Samstag, November 03, 2012

In der Bahn mit Satan

Straßenbahn Richtung Stadtmitte, 01.30 Uhr. An der Noltemeyerbrücke steigt ein Mann, Mitte fünfzig, zu. In der Hand hält er eine Flasche Gilde, die grauen Haare türmen sich wuschelig auf. Mir kommt es vor, als ob sich in Stirnhöhe zwei Hörnchen bilden. Aber wahrscheinlich bin ich nur müde. Jedenfalls verströmt der Kerl diesen ranzigen Geruch von Ärger. Demonstrativ blicke ich aus dem Fenster. Hilft nichts, er setzt sich in die Bank links neben mir. »Der Hitler wurde mir zu mächtig. Dem habe ich 42 in Stalingrad gezeigt, wo der Frosch die Locken trägt.« Ich ignoriere ihn zunächst. Doch er steht auf und setzt sich direkt neben mich. Er riecht wirklich intensiv. So als hätte er seinen abgerissene Jeansjacke mehrere Stunden über dem Kaminfeuer aufgewärmt. Instinktiv rücke ich näher ans Fenster. »Der Hitler hat sich was angemaßt. Du glaubst es nicht, mein Freund. Der hat sich mit Wagner-Opern berauscht und meinte, er könne es mit dem Satan aufnehmen.« »Aha«, heuchele ich Interesse. »Was sagt dir die Zahl 666?« Ich schweige. Der Dialog behagt mir nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass der Typ gewalttätig werden kann. »666 ist meine Zahl. Totale Verdammnis. Der Armageddon. Und dieses Kunstmalerwürstchen meint, er könne es mir gleichtun. Weißt du, dass der selber kein Arier war?« Nur noch drei Stationen. Bald habe ich es geschafft. »Du brauchst nicht zu antworten. Das wissen die wenigsten. Adolfs Familie stammt aus Anatolien. Die hießen ursprünglich Hütlük und haben sich eindeutschen lassen. So ein Blender.« Er holt eine volle Flasche Gilde aus einer Plastiktüte. »Weißt du, Bruder. Den Adolf hat der Mann mit dem weißen Bart genauso gehasst wie ich. Natürlich aus anderen Gründen. Trotzdem: Der musste weg. Heute mobbst du Politiker über das Internet. Das war früher schwieriger. Gott und ich haben dann die Alliierten in Bewegung gesetzt. Die sollten euch Deutschen das Feuer unterm Arsch anzünden.« Er lacht und legt mir eine Hand aufs Bein. »Du sprichst auch gut Deutsch. Ich wusste gar nicht, dass Satan Deutscher ist«, stelle ich fest. Er zieht die Hand zurück, nimmt einen Schluck Bier und rülpst. »Werde mal nicht komisch, Kleiner. Was sonst? Ami, Jude oder Taliban? Nö, als Deutscher fühle ich mich in meinem Element. Aber lenk mal nicht ab. Jedenfalls haben Gott und ich eine Allianz geschmiedet. Was meinst du, wer Adolf die Knarre im Bunker in die Hand gedrückt hat? Der Typ hat bis zuletzt an den Endsieg und Großdeutschland geglaubt. Der wäre nie freiwillig abgetreten.« »Wenn du es sagst. Dann müssen die Geschichtsbücher umgeschrieben werden, was.« »Du sagst es.« Er leert die Flasche. »Bist du wirklich Satan?« Langsam lähmt mir der penetrante Schwefelgestank den Atem. »Was ist wirklich, was ist Fiktion? Philosophie lag mir nie. Wenden wir uns praktischen Fragen zu. Wo steigst du aus, mein Freund?« »Vier Grenzen, nächste Haltestelle.« »Da hätte ich noch was.« Er zückt einen Ausweis. »Allgemeine Fahrscheinkontrolle. Ich weiß, es ist spät, aber dürfte ich dein Ticket sehen.« Mist. Ich wühle alle Taschen durch. Nichts. Zähneknirschend zahle ich vierzig Euro Strafe. Nicht, dass mich sein handgeschriebener Zettel mit der Aufschrift »Auhswiß« sonderlich beeindruckt hätte. Aber mit dem Satan lege ich mich nicht an.

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