Montag, Juni 10, 2013

Hannover frackt

Als ich die Wohnung verlasse, um im Salikum schreibenderweise die Seele baumeln zu lassen, stolpere ich über eine Kiste. Mit besten Grüßen von Horst, steht auf der beiliegenden Karte. Ich öffne den Karton. Acht Flaschen Champagner und drei Dosen Beluga-Kaviar. Woher hat Horst das Geld für solche Präsente?


Seine Wohnung finde ich verwaist vor, doch ich höre Stimmen aus dem Keller.



Ich treffe Horst zusammen mit einem breitschultrigen Mann, in dessen wallenden Vollbart Vögel verstecken spielen können. Er trägt einen beigen Pullunder über einer Latzhose. Horst trägt einen Nadelstreifenanzug, als wäre er Sprecher eines DAX-Unternehmens. Sehr befremdlich.

»Bresser, schön dass du da bist.«

So freundlich begrüßt mich Horst selten. »Moin, Horst. Danke für den Schampus.«



»Da nicht für, Bresser. Ich hab’s ja. Sollst auch nicht leben wie ein Hund.« Horst klopft mir gönnerhaft auf die Schulter. »Habt ihr eigentlich mal über einen Umzug nachgedacht? Hannover bietet viele schöne Viertel, wo dich die Muse küssen kann. Ihr braucht nicht ausgerechnet hier zu leben.«

»Auch andere Städte haben ihre Reize. Leipzig, Berlin, Bitterfeld?« Der Bärtige drückt mir einige Reiseführer in die Hand.

»Kannst du mich bitte aufklären, was das alles soll?«, frage ich Horst.



»Lange Geschichte, Bresser. Mein Fallmanager hat mir Beine gemacht. Ich soll klotzen, nicht kleckern. Selbständigkeit in einem zukunftsträchtigen Markt, hat er vorgegeben. Deshalb gründe ich jetzt die Horst AG und gehe unter die Fracker. Mensch, Bresser, ich bin aufgeregt wie ein Goldschürfer in Alaska, der einen gelben Schimmer im Fluss entdeckt hat.«

Horst holt einen Packung Dunhill aus der Anzugstasche.

»Mit gutem Recht, Herr Kroschinski. Wir packen das und scheffeln Millionen«, bekräftigt der Vollbart.

»Was zum Teufel ist ein Fracker?«, frage ich verblüfft.

»Erdgasförderung. Wir injizieren mehrere 100 Meter unter der Erde Flüssigkeiten, brechen das Gestein und fördern Gas mittels Bohrtürmen, mal ganz vereinfacht ausgedrückt.«



»Und wer ist dein Kollege hier?«

»Dr. Eberhard Ringmann. Ich betreue als Geologe die Horst AG in Gründung.«

Er wedelt angewidert Horsts Zigarettenrauch zur Seite.

»Und was soll diese Umzugsempfehlung?«, frage ich.

»Gut, dass du darauf zu sprechen kommst. Doc Ringmann hat ermittelt, dass unter unserem Haus gewaltige Gasvorkommen schlummern. Die wollen wir bergen. Wenn das Haus durch unsere Trupps abgerissen wird, können wir hier nicht mehr wohnen. Ist doch logisch, oder. Ich ziehe sowieso nach Isernhagen oder Burgwedel, wo erfolgreiche Unternehmer wie Dirk Rossmann und ich hausen.«



»Ich bitte dich, Horst. Willst du den ganzen Stadtteil abreißen? Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass es der Umwelt bekommt, wenn du Chemikalien in die Erde einleitest.«

Am liebsten würde ich jetzt auch rauchen, meine Wut braucht ein Ventil.

»Die Amis fracken seit Jahren. Die Umweltbedenken hatte ich auch, aber die Bereinigung der Arbeitslosenquote kommt vor Ökologie, sagt mein Fallmanager.«



»Horst geht an die Börse, verkauft mit Millionengewinn und setzt sich zur Ruhe. Dann schreibt er seine Biographie und scheffelt nochmals Millionen. Vorträge vor dem Bundestag, der UNO, Nobelpreis. Und das in fünf Jahren. Horst ist Visionär.«

Horst sackt zusammen.

»Und dann brauche ich nichts mehr zu tun?«



Ringmann klopft ihm auf die Schulter.

»Dann kannst du relaxen und lässt die anderen für dich arbeiten. Hast Zeit zum Philosophieren und kannst Zeitung lesen, wann du willst.«

»Das kann ich auch, ohne die Umwelt zu zerstören.« Horst knufft Ringmann. Dann holt er eine Flasche Herri aus seinem Aktenkoffer. »Ich denke ihr sucht euch einen anderen Nobelpreisträger und ich mir einen anderen Zirkus. Dunhill und Millionen sind einfach nicht meine Welt. Außerdem würde mir Bresser fehlen, wenn er nach Bitterfeld zieht. Irgendjemand muss mir schließlich die BILD vom Kiosk holen. Prost.«

Keine Kommentare:

Blog-Archiv