Montag, September 13, 2010

Bestseller Kapitel 10: Kaffee, Karaoke & Kündigung



Wir fahren zu meiner Wohnung. Ich schmeiße eine Runde Herrenhäuser, langsam kommen wir runter vom misslungenen Deister-Trip.
»Ohne Spesen nichts gewesen», seufzt Andi, während ich die Hellacopters in den CD-Schacht schmeiße. Mucke, um die Laune wieder in höhere Gefilde zu tunen.
»Es ist unglaublich, dass solche Verbrecher wie Klobusch frei durch die Landschaft laufen dürfen. Die gehören doch in den Knast», ereifert sich Kathrin. »Wenn ich in ein paar Jahren Kids unterrichte, habe ich ein schlechtes Gefühl, die später auf die Gesellschaft loszulassen.»
»Übertreib mal nicht», beruhigt Andi. »Die kommen schon klar. Wenn die Stöpsel groß sind, wird es auch keine Kaffeefahrten mehr geben. Oder fällt da irgendjemand unter fünfzig drauf rein.»
Wir schauen uns an und prusten los.
»Ich doch nicht», sage ich. »Es war doch von vornherein klar, dass wir nur gelinkt werden sollten. Wir sind nur mitgefahren, um soziologische Studien zu treiben.»
»So ist unsere Generation, allem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Auch wenn es der letzte Dreck ist.»
»Welche Generation sind wir eigentlich?», fragt Kathrin. »Ich fühle mich weder als Angehörige der Golf- noch der Praktikumsära.»
Wir überlegen.
»Du fällst sowieso aus dem Raster. Schließlich bist du fünfzehn Jahre jünger als wir. Für dich muss noch ein Name kreiert werden», sagt Andi. »Hotte und ich jedenfalls gehören zur Generation Straßenbahn.»
Alle starren ihn an.
»Was soll das heißen?», fragt Antje. »Das habe ich noch nie gehört. Ist das ein neuer Schmöker, der dir erklärt, was du bist?»
»Nee», winkt Andi lässig ab. »Das ist meine Philosophie. Wir sind jünger als die Golfer. Die sind zudem ziemlich gesettlet. Sind mit dem goldenen Löffel in der Kauleiste aufgewachsen. Wir sind komplett anders. Wir hängen unsere Nase nach keiner Ideologie, versuchen selbst was auf die Beine zu stellen. Abseits vom Mainstream. Ich bin Künstler, Hotte Autor, das sagt doch alles.»
»Darling, das ist aber kaum repräsentativ für eure Zeitgenossen», grinst Antje. »Die meisten sind unpolitisch und am Weltgeschehen desinteressiert. Gehört ihr nicht zu der Fraktion, die man als Generation Doof bezeichnet? Und wieso Straßenbahn?»
Andi lacht und leert den Herrenhäuser Göttertrunk.
»Da verwechselst du was. Die Doof-Fraktion ist doch nur ein Marketing-Trick. Die hat es noch nicht mal in die Wikipedia geschafft. Vielleicht aus Blödheit. Aber ich werde mir auf Generation Straßenbahn ein Trademark anmelden lassen. Wir verzichten bewusst auf materielle Gegenstände wie den fetten Schlitten vor der Palasttür und legen unsere Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Das ist unsere politische Aussage.»
»Interessant», meine ich und zünde mir eine Camel an. »Und was besagt die konkret?»
»Mensch, Hotte. Bist doch sonst nicht auf den Schädel gefallen. Das heißt, dass wir uns nicht von materiellen Vorgaben der Gesellschaft versklaven lassen. Außerdem erlebst du mehr in den Öffis. Denk an unseren Offenburg-Trip. Wir sind kommunikativ und weltoffen.»
Da hat er Recht. Im Auto hätten wir nur halb so viel Spaß gehabt. Und Kathrin hätte er auch nicht kennengelernt.
»Ich fühle mich wohl als Mitglied der Generation Straßenbahn», erkläre ich daher.
»Das müsste aber noch cooler klingen», sagt Antje. »Wie wäre es mit subway generation. Oder Underground Generation. Ein englischer Begriff wirkt überzeugender.»
Andi reckt scheinbar verzweifelt die Arme zur Decke.
»Baby, du verstehst uns nicht. Gerade der Blick nach Amerika, nach glitzernden Namen, neuen Moden und gesteigerten Rekorden widerspricht dem Gedanken der Generation Straßenbahn. Wir sind Individualisten. Anerkennung in einem oberbayrischen Kuhdorf zählt mehr als der Oscar in Glamourwood.»
»Sorry», grinst Antje. »Da ich zehn Jahre jünger bin, verzichte ich auf Fame in Oberammergau und beanspruche Subway Generation für mich. Ihr könnt gerne Straßenbahn verwenden.»
Andi und Kathrin beschließen, bei Andi einen Namen für Kathrins Generation zu finden, während Antje und ich uns mental auf die Feier mit den Chinesen vorbereiten.

Wir machen uns frisch, duschen, doch ein dreckiges Gefühl bleibt. Selbst Antjes samtweiche Haut, ihre zarten Hände und ihr feuchter Mund können mich nicht aufbauen.
»Ist vielleicht der Stress. Die Möglichkeiten, das fehlende Geld zu besorgen, haben sich verringert. Und die Klobusch-Geschichte hat mich etwas runter gezogen», suche ich nach Erklärungen.
Antje streichelt meinen Rücken, führt meine Hände zu ihrer Vagina, die ich liebevoll massiere.
»Das klappt schon», weiß sie und stöhnt lustvoll auf. »Wenn du auf dem richtigen Weg bist, unterstützt dich das Universum. Wirst schon sehen. Ich glaube fest daran, dass du dein Buch veröffentlichst, und dass ich in New York studieren werde. Ich sehe das jeden Abend wie einen Film vor mir. Sweety, du solltest einfach mehr an dich glauben. Außerdem gehörst du zur Generation Achterbahn, ihr seid doch Macher.»
»Straßenbahn heißen wir», muss ich grinsen. Ein typischer Andischwachsinn.
Vielleicht hat sie Recht. Fällt mir aber noch schwer. Vor allem die Sache mit New York. Fernbeziehung über den großen Teich? Das funktioniert nicht. Oder doch? Der USA-Trip ist eine Riesenchance für meine Liebste. Ich weiß, dass ich mich freuen soll, aber meine Gefühle fahren wirklich Achterbahn.
Sie stöhnt.
»Entspann dich einfach», reibt sie meinen Rücken, kratzt, massiert, streichelt. »Du hast schon mehr geleistet als die meisten Schreiber. Fast jeder hat einen angefangenen Roman in der Schublade und schreibt ihn nicht fertig. Ausreden findet man immer. Du hast immerhin einen Vertrag, jemand glaubt an dich. Ich allemal.»
»Mein Roman ist noch nicht fertig», werfe ich ein und winde mich lustvoll, genieße die Berührungen.
»Aber so gut wie. Und du kämpfst für das, was dir wichtig ist. Wie viele Leute tun das schon. Und das Geld bekommen wir zusammen.»
Ich fühle mich jetzt doch erregt, nehme sie und dränge sie gegen die Duschwand. Kraftvoll, fast brutal dringe ich in sie ein. Ihre Augen weiten sich. Unter meinen Stößen kommt sie mit mir zusammen. Ich fühle mich eins mit ihr.
»Geh nicht in die Staaten», bitte ich, als wir uns erschöpft abtrocknen.
Sie streichelt mich.
»Sweety, jeder muss den ihm vorbestimmten Weg gehen. Meiner führt nach Amerika. Seitdem ich ein kleines Mädchen war, habe ich davon geträumt. Es wäre ein Fehler, seine Wünsche aufzugeben. Man kann in einer Beziehung niemanden besitzen. Wir verbringen nur einen Teil des Weges miteinander. Wenn die Beziehung Substanz hat, vielleicht das ganze Leben. Ich bin mir sicher, dass unsere Liebe auch über Distanz halten wird.»
»Ich will dich nicht besitzen», werfe ich rasch ein. »Aber New York ist eine größere Entfernung als Laatzen oder Bremen. Selbst Berlin oder München sind näher. Und Fernbeziehungen scheitern oft.»
Ich will nicht wie ein Jammerlappen klingen, aber etwas Weises oder Literarisches fällt mir zu diesem Thema nicht ein.
Antje küsst mich. »Noch ist doch gar nichts entschieden, Süßer. Was sollen wir uns über ungelegte Eier den Kopf zerbrechen. Momentan ist dein Buch wichtig. Tausend Euro, da müssen wir klotzen.»
»Aber im Augenblick genießen deine Eier meine ungeteilte Aufmerksamkeit», streichelt sie meine Kronjuwelen, was Horst jun. erregt.
»Wir müssen gleich los», wehre ich weitere sportliche Betätigungen ab.
Wir schmeißen uns in Schale. Das heißt, wir ziehen die alten Klamotten wieder an. Antje hat nichts zum Wechseln mit, und ich finde nicht viel Besseres im Kleiderschrank. Ist aber auch ein Sommerfest, da ist legere Kleidung gefragt.

Habe ich geglaubt. Als wir an der AWD-Hall ankommen, spazieren nur Typen im eleganten Dreireiher und Frauen in festlichen Kleidern durch die Pforte. Alles Chinesen.
»Meinst du auch, dass wir vielleicht ein wenig underdressed rumlaufen?», fragt Antje.
»Sieht so aus. Aber ich fahr jetzt nicht mehr zurück, um mich in andere Klamotten zu stürzen. Außerdem: Anzug und Krawatte fehlen in meinem Kleiderschrank. Bin mehr der lässige Typ.»
»Ich eigentlich auch. Aber für solche Anlässe bin ich auch gerüstet. Ist schließlich die Feier von deinem Chef. Keine Ahnung, wie die Chinesen drauf sind. Aber wir könnten ihn blamieren.»
Ich winke ab. »Der sieht das total locker. Ist ein chilliger Typ, lässt überhaupt nicht den Chef raushängen.» Kann ich zwar bisher noch nicht beurteilen, hoffe ich aber.
»Wenn du meinst», rollt Antje zweifelnd die Augen.
Die Türsteher, eine Bulle, dessen Hemd zu platzen droht, mustert uns abschätzig.
»Heute geschlossene Gesellschaft. Geht ins Faust oder Glocksee.»
Ich werde wütend. »Ich stehe auf der Gästeliste von Professor Chong. Horst Stengel, ich bin sein persönlicher Assistent», sage ich kalt.
»Moment», entgegnet er noch kühler. »Ich vergewissere mich. Freddy, übernimm mal.»
Ein ebenso zart gewachsener Kollege hütet jetzt den Einlass.
»Persönlicher Assistent, soso», grinst Antje. »Hast mir gar nichts von deiner Beförderung erzählt, Sweety.»
»Du musst nur dran glauben, dann passiert es. Erzählst du mir doch immer.»
»Oh, jemand hört mir zu», verbeugt sich Antje geschmeichelt. »Na, vielleicht nicht alles. Deine Karriere im Computerbusiness steht ja erst am Anfang. Aber wer weiß es schon.»
Der Stämmige kommt zurück.
»Wenn ich bitten darf», winkt er uns durch die Tür. In seinem Gesicht steht purer Unglaube, dass wir hier richtig sind.
Als wir ins Innere spazieren, merken wir auch warum. Hier sind alle Chinesen Niedersachsens versammelt. Sie sitzen an langen Tischen in ihren schicken Anzügen und trinken Sekt oder andere leichtfüßige Getränke. Ja, und dann gibt es uns. Schäbig gekleidete Deutsche. Ist wie aus einem Bewerbungstest für Doofe. Wer passt nicht in dieses Bild?
Antje flüstert »Jetzt heißt es Stärke zeigen. Ist doch alles ganz normal, oder? Fassen wir es als Ehre auf.»
Wir lassen uns von einer Bedienung an Professor Chongs Tisch führen. Der lauscht der Rede eines Typen auf der Bühne. Natürlich auf Chinesisch. Neben ihm thront Juvenna und nippt von Zeit zu Zeit an einem Getränk, das nach Tomatensaft aussieht.
»Ah, Debi», hat sie mich wieder erkannt. Schwaches Lächeln. Daneben sitzt ein chinesischer Kollege, den ich flüchtig beim Vorstellungsgespräch gesehen habe. Er stellt sich als Trieu vor. Trieu leitet das Lager. Mit dem Unterton des Bedauerns erzählt er, dass kein anderer Kollege kommen wollte. Dabei sei für ihn das Sommerfest der Höhepunkt des Jahres.
Professor Chong strahlt wie Buddha nach der Erleuchtung.
»Horst, Sie sind wenig unpassend gekleidet. Das ist der Botschafter von Taiwan»¸zeigt er auf die Bühne. Ich hüstele verlegen.
»Darf ich Ihnen meine Partnerin Antje Weber vorstellen.»
Antje knickst formvollendet, lächelt schelmisch. Sie gefällt meinem Boss, das sehe ich. Ihr Charme gleicht den Kleidungs-Fauxpas aus.
Wir lauschen andächtig der beeindruckenden Rede, die Visionen offenbart, von denen Mao nicht geträumt hätte. Leider verstehen wir kein einziges Wort, keine Silbe. Ein exotischer Akustikschwall, der in den kurzen Sprechpausen von tosendem Beifall unterbrochen wird.
»Es geht um Taiwans Stellung gegen China. Er sagt, dass wir uns der Macht des Bruders nicht unterordnen werden», übersetzt Trieu. »Taiwan gibt Minderheiten viele Freiheiten. Dort sind zum Beispiel Hochzeiten von Homosexuellen erlaubt. Taiwanesen sind politisch viel fortschrittlicher als China.»
Wir nicken beeindruckt. War uns nicht bewusst, dass es einen Unterschied zwischen beiden Kulturen gibt.
Dann gibt es Essen. Super. Wir haben heute bis auf dünnen Kaffee noch nichts zu uns genommen. Ein großes Buffet ist aufgebaut. Viele verschiedene Fleischsorten, etwas Gemüse, diverse Saucen. Wir packen uns die Teller voll, ohne zu wissen, was wir da verspeisen. Schmeckt vorzüglich. Der Professor hat sich nur wenig aufgetan, aber Juvenna hat richtig zugeschlagen. Sie mampft und schmatzt, dass es eine helle Freude ist. Ihren Mann scheint dies aber nicht zu stören.
»Professor Chong, ich habe eine Frage», versuche ich nach Abschluss des Dinners mit Pflaumenwein mein Anliegen vorzutragen. Doch der Chef bittet mich zu schweigen.
»Jetzt singen wir», erklärt er. Singen? Antje und ich schauen uns fragend an. Auf der Bühne wird eine Leinwand enthüllt, und dann geht die Post ab. Chinesen scheinen Karaoke zu lieben. Leider kennen wir kein Lied, da es sich ausschließlich um chinesische Popmusik handelt, die für europäische Ohren gewöhnungsbedürftig klingt. Meistens gefühlvolle Balladen, in denen Mädchen ihren Kerlen nachweinen. Eine Mordsgaudi für die Anwesenden. Trieu wippt mit dem Fuß im Takt.
»Debi, sink a sonk», fordert mich Juvenna auf, die Bühne zu entern. Bei meinen dürftigen Sprachkenntnissen fühle ich mich veralbert. Dankend lehne ich ab. Unsere Tischnachbarn lachen sich kaputt. Trieu springt schließlich auf die Bühne und versucht sich an einer Art Hip-Hop-Stück. Graffitisprayer in Hong-Kong tanzen und malen auf der Leinwand. Er singt furchtbar und bewegt sich hüftsteif. Das tut der Stimmung aber keinen Abbruch, hebt sie sogar. Der Saal feiert ihn.
»Ist wirklich lustig», freut sich Antje. »Danke, Sweety, dass du mich mitgenommen hast. Wenn die Show vorbei ist, dürfte die Laune deines Chefs so gut sein, dass er den weiteren Vorschuss sofort abnickt.»
Ich hoffe es auch. Doch zwei Stunden später ist die Feier noch nicht vorbei. Trieu erklärt, dass eine Tombola stattfindet. Die Gewinne werden den Platznummern zugelost.
Ein Junge schreit auf. Der Sprecher winkt ihn nach vorne.
»Der Kollege hat eine Rundreise durch Europa gewonnen», klärt uns Trieu auf.
Der Nächste jubelt.
»Ein Computer, kein guter Preis. Hat doch jeder», kommentiert unser Nachbar. Würde mir reichen.
»Ein Auto»; »Karten für ein U2-Konzert», »Dreißigtausend Euro», »Einen Monat im Wellnesshotel» sind die weiteren Gewinne. Auf einmal rüttelt er wie wild an meinem Arm.
»Deine Nummer wurde gezogen. Du musst nach vorne. Ich freu mich so für dich.»
Ich freu mich auch. Durch ein Spalier aus freundlich klatschenden Chinesen schreite ich zur männlichen Glücksfee. Ein bärtiger Mann mittleren Alters, der mich an den Regisseur John Woo erinnert. Auch er lächelt freundlich.
»Ich habe die Nummer vierhundertfünfundsechzig.»
Verständnislos schaut er mich an.
»Four hundred fifty-six», wiederhole ich. Er versteht, er grinst, schaut auf seine Liste, schaut mich an und greift in eine Kiste neben sich.
»Here is your price, my friend.»
Und schon bin ich stolzer Besitzer eines Pfund Kaffees. Und zwar Jakobs Krönung. Der Saal klatscht frenetisch. Ich fühle mich verarscht. Am Liebsten würde ich ihm den Kaffee sonst wohin stecken.
Der nächste Gewinner steht schon vor dem Tombolatisch. In einem neuen Smart darf er nach Hause fahren. Wütend gehe ich zurück zu meinem Platz. Die Leute rufen mir etwas zu. Sollen Glückwünsche sein. Mir reicht es.
Antje küsst mich und lacht ebenfalls. »Das hat schon eine Menge Komik. Ist heute nicht dein Tag, Sweety, aber du hast ja mich.»
»Ich gratuliere Sie», strahlt Chong, Juvenna lacht sich tot. »Coffee, Debi, fine, fine.» Sie hebt den Daumen mit anerkennendem Gesichtsausdruck. Da kann man unterschiedliche Sprachen sprechen, Körpersprache ist international.
Trieu zumindest schaut ein wenig tröstend. »Nimm es leicht, mein deutscher Freund. Andere haben gar nichts gewonnen. Du gehörst zu den Auserwählten.»
»Ach was», sage. »Ich habe keine Lust, mich länger verarschen zu lassen. Ihr alle denkt, ich wäre ein Typ, mit dem ihr machen könnt, was ihr wollt», werde ich lauter. »Aber nicht mit mir. Steck dir doch dein Geld sonst wohin, ich kündige», sage ich zum Professor. Eigentlich schreie ich mehr, was mir schon beim Entschlüpfen der Worte Leid tut. Aber mein Zorn auf die Welt braucht ein Ventil.
»Horst», wird der Professor ernst. »Wir machen doch nur Spaß. Beruhigen Sie sich und lachen. Ist wirklich lustig. Ein Paket Kaffee.»
Antje wirkt entsetzt »Keep cool, sweetheart. Wir lachen mit dir, nicht über dich. Kann doch nicht jeder den Hauptgewinn abzocken.»
Doch ich lass mich nicht beruhigen. Kaffee putscht auf, dieser besonders.
»Sagen Sie ihren Freunden, dass ich nicht auf Almosen angewiesen bin», zische ich. »Ich will auch nicht mehr bei Ihnen arbeiten. Suchen Sie sich einen neuen Deppen.»
Der Professor versteht mich nicht, sagt immer nur »Aber Horst.»
Ich stehe auf, drücke Chong das Bohnenpaket in die Hand und breche auf.
»Warte, warte», brüllte Antje und hastet hinter mir her. Ich beginne zu rennen und bleibe erst vor der AWD-Hall stehen.
»War das nötig? », schimpft sie, als sie mich eingeholt hat. »Was kann der Professor dafür, dass du den Kaffee gewonnen hast.»
»Die haben mich doch nach Strich und Faden vorgeführt. Alle gewinnen die tollsten Preise und ich bekomme so einen Scheiß. Fällt dir das nicht auf? Die haben sich gegen mich verschworen:»
»Jetzt komm wieder runter. Vielleicht hat das der Tombolaleiter getan. Wer weiß es schon. Aber es ist doch dumm, deinen Chef anzumachen. Der hat dich definitiv nicht über den Leisten gezogen. Im Gegenteil. Als du deinen Kaffee abgeholt hast, habe ich mit ihm über dein Geldproblem gesprochen.»
»Du hast was? », frage ich verblüfft.
»Alles wäre kein Problem gewesen», stampft sie ärgerlich mit dem Fuß auf.
»Der ist total nett. Er hätte dir die tausend Euro gegeben und in Raten in den kommenden Monaten abgezogen. Alles hätte sich für dich zum Guten gewendet. Aber der Herr Dichter kriegt einen Ausraster und versaut alles. Wirklich toll gemacht, Horst. Manchmal bist du vollkommen dämlich.»
»Hätte er doch nie gemacht. Wenn ich bei der Verlosung nur den verfickten Kaffee bekomme und kein Auto.» Ich weiß, dass ich den letzten Mist erzähle, habe aber keine Ahnung, wie ich aus der Nummer herauskommen soll, ohne das Gesicht zu verlieren.
Antje wird richtig wütend. »Was hat denn der Professor damit zu tun. Wenn du meinst, die ganze Welt hat was gegen dich, tust du mir Leid. Übernimm doch selber die Verantwortung für dein Leben. Es gibt genug Leute, die dich unterstützen.»
Sie hat Recht. Dümmer hätte ich mich nicht verhalten können. Am meisten ärgere ich mich über mich selber. Eine dicke Chance vermasselt, das fehlende Geld aufzutreiben. Super, Hotte.
»Sorry, alles meine Schuld. Und nun?», zeige ich mich einsichtig.
»Geh zurück zum Professor und entschuldige dich. Sag, du hättest Grippe oder so und deshalb etwas überreagiert. Vielleicht gibt er dir deinen Job zurück und zahlt den Vorschuss trotzdem.»
Meine kleine Optimistin.
»Das geht nicht. Dem kann ich nicht noch mal unter die Augen treten. Was denkt der von mir?»
»Kann dir doch egal sein. Einen Versuch ist es allemal Wert. Sonst wird es schwierig.»
»Ausgeschlossen», wehre ich ab. »Auf die Knie fallen und rumlügen ist noch nie mein Ding gewesen. Und mit Schwierigkeiten habe ich mein ganzes Leben zu kämpfen gehabt. Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.»
»Schlauer Spruch. Und wie willst du jetzt ans fehlende Geld kommen?»
Ich überlege.
»Da bleibt noch der neue Freund meiner Ex. Pierre oder wie der heißt. Der sucht doch einen Drehbuchschreiber. Den ruf ich morgen an.»
Antje hebt zweifelnd die Augenbrauen.
»Wenn du meinst. Aber da wird das Geld sicher nicht sofort fließen. Wenn er überhaupt einen Job für dich hat. Deine Ex ist doch eine bitch.»
Wir bewegen uns langsam in Richtung Bus.
»Wer von uns beiden ist denn Optimist. Und Bea ist gar nicht so schlimm. Immerhin haben wir uns geliebt. Warum sollte das nicht klappen? Bin ja ein guter Schreiber. Ich überzeuge den schon.»
Antje zweifelt immer noch. »Ich kenn mich mit der Filmbranche nicht aus, aber pass bloß auf, dass der Kerl kein Wichser ist.»
»Mensch. Das ist Beas neuer Macker. Der ist die personifizierte Seriosität, frühstückt Austern und fickt mit Krawatte. Ich kenn die Typen, die Bea gut findet.»
»Wenn du meinst, Sweety», zeigt sie sich versöhnt, glaubt daran, dass ich mich selber aus dem Schlamassel rausziehen kann.
»Ich schaff das schon. Spätestens übermorgen habe ich die Kohle an die Ahmert überwiesen.»
Wir fahren zu mir. Antje ist erschöpft, legt sich schlafen. Ich widme mich meinem Roman. Die Worte fließen aus meinem Kopf in die Tastatur, als stünde ich mit einer höheren Quelle der Inspiration in Verbindung. Einfach geil. Ich schreibe bis vier Uhr morgens. Dann ist es vollbracht. Die Memoiren eines Egels sind beendet. Ich platze vor Stolz, überlege mir, Antje zu wecken, um mit ihr anzustoßen. Doch sie schläft friedlich. Ich schaue sie an und bin voll Liebe. Sie glaubt immer an mich. Eigentlich führe ich ein schönes Leben. Ich nehme mir ein Herrenhäuser und lese auf dem Monitor meinen Roman. Treffend, zynisch, voller Weisheit. Das ist das Buch, auf das Literaturdeutschland gewartet hat. Beim dritten Kapitel dämmere ich weg. War ein harter Tag heute.

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