Böse Stimmen bezeichnen ihn als Mischung aus Mario Barth und Mr. Bean. Mit Recht. Homepage:www.rockdasdorf.de
Donnerstag, Oktober 18, 2012
Der Schatz im Steinhuder Meer
An manchen Tagen scheint die Sonne heller, die Luft riecht frischer und die Vögel zwitschern Mozart-Melodien. Heute ist so ein Tag. Endorphine spritzen in meine Blutbahn und sorgen für ein natürliches High.
»Guten Morgen, mein Schatz. Ich habe die Lösung für unsere Zukunft.«
Meine Frau schaut irritiert, gießt mir trotzdem Kaffee ein. Ein herrlicher Duft.
»Wie soll ich das verstehen? Unsere Zukunft sieht doch rosig aus, oder?«
»Etwas rosiger geht immer. Geld wird unser ständiger Begleiter sein. Wir werden nur noch zum Vergnügen arbeiten.«
Während sich meine Vorfreude minütlich steigert, wirkt die Miene meiner Frau immer misstrauischer. Ich verdenke es ihr nicht und kann die guten Nachrichten selbst kaum glauben.
»Hast du im Lotto gewonnen?«, fragt meine Frau. »Nee, du spielst ja nicht, weil du alle Glückspieler für Idioten hältst, die Zeit und Geld verschwenden.«
»Genau so ist es. Aber mein Projekt ist eine todsichere Angelegenheit. Ich habe gestern Abend Hannover-TV gesehen. Die haben eine Reportage über das Steinhuder Meer gezeigt. Wusstest du, dass Pirat Otto, genannt der stumme Sachse, genau dort im 16 Jahrhundert seinen Schatz versenkt hat? Der wurde bis heute nicht gehoben. Und als ich in der Nacht träumte, flüsterte mir Otto zu: Michael, du wirst diesen Schatz bergen und mit deinen Lieben in Hülle und Fülle leben. Ist das nicht fantastisch? Laut dem Reporter ist der Wert des Bernsteinzimmers gegen Ottos Schatz ein Almosen.«
Ich fühle mich wie ein Pionier im Goldrausch von Alaska. Mienen und Nuggets vor dem inneren Auge. Die Villa im Zooviertel, die ich uns vom Schatz kaufe, ist ebenfalls schon eingerichtet.
»Dieser stumme Sachse hat während seiner Lebenszeit doch nicht gesprochen. Warum sollte er aus dem Jenseits heraus zu dir im Schlaf reden?«
Ich habe den Eindruck, dass meine Frau mich nicht ganz ernst nimmt.
»Warum weiß ich auch nicht. Spielt doch keine Rolle. Wir haben uns jedenfalls über Zeichen verständigt. Im Traum ist alles möglich.«
Ich stecke zwei Toastscheiben in den Toaster.
»Aha. Ich wusste auch gar nicht, dass es in Sachsen Piraten gibt. Soviel ich weiß, liegt Dresden auch nicht am Meer. Und selbst wenn: Warum sollte ein Seeräuber einen Schatz in einem niedersächsischen See verbuddeln?«
Jetzt hat sie mich. Aber nur fast.
»Otto hat auf der Ostsee geräubert. Sachsen ist seine Heimatgegend. In Leipzig wurde es ihm irgendwann zu heiß, und er floh Richtung Ostfriesland. Bei Hannover waren ihm die Häscher seines Regionalfürsten dicht an den Fersen. Da bog er zum Steinhuder Meer ab, versenkte den Schatz und sprach einen Fluch. Jeder der ihn bergen wollte, starb einen qualvollen Tod.«
Der Toast ist fertig. Ich gehe zum Gerät und fische zwei leicht agekokelte Scheiben heraus. Kann man noch essen. Mich stoppt heute nichts und niemand.
»Ich dachte, dieser Otto wäre stumm. Wie kann er da fluchen?«
»Wir wollen uns nicht in Details verlieren, mein Schatz. So genau sind die Überlieferungen auch nicht. Schließlich gab es damals keine Presse und kein Internet.«
Sie nickt. Ich habe sie überzeugt.
»Okay. Eine wirklich tolle Geschichte. Und niemand hat sich bisher um diese Reichtümer gekümmert, also machst du das. Alles klar. Nur so mal am Rande: Deine Erfahrungen in der Schatzsuche hast du mir bis jetzt verheimlicht. Wie birgst du unsere zukünftigen Reichtümer?«
Ich scheine sie von meinem Projekt überzeugt zu haben.
»Mein Kumpel Joe ist Taucher und hat zurzeit drei Wochen Urlaub. Ich habe heute morgen bereits ein Raster des Sees angelegt, das schwimmen wir mit Metalldetektoren ab. Dreißig Quadratkilometer sollten wir locker in einer Woche schaffen.«
»Und Joe fand deine Idee gut?«, fragt meine Frau. Höre ich Ungläubigkeit in ihrer Stimme? Nach der ganzen Überzeugungsarbeit bin ich enttäuscht.
»Nein, er fand sie sogar brillant. Er hat Stevensons Schatzinsel 12 Mal gelesen. Wir leben seinen Kindheitstraum.«
»Kaum zu glauben, dass Joe so einen Blödsinn mitmacht. Ich hoffe, Eure Pfadfinderaktivitäten kosten nicht zu viel.«
Blödsinn finde ich wirklich hart, doch ich lass mir die gute Laune durch die vielen Nachfragen nicht verderben. Ich habe nämlich in der Zeit zwischen Aufstehen und Frühstück alles genau durchdacht, Joe für mein Vorhaben gewonnen und einen Projektplan mit Budget und Meilensteinen am Rechner entworfen.
»Keine Sorge. Wir nehmen Zimmer in der Mardorfer Jugendherberge. Das kostet nicht viel und wie verschwenden keine Zeit.«
»Schatzsuche finde ich klasse«, meldet sich unser Sohn zu Wort. »Darf ich mitkommen?«
»Marten, das ist eine ernste…«
»Fahr ruhig mit den Kindsköpfen«, grinst meine Frau.
»Super, ich geh schon mal packen«, jubelt Marten.
Na toll, ich bin in großer Mission unterwegs und muss jetzt auch noch auf Marten aufpassen. Ich fühle mich nicht ernst genommen. Aber ich werde zuletzt lachen. Du wirst schon sehen, Schatz.
»Wo ist denn meine Arbeitshose, Liebling?«, küsse ich den Nacken meiner besseren Hälfte.
»Schau mal auf deinem Schreibtischstuhl.« Okay. Fünf Minuten später.
»Weißt du, wo mein Werkzeugkoffer ist?«
»Müsste im Keller sein. Schön, dass du an alles denkst.«
Das klingt ein wenig sarkastisch. Aber das juckt mich nicht.
»Und meine Brotdose? Wir brauchen am See schließlich Verpflegung.«
»Wie wäre es mit dem Küchenschrank?«
Nach zwei Stunden hake ich auf meinem Plan die erste Phase Projektvorbereitung ab. Marten hüpft vor Vorfreude auf der Stelle. Ich küsse meine Frau.
»Danke, dass du an mich glaubst. Ich melde mich.«
»Macht euch eine schöne Zeit.« Marten läuft schon zum Auto vor.
Während ich ihm folge, höre ich meine Frau murmeln »Pirat Ottos Schatz wird bei meinen Spezialisten noch lange im See ruhen. Vor allem, wenn die Reportage über den gewaltigen Schatz am ersten April gesendet wurde. Hauptsache, die Jungs kommen an die frische Luft.«
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