Montag, November 01, 2010

Bestseller 16: Andi sucht seinen Song



»Pardon? », frage ich.
»Sie suchen das Gespräch mit Lüscherhof. Konfrontieren ihn mit seinen Gesetzesverstößen, Drogen, illegale Prostitution, Erpressung. Natürlich sind Sie verkabelt. Wir schneiden alles mit und nehmen ihn fest. Wie klingt das?»
»Nach einem Haufen Scheiße», werde ich direkt. »Ich soll die Kohlen aus dem Feuer holen und setze mein Leben aufs Spiel. Ist doch Ihr Job. Ich habe aufgemuckt, deshalb hat er mir die Schläger auf den Hals geschickt. Das fällt es ihm doch auf, wenn ich ihn aushorche. Vor allem, weil ich Bea die Wahrheit über ihn gesteckt habe.»
Antje kichert nervös. Ihr gefällt die Sache ebenso wenig wie mir.
Kleine räuspert sich. »Ich sehe das als einzige Chance. Sie kommen an ihn ran, ohne dass er Argwohn schöpft. Sie haben ihren Fehler eingesehen. Sie haben versucht etwas zu ändern. Keiner hat Ihnen geglaubt. Selbst ihre Ex-Freundin nicht. Die ganze Sache hat Ihnen nur Ärger eingebracht. Warum also nicht lieber mitmischen, dann haben Sie wenigstens Geld. Angst und Gier – das wird er verstehen. Wenn wir Aussagen bekommen, in denen er Verbrechen zugibt, schnappt die Falle zu. Wenn irgendeine Gefahr droht, greifen wir ein. Also gibt es keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Sie müssen natürlich cool bleiben. Aber damit haben Sie bestimmt kein Problem. Als Lindener Szenetiger», fügt er süffisant hinzu.
Ich überlege hin, überlege her, komme zu keinem Schluss, während mich der Polizist erwartungsvoll anschaut. Schließlich streichelt mich Antje. Sie sagt »Mach es Sweety. Dieses Arschloch muss aus dem Verkehr gezogen werden. Wird schon nichts passieren.»
Meine schmerzende Nase sagt etwas anderes. Doch schließlich sage ich »Gut. Ich ruf Pierre an.»
»Fein. Ich wusste, dass Sie ein Mann der Tat sind, Herr Stengel.»
Hätte ich mir nie geträumt, dass mich ein Bulle lobt. Was soll es. Hat ja nur Antje gehört.
»Versuchen sie für morgen Abend einen Termin in seiner Firma zu vereinbaren», empfiehlt Kleine.
Ich zögere.
»Na los. Wir stehen auf ihrer Seite», ermutigt mich Kleine.
Ich nehme mein Handy und wähle Pierres Büronummer.
»Pierre Lüscherhof», tönt es sanft aus dem Hörer.
»Horst hier.»
Es folgt eine kurze Pause.

»Horst, das ist eine Überraschung. Ich hatte den Eindruck, wir hätten eine kleine Meinungsverschiedenheit. Nicht von meiner Seite, nur von deiner. Und die Geschichten, die du meiner geliebten Bea erzählt hast. Das fand ich nicht nett. Dein Glück, dass sie Dir nicht geglaubt hat. Du solltest auch mal an die arme Bea denken: Sie hat endlich die perfekte Beziehung mit einem erfolgreichen Mann. Bedenke eines, mein Freund: Nicht durch Feindschaft kommt in dieser Welt Feindschaft zur Ruhe. Durch Nichtfeindschaft kommt sie zur Ruhe.»,
Er redet wie ein mit Weihrauch eingenebelter Lokalpolitiker. Am liebsten würde ich ihm durch das Telefon die Fresse polieren. Aber cool bleiben. Schließlich bin ich undercover.
»Ich war undankbar. Du warst großzügig und ich habe es vermasselt. Vielleicht überfordert mich die Situation. War immer politisch korrekt. Da ist es mir zunächst schwer gefallen zu akzeptieren, dass ich nun im Rotlichtbusiness tätig bin.»
Kleine hebt den Daumen. Ich bin gut.
»Aber ich habe nachgedacht. Gegen Berny und Ronny komm ich nicht an. Die können mich zermatschen, wenn du das sagst. Außerdem kann ich mit dir größeren Erfolg haben. Du sicherst mir finanziellen Freiraum für meine künstlerischen Aktivitäten. Außerdem schnuppere ich in andere Bereiche hinein. Kurzum: Ich möchte gerne weiter für dich arbeiten. Habe schon eifrig Gedanken fürs Drehbuch gesammelt. Vielleicht können wir mein Aufgabengebiet erweitern.»
Ich warte auf eine Reaktion.
»Das erstaunt mich», sagt Pierre. Jede Ironie ist aus seiner Stimme gewichen.
»Lass uns persönlich über alles reden. Wie wäre es morgen Vormittag in deiner Firma?»
Nach einer lang gedehnten Pause sagt Pierre »Gut. Ich bin nicht nachtragend. Morgen Abend im Spezial. Vielleicht finde ich auch Verwendung für dich in anderen Bereichen. Wir werden sehen.»
Kleine nickt zufrieden.
»Unser Date steht?», frage ich.
»Klar. Ich stehe zu meinem Wort. Bis morgen.»
Ich lege auf.
»Super, alles geritzt», freut sich Kleine. »Ein Treffen in der Filmfirma wäre natürlich besser. Das wäre wesentlich übersichtlicher. Aber im Spezial kriegen wir das auch hin.»
Mir ist mulmig, aber besser die Initiative ergreifen, als wie das Lamm vor der Schlachtbank auf Pierres Schlägertrupp zu warten.
»Na denn. Wie gehen wir weiter vor?», frage ich betont cool.
Kleine nickt anerkennend. Er berichtet, dass die Bullen auf der Goethestr. eine Wohnung angemietet haben.
»Von dort haben wir einen raschen Zugriff. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen», wiederholt er.
»Ich komme mit», erklärt Antje, streckt herausfordernd das Kinn vor, verschränkt die Arme vor der Brust.
»Ausgeschlossen», entgegnet Kleine bestimmt.
»Jep», erklärt Antje. »Ich lasse doch meinen Süßen nicht alleine zu diesem Teufel. Wenn etwas passiert, könnte ich mir das nie verzeihen.»
Kleine wirkt genervt. »Überlassen Sie das den Profis, Frau Weber. Ich halte es für eine schlechte Idee, wenn Sie Herrn Stengel begleiten. Das ist kein Kindergeburtstag.»
»Entweder gemeinsam oder gar nicht. Ansonsten heize ich die Presse an. Ich kenne genug Leute beim Stadtkind und Schädelspalter», verschärft sich Antjes Ton.
Gleich gehen sie sich an die Gurgel.
»Ich glaube auch nicht, dass du mitkommen solltest», versuche ich zu vermitteln. »Die Kerle sind brandgefährlich. Wenn ich mit Anhang auftauche, werden sie bestimmt misstrauisch. Das ist nicht die Heilsarmee. Wie wäre es, wenn du mit den Herren von der Polizei in der Nachbarwohnung Position beziehst?»
Die Begeisterung der beiden sinkt in den Minusbereich.
»Das würde unsere Arbeit nur erschweren. Am Besten, Sie bleiben zu Hause und lassen uns machen. Wir verstehen was von unserem Job», knurrt Kleine und holt eine Zigarette aus der Schreibtischschublade, die er sich hinters Ohr klemmt.
»Ich bin bei Ihnen. Ansonsten können Sie sich ihren Einsatz sonst wohin klemmen.»
Kleine betastet seine Kippe, als wäre sie der Busen seiner Frau. Schließlich quetscht er ein gequältes »Okay» durch die Zähne.
Wir verabreden uns für neunzehn Uhr am nächsten Tag. Treffpunkt: Die konspirative Wohnung. Trotz des flauen Gefühls im Magen spüre ich eine Art Vorfreude. Pierres selbstgefällige Visage hinter schwedischen Gardinen. Eine verlockende Vorstellung. Ist vielleicht auch eine Rache an Bea. Bei dem Gedanken verschwindet das keimende Hochgefühl abrupt. Bea hat einen Kerl wie Porno-Pierre wirklich nicht verdient.
Wir genehmigen uns im World-Coffee noch zwei Latte Macchiato. Überteuert, aber lecker.
»Es wird sich alles regeln», streichelt mich Antje. »Alles wird gut.»
»Du gehst nach Amerika. Wird wirklich alles gut?», frage ich.
»Mensch, der Studiengang Kunst wird in Hannover geschlossen. Ich habe beim Studium etwas geklüngelt. Einen Abschluss hätte ich schon ganz gerne.»
Ich blicke sie groß an. Das hat sie mir zum ersten Mal erzählt.
»Aber ausgerechnet New York. Gibt es keine nähere Möglichkeit?»
Antje seufzt.
»Es ist mein Traum», sagt sie. »Und Träume sollte man leben. Du bist auch ein Traum. Ich weiß es doch auch nicht», wirkt sie resigniert.
Ich sage nichts und blicke trübsinnig in meinen Milchschaum. Da klingelt mein Telefon.
»Siebke, Arbeitsagentur. Herr Stengel, wie geht’s.»
Ach ja, die Jungs vom Amt gibt es auch noch. Eigentlich könnte ich einen Job gut gebrauchen. Denn mit Pierre werde ich definitiv nicht mehr zusammenarbeiten.
»Wenn Sie wüssten, Herr Siebke», seufze ich. »Mit der Veröffentlichung hat es sich vorerst erledigt. Haben Sie einen Moment Zeit?»
Hat er. Ich berichte von der Verlagspleite. Die Pierre-Geschichte lasse ich aus. Klar. Muss er nicht wissen, dass ich Schwarzgeld kassiert habe.
»Sie haben wirklich Pech», tröstet Siebke. »Ich habe aber ein Angebot, dass vielleicht Ihre Stimmung aufhellen wird.»
»Schießen Sie los», ist mein Interesse geweckt.
»Wir haben eine Anfrage von einem Verlag für eine Aushilfskraft. Ist zwar nur auf Vierhundert-Euro-Basis, aber immerhin. Da dachte ich gleich an Sie. Vielleicht können Sie da wertvolle Kontakte knüpfen. Heißt Dark-Underground-Publishing und liegt in der Minister-Stüve-Straße. Ansprechpartner ist Herr Mike Marré.»
Er gibt mir noch eine Rufnummer.
»Klasse, den ruf ich nachher an», freue ich mich.
»Sie sind echt ein klasse Typ, Herr Siebke», lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf.
»Ich weiß», lacht Siebke. »Machen Sie was draus. Ich denke, das ist ein guter Job. Lassen Sie von sich hören.»
»Habe ich es nicht gesagt, Sweety. Alles wird gut», strahlt Antje.
»Schauen wir mal», gebe ich mich zurückhaltend.
Ich rufe Marré an.
»Klar, Mann. Freue mich, dass du kommst. Bin in der Firma. Ich erwarte dich morgen im Laufe des Tages, okay?», ist das Date festgezurrt. Läuft wie geschmiert.
Wir gehen zu mir. Knutschen fällt schwer. Meine Nase schmerzt bei jeder Berührung. Sehr zu unserem Bedauern. Doch als sie zärtlich mein Hemd auszieht, überströmt Wohlgefühl meinen lädierten Körper. Mein Schwanz richtet sich kerzengerade auf. Ich ziehe ihr Oberteil aus, ihren BH, lecke Antjes Arme, ihren Rücken, wechsele die Seite und widme mich ihren Brüsten. Immer vorsichtig mit der Nase. Gar nicht so leicht. Sie stöhnt. Ihre Augen weiten sich. Jetzt schleckt sie, langsam über meine Brust, den Bauch, Bauchnabel, Unterkörper durch den Busch bis hin zum Penis. Sie knabbert, bis ich vor Lust aufschreie. Dann nimmt sie ihn in den Mund. Ihre Zunge massiert die Schwellkörper in Hochform. Ich versuche an etwas völlig abturnendes zu denken, um den Orgasmus hinauszuzögern. Mir kommt –ich weiß nicht warum- Franz Müntefering in den Sinn. Sofort köchelt meine Lust nicht mehr auf Vollgas, sondern nur auf sechzig Prozent, was immer noch ein erstaunlicher Wert ist. Ich ziehe meinen kleinen Freund aus Antjes Saugmund, drehe sie um und nehme sie von hinten. Erst wild, dann werden meine Bewegungen langsam und hart zugleich. Antje schreit kurz auf, dann erhöhe ich mein Tempo bis wir wild miteinander verschmelzen.

Glücklich liegen wir aufeinander und kommen langsam wieder zu Atem. Das war der beste Sex meines Lebens, denke ich.
»Sweety, wir sich physisch und psychisch eine Fleisch gewordene Kommunion», seufzt sie.
»Fantastisch», bestätige ich. Wir entspannen und genießen. Ich lege Schmusemucke in den CD-Schacht. Chris Isaak flüstert zu Surfgitarre You owe me some kind of love.
Wir halten uns fest, streicheln und streichen über den Körper des anderen, schwelgen im Endorphinrausch. Bis wir einschlafen, friedlich träumend, ohne Sorgen.

Am nächsten Morgen klingelt es in aller Herrgottsfrühe.
»Verdammt. Ist doch mitten in der Nacht. Scheiße», flucht Antje und auch mir gehen ähnlich freundliche Worte durch den Kopf. Pierres Schläger werden es nicht sein, schließlich sind wir heute Abend verabredet. Oder?
Gott sei Dank schlendert Andi durch die Tür. In der Hand eine Sporttasche von Puma.
»Alles easy, Hotte?», fragt er lässig.
Antje zieht sich an, läuft auf ihn zu und umarmt ihn strahlend.
»Mit dir haben wir jetzt nicht gerechnet. Alles klar in Burma?»
Andi fläzt sich aufs Sofa und steckt sich eine Zigarette an.
»Habe mich selbst entlassen. Die wollten mich noch zwei Tage einsperren, aber nicht mit mir.»
Antje und ich schauen uns mit großen Augen an.
»Und was ist mit Therapie? Dir ist doch klar, dass es nicht so weitergeht wie bisher», sage ich. Mir ist unangenehm, dass ich wie ein Sozialpädagoge klinge, aber Andi wirkt, als hätte es den Zusammenbruch nie gegeben.
Andi wird jedoch wider Erwarten ernst.
»Hab mich über ambulante Therapien informiert. Hab zwar kein Bock, zu einem Psychoheini zu rennen, aber Kathrin hat mir ins Gewissen geredet. Ruf morgen ein paar Leute an. Allein schaff ich das nicht.»
»Find ich gut», sagt Antje und gibt ihm eine Cola. »Bist zu jung, um dein Leben hinzuschmeißen. Echt, Alter. Das fände ich traurig.»
»Keine Ahnung», bläst Andi einen Rauchkringel. »Sehe irgendwo keine Perspektive. Die Kunst hat mir früher Freude gemacht, heute habe ich Angst vor ihr. Mein Leben hat keine Richtung, dreht sich im Kreis. Das einzige Gute momentan ist Kathrin. So eine Perle hatte ich noch nie. Die checkt echt, was abgeht. Aber vielleicht fehlt mir auch nur ein Song.»
»Ein Song? », frage ich.
Andi nickt.
»Es gibt doch einschneidende Erlebnisse in deinem Leben. Was war deine erste Platte und was hat sie dir bedeutet?»
Ich überlege.

»Skandal im Sperrbezirk von Spider Murphy Gang. Der Song hatte einen wavingen Sound, fand ich damals cool. Muss elf gewesen sein, um den Dreh. Bin voller Stolz mit der Scheibe nach Hause gekommen und Vater hat sie aufgelegt. Ich dachte, das gefällt ihm. Aber sein Gesicht wurde immer länger. Erinnerst du dich ‚Und draußen vor der großen Stadt steh’n die Nutten sich die Füße platt.’ Hat mich gefragt, ob ich weiß, was Nutten sind.»
Antje und Andi blicken neugierig. »Und, wusstest du es? », fragt Antje.
»Klar», grinse ich. »Ich hatte meine Schulkameraden Dietmar Braun gefragt. Hübsche Bienen. Wobei mir nicht klar war, was an Bienen schön sein kann. Mein Vater ist ausgerastet. Dieses Lied würde sich an das Primitivste im Menschen richten. Hat noch ein paar Psalmen aufgesagt. Dann hat er die Scheibe konfisziert und in den Tresor gesperrt. Da wurde mir klar, dass Mucke ungeheure Sprengkraft hat. Selbst Spider Murphy Gang. Als ich älter war, hab ich Hüsker Dü und Black Flag in Disko-Laustärke abgespielt. Habe immer gehofft, dass der Geist des Punks meinen Vater kontaminiert. Vergeblich.»
Andi nickt.
»Und bei dir», fragt er meinen Schatz.
»Ich habe früher nur Chartzeug gehört, weiß gar nicht mehr, was Anfang der Neunziger in war. Da hatte der Bruder meiner Freundin Miri eine CD von den Toten Hosen im Zimmer liegen lassen. Bommerlunder und Opelgang waren megacoole Songs. Wir haben uns alles besorgt, was wir an Material über die Hosen in die Finger kriegen konnten. Dann haben wir uns an einem Nachmittag eingeschlossen und uns wie Campino gestylt. Wir fanden uns hammer abgefahren. Leider konnten weder meine Eltern noch meine alten Freunde meine Wandlung nachvollziehen. Die fragten, ob ich einen an der Klatsche hätte. Da bin ich auf den Trichter gekommen, dass ich mein eigenes Ding machen muss. Meine Bilder wurden wütender, in meinen Texten traute ich mich mehr. Und ich wollte nur noch weg aus der Provinz. So war das damals. Und bei dir, Muchacho?», gibt sie die Frage an Andi zurück.
»Nirvana. Ich habe Curt Cobain auf MTV gesehen. Die haben von Knack My Sharona performt. Das hat mein Leben komplett geändert. Zorn, Aggression auf die Gesellschaft und das Leben an für sich. Ich habe ja immer von zu Hause Zucker in den Arsch geblasen bekommen. Kohle war nie ein Thema. Dafür ließen sich die Alten selten blicken. Ein Instrument konnte ich kaum zwischen den Händen halten. Da habe ich mich auf die Malerei gestürzt, Ausdrucksmalerei. Da konnte ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen. Und hey, da gab es Leute, die meine Bilder gut fanden. Habe in Cafés und Bars ausgestellt und eine ganze Menge verkauft. Für einen unbekannten Autodidakten nicht schlecht. Meine Mappe an der Uni wurde problemlos angenommen. Habe mich echt weiterentwickelt. Doch hr habt ja selbst miterlebt, wo ich heute ausstelle. Mit Pech bei Nazispacken in der Provinz. Für mich ist Kunst eine Sackgasse. Keine Breitenwirkung. Wenn so ein abgehalfterter Müsli meine Werke geil findet, lässt mich das kalt. Vielleicht ist mein Weg ein anderer», wird er philosophisch.
»Was ist mit deinem Traum, in Indien auszustellen?», frage ich.
»Bringt doch auch nichts», wehrt Andi ab. »Und dann?»
»Und was willst du stattdessen machen? Eine Ausbildung beim Klempner um die Ecke? Würde dich das mehr befriedigen?»
Andi überlegt und zündet sich eine neue Zigarette an der alten an, bevor er diese ausdrückt.
»Na, darüber habe ich mir noch keine großen Gedanken gemacht. Aber vielleicht ist die Idee gar nicht so schlecht. Da siehst du, was du gemacht hast und kriegst Anerkennung. Ist doch eine super Sache, wenn die Scheiße nicht mehr aus dem Abfluss fließt, oder?»
Unsere Begeisterung hält sich in Grenzen.
»Aber ich brauche Inspiration», springt er auf und läuft nervös durch die Wohnung. »Ich brauche einen Song, der mir eine neue Richtung weist. So etwas wie damals Nirvana. Einen Song, der mir neue Energie gibt, Horizonte öffnet. Vielleicht hilft mir die Therapie. Kathrin unterstützt mich. Sie ist geerdeter als ich, das ist gut.»
Seine Worte geben keinen Sinn. Für mich. Antje scheint eine Bedeutung zu spüren und umarmt ihn.
»Wir wünschen dir alles erdenkliche Glück dabei, Amigo. Du wirst deinen Weg finden.»
Andi verabschiedet sich, will ein wenig chillen und Therapieangebote im Internet checken. Ich klopf ihm auf die Schulter.
»Bin immer für dich da, companero», sage ich. »Wir schaffen das zusammen.»
Dankbar lächelt Andi, lässt die coole Fassade fallen.
»Danke, Horst. Es ist toll, dass ich Freunde wie euch habe, dass ihr mein ganzes Selbstfindungsgequatsche ertragt. Ich liebe euch.»
Auch wenn ich seine Rede übertrieben finde, kommen mir fast die Tränen. Wir drücken uns noch mal, dann verschwindet Andi und lässt uns emotional aufgewühlt zurück.
Wir stürzen einen Kaffee hinunter. Dann geht Antje nach Hause, will etwas für den USA-Umzug organisieren. Wirkt melancholisch. Ich fühle mich richtig traurig, nicht nur ein bisschen, lasse mir aber nichts anmerken. Alles scheint im rasanten Umbruch. Vielleicht ist das schlecht, vielleicht gut, das wird die Zukunft zeigen. Aber die kümmert mich momentan wenig. Momentan denke ich nur von Stunde zu Stunde. Momentan steht mein Vorstellungsgespräch an, fällt mir ein.

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