Böse Stimmen bezeichnen ihn als Mischung aus Mario Barth und Mr. Bean. Mit Recht. Homepage:www.rockdasdorf.de
Dienstag, Oktober 30, 2012
Bauchtanzen wie Imke aus Bielefeld
Gute Erziehung ist im Leben durchaus hilfreich: Wenn wir anderen Menschen zuhören, sie ausreden lassen und ihre Wünsche respektieren, machen wir die Welt zu einem besseren Ort. Es gibt aber auch Situationen, in denen mich meine anerzogene Höflichkeit zum Wahnsinn treibt.
Kairo. Hauptstadt Ägyptens, Residenz der Pharaonen und ihrer Grabstätten. In Kairo leben 8 Millionen Menschen, fahren 16 Millionen Autos und jagen 32 Millionen Straßenhändler kaufkräftige Touristen.
Ich verlasse das Davis-Hotel und wandere durch eine Palmenallee Richtung Novotel. Dort befindet sich ein Geldautomat. Eigentlich reichen zwanzig Euro, um ein halbes Jahr in Ägypten zu überleben, doch handgeknüpfte Teppiche, im Nildelta geschürfte Diamanten und in afrikanischen Feuern geschmiedete Wasserpfeifen schröpfen die Urlaubskasse. Doch jetzt ist Schluss mit dem Kaufrausch, schwöre ich. Ab jetzt gönne ich mir höchstens ein aus fünf Mangofrüchten gepresstes Glas Fruchtsaft für umgerechnet 8 Cent. Purer Luxus, den ich mir in Deutschland nicht leisten könnte. Allen Händlern zeige ich aber die kalte Schulter.
»English? Français, Allemande?«
Ein bärtiger Nordafrikaner in weißem Kaftan wandert neben mir. Unter dem Arm trägt er eine Papyrusrolle.
»Ich kaufe nichts.«
»Ah, du Deutschland. Ich habe Bruder dort. Ist Arzt. Schönes Land. Ich bin Yusuf.«
Es ist seltsam. Jeder Ägypter hat Verwandte in Deutschland. Bei einem Volk von achtzig Millionen müsste ich rein statistisch den einen oder anderen kennen. Tu ich aber nicht. Vielleicht wohnen die in eher dünn besiedelten Gegenden, der Uckermark oder dem Bayrischen Wald. In Hannover habe ich jedenfalls noch keinen Ägypter getroffen.
»Prima. Na, dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag.«
»Ich habe Business. Tolle Ware. Möchtest du sehen?«
Möchte ich definitiv nicht. Was hat er schon, was ich nicht in den letzten Tagen tausend Mal gesehen habe. Aber wie sage ich es Yusuf, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen.
»Ich habe heute keine Zeit. Bin im Novotel verabredet.«
Vor dem Hotel verabschieden wir uns. Ich verspreche ihm hoch und heilig heute Abend oder morgen bei ihm vorbeizuschauen. Äußerlich heuchele ich Trauer, innerlich feixe ich. Yusuf hat keine Handynummer von mir, ich habe keine Adresse. Das Projekt Ladenbesichtigung hat sich auf elegante Weise erledigt.
Ich verschwinde im Novotel und hebe ein paar hundert ägyptische Pfund ab. Dann verlasse ich das Hotel und will zu einem nahen Internetcafé, wo ich mit meinem Kumpel Lukas verabredet bin. Als ich gut gelaunt Richtung Straße schlendere, bemerke ich auf einer Bank vor dem Hotel eine weiß gekleidete Gestalt. Yusuf. Der Hund hat einfach auf mich gewartet. Am meisten ärgere ich mich über die eigene Naivität. Einen ägyptischen Vollblutverkäufer wirst du nicht mit einer lahmen Ausrede los. Ich beschleunige meinen Schritt. Yusuf läuft zwanzig Meter neben mir. Er tut, als würde er mich nicht sehen. So ein Heuchler.
Vor mir türmt sich eine unüberwindbare Hürde auf: Ein Kreisverkehr mit acht abgehenden Straßen. Um mein Problem zu verstehen, muss Mensch das ägyptische Verkehrssystem kennen. Es gibt mehr Regeln als in der deutschen Straßenverkehrsordnung. Das kleine Problem: Niemand hält sich daran. Der Ägypter setzt sich in sein Auto und brettert einfach los. Rote Ampeln interessieren ihn nicht, Fußgänger ebenso wenig. Bietet sich auf den verstopften Straßen nur die kleinste Lücke, versuchen acht Autos gleichzeitig, diese zu füllen. Als Fußgänger fühlst du dich wie in einem Live-Playstation-Spiel.
Ich nutze eine kurz Unterbrechung der Blechlawine und spurte über auf die Insel in der Kreuzungsmitte. Im Augenwinkel sehe ich, dass Yusuf mir gemächlich folgt. Er schreitet seelenruhig durch die hupenden Autos wie Jesus über den See Genezareth.
»Mein Freund, du hier?« Er stürmt auf mich zu, als wären wir seit dem letzten Weltkrieg getrennte Freunde.
»Willst du jetzt mein Business besuchen?« Er drückt mir Küsse auf die linke und rechte Wange. Nein, will ich nicht. Aber andererseits habe ich es ihm versprochen. Versprechen muss Mensch halten, haben mir meine Eltern beigebracht. Während ich noch überlege, ob diese Regel auch gegenüber Ägyptern gilt, wandere ich bereits neben Yusuf über eine weitere Straße. Dann biegt er in eine Einfahrt, und durch einen Hinterhof gelangen wir in sein Geschäft. Er verkauft Sphinx-Portraits, Ringe und Alabasterkrüge. Wie jedes andere Geschäft in Kairo auch.
»Du willst Tee?«, fragt er.
Eigentlich nicht.
»Ich habe wenig Zeit«, behaupte ich.
»Wenn du Tee nicht trinkst, du beleidigst mich.«
Gut, das will ich auch nicht. Yusuf ruft etwas auf Arabisch aus dem Fenster. Scheint sich um eine Art Tee-Drive-In zu handeln.
»Du trinkst mein Tee, du bist mein Freund.« Er klopft mir strahlend auf die Schulter.
Soweit würde ich nicht gehen. In Deutschland ist auch nicht jeder mein Freund, der mir ein Bier ausschenkt. Aber ich fürchte, es ist zwecklos, ihm diesen Gedanken näherzubringen.
»Du willst kaufen?« Er breitet die Arme in Richtung seiner Waren aus.
»Ich nix kaufen«, bleibe ich hart. Ich halte mich eisern an meine Vorsätze. Das ist eine meiner großen Stärken.
»Ich habe sechs Kinder.« Er holt ein Foto aus einer Schublade, auf dem 6 in Lumpen gekleidete Orgelpfeifen in die Linse starren. Das rührt jetzt doch mein Herz. Mir fällt ein, dass ich kein Mitbringsel für meine Mutter besorgt habe. Ich deute auf ein filigran gearbeitetes Holzkästchen, das ich bereits bei 3 anderen Händlern gesehen habe.
»Das würde mir schon gefallen. Wie viel?«
Yusuf überlegt. Dieses Kästchen sei besonders wertvoll. Schließlich sei es ein Erbstück seiner Frau.
»200 Pfund.«
Bitte. Das Teil sollte gestern bei Yusufs Kollegen 20 Pfund kosten.
»5«
»Du willst mich beleidigen. Wir sind doch Freunde.«
Ich schweige.
»180. Letztes Wort.« Er wickelt das Kästchen in weißes Papier und stellt es vor mich hin.
»10. Letztes Wort.«
»180. Du nimmst mit.«
»Ich will eigentlich gar nichts kaufen.«
Ich erhebe mich, doch Yusuf hält mich zurück.
»Du kannst nicht gehen. Noch nicht Tee getrunken.«
Er hat recht. Jetzt hat er extra wegen mir Getränke geordert. Beleidigen will ich ihn nicht.
»Du musst kaufen. Alle Kunden sind zufrieden.«
Er legt mir einen Brief von Imke aus Bielefeld vor. Sie liebt Yusufs Bauchtanzkostüm heiß und innig.
»Ich tanze nicht Bauch.«
»Du musst kaufen. Imke sehr zufrieden. 170!«
»Nein.« Wir sitzen uns gegenüber und starren uns finster an. Dicke Luft.
Ein Junge bringt ein Teeglas und stellt es vor mich hin.
Ich stürze den Tee hinunter, will nur noch raus. Kaum hat der letzte Schluck meine Kehle durchflossen, erhebe ich mich.
»Hundert Pfund. Meine Kinder müssen essen.« Er quetscht sich wirklich eine Träne aus dem Auge. Mist, ich will kein Unmensch sein und lege ihm das Geld auf den Tisch.
»Du hast gutes Geschäft gemacht.«
Als ich mich mit meinem Kästchen wieder auf der Straße befinde, fühle ich mich trotzdem schlecht. Obwohl ich nur wenig mehr als 12 Euro bezahlt habe, fühle ich mich über den Tisch gezogen. Aber was soll’s. Ich hake es als Erfahrung ab.
»Du Deutsch?« Ein älterer Araber läuft neben mir. »Ich habe Onkel in Berlin. Du willst kaufen gut Papyrus?«
Ehe ich mich versehe, zieht er mich in seinen Laden. Gut, dass ich Prinzipien habe.
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