Montag, Juni 24, 2013

Wahlkampfhelfer im Fluteinsatz

Horst ruft an und bittet mich nach oben. Es sei dringend. Ich solle meine Kamera mitbringen. Ich sage kein Wort. Dennoch pflaumt mich mein Nachbar an, warum ich nicht schon da wäre. Er hätte seine Zeit schließlich nicht gestohlen. Ich hetze los. Horst hat ein Poster des vom Elbhochwasser überschwemmten Pirna an seine Wohnzimmerwand geklebt. Davor liegt ein blauer Plastiksack, aus dem Sand rieselt. Horst stellt seinen Fuß drauf.


»Foto, Bresser«, bölkt er mich an. »Aber pronto.«



»Moin, Horst.« Ich versuche die Situation zu beruhigen. »Was soll diese Inszenierung bedeuten?«

»Mensch, Bresser. Es ist Eile geboten. Die Arbeitsvermittlung hat mir einen Job als Wahlkampfhelfer in den Hochwassergebieten angeboten. Die Merkel war schon in jedem überschwemmten Kuhkaff im Osten und Süden. Die ist ausgebrannt. Steinbrück hat keinen Bock auf Dreck. Der will erst die Katastrophengebiete bereisen, wenn alles saniert ist. Um Wählerstimmen abzugreifen, müssen die Parteien aber Präsenz zeigen, zupacken, den Menschen Hoffnung geben. Da komme ich ins Spiel. Horst Kraschinski, geheimer Generalsekretär der SPD. Ich kann aber auch grün, schwarz, gelb und links. Je nachdem, wer mich anfordert.«



»Das kannst du doch nicht machen, Horst. Das sind ganz arme Schweine, deren Existenz von Donau und Elbe weggeschwemmt wurden. Die kannst du doch nicht schamlos anlügen.«

Horst schaut erstaunt.

»Aber das macht doch jeder Politiker. Glaubst du im Ernst, dass Merkels zugesicherte Millionen bei Ömmaken Stengel aus Dresden ankommen? Mathematik war noch nie deine Stärke. Lass eine Sanierungsmaßnahme eines Totalschadens 100.000 € kosten. Bescheiden geschätzt. Dann können mit Angies angekündigten 100 Millionen schlappe 1000 Häuser wieder hergerichtet werden. Das dürfte noch nicht einmal für den Ortskern von Pirna reichen. Und jetzt kommst du.«



»Nur weil alle lügen, kannst du den Leuten nicht auch noch Märchen erzählen. Und diesen Politkasperln zur Wiederwahl zu verhelfen…. Ddddas finde ich zutiefst unmoralisch.« Vor Empörung stottere ich.



Horst steckt sich eine Roth-Händle an und hüllt die Überflutungslandschaft in beißende Nebelschwaden.

»Bleib ruhig, Bresser. Du siehst alles viel zu schwarz. Steinbrück würde gerne helfen. Der weiß von Helmut Schmidt, welche Strahlkraft von Flutwasserhilfen ausgeht. Leider hat er Bandscheibe und kann keine Sandsäcke schleppen. Aber er würde gerne Knöpfe drücken, um einen Damm zu sprengen, habe ich gehört. Leider lässt ihn keiner. Angie beruhigt. Sie erweckt den Eindruck, sich zu kümmern, ohne dass etwas passiert. Das ist große Kunst. Von der Lady kann jeder eine Menge lernen. Ich werde auf der Merkel-Schiene fahren. Viel versprechen, ducken und wieder zurück in meine Butze. In 14 Tagen interessieren sich die Medien doch wieder für wichtigere Themen: Schließlich läuft bestimmt bald die nächste Staffel Deutschland sucht den Superdödel an.«



Ich hole mir ein Bier aus Horsts Badewanne.

»Sorry, Horst. Ich finde deine Einstellung zynisch.«

Horst schüttelt den Kopf.

»Heute hast du intellektuell einen besonders bescheidenen Tag, Bresser. Besteht nicht das ganze Leben aus Hoffnung? Warum sind Bibel und Koran Weltbestseller? Weil sie das Paradies versprechen, ohne sich an Ergebnissen messen lassen zu müssen. Das Konzept der Religionen haben sich die Politiker abgeschaut. Ich werde einfach auch ein Prophet einer goldenen Zukunft. Jetzt trink nicht so viel, sondern knips mein Bewerbungsfoto.«

In diesem Augenblick klingelt Horsts I-Phone.



»Horst hier.« Nach einer Minute sagt Horst. »Das kann selbst ich nicht. Sorry. Suchen Sie einen anderen Wahnsinnigen.« Dann legt er auf. Eine Träne kullert seine Wange herunter.

»Was ist los, Horst?«

»Die etablierten Parteien wollen meine Dienste nicht. Nur ein Herr Rösler von einer unbekannten Partei namens FDP war begeistert. Ich soll ihm über die 5%-Hürde helfen. Aber Wunder kann selbst ich nicht. Schade, ich hätte so gerne geholfen. Prost.«

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