Unser Vermieter Herr Habermann liebt die Sicherheit. Damit wir nicht
geklaut werden, hat er eine Alarmanlage installiert, die uns gegen
Vandalismus, Glasbruch und Beelzebub persönlich schützt. Es reicht, wenn
die Haustür länger als 3 Minuten offensteht oder eine Einkaufstüte zu
Boden fällt. Dann schrillt eine Sirene lautet als eine
Death-Metal-Combo. Ich halte mir die Ohren zu, rase in unsere Wohnung im
zweiten Stock, setze mir einen von Herrn Habermann zur Verfügung
gestellten Ohrenschützer auf, renne zurück in den Keller und schalte die
Anlage aus. Dies ist mir in diesem Monat bisher 3 Mal passiert. Ein
Einbrecher könnte gar nicht in unser Haus eindringen, weil dauernd
Mieter durchs Treppenhaus hetzen, um die Alarmanlage zu entschärfen. Da
würden ungebetene Gäste auffallen.
Leider gibt es für unsere Wohnung auch eine Anlage, die ähnlich
empfindlich ist. Marten rutscht im Flur aus, der Alarm dröhnt als würden
die Entenhausener Panzerknacker zur Attacke blasen.
»Was habe ich gemacht?«, fragt der Kleine erstaunt. »Nichts, ich
stelle diese verdammte Anlage jetzt aus. Verdammt hast du nicht gehört.«
Abends begegne ich Herrn Habermann im Treppenhaus.
»Herr Bresser, gut, dass ich sie erwische. Mir ist da was
aufgefallen. Als ich unten im Keller an meiner Monitorwand saß, stellte
ich fest, dass Sie den Alarm ausgeschaltet haben. Kann man ja vergessen.
Ich habe ihn sofort wieder scharfgemacht. Soll Ihnen ja nichts
passieren.« Er klopft mir beruhigend auf die Schulter.
»Herr Habermann. Mein Urgroßvater Arnold Breskowski fuhr in der
ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf dem Trittbrett eines
Zuges von Warschau ins Ruhrgebiet, um dort in einer Zeche zu arbeiten.
Später baute er in Kirchhellen ein Haus. Dort lebt heute noch meine
Mutter. In den ganz gut siebzig Jahren seiner Existenz hat dort niemand
eingebrochen. Ohne Alarmanlage.«
Habermann lauscht meiner Geschichte mit aufgerissenen Augen.
»Interessant, aber das Haus liegt in einem Dorf. Wir leben in einer
Großstadt. Da muss man sich ganz anders schützen. Ich hätte noch einen
besonderen Service des Alarmanlagenherstellers. Wenn Sie mir ihre
Mobilnummer anvertrauen, werden Sie auch im Urlaub darüber informiert,
wenn der Alarm anschlägt. Selbst auf den Malediven.«
»Nein, ich will es nicht wissen.«
»Aber beschweren Sie sich hinterher nicht, ich hätte es Ihnen nicht
angeboten.« Habermann ist schwer beleidigt. Ich sage ihm lieber nicht,
dass ich diesen Alarm am liebsten für immer ausschalten würde.
Eine Woche später. Ich komme nachmittags aus der Stadt, wo ich in
Charlies Eck am aktuellen Roman geschrieben habe. Steffi und Marten sind
noch außer Haus. Ich räume in der Küche die Kaffeetassen vom Frühstück
in die Spülmaschine. Im Radio spielt Lang Lang Chopin. Meine
Stimmung ist gut, ich bin im Flow. Da klingelt es. Hat Steffi den
Schlüssel vergessen? Ich öffne die Wohnungstür. Herr Habermann stürzt in
die Wohnung, zieht sie hinter sich zu und baut sich vor mir auf. Hat er
überhaupt gefragt, ob er reinkommen darf? Ich erinnere mich nicht.
»Ha«, sagt er. Auf eine Begrüßung verzichtet er. Wird auch überschätzt, denke ich.
»Ha was?«, frage ich.
»Ist Ihnen nichts aufgefallen?«
Der Mann spricht in Rätseln. Vielleicht sollte ich ihn an Günther
Jauch weiterempfehlen. Ist Ihnen nichts aufgefallen? Antwort a: »Nein.«
Antwort b: »Ja.« Antwort c: »Das Bild im Wohnzimmer hängt schief.«
Antwort d: »Durch das Gesetz der Schwerkraft fällt nichts auf, nur
hinunter.« Eine Vierundsechzigtausend-Euro-Frage.
»D. Äh, mir ist nichts aufgefallen.«
»Ihm ist nichts aufgefallen. Wunderbar. Haben Sie denn Ihren Anrufbeantworter noch nicht abgehört?«
»Bin ich noch nicht zu gekommen.« Was will denn der Kerl von mir.
»Wissen Sie wenigstens, wo Ihre Frau ist?«
»Einkaufen? Um was geht es denn?«
»Also Sie haben noch nicht mit der Polizei gesprochen. Hätte ich mir bei jemanden wie Ihnen denken können.«
Plötzlich fährt mir ein kalter Schauer die Wirbelsäule hinunter.
»Ist meine Frau was passiert?«
»Andere Sorgen hat er nicht? Da fragt er mich im Ernst, ob seiner Frau was passiert sei. Ha.«
»Ha.« Ich mag es nicht, wenn jemand von mir in meiner Anwesenheit in der dritten Person spricht. Da bin ich empfindlich.
Ȁffen Sie mich nicht nach. Bei Ihnen wurde eingebrochen. Ich habe
heute Morgen das Treppenhaus inspiziert, da stand Ihre Wohnungstür
sperrangelweit offen. Ich habe natürlich sofort die Polizei gerufen. Wir
haben gemeinsam den Tatort und Spuren gesichert.«
Ich weiß nicht, was er will. Die Wohnung sieht nicht anders aus wie heute früh. Habe ich die Tür nicht hinter mir zugezogen?
»Besonders dreist fanden wir, dass die Einbrecher in Ihrer Küche
Kaffee getrunken haben. Als Sie mich hörten, sind Sie rasch geflüchtet,
denn die Maschine war noch eingeschaltet.«
»Hören Sie, Herr Habermann. Ich habe vielleicht vergessen, die Tür zu
schließen. Das hätten Sie auch machen und mir vielleicht eine Notiz in
den Briefkasten schmeißen können. Es war völlig unnötig die Polizei zu
rufen.«
Habermann läuft knallrot an.
»Ich biete Ihnen Sicherheit vom Feinsten und Sie gefährden alles. Da
hätte sich doch ein pakistanischer Bombenleger bei Ihnen einnisten
können, und Sie hätten nichts gemerkt. Da lässt der feine Herr einfach
die Tür offenstehen.«
»Kann doch passieren. Das Thema hat sich für mich erledigt.«
»Ha. Aber für mich noch lange nicht. Wie ich Sie kenne, haben Sie
auch das Treppenhaus mit Farbe beschmiert. Wischen Sie die gefälligst
weg.« Er schnappatmet jetzt.
»Ihre Maler arbeiten doch hier. Die Farbe stammt bestimmt von denen.«
»Immer will es keiner gewesen sein. Das ist ganz schlechter Stil, Herr Bresser.«
In diesem Augenblick öffnet sich die Tür. Von ganz alleine. Wir beide bestaunen dieses paranormale Phänomen.
»Ihr Maler hat doch auch an den Türrahmen gearbeitet. Vielleicht schließt sie deshalb nicht richtig?«, mutmaße ich.
»Muss ich prüfen. Nichts für ungut.« Habermann verschwindet. Ich fühle mich als moralischer Sieger.
Am nächsten Tag besucht uns der Maler und richtet die Tür wieder.
Anschließend stellt er eine Sphinxbüste ins Treppenhaus. Mit
integrierter Lichtschranke. Sobald jemand sich unserer Tür nähert, singt
sie »Walk like an Egyptian.« Somit ist Herr Habermann immer über
Eindringlinge informiert.
Wir überlegen ernsthaft, in eine weniger sichere Wohnung umzuziehen.
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