Dienstag, Mai 21, 2013

Tomaten für den European Song Contest

Meine bessere Hälfte schickt mich zu Horst. Ich soll ihm Tomaten vorbeibringen. Ich merke vorsichtig an, dass unser Nachbar keine besondere Begeisterung für Gemüsegeschenke zeigt. Ihm scheint eine Ernährung aus Bier und Zigaretten auszureichen.


»Du kaust doch nur die gängigen Klischees über Hartz-4-Empfänger wieder. Von dir erwarte ich mehr Weitblick.«

Wie immer hat sie recht.

Missmutig tapere ich die 12 Treppenstufen nach oben. Horst sitzt zusammengesunken auf dem Sofa. Über den Augen trägt er eine Migränemaske, im Mund steckt eine dampfende Roth-Händle.

»Moin, Horst. Alles gut bei dir?«, frage ich doch etwas besorgt.



»Ich bin fix und fertig. Mein Fallmanager hat mir geraten, den European Song Contest anzuschauen. Ich sei doch kulturell interessiert. Wenn ich trainieren würde, könnte ich dort nächstes Jahr auftreten und wäre wieder erwerbstätig.«

»Die verlangen viel von dir. Der Grand Prix ist nichts für zart besaitete Gemüter. Besonders der rumänische Beitrag: Ein als Dracula kostümierter Opernsänger schrillt in einer Blutdekoration, dass die Trommelfelle vibrieren. Schön ist anders.«

Horst zieht sich die Maske vom Kopf.



»Du hast wieder mal gar nichts kapiert, Bresser. Das ist große europäische Kunst. Einzeln vielleicht Schrott, insgesamt eine Revolution. Jedes Land hat seinen Müll nach Malmö geschickt. Kann Mensch besser den europäischen Gedanken von 2013 leben? Hier waren die Griechen sogar um Welten besser als die deutsche Diskotussi. Europa holt auf, wir bauen ab.«



»Es gibt Verschwörungstheorien, dass Europa uns wegen Merkels Spardiktat nur 18 magere Punkte gegeben hat.«

»Wenn die wirklich Muddi hätten abstrafen wollen, hätten sie diese Cascada von 15 debilen Ballettspacken umtanzen lassen, die ihr Pyros ins Dekolleté geschmuggelt hätten. Ich habe den Eindruck, dass sie eher was gegen die Belgier hatten. Die Hupfdohlen haben den Jungen doch ganz wuschig gemacht. Du musst außerdem nicht jeden Scheiß glauben, den die deutsche Verdummungspresse schreibt. Apropos, hast du mir eine BILD mitgebracht?«

»Vergessen. Möchtest du Tomaten?«

Horst öffnet sich ein Herri.



»Gib her. Kann nicht schaden.«

Das freut mich wirklich.

»Ernährst du dich jetzt doch gesünder? Eine weise Entscheidung.«

»Ich frage mich wirklich, wie du mit so wenig Intelligenz durchs Leben gekommen bist, Bresser. Den Schweinskram esse ich doch nicht, den hebe ich für den ESC im nächsten Jahr auf.«



»Willst du damit die Interpreten beschmeißen? Gewalt ist keine Lösung!«

»Quatsch, ich trete als Sänger auf. Ich bin das typische Produkt von Merkeldeutschland: Hässlich, untalentiert und verarmt, dabei aber sexy wie Schmitz Katze. Wenn das nicht funzt, sollen mich die Dänen ruhig mit deinen Tomaten bewerfen.«

»Und warum bist du so fertig, wenn alles prima ist?«

Horst zündet sich an der alten Roth-Händle eine neue an.

»Ist doch klar, du Vollpfosten. Weil ich ein ganzes Jahr warten muss, bis ich mich Europa präsentiere. Bis dahin vernichte ich genügend Bier, um die rumänische Konkurrenz ohne seelischen Schaden zu überstehen. Prost.«

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