Sonntag, August 22, 2010

Bestseller Kapitel 07: Hiob richtet



Nachdem wir in Mannheim umgestiegen sind, sitzen wir im ICE nach Duisburg. Nur weg aus Offenburg, der Stadt, wo Pech und Schwefel Hochzeit feiern. Die Räder rattern monoton, Regen peitscht durch die Landschaft, das Abteil riecht verboten, als hätte jemand vor geraumer Zeit Harzer Käse unter den Polstern versteckt. Andi hat die Tickets gezahlt. Trübe starre ich aus dem Fenster und hadere mit dem Schicksal. Warum gerate immer ich in so eine Scheiße. Andi hat den MP3-Player herausgeholt und hört Johnny Cashs A hundred highways. Ist schon seltsam, dass nach deinem Tod um deine Stimme herum ein Album gebastelt wird. Ob nach meinem Ableben auch Zitate von mir zu einem posthumen Roman zusammengestellt werden? Hat was von Leichenfledderei, aber Cash ist auch aus dem Grab hinaus grandios. Da sind Andi und ich einer Meinung. Die leisen Gitarrentöne verstärken meine Melancholie.
Die Tür des Abteils öffnet sich. Ein Mädchen mit rotblonden Haaren, Rastafrisur, hantiert ungelenk mit Ihrem überdimensionierten Rucksack herum.
»Ist bei euch noch was frei? », fragt sie.
Am liebsten möchte ich mit meinem Elend alleine sein, habe keine Lust auf Gesellschaft. Dennoch weise ich auf die vier freien Plätze.
»Was machst du gerade?», frage ich wenig intelligent, während sie ihr Gepäck in der Ablage verstaut.
»Zug fahren?», grinst sie. »Gondele mit dem Tramperticket durch Deutschland.
»Und wo warst du bereits, oder geht die Reise erst los?»
»Du bist ganz schön neugierig, Alter. Aber um dich auf dem Laufenden zu halten: Hab mir Mannheim angesehen. Ich wollte die Spuren Xavier Naidoos erkunden. Kein Wunder, dass er so beseelte Musik macht. Kommt aus einer völlig abgefuckten Stadt. Schätze, weil sie im zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört wurde.»
Interessiert mich einen Dreck, will nur Konversation betreiben, um mich abzulenken. Sieht sie nicht, dass das Schicksal mir einen Scheitel gezogen hat? Da muss sie mir nichts über die Heulboje Naidoo erzählen. Ich merke, dass ich ungerecht gegenüber meiner Umwelt bin und lächele etwas gezwungen. Andi öffnet die Augen. Was er sieht, gefällt ihm. Er zieht die Stöpsel aus den Ohren.
»Ich hab das nur am Rande mitbekommen», plaudert er drauf los. »Findest du wirklich diesen Gospelsänger cool? Ist doch alles Masche. Weißt du, dass er die Böhsen Onkelz mag? Alles Faschos», macht er seinen Standpunkt deutlich.
»Na wenn du das sagst», grinst sie. »Ich bin übrigens Kathrin.»
Wir stellen uns ebenfalls vor. Vielleicht ist Small-Talk eine gesunde Abwechslung von kranken Gedanken.
»Da ich hier schon Pressezentrum gespielt habe, was macht ihr denn so?», fragt Kathrin neugierig. Mit Anfang zwanzig findest du alles und jeden interessant. Die Welt ist eine große, bunte Wundertüte, aus der du Lakritze, Weingummis oder Plastiksuperhelden herausfischst.
»Wir sind Künstler und kommen aus der geilsten Stadt der Welt», spielt Andi den Mann von Welt. Die Wirkung der Pillen hat ein wenig nachgelassen. Schwitz- und zitterfrei macht er einen fast normalen Eindruck.
»Und welche soll das sein?», fragt Kathrin. »Ich komme aus Hamburg, da geht nichts drüber. Schanzenviertel und St. Pauli sind die ultimativen Feierecken. Cheap and dirty.
Ich werde dort Päda für Grundschulkids studieren. Das ist relativ einfach, und du hast früh Feierabend», blickt sie uns um Zustimmung heischend an.
»Coole Sache. Aber Hansecity ist doch gar nichts. Schau dir H-Town an. Die Geile an der Leine», tönt Andi wie ein alternativer Reiseführer.
»Was ist denn H-Town?», fragt Kathrin und holt eine Flasche Astra aus dem Rucksack. »Husum oder Hachenburg?»
Die Bildungslücke sei verziehen. Mit zwanzig kann man noch nicht alles gesehen haben.
Wir sind nett und klären sie auf.
»Hannover, Verzeihung H-Town, hat den Ruf, fader als abgestandener Kamillentee zu sein. Ihr steht doch nur in der Zeitung, wenn die Punks eure Innenstadt renovieren.»
»Üble Gerüchte, Baby. Du musst einfach mitkommen. Ich lade dich ein. Dein Ticket gilt doch noch ein paar Tage?», prescht Andi vor.
»Warum eigentlich nicht? Hannover stand zwar nicht auf meiner Tourliste, aber ich bin da frei. Fahrt ihr jetzt nach Hause?»
»Nee, Richtung Pott. Duisburg, um genau zu sein. Hotte muss da was mit seinen Alten klären. Geht um Kohle für seinen Roman.»
Muss er ihr nicht gerade auf die Nase binden.
»Wie schon gesagt: Wir sind Künstler. Ich bastele an Skulpturen rum, der Horst schreibt dicke Schwarten und slammt ein wenig durch die Gegend.»
»Cool. Du musst mir unbedingt zeigen, was du machst. Ich bin eher der mathematische Typ, auch wenn ich nicht so aussehe», säuselt sie. » Offensichtlich findet sie uns exorbitant interessant. Möchte mit uns in Duisburg stoppen. Na, das wird nicht einfach, meinen verbohrten Eltern die Anwesenheit einer Frau und meines ausgeflippten Freundes zu erklären. Aber gastfreundlich sind sie ja. Hoffe ich. Das letzte Mal hab ich sie vor drei Jahren gesehen. War nicht so erfreulich. Als sie meiner damaligen Freundin Tanja erklärt haben, dass Frauen nach Jesus’ Worten nicht arbeiten dürfen, gab es eine Riesendiskussion bei der ich Jesus, Gott und Noah verfluchte. Mein verpeilter alter Herr erklärte mich daraufhin als gottlos und unwürdig, seine heiligen Hallen zu betreten. Marion trennte sich kurz darauf von mir, da meine Familie ihr zu strange war. Kann ich doch nichts für. Jedenfalls finde ich es schwierig, jetzt wieder angekrochen zu kommen und den reuigen Sünder zu spielen.
Unvermittelt sagt Andi: »Gerne, freut mich, wenn du mitkommst. Willst du eigentlich mit mir ficken? Ich stehe für Aktivitäten in der Horizontalen jeder Zeit zur Verfügung.»
Kathrin schaut ihn verdutzt mit weit geöffneten blauen Augen an. Überlegt, ob sie ihn akustisch richtig verstanden hat.
Andi blickt fragend zurück. Sie merkt, er hat es wirklich gesagt.
»Ich denk drüber nach», flüstert sie mit frechem Blitzen in den Augen. Andi, der Womanizer. Wäre schön, wenn er dies Charisma bei dem Projekt Geldbeschaffung für Hotte einsetzen würde. Aber bei meinen Eltern sehe ich da nur geringe Chancen. Zumindest für Andi. Kann mir nicht vorstellen, dass sie auf ihn stehen.

Gegen achtzehn Uhr treffen wir in Duisburg ein. Der Bahnhof begrüßt uns freundlich, zeigt sich aber trist wie immer. Durchgangsverkehr, aber kein Feiern in schicken Bars, oder Schnacken in trendigen Cafés. Kein Vergleich zum Berliner oder Hannoveraner Hauptbahnhof. Coole Schuppen wie das Metaluna, eine Punkkneipe, gibt es in Nähe des Verkehrsknotenpunktes auch nicht mehr. Nur das Old Daddy in der Steinschen Gasse ist ein geiler Feierladen. Kann aber sein, dass du dort mal eine Abreibung bekommst, ohne den Grund zu kennen. Der Innenhafen mit teuren Läden ist eher was für die gesettleteren Kollegen. Andi und Kathrin zeigen sich wenig beeindruckt. Gut, Duisburg ist eine Stadt, die ihren Charme erst auf den vierten oder fünften Blick offenbart. Ist aber meine Heimat und daher mag ich diese raue City, deren Image noch immer von Tatort-Kommissar und Namensvetter Horst Schimanski geprägt ist.
»Alles ein wenig schäbig hier»¸kommentiert Kathrin. Andi steckt sich eine Zigarette an.
»Alter, hier liegen deine Roots. Ist zwar kein Schmuckstück, aber wenn du woanders herkommen würdest, wärst du ein anderer Mensch. Verstehst du, was ich sagen will?»
Ein wenig. Im Magen macht sich ein flaues Gefühl breit. Es ist nicht leicht, deinen Erzeugern gegenüberzutreten, mit denen du bis auf den Nachnamen nichts gemeinsam zu haben scheinst.
Mit der Straßenbahn lassen wir uns zur Neidenburger Straße in Wedau kutschieren. Meine Freunde schauen aus dem Fenster und kriegen sich nicht ein, wie hässlich Duisburg ist. Dabei gibt es ganz andere Städte, die dieses Prädikat verdienen wie zum Beispiel Wolfsburg oder Leverkusen. Aber sollen sie lästern. Kathrin schaut Andi immer an, wenn er woanders hin sieht. Da scheint was zu gehen. Erstaunlicherweise hat er sich keine Pille, kein Pülverchen oder Heftigeres eingeschmissen, seit sie mit uns reist. Scheint einen guten Einfluss auf meinen Kumpel auszuüben. Romy existiert nicht mehr.
Wenig später stehen wir vor der taubengrauen Doppelhaushälfte, in der ich das erste Drittel meines Lebens verbracht habe.
»Wenn meine Eltern etwas sagen, immer Ja und Amen antworten. Dann klappt das vielleicht mit der Kohle», gebe ich die Direktive zum Erfolg heraus.
»Wieso? Seid ihr nicht auf einer Wellenlänger?», fragt Kathrin. Andi grinst. Er kennt meine Alten zwar nicht, aber genug haarsträubende Geschichten.
»Du wirst schon sehen.»
Ich klingele, das flaue Gefühl verstärkt sich. Fast wünsche ich mir, eine von Andis Pillen eingeschmissen zu haben, auf einer blauen Wolke zu schweben und das Geschehen distanziert betrachten zu können. Zu spät.
Die Tür öffnet sich. Mama. Anderthalb Meter groß in einem grünen Kleid, die grauen Haare zu einem Zopf zusammengebunden. Der Zahn der Zeit hat an ihr genagt, die eine oder andere Falte hat sich in ihr Gesicht gegraben. Sie starrt mich an. Kann es nicht fassen, dass ich vor ihr stehe. Schließlich sagt sie »Junge, es ist schön, dich wieder zu sehen», ein Träne läuft ihre Wange hinunter. »Das wird auch den Papa freuen. Sind das Freunde von dir? », blickt sie kritisch auf Andi und Kathrin.
»Wir waren auf der Fahrt vom Süden zurück nach Hannover. Da wollten wir vorbeischauen. Ist doch kein Problem, oder? Können wir bei euch übernachten?»
Mama schüttelt den Kopf.
»Das kann nur Papa entscheiden. Das weißt du doch. Wir halten gerade Andacht. Kommt mit und verhaltet euch ruhig. Papa predigt.»
Oh Gott, genau der falsche Zeitpunkt. Aber schlimmer kann es dann nicht mehr kommen. Wir stellen unsere Utensilien, ist ja nur Kathrins Rucksack, in der Diele ab. An allen vier Wänden stehen Kreuze und hängen Bibelsprüche. Die Atmosphäre bedrückt mich wie immer, wenn ich hier bin. Meine Freunde wirken ebenfalls beeindruckt. Hier herrscht der Gott des alten Testaments, der gnadenlos die Sünder straft. Und Sünder sind wir drei bestimmt.
Im Wohnzimmer sind fünf Leute versammelt und lauschen meinem Vater. Ich möchte rauchen, weiß, dass ich dann sofort aus dem Haus fliege. Genuss gilt hier als Versuchung Satans. Drei Männer mittleren Alters mit Vollbärten nicken bei jedem Wort des Alten. Sie tragen schwarze Anzüge weiße Hemden mit grauen Krawatten, wie Stricke, die ihren Lebensfluss abschnüren. Zwei Frauen sind auch dabei, sitzen etwas abseits. Lange Haare und lange Kleider. Wirken etwas altbacken, als wäre das Leben an ihnen vorbeigezogen, ohne sie zu beachten. Auf dem Tisch brennen Kerzen. Mein Vater ist komplett schwarz gekleidet. Mit dem Pferdeschwanz und Vollbart sieht er wie ein Althippie aus. Schön wär’s. Ruhig setzen wir uns auf Stühle am Ende des Zimmers. Der Raum riecht streng, die Bücher mit dunklen Einbänden, allesamt Bibelauslegungen, hinten schwarzen Glasscheiben verhindern jeden fröhlichen Gedanken.

»Im Römerbrief steht: ’Deswegen hat Gott sie dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn sowohl ihre Weiber haben den natürlichen Gebrauch in den unnatürlichen verwandelt, als auch gleicher Weise die Männer, den natürlichen Gebrauch des Weibes verlassend, in ihrer Wollust zueinander entbrannt sind, indem sie Männer mit Männern Schande trieben und den gebührenden Lohn ihrer Verirrung an sich selbst empfingen. Und gleichwie sie es nicht für gut fanden, Gott in Erkenntnis zu haben, hat Gott sie dahingegeben in einen verworfenen Sinn, zu tun, was sich nicht geziemt; erfüllt mit aller Ungerechtigkeit, Bosheit, Habsucht, Schlechtigkeit; voll von Neid, Mord, Streit, List, Tücke; Ohrenbläser, Verleumder, Gottverhasste, Gewalttäter, Hochmütige, Prahler, Erfinder böser Dinge, Eltern Ungehorsame, Unverständige, Treulose, ohne natürliche Liebe, Unbarmherzige; die, wiewohl sie Gottes gerechtes Urteil erkennen, dass, die solches tun, des Todes würdig sind, es nicht allein ausüben, sondern auch Wohlgefallen an denen haben, die es tun.’», das bärtige Gesicht, der stechende Blick meines Vaters, die donnernden Worte, so stelle ich mir einen islamistischen Fundamentalisten bei einem Schulungstee für Selbstmordattentäter vor. Ich schäme mich vor meinen Freunden, schäme mich meiner Wurzeln, frage mich, warum die Trauer den liebevollen Vater in einen hasserfüllten Gotteskrieger verwandeln musste. Er ist doch schon genug bestraft.
»Liebe Brüder, liebe Schwestern. Im heutigen Text wird eine der schlimmsten Geißeln der Menschheit angesprochen. Die Homosexualität. Die Bibel nimmt hierzu klar Stellung, weist sie in den Bereich der Abartigkeit, wo sie hin gehört. Viele Homosexuelle behaupten, ihr Verhalten sei natürlich. Schließlich gäbe es auch im Tierreich homosexuelle Tiere. Doch wo ist hier die Logik? Tiere haben keine freien Willen, wohingegen wir uns für oder gegen Gott entscheiden können. Es ist unsere Aufgabe als Christen, diese Menschen von der Gottlosigkeit ihres Tuns zu überzeugen. Nehmt euch dabei nur einzelne Homos, nie Gruppen, vor. Unter Tieren gibt es auch Geschwistermord, Kannibalismus und dergleichen schlimme Verfehlungen. Weil es so was unter Tieren gibt, darf es das auch unter vernunftausgestatteten Menschen geben? Natürlich nicht. Ich fordere euch auf, liebe Brüder, auf Homosexuelle zuzugehen und sie von der Falschheit ihrer Gelüste zu überzeugen. Hallelujah.»
Ich mache mich klein, will nicht hier sein, so sehr geniere ich mich. Kathrin und Andi schauen mit vor Staunen offenen Mündern auf meinen Vater.
»Lasset uns ein Gebet sprechen.» Die Schwarzen erheben sich. Wir folgen.
»Herr, gib meinen Brüdern Kraft, Homosexuelle von der Unrechtmäßigkeit ihres Handelns zu überzeugen, so dass sie wieder wertvolle Mitglieder der christlichen Gemeinschaft werden können.
Herr, gib den Schwestern Kraft, ihre Männer bei den anstehenden Aufgaben zu unterstützen, so dass wir wieder ohne die Abartigkeiten der modernen Welt leben können, bevor du unser Sodom vernichten musst. Amen.»
Alle nicken andächtig. Ich sehe Blitze um das Haupt meines Vaters zucken. Einbildung, ich weiß. Aber der Zorn, der Hass auf die Welt, alles Andersdenkende offenbart sich auch auf energetischer Ebene. Meine Freunde sind verstört. Die Anzüge gratulieren meinem Vater zu der gelungenen Predigt. Die Frauen bleiben abseits, nicken andächtig. Die Szenerie erinnert an Voodoo. Handgefertigte Puppen fehlen, aber in den Köpfen existieren sie. Geister die vernichten im Namen Gottes.
Die Truppe dreht sich zu uns. Kathrin und Andi schauen auf den Boden.
»Liebe Brüder», tönt mein Vater. »Ihr seid Zeuge einer biblischen Begebenheit, die Rückkehr des verlorenen Sohnes, wie sie Lukas schildert. Mein Sohn Horst hatte uns verlassen. Er zog hinaus in die Welt in dem Irrglauben, alles besser als seine Eltern zu wissen. Dies hat mich alten Mann trauern, ja verzweifeln lassen. Ein zweiter Verlust nach unserer geliebten Tochter. Heute ist er zurückgekehrt. Sei mir willkommen, geliebter Sohn.»
Die Bärtigen murmeln Beifall. Vater ist ihr Prophet, der Verkünder des Evangeliums. Er kommt auf mich zu, will mich umarmen. Obwohl es mir widerstrebt, erwidere ich das Zeichen seiner Zuneigung. Die Gemeinde verabschiedet sich. Man will noch zu Hause mit Psalmen den Abend beschließen. Vater geleitet sie zur Tür und gibt Weisheiten mit auf den Weg. Ich hör nur halb zu, fühle mich wie betäubt.
Dann stellt sich Vater meinen Freunden vor.
»Ich bin Hiob, ein gläubiger Knecht Gottes, der oft von Satan geprüft wurde, aber immer noch an die allmächtige Gnade unseres Schöpfers glaubt», lächelt er.
»Andi, ich muss auf Toilette», murmelt mein Buddy. »Kathrin. Ich bin einfach nur mitgekommen, weil mir die Jungs Hannover zeigen wollen», nimmt Kathrin eine Verteidigungshaltung ein. Wirkt eingeschüchtert, ein wenig aggressiv.
»Folgt mir an den Tisch, Mutter hat uns sicherlich ein Mahl im Namen des Herrn zubereitet», sagt Vater. Wir dackeln ihm hinterher wie Lemminge. Im Esszimmer sind Teller und Besteck bereits auf dem wuchtigen Holztisch platziert.
Andi gesellt sich zu uns. Deutlich gefasster. Am Blinken seiner Augen merke ich, dass er sich gedopt hat. Kann ich ihm nicht verdenken.
Mutter tischt Erbsensuppe auf. Lecker. Das Beten hat ihr das Kochen nicht verleidet. Sie schaut die ganze Zeit auf den Boden. Sieht uns nicht an. Derselbe Reflex wie bei uns.
Alle bedanken sich brav. Duftet herrlich.
»Lasset uns beten. O Gott, von dem wir alles haben. Wir preisen dich für deine Gaben. Du speisest uns, weil du uns liebst; o segne auch, was du uns gibst. Danke, dass wir hier beisammen sitzen mit meinem Sohn Horst und seinen Freunden. Gib den Jungen und dem Mädchen Weisheit, in deinem Namen zu handeln und nicht gegen deine Gebote zu verstoßen. Vergib uns unsere Sünde und rette uns vor der ewigen Verdammnis, in die der Satan alle Feinde Gottes zieht.»
Ich verstehe nicht, was er damit sagen will, murmele aber etwas, das wie Amen klingen soll. Andi und Kathrin schweigen. Habe meinen Kumpel selten so ruhig erlebt.
Wir essen zunächst, ohne etwas zu sagen. Unser letztes Treffen liegt Jahre zurück und noch immer herrscht Sprachlosigkeit. Das Geräusch der die Suppe abschöpfenden Löffel wirkt unerträglich laut. Harter Kontrast.
»Was hast du die letzten Jahre getrieben, mein Sohn? Hast du den Worten des Herrn gelauscht, bist in dich gegangen und hast deine Sünden bereut? Unsere letzte Begegnung war nicht vom göttlichen Frieden geprägt», ergreift Vater das Wort.
Alle blicken ihn an, bis auf Mutter. Lass dich nicht provozieren, sonst ist es Essig mit dem Geld, hämmere ich mir gebetsmühlenartig ein.
»Ich habe oft in der Bibel gelesen, habe versucht eure Sicht der Welt zu verstehen. Es ist nicht mein Leben, denke ich. Bitte akzeptiere, dass ich meinen eigenen Weg gehe.» Ich klinge diplomatischer als ein Sozialpädagoge, salbungsvoller als ein Priester. Andi blickt erstaunt zu mir hinüber. Okay, es ist gelogen, dass ich die Bibel studiert habe. Aber vielleicht glaubt Hiob, dass noch eine Chance auf Besserung besteht und zeigt sich spendabel.
»Es gibt keinen anderen Weg», donnert Vater und schlägt mit der Faust auf den Tisch.
»Günther», flüstert Mama.
»Ich heiße Hiob und bin Gottes getreuester Knecht. Was ist dein Weg? Sag es mir?»
Kathrin sagt, dass sie auf Toilette möchte, ihr sei nicht gut.
»Ich bin Schriftsteller, muss Dinge abwägen, beurteilen. Da kann ich nicht eine einzige Sicht der Welt als einzig wahre vertreten. Es ist okay, wenn du an Gott glaubst, was du predigst finde ich bedenklich. Wie ich gelernt habe, liebt Gott alle Menschen, auch die Andersgläubigen. Auch Schwule.»
Vater starrt mich böse an.
»Du wagst es mir in meinem Haus mit solchem liberalen Amtskirchengeschwätz zu kommen? Gott hat den Menschen Gesetze gegeben an die sie sich zu halten haben. Ansonsten wird sein Zorn sie vernichten. Auch dich, denn du hast nichts begriffen.»
So kommen wir nicht weiter. Ich habe allerdings keine Idee, wie wir eine vernünftige Gesprächsebene erreichen wollen.
»Hiob, zeige dich versöhnlich. Immerhin ist dein Sohn zurückgekehrt», erhebt Mutter ihren Kopf. Ihre Augen glitzern feucht.
»Ich erlaube aber einem Weibe nicht, zu lehren, noch über den Mann zu herrschen, sondern still zu sein», donnerte der Alte. »So spricht Gott durch Timotheus. Du versündigst sich gegen deinen Mann und unseren Herren!»
Der Alte ist wirklich krank.
»Ich finde dieses Bibelzeug, was sie absondern, mega uncool», mischt sich plötzlich Andi ein. Das hat noch gefehlt. Ich gestikuliere, dass er den Mund halten soll. Vergebens.
»Was ist mit Toleranz, Freiheit, Gleichheit? Wir hatten so was wie die Aufklärung, Lessing und Konsorten. Ist das spurlos an Ihnen vorübergegangen?»
Kathrin kommt kreidebleich vom Bad zurück.
»Ich fühle mich nicht gut. Können sie mir zeigen, wo ich schlafen darf?», fragte sie meine Mutter. Die steht bereitwillig auf. Froh, dem Streit entfliehen zu können. Ich nehme an sie bekommt das Zimmer, was für meine tote Schwester gedacht war. Ist bestimmt noch immer unverändert. Wir werden in meinem alten Jugendzimmer nächtigen. Sollte der Alte uns nicht vor die Tür setzen.
Dieser ist wütend, dass sich fast die Haare aufstellen. Die rollenden Augen sprechen eine eigene Sprache.
»Es ist das Los des Gläubigen von Heiden angespuckt zu werden», legt er seinen Löffel aus der Hand und zermatscht seine Stoffserviette, als hätte er Pilatus zwischen den Fingern.
»Wir möchten nicht streiten», versuche ich die Wogen zu glätten. »Andi kennt sich wenig mit Gottes Wort aus. Dürfen wir heute Nacht deine Gäste sein?»
Als Andi aus der Haut fahren will, kneife ich ihn ins Bein. Er vermasselt alles.
»Der Herr hat mit Dirnen und Zöllnern gesprochen. Wer bin ich, dass ich meinem missratenen Sohn und seinen teuflischen Freunden eine Unterkunft verweigern würde?»
»Ich danke dir», antworte ich. »Ich habe ein großes Anliegen», lasse ich die Katze aus dem Sack, versuche den richtigen Ton zu treffen.
»Ein Anliegen hat er? Dass ich nicht lache. Lässt sich hier Jahre nicht blicken. Tritt Gottes Wort mit Füßen und wagt es, mir ein Anliegen vorzutragen», höhnt der Alte. Seine Augen funkeln.
»Wie du weißt, bin ich Schriftsteller. Ich schreibe gerade an einem Roman, der ein Bestseller werden wird. Hundertpro. Habe heute einen Vertrag bei einem Verlag unterschrieben. Die bringen übrigens auch viele christliche Bücher raus. Jedenfalls muss ich einige Bücher abkaufen, sozusagen als Unterstützung der guten Sache. Ich benötige viertausend Euro. Würdest du mir helfen?»
Jetzt ist es raus. Habe tausend Euro als Reserve draufgepackt. Vielleicht zieht der Hinweis auf christliche Bücher.
»Es gibt nur ein lesenswertes Buch, Horst. Die Bibel. Das habe ich immer versucht dir einzutrichtern», keift Vater. »Nur die Bibelauslegungen der Brüder zählen. Wenn wir predigen spricht der heilige Geist durch uns. Kein Buch spricht die Wahrheit außer dem ewigen Wort.»
War ein Versuch wert. Andi starrt apathisch in seinen leeren Teller. Mutter kommt zurück.
»Ruth, der Bengel wagt es wirklich Geld von mir zu fordern! Und gleich viertausend Euro», schreit er mit hochrotem Gesicht, als wäre Mutter in einem anderen Raum.
»Ich habe lediglich gebeten, dass…»
»Schweig! », unterbricht mich Hiob. »Ich habe mein Leben lang geackert. Mein Herr Sohn lässt sich zuerst vom Staat die Kunst sponsern. Und jetzt soll ich auch noch mein mit gottgefälliger Arbeit erworbenes Vermögen an diesen Schmarotzer verschleudern.»
»Du gibst ihm, was er braucht», sagt meine Mutter. »Der verlorene Sohn wurde auch vom Vater bewirtet. Er hat nie etwas von dir verlangt. Unterstütz ihn, wenn es sein Traum ist.»
»Das Weib hat zu schweigen», wütet Hiob und stößt seinen Teller so heftig zurück, dass Erbsensuppe die Decke verschmiert. Dann springt er auf und verlässt das Zimmer. Die Tür schmeißt er krachend zu.
»Mensch, ist dein alter Herr krass», erwacht Andi aus seiner Lethargie. »Mein Vater hat unsere Mutter nach Strich und Faden betrogen. Aber so einen Scheiß hat er nicht verbreitet.»
»Dir steht kein Urteil zu», weist ihn Mama zurecht. »Hiob wurde oft im Leben geprüft. Das hat ihn verbittert. Bitte fahrt morgen. Ich werde noch mal mit ihm sprechen. Vielleicht kann ich ihn doch bewegen, dass er dir etwas gibt.»
»Wir wollten morgen sowieso weiter», murmele ich. Die miese Stimmung nimmt mich doch mehr mit, als ich gedacht hätte. Vater wird mir keinen Cent geben, wie es aussieht.
Missmutig gehen wir ein mein Jugendzimmer. Die Cure- und Joy-Divison-Poster hängen nicht mehr an der Wand. Stattdessen Holzkreuze, was sonst. Neben meinem Jugendbett hat Mutter eine Matratze für Andi gelegt.
»Schlaft gut. Vielleicht kommt irgendwann die Zeit, dass du und Vater wieder eine Sprache sprecht. Ich wünsche es mir. »
In ihren Augen stehen Tränen. Als ich sie in den Arm nehmen will, dreht sie sich aber weg und läuft davon.
»Und nun? », fragt Andi. »Kohle gibt es bestimmt nicht.» Er holt ein Döschen aus der Tasche und schmeißt eine Pille ein.
»Ist nicht zum Aushalten bei deinen Eltern, sorry. Aber so beschissen wie hier habe ich mich schon lange nicht gefühlt.»
»Leicht ist es nicht mit meinen Alten, aber es sind meine Eltern. Auch wenn es schwer zu verstehen ist, fühle ich noch einen Bindung zu den Spinnern.»
Ich öffne das Fenster und zünde eine Zigarette an. Andi ebenso. Ist egal, ob der Alte was merkt. Schlechter als bisher kann es mit meinem Vater nicht laufen.
»Weißt du», überlege ich laut. »jeder sucht einen Halt im Leben. Die meisten machen eine Ausbildung oder studieren, heiraten und kaufen ein Haus. Macht für sie Sinn. Für uns gibt die Kunst dem Leben Richtung. Na, und für Vater seine frommen Sprüche. Ist bei ihm etwas extremer als bei uns, aber im Prinzip ist es das Gleiche. Trotzdem denke ich manchmal, dass er ein Riesenarschloch ist.»
Andi hat keine Lust meinen philosophischen Betrachtungen zu folgen.
»Voll daneben, der Typ, aber morgen geht’s weiter. Bin gespannt, wie meine Exponate in Wesel ankommen. Soll eine kulturinteressierte Stadt sein. Meinst du, Kathrin steht auf mich?»
»Kann schon sein», sage ich. »Ist aber etwas jung, oder?»
»Liebe kennt kein Alter. Sind doch nur schlappe zehn Jahre. Das mache ich durch Erfahrung wett. Wenn sie morgen meine Skulpturen sieht, hält sie mich für den größten Künstler Mitteleuropas.»
Andi schmeißt die Kippe aus dem Fenster und holt sein Koksdöschen aus der Tasche.
»Brauch etwas Entspannung für den Abend. War ein hektischer Tag. Möchtest du auch?»
Ich würde gerne, aber das religiöse Schwert, das unsichtbar über diesem Haus schwebt, hemmt mich.
»Ein anderes Mal», winke ich ab. Er streut zwei Lines auf die Fensterbank und saugt sie ein. Seine Augen leuchten. Ist doch alles halb so wild.
Es klopft an der Tür. Kathrin huscht ins Zimmer und setzt sich auf Andis Matratze. Sie trägt ein Silbermond-Shirt und knappe Shorts. Sexy Beine.
»Ich hoffe, dein Vater hat nichts gemerkt», stöhnt sie. »Der schmeißt uns raus, wenn er spitzkriegt, dass ich mich rüber geschlichen habe. Aber ich habe mich total allein gefühlt. Mann, ich hatte noch nie so beschissene Vibrations wie hier. Und ich bin schon nachts alleine durch Mümmelmannsberg gelaufen und stand mit der Antifa der NPD gegenüber.
Wir schauen fragend.
»Mümmelmann?»
»Hamburger Problemstadtteil. Aber bei Leuten, die andere ausrauben, verstehe ich wenigstens die Motivation. Dein Vater ist einfach nur abgespaced. Sorry, aber lasst uns hier so schnell wie möglich weg.»
»Morgen fahren wir erst nach Wesel. Ich stelle da aus, dann geht es nach Hannover», beruhigt sie Andi. »Ich hoffe nur, dass der Herrgott einen kleinen Obulus für Hottes Buch locker macht. Bezweifele ich aber.»
Andi geht es wieder gut. Der Koks hat alle schlechten Stimmungen aus den Gehirnwindungen gefetzt.
»Ja», stimme ich ihm zu. »Ein totaler Schlag ins Wasser. Da muss ich mir etwas anderes einfallen lassen.»
Andi legt seinen Arm um Kathrin. Scheint ihr zu gefallen. Seine linke Hand betastet ihre nackten Oberschenkel. Leise stöhnt sie.
»Darf ich bei dir schlafen? », fragt sie Andi. »Alleine in meinem Zimmer fühle ich mich, als ob die ganzen Kreuze mich erschlagen würden. Ich habe früher den Kindergottesdienst besucht, aber dieses Haus ist mir unheimlich.»
»Sicher, Baby. Onkel Andi wiegt dich in den Schlaf und beschützt dich», tönt der Frauenversteher.
»Ich lösche jetzt das Licht. Es wäre gut, wenn du morgen in dein eigenes Bett wanderst, bevor meine Eltern aufstehen. Ansonsten sinkt die minimale Chance, dass mein Vater Asche rüberschiebt.»
Doch die beiden hören nicht, sind unter der Decke verschwunden, kichern. Frustriert betätige ich den Lichtschalter. Ich konzentriere mich wie ein Zen-Mönch auf meinen Atem und blende die Beischlafgeräusche meiner Zimmernachbarn aus. Irgendwann schlafe ich ein.

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