Montag, September 27, 2010

Bestseller Kapitel 12: Graf Fickola und der neue Holocaust



Ich fahre zurück nach Linden. Mir schießen tausend Gedanken durch den Kopf. Ist es moralisch bedenkenlos, Pornos zu konzipieren? Eigentlich spricht nichts dagegen. Wird ja keiner zu gezwungen, vor der Kamera zu poppen. Sieht zumindest auf den ersten Blick so aus. Und die Bezahlung ist fantastisch. Da kann ich mir richtig was gönnen. Öfter zu coolen Festivals fahren, Antje zu einem Trip nach Dänemark einladen, eigene Projekte vorfinanzieren. Vielleicht Andi unterstützen. Einen ähnlich gut bezahlten Job habe ich noch nie angeboten bekommen. Andererseits mag ich das Rotlichtmilieu nicht. Zwar finde ich auch bei exzessivem Nachdenken kein Argument, dass gegen den Konsum dieser Filme spricht. Tut ja keinem weh. Diese Szene macht auf mich aber den Eindruck des Halblegalen an der Grenze zum Kriminellen. Wobei ich kein Spießer sein will. Pierre scheint in Ordnung zu sein. Dennoch hat er Bea nichts von seinen Geschäften erzählt. Als hätte er etwas zu verbergen. Harry finde ich einfach nur widerlich. Der würde seine Oma für Kohle verkaufen. Und den Opa oben drauf legen. Ich habe das dunkle Gefühl, dass es nicht gut gewesen ist, sich mit diesen Typen einzulassen. Ich hole einen Kaugummi aus der Tasche und mümmele mechanisch darauf rum, während sich meine Gedanken im Kreis drehen, durcheinander wirbeln und sich in diversen Richtungen verflüchtigen.
Vielleicht mache ich mir einfach zuviel Gedanken. Die Finanzierung für meinen Roman steht. Und die Arbeit dürfte nicht schwer sein. Einige Ideen habe ich schon. Auf einem Schloss in Transsylvanien haust der sexsüchtige Graf Fickola, ein Urenkel von Dracula, mit seinen Neffen Schwanzola und Penetrala. Eine Gruppe Pfadfinderinnen erkundet Rumänien per Bus. Die Nacht naht, der Sprit neigt sich dem Ende zu, und es stürmt wie am Tag des jüngsten Gerichts.
Da klopft der Busfahrer an die Pforten von Schloss Castelul Bran, wie die Draculahütte auf Rumänisch heißt. Es scheint leer zu stehen. Die jungen Mädchen streicheln sich in den Schlaf, doch an gemächliches Schlummern ist nicht zu denken. Denn den Graf und seine Familie plagt die nackte Geilheit. Man könnte die Außenaufnahmen am Originalschauplatz drehen, die Innenszenen in Hannover. Ich bin angetan von meiner Idee und will sie heute Abend Pierre präsentieren. Er soll sehen, dass ich etwas für mein Geld tue.
Ich steige Leinaustraße aus der Bahn und laufe gemächlich zur Post. Ein Obdachloser pumpt mich an. Ein Zehner wechselt den Besitzer. Er kann sein Glück gar nicht fassen. Will mich umarmen, doch ich wehre ab. Man sollte seinen Reichtum teilen, denke ich. Das mindert auch das schlechte Gewissen.
In der Post fertige ich mit Hilfe der Angestellten eine Bareinzahlung für die Ahmert an. Kostet fünf Euro. Wen juckt das, frage ich sie. Erstaunen, sehe nicht wie jemand aus, der einen Fünfer aus der Portokasse zahlt. Wird sie sich dran gewöhnen.
Nachdem ich die Post verlassen habe, rufe ich im Verlag an.
»Gisela Ahmert.»
»Horst Stengel hier. Frau Ahmert, ich habe die dreitausend Euro überwiesen. Sie können loslegen.»
»Stengel, Stengel», überlegt sie. Wie kann sie mich vergessen haben. »Ach ja, der junge begabte Autor. Ihr Roman ist bereits im Lektorat und unser Graphiker tüftelt an einem knalligen Coverbild. Er ist sehr erfahren in der Gestaltung von Lyrikbänden. In einigen Tagen steht das Konzept.»
Ich bin etwas erstaunt.
»Es ist ein Roman, keine Lyrik. Memoiren eines Blutegels. Ich hoffe, der entwirft kein Cover für das falsche Buch?»
Sie hüstelt verlegen.
»Da habe ich etwas verwechselt. Wissen Sie, wir bringen so viele Titel in nächster Zeit raus. Nein, der Illustrator arbeitet am Cover für Ihr Buch. Machen Sie sich keine Sorgen.»
Mache ich aber doch. Klingt alles wischi-waschi. Aber vielleicht hat sie wirklich viel um die Ohren.
»Wie hat Ihnen das Ende des Romans gefallen. War das zu heftig, oder geht es so?»
»Ganz famos, Herr Stengel. Wie ich bereits gesagt habe, alles läuft. Wir setzen uns mit Ihnen in Verbindung, wenn wir noch etwas brauchen. Den Veröffentlichungstermin teile ich Ihnen auch noch mit. So, ich habe gleich den nächsten Termin. Weiß wirklich zurzeit nicht, wo mir der Kopf steht. Bis bald, Herr Stengel. Und toll, dass Sie das Geld so schnell überwiesen haben.»
Sie legt auf. Wirkt ein wenig konfus, die Gute. Aber bei der vielen Arbeit.
Ich stehe noch immer am Bürgersteig und rauche, als mein Handy klingelt.
»Sweety, wir war es beim Macker von deiner Ex?»
Mein Schatz. Ich entscheide mich, das Verschwiegenheitsgebot zu beachten. Unter anderem, weil mir nicht ganz wohl bei der Sache ist. Ich bin mir auch nicht sicher, ob Antje meinen Einstieg in die Pornoindustrie begrüßen würde.
»Fantastisch, ich habe den Job.»
»Wie geil ist das denn», freut sich aufrichtig, was mein schlechtes Gewissen steigert. »Und die Kohle? Was verdienst du? Und was sollst du für die tun? Mensch, Alter, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.»
»Ich soll Konzepte für Komödien entwerfen. Figuren, Handlungen. Die haben vorher eher seichte Kost fabriziert. Ich designe denen die Vorlage für einen Hammerfilm. Gibt fünfzehntausend pro Drehbruch. Wenn ich am Set bin, bekomme ich vierhundert Tagessatz. Das lässt sich echt sehen. Habe auch einen Vorschuss erhalten, den ich sofort an den Verlag weitergeleitet habe. Wenn der Professor sein Geld zurückfordert, reicht es auch noch», schwindele ich nur wenig. Sind ja wirklich Komödien.
»Super giga mega geil. Lass uns das feiern, Baby. Wir könnten im Georgengarten abhängen und ein paar Würste auf den Grill schmeißen, wie klingt das?»
»Toll. Aber heute kann ich nicht», versetze ich ihrer Vorfreude einen Dämpfer. »Muss heute Abend noch was mit Pierre besprechen. Soll auch schon die Crew kennen lernen. Deshalb bin ich noch mal in der Firma. Lass uns das morgen machen.»
»Dass du mir nicht zum Workaholic wirst. Ich werde dich heute vermissen. Mein Herz wird bluten. Aber wenn ich das überlebe, können wir morgen Mittag losstarten. Keine Uni für Antje. Ich rufe den Andi an, wie es bei ihm und Kathrin steht. Mein Sugarsweety ist zu beschäftigt. Ich bin wirklich sehr, sehr stolz auf dich.»
Das übergehe ich. So viel Lob verdiene ich nicht.
»Klasse, ich freu mich drauf. Bis morgen dann. Liebe dich.»
»Ich liebe dich auch und würde mich am liebsten von dir richtig durchvögeln lassen», stöhnt sie. »Aber bis morgen halte ich es gerade noch aus. Ciao, Babe»
Da habe ich mich gut aus der Affäre gezogen, finde ich. Das Gewissen drückt allerdings noch immer, lastet bleischwer auf mir. Ob andere Schriftsteller sich auch mit solchem Mist rumschlagen müssen. Zumindest verstehe ich langsam, warum so viele Autoren an Alkohol, Drogen oder Nikotin krepiert sind. Spaß macht ein Leben voller Lügen nicht.
Ich gehe nach Hause. Die Post war schon da. Ein Haufen Müll. Reklame von Real, kostenlose Kredite, unwichtige Mahnungen und ein Schreiben von Pekingtech.
Ich muss kein Prophet sein, um den Inhalt zu erahnen. Der Professor kündigt unser Arbeitsverhältnis fristlos und fordert den Vorschuss zurück. Also laufe ich zur Post zurück und tätige eine weitere Bareinzahlung. Die Postangestellte mustert mich argwöhnisch. Ist in Linden seltsam, wenn jemand mit so viel Bargeld herumläuft. Aber ich will mich nicht weiter mit Schulden belasten. Das ist eine der wenigen Dinge, die ich von meinem Vater übernommen habe: Bleibe niemanden etwas schuldig.
Bis zum Abend setze ich mich ins Café les 'ersatz, einem heimeligen Laden, der eher an ein Wohnzimmer als an eine Bar erinnert. Ich lese in der taz und weiß, hier wird auch bald mein Konterfei im Kulturteil glänzen. Danach genieße ich das bunte Straßentreiben. Linden ist Live-Kino, voll bunter Gestalten und Geschichten, die darauf warten, erzählt zu werden. Wenn mir mein neuer Job Zeit lässt, werde ich einen Linden-Roman schreiben. Bietet mehr Stoff als Kaminers Kiez in Berlin.
Beschwingt von all den neuen Ideen kehre ich nach Hause zurück und notiere sie auf dem PC. Auch wenn ich in vielen Dingen ein konservativer Traditionalist bin; ich kann nur am Computer schreiben. Das liegt zum einen an meiner katastrophalen Handschrift. Meine Klassenlehrerin Frau Schnarrenberg ließ mich als einzigen noch bis zur achten Klasse ein Schönschreibheft führen. Ohne jeden Erfolg. Zum anderen kann ich am Rechner rasch Änderungen durchführen. Gefallen mir Worte, Wortstellung oder Rhythmus nicht, lösche und ändere ich völlig schmerzfrei. Kein Durchstreichen, Rätseln über den Sinn, Zerknüllen und vom Neuen beginnen. Zufrieden speichere ich die Datei unter dem Namen Cool-Linden.doc. Nächste Woche beginne ich mit dem neuen Projekt und vibriere voll Vorfreude.
Andi ruft an.
»Hi», meldet er sich tonlos.
»Was geht ab? Alles klar? Habe den Job beim Film bekommen. Finanzierung für mein Buch ist gesichert. Das nächste Projekt ist bereits in der Mache. Läuft alles wie geschmiert», texte ich munter drauf los.
»Horst», sagt Andi lebendig wie eine Wachsfigur. »Fühle mich wie ausgekotzt. Bin noch immer deprimiert. Wo ist meine Perspektive? Ich weiß nicht, was für Bilder ich in Zukunft malen soll. Sehe da nichts vor mir. Meine Kunst muss in jedem Fall klar von den Rechten abgegrenzt sein. Doch ich weiß nicht wie. So eine Lebenskrise habe ich noch nie erlebt. Mir ist klar, dass du auch keine Lösung weißt. Aber ich muss mit jemanden reden.»
Auf Deprigesülze habe ich keine Lust. Will eigentlich meine Euphorie teilen, geht aber nicht. Muss verschwiegen sein.
»Was ist mit Kathrin? Die Frau liebt dich, das sieht ein Blinder ohne Krückstock.»
»Horst, das ist allein mein Problem. Du kennst ja meine Werke am Besten. Wenn wir uns von Verbrechern instrumentalisieren lassen, ist das unsere eigene Schuld. Ich muss für die Scheiße mit den Glatzen selber die Verantwortung übernehmen. Aber die wiegt schwer. Vielleicht sollte ich etwas ganz anderes machen. Die Straßen putzen oder bei Conti Reifen wuchten. Was weiß ich. Aber ich will keine Schuld am neuen Holocaust tragen.»
Neuer Holocaust, das scheint mir maßlos übertrieben.
»Wir haben doch ein paar Mal drüber gesprochen. Das liegt nicht an dir, wenn dieser Säge deine Bilder bei den Idioten unterstellt, und das denen noch gefällt. Zeigt doch nur, wie hohl die sind. Mach dir keinen Kopf. Bist du morgen beim Grillen dabei?»
»Ja sicher. Ich glaub, ich schieß mir die Birne zu. Vielleicht löst das die Blockade. Ich weiß auch nicht.»
Ich beginne mir langsam, Sorgen zu machen. Es gibt, viele Leute, die den ganzen Tag jammern. Andi gehört nicht dazu. Und seine depressive Phase scheint sich kontinuierlich zu verstärken.
»Mach keinen Scheiß, Alter. Reiß dich zusammen. Das ganze Drogenzeug bringt dich auch nicht weiter. Ist okay, sich ab und an einen Kick zu holen. Aber als dauerhafte Lebensstrategie führt dich das nur in eine Sackgasse. Wirf doch einmal eine Woche keine Pille ein, kein Koks. Dann wird es dir sicherlich besser gehen. Und die richtigen Ideen kommen von selbst.»
Ich quatsche wie ein Schmalspurtherapeut, weiß aber keine andere Möglichkeit, ihn aufzubauen.
»Danke, dass du zugehört hast», flüstert Andi. »Du warst immer ein guter Freund. Nicht so ein Wichtigtuer wie viele andere. Hast mir auch unbequeme Sache gesagt. Das weiß ich echt zu schätzen.»
»Andi, das geht mir umgekehrt genauso. Morgen grillen wir schön, trinken ein paar Bierchen und dann sieht die Welt wieder anders aus. Ich bin bis jetzt auch aus jeder Krise herausgekommen. Und ich hatte schon viele.»
»Ja, schauen wir», klingt er genauso down wie zu Beginn unseres Gesprächs. »Dann bist morgen.»
Irgendwie hat mich das Gespräch erschöpft. Ich sorge mich um Andi und muss über seinen Satz nachdenken, dass wir immer an unserem Unheil Schuld sein sollen. Ich weiß nicht, ob er da vielleicht doch Recht hat. Über hochphilosophische Fragen grübelnd lege ich mich auf die Couch und dämmere weg.

Kurz nach zwanzig Uhr fahre ich in die Stadt. Das Spezial liegt im Steintorviertel, dem Rotlichtviertel von Hannover. Muss nichts heißen. Als ich beim Lokal angekommen bin, stelle ich fest, dass es doch was heißt. Das Spezial ist ein lupenreiner Puff. Im Fenster räkeln sich leicht bekleidete Mädchen und versuchen Passanten durch dezentes Winken in das Lokal zu locken. Ich habe keine Lust mehr auf diese Feier. Fünf Minuten stehe ich vor dem Laden und bin mir unschlüssig. Schließlich gehe ich doch rein. Der Schrank vom Filmset arbeitet als Türsteher. Grinsend begrüßt er mich.
»Ah, Horst. Am ersten Arbeitstag gleich ein Nümmerchen schieben? Herzlich willkommen im Spezial. Der Chef wartet schon auf dich.»
Der etwa hundert Quadratmeter große Raum ist komplett mir rotem Plüsch verkleidet. Kerzenleuchtern nachempfundene Lampen sorgen für gedimmtes Licht. Scheint noch nicht viel los zu sein. Fünf Damen im Alter von Anfang zwanzig bis Mitte dreißig räkeln sich auf den Sofas. Eine will sich gleich auf mich stürzen. Doch Pierre winkt. Er sitzt mit Harry und zwei Frauen an einem Tisch. Vor ihnen Champagner. Die kleine Schwarzhaarige zieht einen enttäuschten Flunsch, wirft mir aber einen Kussmund zu. Pierre überlegt es sich anders und winkt sie zu uns.
»Horst, wie stehen die Aktien. Schön, dass du gekommen bist», er streichelt der aufdringlich geschminkten Blonden übers Bein. Bea ist das nicht.
Harry hat schon ganz schön getankt.
»Heute lassen wir die Puppen tanzen. So jung kommen wir nie wieder zusammen», gröhlt er und greift seiner Begleitung, einer rassigen Rothaarigen in den Ausschnitt und holt eine Brust hervor.
»Ja, war ein anstrengender Tag heute», wirft Pierre wie immer sehr distinguiert ein. »Hast du dir schon Gedanken über neue Konzepte gemacht?»
Die Schwarzhaarige sitzt jetzt neben mir, hat ein Schampusglas vor mich platziert und fummelt an meinem Rücken herum.
»Ach Quatsch. Jetzt wird gefeiert. Die Arbeit kann bis morgen warten. Russlana ist eine besonders edle Stute. Da vergisst du jeden Stress, mein Freund. Ich relaxe hier schneller als im Meditationsraum», blinzelt er. Mir wird das Mädel zu aufdringlich, ich entferne ihre Hand von meinem Rücken und lege sie zurück auf ihr Bein.
»Gefalle ich dir nicht? », haucht sie.
»Ich habe eine Freundin», erkläre ich, obwohl ich weiß, dass das hier gar nichts zählt.
»Ja und? », fragt sie. »Freundin muss nix wissen von Russlana. Wir machen schönen Abend und morgen bist du lieb zu Freundin.»
Pierre hat ein Metalldöschen auf den Tisch gelegt. Seine Dame streicht ihm im Schritt herum.
Er öffnet es. Weißes Pulver. Gekonnt schüttelt er zwölf Lines auf den Tisch. Die Mädchen sind zuerst dran. Mit einem von Pierres Hunderten schniefen sie den Stoff in die Nüstern.
»Für mich nicht. Danke. Bin zurzeit auf dem Gesundheitstrip. Da halte ich mich zurück.»
»Du hältst dich mit allem zurück. Mensch, Junge, das geht alles aufs Haus. Du kannst mit der Russlana machen, wovon deine Perle noch nie was gehört hat. Ich glaube, der steht auf Eis am Stiel», bellt er. Mit ihm der Rest des Tisches. Selbst Pierre kichert leise in sich hinein.
»Wenn er nicht will, lass ihn. Ich bin selber in festen Händen, aber als Geschäftsmann bin ich verpflichtet, meine Ware zu prüfen. Außerdem enthüllt die Vielfalt den Reiz des Einzigartigen», spricht er und wiegt den Busen der Blonden, die lasziv kichert. Aus den Boxen säuselt Lee Hazlewood vom Kater nach dem Genuss von Summer Wine.
Ich fühle mich genervt, bedrängt, will einfach nur weg. Die Atmosphäre ist stickig, warm voll billigen Parfüms. Meine Zunge fühlt sich belegt an.
»Trink, Junge», gießt Russlana mir Blubberwasser in einen Kelch. »Das macht locker und regt Sinne an.»
»Mal was anderes», fragt Pierre und positioniert eine Sonnenbrille auf seiner Nase. Dabei ist es gar nicht hell. »Was hast du dir bezüglich neuer Filme ausgedacht? Eigentlich wollen wir feiern und nicht über die Arbeit reden, aber ich bin neugierig.»
Hinter meinem Rücken fummelt Russlana an meinem Sektglas rum. Soll sie, dann brauch ich die dekadente Plörre nicht zu trinken.
»Ich habe viele Ideen», bin ich froh, eine Pause vor den Zudringlichkeiten der Frau gewährt zu bekommen. So erzähle ich von Graf Fickola, schmücke alles aus, weise auf möglich Kosten und Einsparmöglichkeiten hin. Pierre ist begeistert.
»Harry, ich habe doch gesagt, der Junge ist Gold wert. Da sprechen wir auch eine intellektuelle Zielgruppe an. Ficken und sich bilden könnte unser Slogan heißen. Da greift auch der Gymnasiallehrer zu. Und der Unterschichtkunde interessiert sich eh nur für Geschlechtsorgane. Das hat die Zielgruppenforschung herausgefunden, die ich letztes Jahr in Auftrag gegeben habe. Entschuldige meine etwas drastische Wortwahl, aber wir wissen alle, wovon wir reden.»
»Kein Problem», sage ich.
Von Sekt und Koks euphorisiert, klopft er mir auf die Schulter. »Fein gemacht, Horst.»
In Harry Achtung scheine ich auch gestiegen zu sein.
»Respekt, Junge, Respekt», dröhnt er. »Habe in meinem Leben bestimmt zehntausend Bumsstreifen gesehen, aber so eine Story ist mir noch nicht unterkommen. Einen Adelsfilm mit Graf Fickuld habe ich mal gedreht. Der lebte aber in einem gewöhnlichen Apartment. Deine Idee könnte ein Renner werden.»
»Trink, Hörstelchen, trink», hält Russlana mir den Sekt vor den Mund. »Prost. Auf unseren Horst», ruft der Rest der Runde. Berauscht von der Anerkennung trinke ich das Brausewasser in einem Zug hinunter.
Inzwischen hat sich der Laden gefüllt. Eine Gruppe Geschäftsleute mit angeborenen Krawatten sucht den schnellen Kick. Sofort werden sie von der entsprechenden Anzahl Mädchen bezirzt.
Ich fühle mich breit wie nach einer Kneipentour, obwohl ich nur einen Sekt getrunken habe. Harry fängt zu singen an »Wir wollen rammeln, rammeln rammeln, rammeln, wollen rammeln, rammeln, rammeln, wollen rammeln, rammeln, rammeln, wollen Sex.»
Normalerweise würde mich Harry Prollogehabe ankotzen, aber im Vollrausch finde ich es lustig.
»Ich dachte, du wärst das letzte Arschloch, aber du bist nur lustig», johle ich. Alle lachen. Ich bin über meine Worte mehr als erstaunt, nüchtern würde ich mich nie wie ein testosterongesteuerter Talkshowschwachmat äußern. Das johle ich in die fröhliche Runde. Alle lachen noch lauter. Die Businesstypen fallen wiehernd in den Gelächterchor mit ein. Die Lautstärke zerfetzt langsam mein Nerven. Ich sehe alles nur wie durch Nebel. Das Rot des Raumes saugt mich auf. Mir wird alles egal.
»Horst hat zu tief ins Glas geschaut», höre ich Pierres hallende Stimme. »Bring ihn an einen Platz, wo er sich ausruhen kann.»
Ich fühle Bewegung, es läuft mich. Dann wird alles schwarz und warm und dumpf.

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