Donnerstag, Mai 16, 2013

Horst bewirbt sich bei Germany's next Top Model

Als ich das Treppenhaus betrete, stolziert Horst die Stufen runter. Auf dem Kopf balanciert er ein Buch, in der rechten Hand die obligatorische Roth-Händle, in der linken ein Herri. Seine Füße stecken in High Heels. Er trällert krumm und schief »Weil ich ein Mädchen bin«.


»Moin, Horst. Bist du es wirklich?«

Horst erschrickt, stolpert und lässt die Bierflasche fallen. Er kullert drei Stufen runter, ehe ich ihn auffange.

»Du, Idiot. Siehst du nicht, dass ich arbeite? Wie komme ich jetzt an ein neues Bier?«



Schuldbewusst hole ich eine volle Flasche aus unserer Wohnung.

»Wurde auch Zeit«, grummelt Horst.

»Jetzt erkläre mir deinen Aufzug.«

»Die ARGE behauptet, der Zug wäre für mich abgefahren. Heute müsste man für einen Job nicht mehr eine Ausbildung haben oder studieren. Ich sollte meine Personality developen und Character zeigen. Am besten in mehreren Facetten.«

»Ich verstehe kein Wort«, gebe ich zu.



»Bresser, du Vollpfosten. Es kommt heute aufs Gesamtpaket an. Du kritzelst deine Bücher zusammen, und kümmerst dich keinen Deut um dein Styling. Du bist out.«

»Aber du trägst den selben Jogginganzug wie immer.« Ich bin ein wenig ratlos.

»Wen stört es? Dafür bewege ich mich sexy.« Horst wackelt mit dem Hintern. Das ist nicht schön.



»Die meisten Jobs werden heute durch Casting-Shows vermittelt. Mein Fallmanager hat gute Beziehungen zu Heidi Klum. Wenn ich reinklotze und elegant den Catwalk laufe, werde ich vielleicht Germany’s next Top-Model. Dann reise ich durch die Welt, trinke Schampus und verputze Rohkost.«

»Aber Bier ist dann auch verboten. Du musst schließlich auf deine Linie achten.«



»Kein Bier?« Horst wird nachdenklich. »Dann gehe ich zu DSDS oder Voice of Germany. Die Kandidaten dürften wenigstens im Flugzeug kopulieren, sagt die BILD. Das sind zwar auch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, immerhin bin ich dann Z-Promi.

»Bist du doch jetzt schon. Aber um im Proletariat-TV Erfolg zu haben, müsstest du eine rührselige Lebensgeschichte vorweisen: Krebskranke Mutter, Drogensucht, Großvater mit Hämorriden.«



Während Horst sein Herri leert, überlegt er.

»Kann ich nicht. Mir geht es einfach viel zu gut. Kannst du mir nicht eine schlimme Geschichte erfinden, damit ich in diese seltsame Welt passe?«

Keine Kommentare:

Blog-Archiv