge, es ist schön, dich wieder zu sehen», ein Träne läuft ihre Wange hinunter. »Das wird auch den Papa freuen. Sind das Freunde von dir? », blickt sie kritisch auf Andi und Kathrin.
»Wir waren auf der Fahrt vom Süden zurück nach Hannover. Da wollten wir vorbeischauen. Ist doch kein Problem, oder? Können wir bei euch übernachten?»
Mama schüttelt den Kopf.
»Das kann nur Papa entscheiden. Das weißt du doch. Wir halten gerade Andacht. Kommt mit und verhaltet euch ruhig. Papa predigt.»
Oh Gott, genau der falsche Zeitpunkt. Aber schlimmer kann es dann nicht mehr kommen. Wir stellen unsere Utensilien, ist ja nur Kathrins Rucksack, in der Diele ab. An allen vier Wänden stehen Kreuze und hängen Bibelsprüche. Die Atmosphäre bedrückt mich wie immer, wenn ich hier bin. Meine Freunde wirken ebenfalls beeindruckt. Hier herrscht der Gott des alten Testaments, der gnadenlos die Sünder straft. Und Sünder sind wir drei bestimmt.
Im Wohnzimmer sind fünf Leute versammelt und lauschen meinem Vater. Ich möchte rauchen, weiß, dass ich dann sofort aus dem Haus fliege. Genuss gilt hier als Versuchung Satans. Drei Männer mittleren Alters mit Vollbärten nicken bei jedem Wort des Alten. Sie tragen schwarze Anzüge weiße Hemden mit grauen Krawatten, wie Stricke, die ihren Lebensfluss abschnüren. Zwei Frauen sind auch dabei, sitzen etwas abseits. Lange Haare und lange Kleider. Wirken etwas altbacken, als wäre das Leben an ihnen vorbeigezogen, ohne sie zu beachten. Auf dem Tisch brennen Kerzen. Mein Vater ist komplett schwarz gekleidet. Mit dem Pferdeschwanz und Vollbart sieht er wie ein Althippie aus. Schön wär’s. Ruhig setzen wir uns auf Stühle am Ende des Zimmers. Der Raum riecht streng, die Bücher mit dunklen Einbänden, allesamt Bibelauslegungen, hinten schwarzen Glasscheiben verhindern jeden fröhlichen Gedanken.

»Im Römerbrief steht: ’Deswegen hat Gott sie dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn sowohl ihre Weiber haben den natürlichen Gebrauch in den unnatürlichen verwandelt, als auch gleicher Weise die Männer, den natürlichen Gebrauch des Weibes verlassend, in ihrer Wollust zueinander entbrannt sind, indem sie Männer mit Männern Schande trieben und den gebührenden Lohn ihrer Verirrung an sich selbst empfingen. Und gleichwie sie es nicht für gut fanden, Gott in Erkenntnis zu haben, hat Gott sie dahingegeben in einen verworfenen Sinn, zu tun, was sich nicht geziemt; erfüllt mit aller Ungerechtigkeit, Bosheit, Habsucht, Schlechtigkeit; voll von Neid, Mord, Streit, List, Tücke; Ohrenbläser, Verleumder, Gottverhasste, Gewalttäter, Hochmütige, Prahler, Erfinder böser Dinge, Eltern Ungehorsame, Unverständige, Treulose, ohne natürliche Liebe, Unbarmherzige; die, wiewohl sie Gottes gerechtes Urteil erkennen, dass, die solches tun, des Todes würdig sind, es nicht allein ausüben, sondern auch Wohlgefallen an denen haben, die es tun.’», das bärtige Gesicht, der stechende Blick meines Vaters, die donnernden Worte, so stelle ich mir einen islamistischen Fundamentalisten bei einem Schulungstee für Selbstmordattentäter vor. Ich schäme mich vor meinen Freunden, schäme mich meiner Wurzeln, frage mich, warum die Trauer den liebevollen Vater in einen hasserfüllten Gotteskrieger verwandeln musste. Er ist doch schon genug bestraft.
»Liebe Brüder, liebe Schwestern. Im heutigen Text wird eine der schlimmsten Geißeln der Menschheit angesprochen. Die Homosexualität. Die Bibel nimmt hierzu klar Stellung, weist sie in den Bereich der Abartigkeit, wo sie hin gehört. Viele Homosexuelle behaupten, ihr Verhalten sei natürlich. Schließlich gäbe es auch im Tierreich homosexuelle Tiere. Doch wo ist hier die Logik? Tiere haben keine freien Willen, wohingegen wir uns für oder gegen Gott entscheiden können. Es ist unsere Aufgabe als Christen, diese Menschen von der Gottlosigkeit ihres Tuns zu überzeugen. Nehmt euch dabei nur einzelne Homos, nie Gruppen, vor. Unter Tieren gibt es auch Geschwistermord, Kannibalismus und dergleichen schlimme Verfehlungen. Weil es so was unter Tieren gibt, darf es das auch unter vernunftausgestatteten Menschen geben? Natürlich nicht. Ich fordere euch auf, liebe Brüder, auf Homosexuelle zuzugehen und sie von der Falschheit ihrer Gelüste zu überzeugen. Hallelujah.»
Ich mache mich klein, will nicht hier sein, so sehr geniere ich mich. Kathrin und Andi schauen mit vor Staunen offenen Mündern auf meinen Vater.
»Lasset uns ein Gebet sprechen.» Die Schwarzen erheben sich. Wir folgen.
»Herr, gib meinen Brüdern Kraft, Homosexuelle von der Unrechtmäßigkeit ihres Handelns zu überzeugen, so dass sie wieder wertvolle Mitglieder der christlichen Gemeinschaft werden können.
Herr, gib den Schwestern Kraft, ihre Männer bei den anstehenden Aufgaben zu unterstützen, so dass wir wieder ohne die Abartigkeiten der modernen Welt leben können, bevor du unser Sodom vernichten musst. Amen.»
Alle nicken andächtig. Ich sehe Blitze um das Haupt meines Vaters zucken. Einbildung, ich weiß. Aber der Zorn, der Hass auf die Welt, alles Andersdenkende offenbart sich auch auf energetischer Ebene. Meine Freunde sind verstört. Die Anzüge gratulieren meinem Vater zu der gelungenen Predigt. Die Frauen bleiben abseits, nicken andächtig. Die Szenerie erinnert an Voodoo. Handgefertigte Puppen fehlen, aber in den Köpfen existieren sie. Geister die vernichten im Namen Gottes.
Die Truppe dreht sich zu uns. Kathrin und Andi schauen auf den Boden.
»Liebe Brüder», tönt mein Vater. »Ihr seid Zeuge einer biblischen Begebenheit, die Rückkehr des verlorenen Sohnes, wie sie Lukas schildert. Mein Sohn Horst hatte uns verlassen. Er zog hinaus in die Welt in dem Irrglauben, alles besser als seine Eltern zu wissen. Dies hat mich alten Mann trauern, ja verzweifeln lassen. Ein zweiter Verlust nach unserer geliebten Tochter. Heute ist er zurückgekehrt. Sei mir willkommen, geliebter Sohn.»
Die Bärtigen murmeln Beifall. Vater ist ihr Prophet, der Verkünder des Evangeliums. Er kommt auf mich zu, will mich umarmen. Obwohl es mir widerstrebt, erwidere ich das Zeichen seiner Zuneigung. Die Gemeinde verabschiedet sich. Man will noch zu Hause mit Psalmen den Abend beschließen. Vater geleitet sie zur Tür und gibt Weisheiten mit auf den Weg. Ich hör nur halb zu, fühle mich wie betäubt.
Dann stellt sich Vater meinen Freunden vor.
»Ich bin Hiob, ein gläubiger Knecht Gottes, der oft von Satan geprüft wurde, aber immer noch an die allmächtige Gnade unseres Schöpfers glaubt», lächelt er.
»Andi, ich muss auf Toilette», murmelt mein Buddy. »Kathrin. Ich bin einfach nur mitgekommen, weil mir die Jungs Hannover zeigen wollen», nimmt Kathrin eine Verteidigungshaltung ein. Wirkt eingeschüchtert, ein wenig aggressiv.
»Folgt mir an den Tisch, Mutter hat uns sicherlich ein Mahl im Namen des Herrn zubereitet», sagt Vater. Wir dackeln ihm hinterher wie Lemminge. Im Esszimmer sind Teller und Besteck bereits auf dem wuchtigen Holztisch platziert.
Andi gesellt sich zu uns. Deutlich gefasster. Am Blinken seiner Augen merke ich, dass er sich gedopt hat. Kann ich ihm nicht verdenken.
Mutter tischt Erbsensuppe auf. Lecker. Das Beten hat ihr das Kochen nicht verleidet. Sie schaut die ganze Zeit auf den Boden. Sieht uns nicht an. Derselbe Reflex wie bei uns.
Alle bedanken sich brav. Duftet herrlich.
»Lasset uns beten. O Gott, von dem wir alles haben. Wir preisen dich für deine Gaben. Du speisest uns, weil du uns liebst; o segne auch, was du uns gibst. Danke, dass wir hier beisammen sitzen mit meinem Sohn Horst und seinen Freunden. Gib den Jungen und dem Mädchen Weisheit, in deinem Namen zu handeln und nicht gegen deine Gebote zu verstoßen. Vergib uns unsere Sünde und rette uns vor der ewigen Verdammnis, in die der Satan alle Feinde Gottes zieht.»
Ich verstehe nicht, was er damit sagen will, murmele aber etwas, das wie Amen klingen soll. Andi und Kathrin schweigen. Habe meinen Kumpel selten so ruhig erlebt.
Wir essen zunächst, ohne etwas zu sagen. Unser letztes Treffen liegt Jahre zurück und noch immer herrscht Sprachlosigkeit. Das Geräusch der die Suppe abschöpfenden Löffel wirkt unerträglich laut. Harter Kontrast.
»Was hast du die letzten Jahre getrieben, mein Sohn? Hast du den Worten des Herrn gelauscht, bist in dich gegangen und hast deine Sünden bereut? Unsere letzte Begegnung war nicht vom göttlichen Frieden geprägt», ergreift Vater das Wort.
Alle blicken ihn an, bis auf Mutter. Lass dich nicht provozieren, sonst ist es Essig mit dem Geld, hämmere ich mir gebetsmühlenartig ein.
»Ich habe oft in der Bibel gelesen, habe versucht eure Sicht der Welt zu verstehen. Es ist nicht mein Leben, denke ich. Bitte akzeptiere, dass ich meinen eigenen Weg gehe.» Ich klinge diplomatischer als ein Sozialpädagoge, salbungsvoller als ein Priester. Andi blickt erstaunt zu mir hinüber. Okay, es ist gelogen, dass ich die Bibel studiert habe. Aber vielleicht glaubt Hiob, dass noch eine Chance auf Besserung besteht und zeigt sich spendabel.
»Es gibt keinen anderen Weg», donnert Vater und schlägt mit der Faust auf den Tisch.
»Günther», flüstert Mama.
»Ich heiße Hiob und bin Gottes getreuester Knecht. Was ist dein Weg? Sag es mir?»
Kathrin sagt, dass sie auf Toilette möchte, ihr sei nicht gut.
»Ich bin Schriftsteller, muss Dinge abwägen, beurteilen. Da kann ich nicht eine einzige Sicht der Welt als einzig wahre vertreten. Es ist okay, wenn du an Gott glaubst, was du predigst finde ich bedenklich. Wie ich gelernt habe, liebt Gott alle Menschen, auch die Andersgläubigen. Auch Schwule.»
Vater starrt mich böse an.
»Du wagst es mir in meinem Haus mit solchem liberalen Amtskirchengeschwätz zu kommen? Gott hat den Menschen Gesetze gegeben an die sie sich zu halten haben. Ansonsten wird sein Zorn sie vernichten. Auch dich, denn du hast nichts begriffen.»
So kommen wir nicht weiter. Ich habe allerdings keine Idee, wie wir eine vernünftige Gesprächsebene erreichen wollen.
»Hiob, zeige dich versöhnlich. Immerhin ist dein Sohn zurückgekehrt», erhebt Mutter ihren Kopf. Ihre Augen glitzern feucht.
»Ich erlaube aber einem Weibe nicht, zu lehren, noch über den Mann zu herrschen, sondern still zu sein», donnerte der Alte. »So spricht Gott durch Timotheus. Du versündigst sich gegen deinen Mann und unseren Herren!»
Der Alte ist wirklich krank.
»Ich finde dieses Bibelzeug, was sie absondern, mega uncool», mischt sich plötzlich Andi ein. Das hat noch gefehlt. Ich gestikuliere, dass er den Mund halten soll. Vergebens.
»Was ist mit Toleranz, Freiheit, Gleichheit? Wir hatten so was wie die Aufklärung, Lessing und Konsorten. Ist das spurlos an Ihnen vorübergegangen?»
Kathrin kommt kreidebleich vom Bad zurück.
»Ich fühle mich nicht gut. Können sie mir zeigen, wo ich schlafen darf?», fragte sie meine Mutter. Die steht bereitwillig auf. Froh, dem Streit entfliehen zu können. Ich nehme an sie bekommt das Zimmer, was für meine tote Schwester gedacht war. Ist bestimmt noch immer unverändert. Wir werden in meinem alten Jugendzimmer nächtigen. Sollte der Alte uns nicht vor die Tür setzen.
Dieser ist wütend, dass sich fast die Haare aufstellen. Die rollenden Augen sprechen eine eigene Sprache.
»Es ist das Los des Gläubigen von Heiden angespuckt zu werden», legt er seinen Löffel aus der Hand und zermatscht seine Stoffserviette, als hätte er Pilatus zwischen den Fingern.
»Wir möchten nicht streiten», versuche ich die Wogen zu glätten. »Andi kennt sich wenig mit Gottes Wort aus. Dürfen wir heute Nacht deine Gäste sein?»
Als Andi aus der Haut fahren will, kneife ich ihn ins Bein. Er vermasselt alles.
»Der Herr hat mit Dirnen und Zöllnern gesprochen. Wer bin ich, dass ich meinem missratenen Sohn und seinen teuflischen Freunden eine Unterkunft verweigern würde?»
»Ich danke dir», antworte ich. »Ich habe ein großes Anliegen», lasse ich die Katze aus dem Sack, versuche den richtigen Ton zu treffen.
»Ein Anliegen hat er? Dass ich nicht lache. Lässt sich hier Jahre nicht blicken. Tritt Gottes Wort mit Füßen und wagt es, mir ein Anliegen vorzutragen», höhnt der Alte. Seine Augen funkeln.
»Wie du weißt, bin ich Schriftsteller. Ich schreibe gerade an einem Roman, der ein Bestseller werden wird. Hundertpro. Habe heute einen Vertrag bei einem Verlag unterschrieben. Die bringen übrigens auch viele christliche Bücher raus. Jedenfalls muss ich einige Bücher abkaufen, sozusagen als Unterstützung der guten Sache. Ich benötige viertausend Euro. Würdest du mir helfen?»
Jetzt ist es raus. Habe tausend Euro als Reserve draufgepackt. Vielleicht zieht der Hinweis auf christliche Bücher.
»Es gibt nur ein lesenswertes Buch, Horst. Die Bibel. Das habe ich immer versucht dir einzutrichtern», keift Vater. »Nur die Bibelauslegungen der Brüder zählen. Wenn wir predigen spricht der heilige Geist durch uns. Kein Buch spricht die Wahrheit außer dem ewigen Wort.»
War ein Versuch wert. Andi starrt apathisch in seinen leeren Teller. Mutter kommt zurück.
»Ruth, der Bengel wagt es wirklich Geld von mir zu fordern! Und gleich viertausend Euro», schreit er mit hochrotem Gesicht, als wäre Mutter in einem anderen Raum.
»Ich habe lediglich gebeten, dass…»
»Schweig! », unterbricht mich Hiob. »Ich habe mein Leben lang geackert. Mein Herr Sohn lässt sich zuerst vom Staat die Kunst sponsern. Und jetzt soll ich auch noch mein mit gottgefälliger Arbeit erworbenes Vermögen an diesen Schmarotzer verschleudern.»
»Du gibst ihm, was er braucht», sagt meine Mutter. »Der verlorene Sohn wurde auch vom Vater bewirtet. Er hat nie etwas von dir verlangt. Unterstütz ihn, wenn es sein Traum ist.»
»Das Weib hat zu schweigen», wütet Hiob und stößt seinen Teller so heftig zurück, dass Erbsensuppe die Decke verschmiert. Dann springt er auf und verlässt das Zimmer. Die Tür schmeißt er krachend zu.
»Mensch, ist dein alter Herr krass», erwacht Andi aus seiner Lethargie. »Mein Vater hat unsere Mutter nach Strich und Faden betrogen. Aber so einen Scheiß hat er nicht verbreitet.»
»Dir steht kein Urteil zu», weist ihn Mama zurecht. »Hiob wurde oft im Leben geprüft. Das hat ihn verbittert. Bitte fahrt morgen. Ich werde noch mal mit ihm sprechen. Vielleicht kann ich ihn doch bewegen, dass er dir etwas gibt.»
»Wir wollten morgen sowieso weiter», murmele ich. Die miese Stimmung nimmt mich doch mehr mit, als ich gedacht hätte. Vater wird mir keinen Cent geben, wie es aussieht.
Missmutig gehen wir ein mein Jugendzimmer. Die Cure- und Joy-Divison-Poster hängen nicht mehr an der Wand. Stattdessen Holzkreuze, was sonst. Neben meinem Jugendbett hat Mutter eine Matratze für Andi gelegt.
»Schlaft gut. Vielleicht kommt irgendwann die Zeit, dass du und Vater wieder eine Sprache sprecht. Ich wünsche es mir. »
In ihren Augen stehen Tränen. Als ich sie in den Arm nehmen will, dreht sie sich aber weg und läuft davon.
»Und nun? », fragt Andi. »Kohle gibt es bestimmt nicht.» Er holt ein Döschen aus der Tasche und schmeißt eine Pille ein.
»Ist nicht zum Aushalten bei deinen Eltern, sorry. Aber so beschissen wie hier habe ich mich schon lange nicht gefühlt.»
»Leicht ist es nicht mit meinen Alten, aber es sind meine Eltern. Auch wenn es schwer zu verstehen ist, fühle ich noch einen Bindung zu den Spinnern.»
Ich öffne das Fenster und zünde eine Zigarette an. Andi ebenso. Ist egal, ob der Alte was merkt. Schlechter als bisher kann es mit meinem Vater nicht laufen.
»Weißt du», überlege ich laut. »jeder sucht einen Halt im Leben. Die meisten machen eine Ausbildung oder studieren, heiraten und kaufen ein Haus. Macht für sie Sinn. Für uns gibt die Kunst dem Leben Richtung. Na, und für Vater seine frommen Sprüche. Ist bei ihm etwas extremer als bei uns, aber im Prinzip ist es das Gleiche. Trotzdem denke ich manchmal, dass er ein Riesenarschloch ist.»
Andi hat keine Lust meinen philosophischen Betrachtungen zu folgen.
»Voll daneben, der Typ, aber morgen geht’s weiter. Bin gespannt, wie meine Exponate in Wesel ankommen. Soll eine kulturinteressierte Stadt sein. Meinst du, Kathrin steht auf mich?»
»Kann schon sein», sage ich. »Ist aber etwas jung, oder?»
»Liebe kennt kein Alter. Sind doch nur schlappe zehn Jahre. Das mache ich durch Erfahrung wett. Wenn sie morgen meine Skulpturen sieht, hält sie mich für den größten Künstler Mitteleuropas.»
Andi schmeißt die Kippe aus dem Fenster und holt sein Koksdöschen aus der Tasche.
»Brauch etwas Entspannung für den Abend. War ein hektischer Tag. Möchtest du auch?»
Ich würde gerne, aber das religiöse Schwert, das unsichtbar über diesem Haus schwebt, hemmt mich.
»Ein anderes Mal», winke ich ab. Er streut zwei Lines auf die Fensterbank und saugt sie ein. Seine Augen leuchten. Ist doch alles halb so wild.
Es klopft an der Tür. Kathrin huscht ins Zimmer und setzt sich auf Andis Matratze. Sie trägt ein Silbermond-Shirt und knappe Shorts. Sexy Beine.
»Ich hoffe, dein Vater hat nichts gemerkt», stöhnt sie. »Der schmeißt uns raus, wenn er spitzkriegt, dass ich mich rüber geschlichen habe. Aber ich habe mich total allein gefühlt. Mann, ich hatte noch nie so beschissene Vibrations wie hier. Und ich bin schon nachts alleine durch Mümmelmannsberg gelaufen und stand mit der Antifa der NPD gegenüber.
Wir schauen fragend.
»Mümmelmann?»
»Hamburger Problemstadtteil. Aber bei Leuten, die andere ausrauben, verstehe ich wenigstens die Motivation. Dein Vater ist einfach nur abgespaced. Sorry, aber lasst uns hier so schnell wie möglich weg.»
»Morgen fahren wir erst nach Wesel. Ich stelle da aus, dann geht es nach Hannover», beruhigt sie Andi. »Ich hoffe nur, dass der Herrgott einen kleinen Obulus für Hottes Buch locker macht. Bezweifele ich aber.»
Andi geht es wieder gut. Der Koks hat alle schlechten Stimmungen aus den Gehirnwindungen gefetzt.
»Ja», stimme ich ihm zu. »Ein totaler Schlag ins Wasser. Da muss ich mir etwas anderes einfallen lassen.»
Andi legt seinen Arm um Kathrin. Scheint ihr zu gefallen. Seine linke Hand betastet ihre nackten Oberschenkel. Leise stöhnt sie.
»Darf ich bei dir schlafen? », fragt sie Andi. »Alleine in meinem Zimmer fühle ich mich, als ob die ganzen Kreuze mich erschlagen würden. Ich habe früher den Kindergottesdienst besucht, aber dieses Haus ist mir unheimlich.»
»Sicher, Baby. Onkel Andi wiegt dich in den Schlaf und beschützt dich», tönt der Frauenversteher.
»Ich lösche jetzt das Licht. Es wäre gut, wenn du morgen in dein eigenes Bett wanderst, bevor meine Eltern aufstehen. Ansonsten sinkt die minimale Chance, dass mein Vater Asche rüberschiebt.»
Doch die beiden hören nicht, sind unter der Decke verschwunden, kichern. Frustriert betätige ich den Lichtschalter. Ich konzentriere mich wie ein Zen-Mönch auf meinen Atem und blende die Beischlafgeräusche meiner Zimmernachbarn aus. Irgendwann schlafe ich ein.

Montag, August 16, 2010

Bestseller Kapitel 06: Badisches Business



Der erste Eindruck von der Stadt ist positiv: Adrette Fachwerkhäuser, saubere Gehwege. Hier kannst du als Rentner geruhsam deinen Lebensabend verbringen. Innerhalb der nächsten dreißig Jahre möchte ich hier aber nicht versauern. Wir holen uns Salami-Baguettes in einer Bäckerei und fragen nach dem Weg. Die Verkäuferin ist ebenfalls adrett, braune Haare, die in Wellen bis zur Schulter fallen. Ein Nasenstecker peppt die Optik auf. Aber ihr vernuschelter Dialekt geht gar nicht. Andis Flirtversuche enden abrupt.
Allerdings begeht er auch den Fauxpas zu fragen, ob sie Schwäbisch spricht.
»Badisch, das hört man doch», zeigt sie sich verärgert.
»Ist das nicht dasselbe?», fragt Andi.
»Möchten Sie noch etwas? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit für Plaudereien», fragt sie schnippisch in reinstem Hochdeutsch.
Den Weg zur Gerberstraße verrät sie uns aber.
»Heute ist kein Glückstag», seufzt Andi. Seine Gefühlszustände wechseln minütlich zwischen Euphorie und Depression. Meine Stimmung ist unverändert gut.
Nach einer Viertelstunde strammen Fußmarschs haben wir das Ziel erreicht. Ein Gebäude mit Kalksandsteinfassade, hell und einladend. Im Eingangsbereich sind Unmengen von Büchern gestapelt. Drei- bis Viertausend schätze ich und bin beeindruckt. Andi ebenso.
»Wow, ich habe noch nie so viele Bücher auf einem Haufen gesehen. Die Titel klingen aber nicht besonders cool. Tante Gertruds Rezepte aus dreißig Jahren, Die Kriegsgefangenschaft des Ernst Lüdtkes, Wellensittichhaltung im antiken Rom. Ich bin ja nicht der Literaturexperte, aber Reißer heißen anders.»
Er hat nicht Unrecht, aber ich will mir die Stimmung nicht vermiesen lassen.
»Das ist ein kleiner Verlag. Die brauchen einen richtigen Hit, der ihnen zum Durchbruch hilft. Ich brauche einen Verlag als Plattform. Das ist die ideale Symbiose. Zu einem dieser großen Häuser will ich eh nicht. Die beuten dich nur aus. Verdienen sich dumm und dusselig. Dabei schaut der Autor in die Röhre und bekommt dabei sogar das Auge ausgestochen. Nee, das passt schon.»
Eine ältere Dame löst sich von einem Bücherregal. Sie ist mir gar nicht aufgefallen. Braunes Kostüm und Nickelbrille. So habe ich mir Verlagsmitarbeiter vorgestellt. Vielleicht eine Lektorin.
»Kann ich Ihnen helfen?», fragt sie freundlich.
»Klar können Sie», reitet Andi wieder auf der Spitze einer Euphoriewelle. »Mein Kumpel Hotte hat den Megabestseller verfasst. Memoiren eines Blutengels. Der wird den deutschen Büchermarkt punken. Heute wird der Vertrag unterzeichnet. Stellen Sie schon mal den Sekt kalt.»
Understatement würde uns cooler zu Gesicht stehen.
»Ich bin Horst Stengel. Frau Ahmert erwartet mich. Mein Roman handelt außerdem von einem Egel, keinem Engel», versuche ich Andis hibbelige Angeberei mit geschäftsmäßiger Sachlichkeit auszugleichen. Gleichzeitig ziehe ich an Andis Shirt.
»Was soll denn das?», demonstriert er Unverständnis. Da hilft nur eines: Augen zu und durch.
»Herr Stengel, es freut mich, Sie persönlich kennen zu lernen. Ich bin Gabriele Hinkel, Frau Ahmerts Assistentin. Uns allen hat Ihr Buch sehr gut gefallen. Schön, dass Sie Teil der Verlags-Familie werden möchten. Ich bringe Sie gleich zur Chefin.»
Oho, sie haben alle mein Buch gelesen, sie werden mir einen lukrativen Vertrag anbieten. Meine Glückshormone schlagen Purzelbäume.
Sie führt uns über Wendeltreppen bis ins zweite Stockwerk. An den Wänden Bilder historischer Stadtansichten Offenburgs. Gefällt mir. Etwas gediegen, aber viel versprechend. Die können sich einen Horst Stengel leisten.
Das Verlegerinnenzimmer ist nicht weniger bürgerlich. Von den Wänden lächeln Klassiker: Die Manns, Goethe, Grass, Kafka, einige kenne ich nicht.
Gisela Ahmert ist jünger, als der Name vermuten lässt. Vielleicht Anfang vierzig. Ihre brünetten Haare türmen sich auf ihrem Kopf, was sie wesentlich größer erscheinen lässt. Die eleganten Stöckelschuhe dienen demselben Zweck. Netto bringt sie es auf schlappen einen Meter fünfzig, vorteilhaft geschätzt. Ihre blauen Augen sind schwarz umrandet. Wirkt traurig und passt nicht zum geblümten Kleid.
»Der Herr Stengel», stellt mich die Hinkel vor. Frau Ahmert knipst wie auf Knopfdruck ein strahlendes Lächeln an.
„Ich freue mich, dass wir uns endlich persönlich kennen lernen», singt sie mit melodischer Altstimme. »Wir fanden Ihr Buch großartig. Wirklich fantastisch.»
Sie mustert Andi nicht ganz so freundlich. Dabei hat er noch nichts gesagt.
»Wer ist denn Ihre nette Begleitung?», fragt sie kalt.
»Andreas Bohemian, ein Freund und bekannter Künstler. Er möchte mit mir meine literarische Heimat besichtigen. Das ist doch kein Problem?» sage ich. Sie blickt wenig begeistert, sagt aber »Gerne, wir freuen uns immer, Freunde und Familienangehörige unserer Autoren begrüßen zu dürfen. Das rundet das Bild ab. Schließlich wollen wir Sie möglichst umfassend den Lesern präsentieren. Es weckt Interesse, dass Sie sich in Künstlerkreisen bewegen. Eine für Sie sicherlich langweilige Marketinggeschichte.»
»Haben Sie vielleicht einmal eine Ausstellung von mir besucht», fragt Andi begeistert. »Ich stehe gerne für Interview und Home-Stories zur Verfügung, wenn es Hotte hilft. In einem Monat können Sie meine Skulpturen in der Sparkasse Idar-Oberstein besichtigen, oder war es Idenhausen? Ach ich weiß nicht mehr. Ich maile Ihnen noch den Ort.»
»Wenn ich es einrichten kann, gerne. Gabi wird nachher meinen Terminkalender prüfen», strahlt Gisela. Dennoch habe ich den Eindruck, dass sie Andis künstlerisches Output nicht die Bohne interessiert. Ist ja auch Verlegerin.
»Ich finde es toll», bringe ich mich ein »dass Sie mein Buch verlegen wollen, obwohl es noch nicht fertig gestellt ist. Soviel Vertrauen ist in der Literaturszene selten.»
»Kein Problem, mein Freund. Was Sie geschickt haben, hat uns restlos begeistert. Auch wenn ich mich da wiederhole. Fantastisch wäre untertrieben.
Für einen kleinen Verlag wie uns könnten sie das Zugpferd in eine erfolgreiche Zukunft sein», verbreitet Gisela Euphorie. »Möchten Sie einen Augentrosttee?»
»Was?», fragen Andi und ich wie aus einem Mund.
»Augentrost», blickt sie uns an, als ob wir vollkommen unwissende Banausen seien. »Ein bekömmliches Kraut, das Hals und Atemweg befreit. Regelmäßiger Genuss führt zu einem gesunden, glücklichem und heiligem Leben.»
Das erscheint mir suspekt. Kaffee wäre mir lieber. Aber schließlich geht es um einen Vertrag. Also sage ich »Gerne. Wer will nicht glücklich leben.»
Andi lehnt ab. »Haben Sie vielleicht einen Latte Macchiato?», fragt er.
Hat sie nicht. »Kaffee in jeder Form lehne ich ab. Koffein ist eine Substanz, die unser zentrales Nervensystem ins Chaos stürzt. Ebenso Alkohol. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn die Menschen sich von aufputschenden Drogen fernhalten würden. Finden Sie nicht?»
Andi blickt verlegen auf den Boden. Auch meine Sympathien für Gisela verringern sich. Es kann jeder nach seiner Fasson glücklich werden, aber diese Missioniererei muss nicht sein. Ach was, denke ich, schließlich geht es um einen Vertrag. Da sehe ich großzügig über Verbrechen gegen den guten Geschmack hinweg.
»Finde ich auch», lüge ich daher. Sie gießt aus einer mit asiatischen Schriftzeichen verzierten Kanne eine trübe Flüssigkeit in eine Tasse.
Ich nippe höflich, das Zeug schmeckt gesund, also miserabel. Wird nie mein Lieblingsgetränkt werden.
»Kommen wir zum lästigen Papierkram», Gisela holt einen Haufen dicht bedruckter Blätter aus der Schublade.
»Wenn Sie das Buch fertig haben, würden wir es innerhalb eines halben Jahres auf den Markt bringen. Solange benötigen wir, um das Cover zu erstellen, ISBN anzumelden, es in den Buchhandlungen vorab zu bewerben. Sie erhalten fünf Prozent Autorenhonorar. Vorab können wir leider nichts zahlen. Halt die üblichen Bedingungen. Bitte unterschreiben Sie auf der letzten Seite, nachdem Sie den Vertrag sorgsam durchgelesen haben.» Sie gibt sich jetzt als toughe Businessfrau.
Bin doch kein Jurist. Oberflächlich blättere ich das Papierwerk durch. Honorar stimmt. Erstauflage viertausend. Ist ja nicht die Welt. Gisela hat bereits unterschrieben.
»Was meinen Sie, wie viel Bücher werden wir verkaufen? », frage ich.
Sie blickt kurz an die Decke. »Um erst einmal in den Markt zu kommen, halten wir die Erstauflage gering. Aber ich denke, dass wir im zweiten Jahr noch einmal zehntausend Bücher nachdrucken werden. Wir setzen große Hoffnung in Ihr Werk. Wie gesagt, außergewöhnlich und viel versprechend.»
»Und wie viel wird mein Buch kosten?», frage ich.
»Wir werden es als Paperback herausbringen. Da sind zwölf Euro ein guter Preis. Das kann sich jeder leisten.»

Ich überschlage meinen Verdienst. Bei Abverkauf der ersten Auflage würden zweitausendvierhundert Euro auf mein Konto wandern. Das ernüchtert. Ich hatte mit zwanzig- bis dreißigtausend gerechnet.
Sie bemerkt meinen enttäuschten Blick.
»Nach Verkauf der zweiten Auflage erhalten sie über achttausend Euro. Zudem kommen Lesungshonorare und Lizenzgebühren für die Verwertung der Zweitrechte. Wenn Ihr Buch verfilmt wird, haben Sie ausgesorgt, mein Freund. Für eine Lesung erhalten Sie um die fünfhundert Euro. Nicht schlecht für zwei Stunden Arbeit, oder? Ich wünschte, ich könnte auch so schreiben wie Sie. Leider ist das Verlegen von Büchern viel zeitaufwendiger», stöhnt sie und nippt an ihrem Glückseligkeitsgesöff.
Was sie sagt, klingt gut. Ich sehe mich in einem riesigen Saal am Pult. Vor mir eine unüberschaubare Menschenmenge, die an meinen Lippen klebt, jedes Wort gierig in sich hineinsaugt, mich als Visionär vergöttert. Den Scheck über fünfhundert Euro brauche ich eigentlich nicht, nehme ihn aber, um meine Fans nicht zu beleidigen. Andi schaut neidisch. Weiß ja nicht, was er mit seinem Kunstkram verdient, aber wenn es sich in ähnlichen Dimensionen bewegen würde, bräuchte er keine Gönnerinnen, die ihn aushalten.
»Kann ich mit den Lesungen schon anfangen? Ich habe ja bereits einen Großteil fertig geschrieben. Zurzeit arbeite ich als Buchhalter, das ist für einen Künstler nicht gerade der Brüller.»
Gisela reckt die Hände zur Zimmerdecke.
»Sie Armer. Das ist natürlich keine adäquate Beschäftigung für einen Autoren. Natürlich können Sie gleich loslegen. Wir werden uns auch bemühen, Veranstaltungen nah Ihrer Heimat zu akquirieren. Diese zeit- und nerven raubende Lohnarbeit gehört der Vergangenheit an.»
Das klingt klasse. Die Frau nimmt mir alle Ängste, zeigt mir eine goldene Zukunft auf. Ich unterschreibe voller Stolz. Wie viele Autoren veröffentlichen nur in kleinen Fanzines, die eh keiner liest? Ich denke an meine Slamerkollegen, im Grunde träumt jeder von ihnen von einem Buchvertrag. Als einer der wenigen lebe ich diese Vision.
»Sollen wir auf den Vertrag mit Sekt anstoßen oder einen Happen essen gehen?», fragt Andi. Gute Idee, ich bin auch in Feierlaune. Lassen wir die Puppen tanzen.
»Tut mir leid», seufzt Gisela. »Alkohol habe ich nicht im Haus. Und meine Zeit ist knapp bemessen. Daher werde ich leider nicht mit Ihnen speisen können. Aber es gibt in Offenburg viele gute Lokale. Auch auf Bio- und veganische Kost spezialisierte. Wenn Sie in Richtung Bahnhof laufen, werden Sie rasch fündig.»
Gut. Macht sicherlich wenig Spaß, mit Augentrosttee anzustoßen, daher bin ich ihr nicht böse. Wir erheben uns.
»Überweisen Sie bitte die dreitausend Euro bis Ende nächster Woche.»
Andi erstarrt, ich erstarre. Da haben wir uns sicherlich verhört.
»Bitte?», frage ich.
»Ihre Beteiligung. Es ist üblich, dass der Autor einen Teil der Druckkosten übernimmt. Steht im Vertrag.»
»Bitte?», wiederhole ich wie ein Papagei. Ich fühle mich, als hätte mir jemand mit einer Ramme den Magen durchbohrt. Andis weit geöffnete Augen blicken hilflos.
»Davon haben Sie bisher kein Wort gesagt. Wie soll ich dreitausend Euro aufbringen? Soviel verdiene ich nicht.»
»Mein lieber Herr Stengel», entgegnet die Verlegerin kühl. »Der Verlag kann nicht das ganze unternehmerische Risiko tragen. Wissen Sie, was ein Druck kostet? Wahrscheinlich nicht. Sonst würden sie keine abstrusen Diskussionen anzetteln. Es ist völlig normal, dass sich der Autor beteiligt. Dafür bekommen Sie schließlich zweihundertfünfzig Bücher zur Verfügung gestellt. Ihnen entsteht somit keinerlei Verlust», bügelt sie mich ab. »Ein Rücktrittsrecht ist nicht im Vertrag verankert. Ich bitte um pünktliche Zahlung, so dass wir die Veröffentlichung planen können.»
Jetzt zeigt sie sich knallhart, von der freundlichen Ökotante bleibt nur die Tasse mit lauwarmen Augentrosttee übrig. Andis Mund steht offen. Die Wirkung der eingeschmissenen Stimulantien scheint schlagartig aufgehoben.
»Ich schätze Sie als ehrbaren Geschäftsmann, der sich an Vereinbarungen hält», lächelt sie eisig. »Bitte entschuldigen Sie mich. Die Arbeit ruft», bugsiert sie uns aus dem Büro.

Fassungslos tapsen Andi und ich den Weg zurück auf die Straße und stolpern in Guidos Eck, eine Kneipe in der nächsten Straße.
Schummriges Licht fällt durch gelbe Scheiben. Guido ist ein korpulenter Riese mit buschigem Schnäuzer und fettig glänzender Miniplifrisur, der den Eindruck erweckt, als würden wir noch immer in den Achtzigern leben. Scheint uns nicht zu mögen, denn er stellt die zwei Halben wortlos vor uns hin. Ich habe aber auch andere Probleme, als mich über unfreundliche Schwaben oder Badener zu ärgern. Ich hole den Vertrag aus der Tasche und suche die Passage, nach der ich dreitausend Euro zahlen muss.
Nach fünf Minuten finden wir sie auf der zwölften Seite im Kleingedruckten: Der Autor erwirbt zweihundertfünfzig Bücher für Euro dreitausend. Dieser Betrag ist nach Vertragsabschluss sofort zu überweisen.
»Das ist ja abgefuckte Scheiße», bringt Andi die Misere auf den Punkt. »Die Alte hat dich gelinkt. Für dein eigenes Buch löhnen. Habe ich noch nie gehört.»
»Ich fürchte, da komm ich nicht raus», murmele ich tonlos. »Wo soll ich jetzt soviel Kohle auf die Schnelle herbekommen?»
Andi blickt zu Guido. Der trocknet mit dem Rücken zu uns Gläser ab. Rasch wirft Andi eine Pille ein, was seine Stimmung sichtbar aufhellt.
»Mensch, egal. An das Geld kommen wir schon. Immerhin hast du den Fame, ein veröffentlichter Autor zu sein. Wer kann das schon von sich behaupten. Die Wenigsten. Rumheulen bringt nichts. In die Hände gespuckt und ran an die Buletten.»
Andis Stimmungswechsel finde ich anstrengend. Mir ist danach, in Selbstmitleid zu baden. Wenn ich alleine wäre, würde ich heulen. Zu recht, wie ich finde. Natürlich hätte ich den Vertrag sorgfältiger lesen müssen. Da kreide ich mir an. Aber die Alte hat mich sauber abgezockt.
»Na komm», haut mir Andi aufmunternd auf die Schulter. »Wer kann dir was leihen. Antje? Dein Chinamann?»
Ich will mich eigentlich nicht mit Fragen der Geldbeschaffung befassen, es bleibt mir aber nichts anderes übrig.
»Antje will ich nicht anhauen. Unsere Beziehung steht gerade am Anfang. Nee, die würde auf mich herabblicken. Das geht nicht. Meinen Job hab ich noch gar nicht angefangen. Ist ein Wunder, dass ich bereits einen Vorschuss bekommen habe. Die Quellen kann ich nicht anzapfen. Kannst du vielleicht das Geld locker machen?»
Andi schüttelt den Kopf.
»Dreitausend Euro? Die wird Romy kaum rausrücken. Wie du mitbekommen hast, steht es mit uns momentan nicht zum Besten. Mein Alter hat diesen Monat auch schon fünfhundert Taler rüberwachsen lassen. Wenn ich wieder angekrochen komme, beginnt er, mein Leben zu hinterfragen und drängt mich vielleicht zu einem Spießerjob.»
Schweigend blicken wir in unsere Biergläser, sinnieren, suchen nach der einfachen Lösung. Mein Handy klingelt.
»Sweety. Ich habe dich vermisst», plaudert Antje fröhlich. »Darf ich gratulieren?»
Gedanken rattern von rechts nach links, von oben nach unten durch meinen Kopf.
»Natürlich, alles ist ganz fantastisch», lüge ich, zwinge mich zum Lächeln, damit meine Stimme meinen Gemütszustand nicht verrät. »Die drucken viertausend Bücher. Nette Verlegerin, die an mich glaubt.»
»Alter Falter. Super. Freu mich wahnsinnig», jubelt sie. Ist vollkommen aus dem Häuschen. »Das hätte ich mir nie träumen lassen. Geil. Hammer. Mein Freund wird groß raus gebracht. Schade nur, dass du weg bist. Das müssten wir sofort feiern. Wann kommst du zurück?»
Es freut mich, dass sie mich als ihren Freund bezeichnet. Eigentlich haben wir den Status unserer Beziehung bisher nicht diskutiert. Höchstens, als wir vom LSD ferngesteuert wurden. Oder meint sie einen Freund? Egal, meine aktuelle Notlage kann ich ihr nicht gestehen. Diese Freude zu trüben, als Loser dazustehen, das bringe ich nicht übers Herz und die Lippen.
»Weiß noch nicht», sage ich diesmal die Wahrheit. »Vielleicht erkunden wir die Stadt. Ich melde mich bei dir.» Ich brauche Zeit, um die Ratlosigkeit zu überwinden.
»Schade», zeigt sich Antje enttäuscht. »Hätte es gerne mit dir krachen lassen, Sweety. Na, dann melde dich, wenn Du weißt, wann du ankommst.»
»Ja, bis bald. See you.»
»Machs gut, Kleiner.»
Sie legt auf, und ich fühle mich noch schlechter.
»Klang nicht besonders herzlich. Findest du sie nicht mehr scharf? Das ging ja schnell», meint Andi.
»Quatsch», werde ich ärgerlich, am meisten auf mich selbst. »Was soll ich ihr sagen? Sie findet mich als Autor heiß. Wenn ich erzähle, dass ich meine Bücher selber kaufen muss und dafür kein Geld habe, stehe ich als Versager da. Hast du noch eine Idee, wen ich anpumpen kann?»
Andi überlegt, will noch eine Pille einschmeißen, doch ich halte ihn zurück.
»Das reicht für heute, Buddy.»
»Mit Ecstasy kann ich besser denken», antwortet Andi, doch seine Gesichtsmuskulatur zuckt verdächtig. Erstaunlicherweise ist das Thema vorerst für ihn abgehakt.
»Mach dir keinen Kopf über Antje. Kenn die Frau zwar nicht aus dem Effeff, aber die steht auch auf dich, wenn es nicht kugelrund läuft. My two cents. Was die Kohle betrifft: Da gibt nach meiner Einschätzung zwei Möglichkeiten. Deine Eltern werden dich bestimmt bei der Erfüllung deines Lebenswunsches unterstützen. Und Bea, die fühlt sich noch immer verantwortlich für dich. Hat zwar mit der Liebe nicht geklappt, aber sie wird es nicht übers Herz bringen, dass du total abrutschst. Du darfst nur nicht den Eindruck erwecken, als wolltest du wieder ihr Lover sein. Zwei Ölquellen, die nur darauf warten, abgepumpt zu werden.»
Ich überlege. Andi sieht die Situation erstaunlich klar. Das Verhältnis zu meinen Eltern ist zwar angespannt, sehe sie am liebsten alle fünf Jahre und das ist schon zu oft. Aber wenn ich Besserung gelobe, dürfte da etwas abzustauben sein. Und Bea ist auch eine gute Adresse. Es geht mir zwar gegen den Strich, mich durch die Gegend zu schnorren, aber was bleibt mir anderes übrig.
»Wir fahren zu meinen Alten nach Duisburg», beschließe ich.
»Klasse», meint Andi. »Du, ich stell da in der Ecke aus. In einem Kaff namens Wesel. Lass uns anschließend da vorbeifahren. Ich will checken, ob sich meine Exponate da wohl fühlen.»
Ist genehmigt.

Samstag, August 07, 2010

Bestseller Kapitel 05: Trip in den Süden



Am nächsten Morgen erwache ich matschig. Zwar jault kein Kater wie nach einer durchzechten Nacht, müde bin ich dennoch. Quer in Antjes Bett liegend, Füße in der Luft, mit dem Händen auf einer der afrikanischen Figuren. Heute ist der Typ wieder aus Holz. Wenn ich ihn lange genug anstarre, scheint er ironisch zu zwinkern. In meiner Jacke, die auf einem Stuhl liegt, bimmelt mein Handy. Mühselig krauche ich, um die Quelle der Ruhestörung zu eliminieren. Andi. Scheiße. Ich blicke auf die Uhr. Acht.
»Alter, bist du ohne mich losgegondelt? Habe leider verschlafen, aber hättest wenigstens anrufen können», murrt mein Buddy.
„Nee, sorry, bin noch nicht am Bahnhof. Habe auch verpennt. So ein Dreck. Ich ruf die Ahmert an und frage, ob wir später kommen können.»
Die Nummer habe ich glücklicherweise gespeichert.
»Ahmert Publikationen, Sie sprechen mit Frauke Heirich. Was kann ich für Sie tun?»
»Horst Stengel. Ich bin heute um die Mittagszeit mit Frau Ahmert verabredet. Leider habe ich mich heute Morgen ausgeschlossen. Der Schlüsseldienst musste kommen. Riesenstress. Jetzt ist aber alles geregelt. Würde es etwas ausmachen, wenn ich ein wenig später komme?», erfinde ich eine schlechte Geschichte. Die schlechten werden in der Regel eher abgekauft als die wahren.
»Was ein Pech. Mir ist das sogar zwei Mal hintereinander passiert. Ein teurer Spaß. Sie haben mein ganzes Mitgefühl», scheinen meine Sympathien gesichert. »Ich schau eben in Frau Ahmerts Terminkalender. Da haben Sie Glück, heute Nachmittag ist alles frei. Kommen Sie, wann es klappt.»
Ich unterrichte Andi, der sich in ein Café setzen will. Ich kleide mich an und gehe in die Küche.
Ein Typ Anfang zwanzig mit Nickelbrille und Kordjacke schlürft einen Milchkaffee. Kommt mir bekannt vor, kann ich aber nicht einordnen.
»Moin, moin. Ist Antje schon weg?», frage ich.
»Die muss heute ein Referat halten und kopiert ihr Thesenpapier. Ich soll dir das hier geben», reicht er mir einen Briefumschlag. »War eine heiße Nacht, was?», zeigt er ein Ganzkörpergrinsen.
»Du bist ein Mitbewohner, right?», gehe ich nicht näher auf die Anzüglichkeit ein.
»Robert, ich studiere hier Anglistik und Politik», sagt er.
»Wo kommst du her», frage ich, obwohl es mich eigentlich nicht interessiert.
»Ich bin aus Paderborn hergezogen. Dort leben auch meine Eltern noch. Es macht mir Spaß in Hannover. »
Der will mir gleich seine ganze Lebensgeschichte erzählen. Muss nicht sein.
»Ist cool hier: Paderborn ist auch ne Gegend», schalte ich die Lauscher auf Durchzug und öffne das Kuvert. Feines Büttenpapier, die Frau hat Stil.
‚War wunderschön mit dir. Muss leider zur Uni. Drück dir die Daumen für Offenburg. Meld Dich heute Abend. Bist ein toller Typ, Sweety.’
Mein Herz fließt vor Liebe über. Schemenhafte Erinnerungen an den gestrigen Abend tauchen empor. Geile Frau. Naja, so war es mit Bea am Anfang auch. Aber mit Antje wird alles anders, das spüre ich. Ich gieße mir einen Kaffee ein. Genieße den bitteren Geschmack. Ist das Leben nicht schön? Für solche Momente lohnt es sich.
»Und, war sie zufrieden mit dir? », fragt der Paderborner Student, den ich fast vergessen habe. Scheint eifersüchtig zu sein. Aber der Tag ist viel zu schön, um sich mit dem Neidmichel abzugeben.
»Hat nur geschrieben, dass ich bombastisch war. Das wusste ich. Ist aber immer wieder schön, bestätigt zu werden», gebe ich an. Sein Mund öffnet sich, er schnappt nach Luft. Sexueller Frust.
»Solltest auch mal eine gute Nummer schieben. Das rebootet den Organismus, habe ich gehört», zitiere ich den Managertypen aus der Straßenbahn.
»Muss jetzt los. Treff mich mit einer Verlegerin in Süddeutschland. See you», ist es manchmal schön den Dickmatz raushängen zu lassen.
»Viel Glück», murmelt er, ich spür aber, dass er das Gegenteil meint. Was soll’s.
Eine halbe Stunde später finde ich Andi im Café am Eingang des Bahnhofs.
»Du bist eine Trantüte», begrüßt er mich. »Hast das Meeting deines Lebens und verpennst. Muss ja wild gewesen sein, gestern Nacht. Nur eines: Ist sie wirklich unrasiert?»
So eine Frage würde ich nie beantworten, könnte ich auch nicht. Der Nachteil von Drogen scheint zu sein, dass sie den Nebel des Vergessens über die Erinnerungen legen. Ich löse ein Ticket, Andi hat seines schon. Der Zug fährt neun vierzig ab. In Baden-Baden müssen wir umsteigen. Der komplette Süden ist für mich ein böhmisches Dorf. In Baden-Baden gibt’s ein Casino, ansonsten sind mir keine geographischen Details bekannt. Ich glaube, dass die Stadt südlich von Frankfurt liegt. Ist doch immerhin etwas.
Andi geht es nicht anders, aber er ist sich zumindest sicher, dass Offenburg sich als Kunstmetropole der nächsten Jahre etablieren wird. Ist mir eigentlich egal. Hauptsache, es klappt alles mit dem Vertrag. Die Sonne brennt trotz der frühen Zeit. Und es ist schwül. Als der Zug einfährt, stellen wir uns brav an. Mit reservierten Plätzen brauchen wir uns nicht zu sorgen.
Nur als eine ältere Dame sich von der Seite zwischen Andi und mich drängen will, verliere ich meine Buddhanatur.
»Stellen Sie sich hinten an wie alle», fahre ich sie an und komme mir ein wenig spießig vor.
Sie flucht irgendwas über junge Leute, Benehmen und Adolf Hitler. Etwas verwirrt die Gute.
Im Zug erwartet uns ein kleines Problem. Die gebuchten Stühle gibt es gar nicht. Wir sitzen Wagen dreiundzwanzig auf den Plätzen sechzehn und siebzehn. Allerdings fehlen die Nummern zehn bis neunzehn. Eines der ewigen Rätsel der Menschheit und der deutschen Bundesbahn. Wir sprechen einen Schaffner an, der uns völlig unkompliziert in die erste Klasse verfrachtet. Das Glück ist mit mir.
»Sollen wir uns im Bordbistro ein Bier gönnen?», fragt Andi. Ich überdenke meine Finanzen und entscheide mich gegen ein Getränk.
»Die haben hier Saupreise, und mein Budget ist knapp bemessen», kläre ich den Kollegen auf.
»Mir hat Romy zweihundert Euro Taschengeld gegeben. Darf man hier rauchen? », erkundigt er sich.
»In allen Zügen herrscht Rauchverbot», sagt ein vorbeieilender Schaffner.
»Wie soll ich das aushalten. Die Fahrt dauert über vier Stunden. Kotz», stöhnt Andi.
»Kannst ja auf dem Lokus quarzen. Lass mich ein wenig schlafen. War eine kurze Nacht», will ich mich ein wenig ausruhen.
Ich ziehe die Jalousien hinunter, lege die Füße auf den gegenüberliegenden Sitz und schließe die Augen. Andi verschwindet. Ist alt genug auf sich selbst aufzupassen, finde ich.
Mein Schlaf ist nur von kurzer Dauer. Mein Kollege stürzt zurück ins Abteil verfolgt von einer älteren Frau in einem roten Kleid und einem kleinen Jungen mit Baseballkappe, vielleicht drei Jahre alt.
»Schämen Sie sich nicht, auf der Toilette zu rauchen. Damit ruinieren Sie die Gesundheit der Mitreisenden», keift sie.
Ich gebe Andi mit den Augen wilde Zeichen, den Ball flach zu halten. Streiterei bringt nichts.
»Ich habe keine Zigarette geraucht. Bin doch nicht wahnsinnig», widerspricht er.
Die Schrapnelle und ihr Sprössling ziehen ab.
»Ist nicht gelogen, Mann. War ein Joint, fahr ne Art Entzug.»
Jetzt werde ich ärgerlich.
»Ich will und werde heute den wichtigsten Vertrag in meinem Leben unterschreiben. Das lass ich mir durch deinen Kinderkram nicht verderben. Wenn es Ärger gibt, kenne ich dich nicht.»
»Relax, Alter. Alles easy. Die Zicke ist doch weg.»
Ich schließe erneut die Augen, allerdings nur für zehn Sekunden. Dann taucht die Furie mit einem Zugbegleiter auf. Mit dem Zeigefinger spießt sie Andi fast auf.
»Das ist der Mann, der die Toilette verqualmt hat. Entfernen Sie ihn aus dem Zug.»
Der Schaffner, ein Junge Anfang zwanzig, mit Zahnlücke unter einem Schnäuzer, wirkt unsicher.
»Sie haben gehört, was die Frau sagt. Sorry, aber ich muss nachfragen, ob das stimmt.»
Andi ist genervt. Wenn er sich ärgert, zucken die Muskeln seiner rechten Wange.
»Hat die Dame gesehen, dass ich geraucht habe?», fragt er betont liebenswürdig.
»Natürlich nicht, Sie hatten die Tür abgeschlossen, Sie Rauchverbotsübertreter.»
»Ich bin strikter Nichtraucher», beteuert Andi. »Dieser wirklich Ekel erregende Qualm war schon im Raum, als ich die Kackzelle betreten habe. Ich empfinde dieses Verhör im Übrigen als unangenehm. Sollten Sie mich weiter behelligen, sehe ich mich leider gezwungen, meine Rechtsschutzversicherung in Anspruch zu nehmen.»
Wenn es drauf ankommt, wirkt Andi überzeugend. Dann redet er wie ein Banker. Nur der Ausdruck Kackzelle ist ein typischer Andi-Begriff.
»Das ist doch die Höhe. Sie erdreisten sich, mir zur drohen?», gibt die Frau keine Ruhe.
»Wenn Sie den Herrn noch nicht mal beim Rauchen gesehen haben, kann ich nichts machen. Da steht Aussage gegen Aussage», wagt der Zugbegleiter den Rückzug.
»Finden Sie etwa Rauchen gut?», richtet sich der Weltenhass der Dame in rot auf ein neues Opfer. »Die Bundesregierung hat festgelegt, dass wir Nichtraucher geschützt werden müssen. Passivrauchen erzeugt genauso wie Aktivrauchen tödlichen Lungenkrebs. Sie müssen die Einhaltung des Verbots überwachen. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, werde ich mich zuerst bei Herrn Grube beschweren. Sollte das nicht helfen, werde ich Sie persönlich verklagen.»
Der Zugbegleiter kann sich kaum ein Grinsen verkneifen. Seine Gesichtszüge zucken verdächtig.
»Sie haben keinen Beweis. Da kann ich nichts machen. Wenn Sie wollen, wenden Sie sich an die Polizei. Ich muss mich jetzt um andere Fahrgäste kümmern.»
Er verschwindet, die keifende Furie im Schlepptau.
»Ich werden höchstpersönlich für Ihre Entlassung sorgen. Dreißig Jahre war ich in der Politik tätig. Zwar nur auf lokaler Ebene, aber mein Wort hat Gewicht. Sie haben Ihren Beruf verfehlt, junger Mann... »
»Bin ich froh, dass wir die los sind», zupft Andi seinen Hemdkragen gerade.
»Ich will mich mental auf das Gespräch vorbereiten», lege ich mich hin, bedecke meine Augen mit der DB-Mobil und beginne zu dösen.
Erinnerungen an den letzten Abend tauchen aus dem Unterbewusstsein empor. Gibt es eine Zukunft für eine Beziehung mit Antje? Die Frau ist vollkommen ausgeklinkt, ist voller Leben, reißt mit, begeistert, verleitet mich zu ungewöhnlichen Handlungen. Ist sie die Muse, die mich beim literarischen Durchbruch begleitet? Erinnerungen an die plastischen Farben, sich verändernden Formen und mehr als guten Gefühle des Trips laufen auf meiner inneren Leinwand. Wäre es nicht fantastisch, in einem Zustand permanenter alles umfassender Liebe zu leben?
»Hi, ist hier noch frei!», ertönt eine Stimme mehr feststellend als fragend. Ich lupfe die Zeitung und erblicke einen Bundi, der seinen Rucksack im Gepäckregal verstaut.
Andi hält Fotos seiner geometrisch gewagten Skulpturen in der Hand. Er betrachtet ihn mit offensichtlichen Widerwillen, obwohl er vom Hasch leicht zugedröhnt ist. Junge, nicht schon wieder. Halt diesmal den Ball flach, bitte ich inständig. Keinen weiteren Ärger.
Der Soldat öffnet eine Coladose, die zischend braune Brause über den Sitz verteilt.
»Sorry», nimmt er einen Schluck, kümmert sich aber nicht um die Beseitigung. Er stößt auf und wischt mit der Hand über den Mund. Dann holt er einen MP3-Player aus dem Parka, positioniert die über dem Stoppelschnitt verstaute Sonnenbrille vor den Augen.
Ich bin B-Tight; und hasse dich, Ich bin der Neger; und hasse dich, Ich bin ein Junkie; und hasse dich, Ich lieb es dich zu ficken, doch dich hasse ich.
Andi legt die Bilder zur Seite, pumpt sich auf wie Meister Propper. Halt den Mund, Muchacho. Der Typ ist wesentlich größer, stärker und vor allem nüchtern. Meine Gedanken tangieren Andi wenig.
»Was ist das für ein Dreck. Ich will dich ficken, doch hasse dich. So einen Schrott habe ich noch nie gehört. Mach das aus. Wir wollen chillen.»
Ich blicke aus dem Fenster, sehe Bäume, Felder und Blumen vorüberziehen. Wie Kino.
Der Typ schiebt die Sonnenbrille hoch, seine braunen Augen mustern Andi. Dann zieht er die Stöpsel aus den Ohren.
»Haben Sie was gesagt?», fragt er nicht unhöflich.
»Alter, auf Sie kann ich gar nicht. Komm mir nicht auf diese Tour. Ich bitte dich ganz höflich, uns nicht mit diesem Gangster-Scheiß zu nerven. Mein Compadre und ich hören nur anspruchsvollen Hip-Hop. Blumentopf, Zentrifugal, zur Entspannung die Brote. Dieses Gangsta-Bla-Baller-Bla: Ich schrotte deine Rübe und ficke deine Alte verursacht Ohrenkrebs. Weißt du, dass wir Künstler sind? Ich organisiere eine Ausstellung in Offenburg, einer der schönsten Städte Deutschlands. Mein Freund Hotte unterschreibt dort einen Vertrag für einen revolutionären Roman, der ihm Millionen einbringt. Wenn wir wollten, könnten wir uns heiße Chicks und schnelle Schlitten ohne Ende leisten. Ohne diesen Gangster-Quark. Der zieht nur runter und verdummt. Also stell den Dreck aus.»
Andi hat den Bogen überspannt. Warum macht er den Typen an, als wäre er sein Sozialpädagoge. Mir ist unklar, ob er selber an sein Geschwätz glaubt oder einfach Ärger sucht. Ich hab’s: Er fährt eine Selbstmordstrategie. Was die Drogen nicht schaffen, soll pure Gewalt lösen. Andi, so schlecht ist dein Leben auch nicht. In den Augen des Bundis funkelt Mordlust. Er steht auf. Die Muskeln spannen die Arme seines Parkas. Gleich stampft er Andi in den Boden und mich mit. Dabei ist es mir latte, was für debiles Gedudel er sich ins Hirn zieht. Goodbye, süßes Leben.
»Entschuldigung», murmelt der bestimmt zwei Meter große Typ. »Wenn ich gewusst hätte, dass meine Musik stört, wäre ich in ein anders Abteil gegangen. Der Zugbegleiter hatte mich nur zu Ihnen geschickt, weil meine Platznummer nicht existiert. Seltsam, oder? Ich wünsche noch einen schönen Tag.» Er holt seine Tasche aus der Gepäckablage, hebt die Hand zum Gruß und geht ins Nachbarabteil.
»Was war das denn?», fragt Andi fassungslos. »Der pariert ohne Widerworte. Ich sag dir eines, Alter. Die Jugend heute ist charakterlos. Kein Widerstand. So was hätten wir uns nicht bieten lassen. Die zehn Jahre Altersunterschied formen das Blag zum Mann.»
»Lass ihn. Du musst nicht die Welt missionieren. Wenn er dieses Gedudel hören will, bitte. Vielleicht studiert er nebenbei Musikwissenschaft und muss ein Referat über den Zusammenhang zwischen Dummheit und CD-Verkäufen in der Rapszene verfassen? Wer weiß. Es hätte auch ein Penner sein können, der dein Gesicht als Sandsack missbraucht. Sah jedenfalls stärker aus als du.»
Andi überlegt. Fällt ihm sichtbar schwer. THC lähmt, lässt Welt und Gedanken langsamer laufen.
»Weißt du», sagt er nach einer Minute und blickt auf den Boden. »Manchmal finde ich die Welt vollkommen deprimierend. Ich spiel immer den euphorischen Macker, stets einen Joke auf den Lippen. Aber im Grunde finde ich mein Leben trostlos. Ich gurke von Ausstellung zu Ausstellung, von Frau A zu Madame B. Anfangs ist alles aufregend, thrillt, aber nach kurzer Zeit legt sich ein Mantel aus lähmender Langeweile über alles. Ich will weiter, verspüre den inneren Drang, etwas zu ändern und lande bei Tussi C und der Ausstellung in Kleintupfingen. Und täglich grüßt das Murmelmonster», philosophiert er.
»Du brauchst ein Ziel. Eine Vision. Was würde deine Endorphinproduktion kicken, wenn du es erreichst?»
»Lach nicht», blickt Andi auf. »Ich würde ein Ei dafür geben, im Palastmuseum von Katmandu auszustellen. Ist zwar ziemlich hippimäßig, aber Nepal und Indien reizen mich seit Teeniezeiten. Ich habe Timmerbergs Reiseberichte verschlungen und dachte nur: Cool, da willst du auch mal hin. Hat sich bis jetzt nicht die Gelegenheit ergeben. »
»Hast du denn was dafür unternommen? Ich kenn mich in der Branche nicht aus. Vielleicht das Goethe-Institut angeschrieben?»
»Geh weg, die wollen mich eh nicht. Und ich die auch nicht. Sind doch alles bornierte Spießer, die nicht wissen, was wahre Kunst ist. Ich bin für das Leben, so wie ich es führe, vorherbestimmt. Der Zug ist abgefahren. Vielleicht entdeckt mich ein wichtiger Gallerist, aber die Chance ist kleiner, als den Lottojackpott abzuräumen. Art is a lonley job, Darling.»
Andis Deprigesülze ist etwas anstrengend, aber Freund bist du in guten wie in schlechten Zeiten. Außerdem hat er sich immer brav meine Bea-Geschichten angehört. Andis Telefon klingelt.
»Baby», hält sich seine Freude in Grenzen. »Was sollen wir schon machen? Der Zug schippert durch die Landschaft. Flasht total. Irgendwann steigen wir um und dann geht’s ans Eingemachte. Hotte wird den Ahmert-Verlag rocken.»
Das Handy sagt etwas. Scheint nichts zu sein, was Andi hören will.
»Was soll denn der Scheiß? Nur, weil ich ein wenig langsamer spreche, bin ich doch nicht auf Drogen. Du weißt, dass ich das Zeug nicht mehr anrühre.»
Er greift in die Hosentasche und holt eine blaue Pille mit einem Smiley heraus, steckt sie in den Mund, schluckt.
»Frag Horst. Hab ich etwas Illegales zu mir genommen?», schreit er und hält mir den Apparat vor den Mund. Ehe ich zu einer Lüge gezwungen bin, reißt er ihn weg.
»Hast du gehört? Nein», nach einer Pause »Natürlich hast du nichts gehört. Du hörst nur das, was du hören willst. Du liebst mich nicht genug. Dein Herz-Chakra ist verschlossen. Wenn du dein Leben auf die Reihe gekriegt hast, ruf mich wieder an.»
Er zittert, rennt raus und kommt mit einer Flasche Cola wieder. Er braucht eine Minute, um den Deckel aufzuschrauben.
»Fuck. Die Beziehung mit Romy geht auch den Bach runter. Warum passiert das immer mir?» Er trinkt die halbe Flasche leer, dann bietet er mir den Rest an.
»Ist die eine weg, kommt die nächste. Was soll’s», stellt er fatalistisch fest.
»Geh doch die Dinge langsamer an. Romy meint es wahrscheinlich nur gut mit dir.»
»Fällst du mir auch in den Rücken?», faucht Andi. »Wenn sie mein Bestes wollte, würde sie mich einfach gewähren lassen. Ich bin Künstler, ich lebe im Flow.» Grinsend schmeißt er sich noch eine Pille ein. »Und ich gehe mit dir in den Verlag. Sag der Frau, ich wäre dein Agent. Da gibt es gleich zwanzig Prozent mehr Honorar.»
Das bezweifele ich stark. Es macht mir Angst, dass Andi mitkommen will. Ist bestimmt nicht prickelnd, wenn die Verlegerin merkt, dass Andi zugedröhnt ist. Andererseits kann ich ihn kaum in diesem Zustand in der Gegend rumlaufen lassen. Schweren Herzens stimme ich zu.
»Gebongt, kommt mit. Aber überlass das Reden mir. Du bist nur dekorative Begleitung, Capicse?»
»Super, gigantisch, megageil», freut er sich. »Ich darf beim Millionendeal da bei sein. Wir beide zusammen sind unschlagbar. Das wird krass.»
Ich höre nicht mehr zu. Je mehr Pillen er geschluckt hat, desto größer wird der Output akustischen Mülls. Wir steigen in Baden-Baden um und trudeln eine halbe Stunde später in Offenburg ein. Als ich den Bahnsteig betrete, weiß ich noch nicht, dass mein Leben bald aus den Fugen gerät.

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