Sonntag, September 19, 2010

Bestseller Kapitel 11: Kollegen vögeln gratis



Am Morgen erwache ich, weil Antje mich küsst. Eine schöne Art, den Tag zu begrüßen.
»Na, hast du gut geschlafen?», grinst Antje. Ich sitze immer noch in den schwarzen Shorts und schwarzen T-Shirt vor dem Rechner. Das Bier ist mir aus der Hand gefallen und hat sich über meine Klamotten ergossen. Lecker rieche ich.
»Ich habe in der Nacht meinen Roman fertig gestellt», strahle ich. »Leider hast du schon geschlafen. Hätte gerne mit dir gefeiert.»
Antje reibt sich die Hände und strahlt. »Fantastisch, ich freu mich so. Gigagigageil. Ich bin echt froh. Und, wie gut ist er geworden?»
Sie streichelt meine Brust. Tut wirklich gut. Ein wenig zerschlagen fühle ich mich doch.
»Ein Meisterwerk, denke ich. Habe es gestern noch mal überflogen. Zum Ende hin reißt Fred Sauger die Coca-Cola-Fahne vom Mond und beherrscht von dort die ganze Welt. Ich werde ihn gleich heute an die Ahmert schicken. Die können ihn dann sofort lektorieren, wenn ich die dreitausend Taler überwiesen habe.»
»Und was willst du da unternehmen? Rufst Du Beas Freund an?»
»Ja, ich vereinbare so schnell wie möglich einen Termin. Werde dann ein wenig beschäftigt sein, aber Zeit habe ich ja. Meinen Job bin ich schließlich los.»
»Das war keine Glanztat; Horst Stengel», mahnt Antje mit erhobenem Zeigefinger.
»Ich weiß», stöhne ich. »Am liebsten würde ich mich entschuldigen, aber ich habe keine Lust, dem Professor noch mal unter die Augen zu treten oder mit ihm zu telefonieren. Erstens muss ich den Vorschuss zurückzahlen, zweitens hält der mich jetzt für den letzten Idioten.»
»Für noch weniger, glaub mir», grinst Antje. »Schwamm drüber. Jetzt schau in die Zukunft. Bereite dich mental auf das Gespräch mit dem Produzenten vor. Sieh dich als erfolgreichen Autor, der sofort engagiert wird. Ich muss los, die Uni ruft. »
»Bleibst du nicht zum Frühstück?», frage ich enttäuscht.
Antje küsst mich. »Habe gleich Material –und Sinneserfahrung, super Seminar. Das will ich nicht verpassen. Wir schwelgen bei exotischem Essen, orientalischen Gerüchen, abenteuerlichen Farben und schillerndem Sex.»
»Sex im Seminar. Da komme ich mit», grinse ich.
»Du Lustmolch. Nee, besser ich komme heute Abend zu und mit dir. Da können wir den Abschluss deines Romans zelebrieren.» Sie küsst mich leidenschaftlich, dass ich alles um mich vergesse. Gefühlte Sekunden löst sie sich von mir.
»Viel Glück, Sweety. Fahr auf die Überholspur» Ihr Wunsch ist mir Befehl, denke ich voller Optimismus.

Ich blicke ihr vom Fenster aus nach, wie sie die Straße entlang schlendert, wie sexy sich die Backen ihres Hinterns bewegen. Dann brühe ich mir einen Kaffee auf und schicke der Ahmert die Mail mit dem fertigen Roman. Postwendend kommt die Antwort.
„Lieber Herr Stengel, ich freue mich, dass Ihr Meisterwerk nun abgeschlossen ist. Gerne gebe ich es ins Lektorat. Die vom Lektor vorgeschlagenen Änderungen besprechen wir dann unverzüglich mit Ihnen. Vorab überweisen Sie aber bitte die ausstehenden dreitausend Euro. Erst nach Eingang auf unserem Konto können wir tätig werden. Herzliche Grüße aus Offenburg auch an Íhren Freund. Ihre Gisela Ahmert.“
Das erscheint mir doch ein wenig geldgierig. Wenn Andi mir ein neues Bild zeigt, frage ich ihn auch nicht sofort nach den dreißig Euro, die er mir noch schuldet. Nur mal hypothetisch gesprochen. In der Regel schulde ich ihm Geld. Sie wird ihren Zaster kriegen.
Das Telefon klingelt.
»Hallo Herr Stengel, Siebke von der Arbeitsagentur. Wie geht es Ihnen?»
Ach je, hat der Professor ihn bereits angerufen?
»Was ist denn gestern in Sie gefahren? Professor Chong war ganz außer sich.»
»War nicht gut drauf. Der Job ist nichts für mich. Bin eher der Typ für geschliffene Worte als für akkurate Zahlen. Haben Sie keine Arbeit im sprachlichen Metier für mich?»
Siebke wird ärgerlich. »So geht das nicht, Herr Stengel. Ich unterstütze Sie, wo ich kann. Aber Sie müssen sich auch helfen lassen. Die Arbeit bei Pekingtech war eine große Chance für Sie. Ich kenne Herrn Chong seit Jahren als sehr zuverlässigen Arbeitgeber. Alle Arbeitssuchende, die ich zum Professor geschickt habe, sind hochzufrieden. Und mit Ihrer Qualifikation kann ich Sie primär nur in kaufmännische Jobs vermitteln. Zeitungen melden sich in der Regel nicht beim Arbeitsamt, wenn sie Leute suchen. Ich fürchte, das Arbeitslosengeld wird Ihnen gesperrt.»
Das hat gerade noch gefehlt. Er wirkt sauer.
»Ich hatte wirklich vor, diese Stelle anzunehmen. Aber meine Ausbildung liegt Jahre zurück. Ich habe beim Probearbeiten die Konten verwechselt und wusste nicht, was ich tun sollte. Damit ist Herrn Chong auch nicht gedient. Wenn Sie etwas Leichteres für mich hätten, sagen wir im Einkauf. Dafür reichen meine kaufmännischen Kenntnisse.»
Siebke stöhnt. Nach langer Pause sagt er »Sie machen es mir nicht leicht. Na gut, das kann ich noch mal drehen. Aber beim nächsten Job müssen Sie bei der Stange bleiben. Ansonsten kann ich Sie nicht mehr decken.»
Er ist wirkliche eine große Seele.
»Danke, Herr Siebke. Das vergesse ich Ihnen nicht. Im Übrigen kommt bald mein erster Roman raus. Ich werde ihn meiner Freundin und Ihnen widmen, weil Sie beide mich immer unterstützt haben.»
»Das freut mich», lockert sich die Laune des Arbeitsamtmitarbeiters. »Super, Herr Stengel. Vielleicht kommen Sie ja doch im literarischen Gebiet unter. Ich habe es leider nicht geschafft. Aber ich war auch nicht wirklich gut. Heute sehe ich das ein wenig differenzierter als in meiner wilden Zeit. Na schön, wenn ich etwas habe, melde ich mich sofort.»
»Nochmals vielen Dank. Bis bald.»
Das konnte ich noch gerade hinbiegen. Bei einem anderen Arbeitsvermittler hätte ich vollkommen in der Luft gehangen. Na, ich will jetzt diesen Pierre anrufen. Ich schlürfe den Kaffee aus, zünde mir eine Zigarette an. Dann bin ich gewappnet.

»Pierre Lüscherhof Media», meldet sich ein sanfter Bariton.
»Hallo, hier ist Horst Stengel. Ich bin ein Bekannter von Bea. Sie hat mir erzählt, du brauchst einen Drehbuchautor.»
Die Stimme am anderen Ende lacht.
»Ah, mein Vorgänger. Ja, das ist richtig. Und zwar händeringend. Wir sind eine junge Firma, wollen richtig durchstarten, aber es fehlt an guten Konzepten. Wie wäre es, wenn du einfach vorbeikommst und wir quatschen ein wenig.»
Da hört sich richtig gut an.
»Ich habe Zeit.»
»Gut, wir sitzen im Alten Flughafen in Vahrenheide. Sagen wir, in einer Stunde?»
Gebongt.
Ich ziehe eine orangefarbenes Hemd und eine Militaryhose an. Passt optisch nicht optimal zueinander, aber im Spiegel sehe ich wie ein kreativer Schreiber aus. Tiefsinnig und verrückt, frei von dem Zwang des Normalbürgers sich beim Vorstellungsgespräch in Schale zu schmeißen. Ich packe Notizbuch und Füllfederhalter ein und los geht die Fahrt. Bereits ein halbe Stunde später stehe ich vor einem Betonklotz, der frühe eine Lagerhalle gewesen sein mag. Im Eingangsbereich hängt das Bild eines goldenen Buddhas vor rotem Hintergrund. Sieht klasse aus. Sowieso steht an jeder Ecke eine Buddhastatue, was dem ganzen einen Esotouch verleiht. Die Stimmung ist ruhig und freundlich, ganz anders als ich das hektische Filmbusiness erwartet habe.
Eine Sekretärin nimmt mich in Empfang.
»Kann ich etwas für Sie tun? », fragt auch sie freundlich. Nicht aufgesetzt, wie in Klamottenläden oder bei Mac Doof.
»Ich bin Horst Stengel. Herr Lüscherhof erwartet mich.»
»Herr Stengel. Das freut mich, Sie kennen zu lernen», schüttelt sie meine Hand. »Ich bin Simone Mieden, Herrn Lüscherhofs Assistentin. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.»
Das wundert mich.
»Was denn?», frage ich erstaunt. »Wir kennen uns persönlich noch nicht.»
»Frau Gunkel hat oft über Sie gesprochen. Hat ihr schriftstellerisches Talent in den höchsten Tönen gelobt. Ihr neuer Roman soll die Literaturszene revolutionieren. Wir denken, dass Sie der richtige Mann sind, um uns nach vorne zu bringen», schmiert sie mir Honig um den Dreitagebart. Mir gegenüber hat Bea meine schriftstellerischen Ambitionen nie dermaßen gelobt. Vielleicht verklärt da die Erinnerung. Aber es tut gut, in warmen Worten zu baden. Wenn finanziell etwas dabei rumkommen sollte, umso mehr.
Sie führt mich in ein helles Büro an den Wänden Fotos von Parklandschaften, in den Ecken die Buddhas. Pierre gefällt mir. Ist zwar nicht dieselbe Szene, aber scheint ein sympathischer Typ zu sein. Steckt in einem dezent lilafarbenen Anzug. Die Haare stehen modisch gestylt in allen Himmelsrichtungen vom Kopf ab. Soll zufällig aussehen, ist aber kalkuliert arrangiert. Warme blaue Augen, die mich direkt mustern. Stört mich nicht, dass er mich bei Bea ausgestochen hat. Die beiden scheinen zueinander zu passen.
»Hallo, ich bin Pierre», begrüßt er mich. »Schön, dass es so schnell ging.»
»Es würde mich freuen, wenn ich dir helfen kann.»
Wir setzen uns an einen niedrigen Mahagonitisch, Mo bringt mir Kaffee, Pierre Tee.
Er hat ein schwarzes Paper-Blank-Buch mit Jugendstilmotiven vor sich liegen.
»Ich möchte dich heute etwas näher kennen lernen. Dir schildern, was wir brauchen. Dann sehen wir, ob es passt.», erzählt er mit leiser melodischer Stimme.
»Finde ich gut», sage ich und hole mein Notizbuch aus der Tasche.
»Ich wurde in München geboren und bin dort zur Schule gegangen. Nach dem Abitur war ich vier Jahre beim Bund, weil mein Vater meinte, ich müsste mir Stärke antrainieren. Das hat mir allerdings nicht gefallen. Dazu bin ich zu individualistisch. Danach habe ich fünf Jahre BWL studiert, habe mich auch in anderen Disziplinen wie Philosophie und asiatischer Kunstgeschichte umgetan. Anschließend habe ich in Hong-Kong ein zweisemestriges MBA-Studium absolviert. Was sollte ich danach tun? Ich hoffe, ich langweile dich nicht», fragt er. Aber ich weiß, dass ihm eigentlich egal ist, was ich denke. Wirklich starken Persönlichkeit ist es latte, was andere von ihnen denken.
»Nein, erzähl weiter», ermuntere ich ihn.
»Ich bin für ein halbes Jahr in ein japanisches Zen-Kloster gegangen. Ich habe in meiner Jugend oft Jan-Willem van de Wetering gelesen .»
»Wer?»
»War ein niederländischer Krimischriftsteller mit philosophischer Dimension. Der hat nach dem letzten Krieg längere Zeit in Japan verbracht. Das war jedenfalls die härteste Zeit meines Lebens. Strengste Disziplin, vier Uhr in der Nacht aufstehen, um zu meditieren. Tagsüber musste ich putzen, meditieren, kochen, meditieren. Das ewiger Plappermaul im Kopf wurde besänftigt.»
»Und, bist du erleuchtet? », frage ich mit leicht ironischem Unterton.
»Nein, aber plötzlich wusste ich, was ich nach dem Studium machen will. Ich kehrte nach Deutschland zurück und betrieb mit einem Studienfreund mehrere Lokale in Hannover und Braunschweig. Meine Eltern sind wohlhabend, daher war Kapital nie ein Problem. Irgendwann wurde das Gastronomiebusiness langweilig. Ich ließ mich ausbezahlen und behielt nur noch zwei von sechs Lokalen. Von dem Geld gründete ich vor einem Jahr die Lüscherhof Media. Wir haben einige viel versprechende Projekte, aber der große Wurf fehlt. Dafür möchten wir dich gewinnen. Aber zurück zu mir.» Er macht eine Pause und nippt am Tee. Er hört sich gerne reden, ich hoffe, er kommt bald zum Punkt.

»Privat läuft es blendend», strahlt er. Innerlich verdrehe ich die Augen. »Es ist noch nicht so lange her, dass Bea und ich uns kennen gelernt haben. Aber ich bin mir sicher: Sie ist meine absolute Traumfrau. Es ist schön, dass eure Trennung völlig harmonisch und schmerzfrei auf beiden Seiten ablief. »
Bla bla. Hat sie ihm diesen Stuss erzählt?
»Jedenfalls wollen wir heiraten. Ich habe gehört, dass auch du eine neue Partnerin hast. Ihr seid schon jetzt herzlich eingeladen. Das Event wird wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres stattfinden. Christian Wulff und Angela werden wir auch einladen.»
Der kennt ja Gott und die Welt, denke ich neidisch. Obwohl ich weder heiraten noch mich mit unserem Bundespräsidenten um die Häuser ziehen will.
Auch wenn ich Antje wirklich liebe und Bea mittlerweile keine Träne nachweine, fühle ich doch einen Stich in der Brust. Ist zwar Blödsinn, aber ich fühle mich, als hätte er mir Bea geklaut. Ist Quatsch, denke ich. Sollte mich für die beiden freuen.
»Nun, genug von mir. Jetzt würde ich gerne ein wenig von dir erfahren.»
Super, über mich selbst zu erzählen, hasse ich. Erinnert mich an ein Vorstellungsgespräch, was es im Grunde auch ist.
»Was möchtest du wissen?», frage ich ein wenig hilflos.
»An welchen Projekten du arbeitest, deine Visionen für die Zukunft, beruflich und privat.»
Er schaut mich neugierig an. Die anfängliche Sympathie verfliegt. Ein Karriereheini, der die üblichen Klischeefragen stellt, mit deren Antworten der Spießer andere Menschen in eine Kiste packen kann.
»Darüber hast du dir doch Gedanken gemacht? Ich gehe davon zumindest aus, dass sich jeder erwachsene Mensch über seine Ziele und Träume im Klaren ist», bohrt Pierre nach. Er holt ein silbernes Zigarettenetui aus der Tasche und steckt sich eine Zigarette. Mir bietet er keine an. Auf einen Knopfdruck fährt ein Aschenbecher aus der Tischplatte.
»Technisches Spielzeug liebe ich», erklärt Pierre. »Nun?»
»Ich habe gerade meinen ersten Roman fertig gestellt. Memoiren eines Egels. Er wird im Laufe des Jahres im Ahmert-Verlag erscheinen. Der verschafft mir den Durchbruch in der Subliteratur Szene. Ich werde von vielen Veranstaltern angefragt und bin nicht mehr auf Lohnjobs angewiesen.»
Pierre nickt zufrieden und notiert etwas in seinem Buch. Er blickt mich fragend an. Noch mehr?
»Und ich performe bei Poetry-Slams. Das sind Dichter-Wettstreite. Das Publikum entscheidet, welcher Vortrag der Beste war. Ich lese Kurzgeschichten und manchmal Gedichte mit politischer Botschaft. Mein Traum ist es, Drehbücher für Kinofilme zu schreiben.»
Man sollte in einem Vorstellungsgespräch darauf hinweisen, dass man den Job unbedingt haben will, habe ich gelesen. Pierre nickt wieder. Scheint angetan zu sein.
»Super, ich denke, dass passt gut. Weiß du, wir haben bereits zehn Filme produziert. Die Drehbücher haben die Regisseure zusammengeschustert. Haben sich nicht schlecht verkauft. Aber auf Dauer halte ich dieses Konzept für wenig Erfolg versprechend. Ich möchte weg vom DVD-Markt und rein ins digitale Fernsehen. Da liegt das Geld auf der Straße. Aber dafür müssen wir unsere Strukturen professionalisieren. Ein guter Autor, später ein gutes Autorenteam ist ein Muss. Ansonsten werden wir in fünf Jahren wieder vom Markt verschwunden sein. Du musst Ideen haben, die deine Filme unverwechselbar machen. Fantasie- und anspruchsvoll, so stelle ich mir das vor. Keine Massenware für den Grabbeltisch. Du sollst uns helfen, eine Unique Selling Proposition zu erarbeiten. Später fährst du mit unseren Regisseuren zu den Drehorten nach Rumänien, Litauen oder wo immer du möchtest, um die Produktion künstlerisch zu überwachen. Wie klingt das für dich?»
Ich kann es nicht glauben. Das ist das große Los. Freie Hand bei künstlerischer Gestaltung bei Filmproduktionen. Ein Traum wird wahr.
»Klingt super», bricht es aus mir heraus. »Ich habe da schon einige Ideen, die ich nur etwas ausarbeiten muss.»
»Das freut mich», lächelt Pierre und drückt seine Zigarette sorgfältig aus.
»Jetzt müssen wir nur noch das Finanzielle klären. Ich könnte mir ein Modell als freier Mitarbeiter vorstellen. Du erhältst fünfzehntausend für ein produziertes Drehbuch. Für einen Tag am Set bekommst du vierhundert zuzüglich Spesen. Unser Ziel ist es, vier qualitativ hochwertige Filme pro Jahr herauszubringen. Ich weiß, dass das kein Spitzensalair ist, aber das Unternehmen steckt noch in den Kinderschuhen. Wenn sich unsere Ziele mit dir verwirklichen, wird das Gehalt natürlich entsprechend aufgestockt. Möchtest du trotzdem für uns arbeiten?»
Das sind fantastische Summen. Wenn das kein „Spitzensalair“ ist.
»Super, wir sind im Geschäft.
Pierre gibt mir feierlich die Hand.
»Freut mich ungemein. Bea erzählte, über wie viel ungenutztes Potential du verfügst. Sie hat die Wahrheit gesagt. Das wird sich bei uns entfalten», klopft er mir auf die Schulter.
Er hebt ein Telefon ab.
»Mo, bringst du den Vertrag, den wir vorbereitet haben? Horst steigt bei uns ein.»
Wenig später schwebt die Assistentin mit einem Haufen Papier auf einem Silbertablett ein. Pierre scheint einen etwas pompösen Stil zu lieben.
»Freut mich, dass du uns verstärkst», sagt Simone. »Wenn du bei irgendwas Hilfe brauchen solltest, sprich mich an. Wir wollen, dass sich alle Mitarbeiter pudelwohl fühlen.»
»Ja», bestätigt Pierre. »Zufriedene Mitarbeiter sind der Garant für den Erfolg. Das ist unsere Philosophie, mit der ich immer gut gefahren bin. Ist vielleicht der Frieden des Zen-Buddhismus, der mich von meinen Kollegen unterscheidet.»
Ich studiere den Vertrag. Dort ist alles so festgehalten, wie wir besprochen haben. Fallen oder Kleingedrucktes kann ich nicht erkennen. Euphorisch unterschreibe ich. Dann Pierre.
»Nur noch eines», sagt er. »Die Filmbranche ist ein sensibles Geschäft. Die Verschwiegenheitsklausel im Vertrag ist sehr wichtig. Das schließt deine Freunde und Bekannte ein. Bitte kein Wort zu Bea über unsere Projekte. Was erzählenswert ist, wird sie von mir erfahren.»
Versteh ich nicht ganz. Warum soll ich Bea nichts über die Drehbücher erzählen. Kann mir nicht vorstellen, dass sie mit den Infos gleich zur Konkurrenz rennt. Aber ich muss nicht alles verstehen. Hauptsache ich kann mich gegen gute Bezahlung kreativ austoben. Daher sage ich »Klar, kein Problem. Mein Schweigen gehört dir.»
Darauf gibt mit Pierre noch mal die Hand.
»Ich freue mich, dass du loyal bist. Das habe ich auch nicht anders erwartet.»
Jetzt ist es an der Zeit mit meiner Bitte herauszurücken.
»Pierre, ich habe da momentan einen kleinen Engpass. Die Herausgabe meines Romans ist noch nicht hundertprozentig finanziert. Könnte ich einen kleinen Vorschuss bekommen?»
Pierre lacht melodisch. »Sicher, so knapp bin ich nicht bei Kasse.»
Er holt aus seiner Tasche einen Briefumschlag und zählt sechs Scheine ab. Dreitausend Euro. Ich komme mir noch immer wie in einem Traum vor. Soviel Geld habe ich noch nie in der Hand gehalten. Damit ist die Finanzierung meines Buches gesichert. Zudem kann ich wie Graf Koks auf die Pauke hauen.
»Reicht das? », fragt er beiläufig, als wären es Fünfer.
»Klar», versuche ich cool zu bleiben.
»Weißt du was, lass uns heute Abend, unsere Zusammenarbeit begießen. Eines meiner Lokale, das Spezial liegt in der Scholvinstraße. Schau doch einfach vorbei. Ich bin da ab einundzwanzig Uhr.»
»Gerne», freue ich mich.
»So, jetzt zeige ich dir die Produktionsräume und einige deiner zukünftigen Kollegen», steht Pierre auf.
»Ihr dreht auch hier in Hannover? », frage ich erstaunt.
»Ja. Manche Innendrehs brauchen nicht unbedingt im Ausland oder besonderen Locations abgefilmt werden. Ist eine Frage der Kosten. Und bisher produzieren wir ja nichts Außergewöhnliches. Wie gesagt, wir setzen da auf deine Fantasie. Die Sets sind groß genug, dass vier Filme gleichzeitig abgedreht werden können.»
Ich bin beeindruckt. Und die setzen auf mich. Na gut, ich habe die Storylines einiger Roadmovies im Kopf. Liebe und Abenteuer. Das dürfte ziehen. Wir laufen durch einige Gänge und Pierre öffnet eine weiße Tür. „Bitte Ruhe, hier wird gedreht!», steht auf einer weiß lackierten Metalltafel.
Als wir durch die Tür spazieren, erwartet mich eine Überraschung.
»Was ist das?», verliere ich ein wenig die Fassung.
Doch Pierre hört mich nicht. Zwischen zwei Stellwänden mit schrillen 70er-Jahre Tapeten penetriert ein stämmiger Mann eine Blondine mit gigantischem Busen. Made in Silikon-Valley.
Das ganze wird von einem Typen mit Handkamera und einer Standkamera abgefilmt. Ein etwa sechzigjährer Mann im Trenchcoat und ein bulliger Typ in Uniform beobachten das Ganze.
»Harry», ruft Pierre.
»Stopp, macht mal fünf Minuten Pause. Und Igor, wechselt bitte die Position. Da muss mehr Bewegung rein.»
»Okay», sagt Igor mit unverkennbar russischem Akzent und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Der Alte schiebt sich die Sonnebrille auf die Stirn, mustert mich kritisch.
»Bringst du Frischfleisch, Pierre? Heute caste ich nicht. Wir produzieren gerade Supermöpse 4», wirkt Harry ärgerlich über die Unterbrechung.
»Siehst du? », fragt mich Pierre. »Supermöpse. Das ist schon tausend Mal da gewesen. Völlig ausgelutscht. Wir brauchen innovative Stoffe. Horst ist unser neuer Autor. Er soll mit euch Regisseuren die künstlerische Leitung übernehmen.»
Der Geruch nach Schweiß und Sperma raubt mir die Luft. Eine ältere Brünette saugt an Igors bestem Stück.
»Ihr dreht Pornos?», ringe ich um Fassung.
Pierre blickt mich erstaunt an.

»Ist doch kein Problem für dich? Weißt du, wenn wir Dr. Schiwago mit Til Schweiger neu verfilmen wollten, würden die Drehbuchautoren Schlange stehen. Aber Erotik hat noch immer den Geruch des Aussätzigen. Verstehst du? Aber der niedere Wurm hat ein Recht auf Leben wie der stolze Adler.»
Harry grinst.
»Junge, ich dreh seit mehr als zwanzig Jahren Bumsstreifen. Und es hat mir immer gefallen. Ich erinnere mich noch», schwelgt er in nostalgischen Erinnerungen. »Mein erster Streifen als Darsteller war Muschis von der letzten Schulbank. Mitte der Siebziger, da konntest du noch experimentieren. Eine psychedelische Orgie mit Led-Zeppelin-Untermalung. Der Blockbuster ist nur in exklusiven Kinos gelaufen, das war ein Gassenhauer.»
»Nein», sage ich zögernd. »Ist kein Problem. Kommt nur etwas überraschend.»
Über die Verschwiegenheitsklausel kann ich nur lachen. Als ob ich meinen Freunden freiwillig erzähle, dass ich Pornos texte. Später kann ich meinen Enkeln beim Lagerfeuer berichten, ich sei jung gewesen und hätte das Geld gebraucht, was sogar stimmt.
»Du hast Recht, Pierre. Wir brauchen neue Ideen. Aber ich weiß nicht, ob der Junge das schafft. Der hat doch keinen blassen Schimmer von unserer Branche.»
Pierre erregt sich.
»Genau das ist es, Harry. Er hat keine Erfahrungen im Metier. Ist frei und unverbildet. Da kommen die besten Ideen. Er bespricht seine Szenarien mit dir, und du sorgst dich um die Umsetzung. So stell ich mir das vor.»
Harry überlegt.
»Vielleicht eine gut Idee. Schließlich bin ich immer offen für Neues. Willst du dich mit Titty vergnügen? Sozusagen als Einführung», lacht Harry scheppernd, Pierre kichert in sich hinein.
Der Silikonbusen fährt sich verführerisch mit der Zunge über die Lippen und winkt.
»Nein», wehre ich ab. »Bin in festen Händen.»
»Ja und? », fragt Pierre. »Wenn sich die Gelegenheit bietet, mit einer Profiactrice zu kopulieren? Würde dir sozusagen einen Insidereinblick in unseren Job geben.»
Da hat sich Bea einen tollen Typen geangelt. Der findet es okay, wenn Mann nebenbei mit Pornohäschen poppt. Ich komme mir einerseits spießig vor, andererseits fände ich es auch nicht prall, wenn Antje aus beruflichen Gründen mit ihrem Kunstprofessor pennen würde.
»Heute nicht. Bin nicht in Stimmung», versuche ich mich herauszureden.
»Was? Wenn du mehr auf Männer stehst. Victor ist bi.»
Der Russe zieht mich mit den Augen aus. Ich fühle mich unbehaglich.
»Wie sollen wir weiter verfahren, Pierre? Ich denke, dass ich erst mal Ideen für Plots sammele und sie dann mit dir und Harry durchspreche. Was meinst du?»
Pierre überlegt. Aber nur kurz.
»Super, Horst. Wir können uns nächste Woche zusammensetzen, wenn du magst. Oder noch früher. Du meldest dich einfach.»
Das findet Harry auch gut.
»Unsere Verabredung für heute Abend steht?»
Ich habe keine Lust mehr, sage aber zu. Zum Abschied umarmen mich die beiden, freuen sich über unsere Zusammenarbeit. Harry wiederholt sein Angebot: Kollegen dürfen gratis vögeln. Warum muss ich immer ins Klo greifen.

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