Dienstag, September 25, 2012

Unheil in Lutter

Ich bin kein ängstlicher Typ. Doch manchmal denke ich, dass gesunde Vorsicht im Leben nicht schaden kann. Denn Unheil kann immer und überall lauern, es tarnt und versteckt sich, es wiegt dich in Sicherheit, doch Vorsicht: Irgendwann offenbart es seine hässliche Fratze. Und jetzt spreche ich nicht von Kalauerkönig Philipp Rösler. Ich denke an den letzten Sonntag. Eigentlich ein harmloses Ereignis. Schwägerin Tanja feierte ihren 39. Geburtstag in einer Gaststätte Deutsches Eck in Lutter. Ein pittoreskes Fachwerkhaus von draußen; drinnen zeugten u.a. die Fotos vom lokalen Männergesangsverein aus den 1950ern von einem Siechen zwischen Leben und Tod. Tendenz zu letzterem. Immerhin durfte die letzte Renovierung höchstens 30 Jahre zurückliegen. Die frühere Wirtin war vor einem Jahr mit zarten 85 Lenzen in eine höhere Dimension übergesiedelt und hatte bis zum letzten Atemzug das Lokal geführt. Seit einem Jahr nun brieten Herbert und seine kroatische Freundin Vera Frikadellen und servierten Erdnüsse und Bier aus Überproduktionen beinahe bekannter Brauereien. Daher wurde das Essen von einem anderen Lokal geordert. Nur so am Rand: War saulecker. Das einzig Bunte an diesem grauschwarz-beigem Ort blinkte rot-grün und piepste wie ein zehnjähriges Handy auf LSD: Der Flipperautomat. Nun habe ich auch in meiner Jugend Metallkugeln in solchen Automaten herumgejagt. Wenn mein Taschengeld sich der Ebbe entgegenneigte, hörte ich auf. Doch es geht auch anders. Nach kurzer Zeit entdeckte Marten dieses faszinierende Gerät. „Mama, hast du mal nen Euro?» Hatte sie. Leider erschloss sich für unseren Liebling der Sinn des Spieles nicht komplett. Er jagte die Kugeln den Inlane hoch und ließ sie von freudigem Lachen begleitet ins Out-Lane plumpsen. Ohne die Flipperfinger zu bedienen. Durch die unorthodoxe Technik dauerte jedes Spiel nur wenige Sekunden. Hauptsache, der Junge hat seinen Spaß, dachte ich zu diesem Zeitpunkt. „Oma, hast du mal nen Euro?“ Wenig später. „Michael? Ein Euro für den Flipper?“- „Ich hab nur einen Zweier und Scheine.“ – „Zweier geht auch. Einen Schein kann ich wechseln lassen. Super.“ – „Nee, dass finde ich doch ein wenig kostspielig. Vergnügt euch lieber mit etwas anderem“, zeigte ich mich als Spielverderber. Fand er blöd, was aber noch lange kein Grund war, die Flinte ins Korn zu werfen. Man kann auch Leute anschnorren, die man nicht kennt. Für diesen Mut bewunderte ich Marten. Mit dieser Taktik ergatterte er bestimmt 5 weitere Euros, die im gefräßigen Bauch des Spidermanflippers verschwanden. Schließlich versiegte die Spendenfreudigkeit der Partygäste. Zumindest bei Marten. Doch auf einmal fragte sein Cousin Florian seine Mutter „Mama, hast du mal nen Euro.“ Klar hatte sie. Florian lief freudestrahlend zu Marten, und die Steppkes klatschten sich ab. Da überkam mich ein spontaner Anfall, erzieherisch eingreifen zu müssen, denn die Angelegenheit drohte finanziell auszuarten. Und schließlich wissen Erwachsene viel besser als ihre Kinder, was für Gefahren von solch einem harmlos wirkenden Apparat ausgehen. „Glücksspiel kann süchtig machen, Marten. Es gibt Menschen, die nur noch vor sich hinvegetierend Münzen in solche Automaten schmeißen, dabei das ganze Marlborolager leerquarzen und ihre Leber in Jägermeister konservieren. Die können ihren Job als Lokführer nicht mehr ausüben. Und das willst du später doch werden.“ Er schaute mich erstaunt an. „Wieso Glücks-spiel? Wenn ich den Ball hochschieße und runterkugeln lassen, hat das nichts mit Glück zu tun. Das funktioniert genauso, wie ich es will.“

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