Mittwoch, Mai 08, 2013

Horst twittert für die Piraten

Als ich nachmittags nach Hause komme, steht Horst am Flurfenster und bläst Rauchkringel auf die Straße.


»Moin, Horst. Schnupperst du frische Luft?«

Horst hustet wie ein altersschwacher Traktor.

»Halt die Fresse, Bresser. Ich arbeite.«

Er bläst weitere Kringel in Richtung des Porschehändlers auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich betrete unser Haus und stelle mich neben Horst.



»Nur mal für einfach strukturierte Menschen wie mich: Was arbeitest du denn gerade?«

»Du bist noch blöder, als du aussiehst. Ich tittere.«

»Pardon?«

»Tittern, Nachrichten mit höchstens 140 Zeichen in die Welt pusten. Du hast die Zeichen der Zeit verschlafen, Bresser. So kommuniziert der moderne Mensch heute.«

»Ich will nicht klugschnacken. Aber es heißt twittern und funktioniert übers Internet.«

»Von mir aus twittern. Aber die Geschichte mit dem Internet ist Tinnef. Du verschickst kurze Textnachrichten. Manche Leute digital übers Netz, ich analog per Rauchzeichen. So habe ich diesen Bernd Schlömer von der Piratenpartei verstanden.«

»Woher kennst du Schlömer?«



Horst steckt sich eine neue Zigarette an.

»Eine Empfehlung der ARGE. Ich will mich politisch betätigen. Mein Fallmanager meint, bei einer Idiotenpartei würde ich den geringsten Schaden anrichten. Damit hat er meinen Ehrgeiz geweckt. Dieser Ponader ist ein netter Arbeitskollege in der Hartzbranche. Der hat mit sofort die Nummer seines Kumpels Schlömer gegeben. Feiner Kerl, leider selbst für einen Hartzer etwas faul.«



»Ich persönlich finde die Piraten inakzeptabel. Julia Schramm verkündet, dass geistiges Eigentum ekelhaft sei, lässt ihr eigenes Buch aber nicht downloaden. Wasser predigen und Wein saufen.«

»Blödsinn, ich saufe nur Bier. Und recht hat die Schramm. Eigentum jedweder Art kotzt mich auch an. Willst du eine Roth-Händle? Meine Zigaretten sind deine.«

»Ich rauche nicht mehr.« Schon beim Gedanken an Horsts Peststumpen bekomme ich Atemnot.



»Dann kann ich nichts ändern. Die Zeit ist noch nicht reif für das Piratenprogramm. Vielleicht sollten wir darüber abstimmen, ob wir abstimmen sollen, über eine Strategieänderung abzustimmen.«

»Nett, dass du einfache Leute wie mich mit ins Piratenschiff holen willst.«

Horst schaut mich entsetzt an.



»Nichts liegt mir ferner, du Flachpfeife. Es reicht, dass du in meinem Haus lebst. Die Piraten sind die einzige Partei, die um des Abstimmens willen abstimmt. Ist das nicht fantastisch? So kommt nie Langeweile auf und jeder glaubt, dass sich irgendwas bewegt, ohne dass es einen Millimeter vorwärts geht. So kommt nie Langeweile auf.«

»Abstimmen nach Godot. Nein, danke. Dafür ist mir meine Zeit zu schade.«



Horst seufzt und holt eine Bierflasche aus der Seitentasche seiner Khakihose.

»Du raschelst wieder gar nichts, Bresser. Die meisten Politiker sind geltungssüchtig, korrupt oder schlichtweg dumm. Meistens in Kombination. Gefährlich! Die Piraten würden nie etwas Schlimmes anstellen, weil sie mit Abstimmen beschäftigt sind. Das ist die Zukunft unseres Landes: Altruismus durch bewegten Stillstand. Prost.«

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