Gesundheit ist
mir wichtig. Zumindest seit drei Monaten. Da erzählte mein Kumpel Joe in
Charlies Eck, dass er zu einer Heilpraktikerin ginge. Fand ich erst einmal
seltsam.
»Schau auf
meinen Kopf«, sagte Joe. Tatsächlich. Wo vor vierzehn Tagen noch eine kahle
Steppe gähnte, sprossen nun braune Härchen.
»Was ist passiert?«, fragte ich. »Ist das ein
Toupet?«
»Von wegen.
Ich bin zu Sibylle Wägrich, einer Heilpraktikerin, gegangen. Die hat meine
Ernährung umgestellt, gibt mir homöopathische Medikamente und motiviert mich.
Seitdem fühle ich mich dreißig Jahre jünger.«
»Ha«, sage
ich. »Und trotzdem haust du dir die Hefeweizen rein? Oder gehören die zur
Therapie?«
»Naturtrüber
Apfelsaft. Frag Charlie. Alkohol gehört meiner finsteren Vergangenheit an. Nun
lebe ich im Licht.«
Unser
Stammtisch endete kurz darauf. Joes Licht schien mir einfach zu hell.
»Du bist
einfach nur neidisch«, belehrte mich meine Frau.
»Worauf neidisch? Ich habe noch alle Haare«,
protestierte ich.
»Und deine
Geheimratsecken? Außerdem schadet dir eine gesündere Lebensweise nicht. Du
warst schon fitter.«
Da hat sie
zweifellos recht. Also vereinbare ich einen Termin mit Sybille. Bereits eine
Woche später gehören Alkohol, Nikotin und Süßigkeiten auch meiner finsteren
Vergangenheit an. Fleisch, Kaffee und Rockkonzerte meide ich. Ebenso anregende
Tees, Gekochtes und Punkkonzerte. Dafür
trinke ich nach Kuhmist schmeckende Aufgussgetränke, verschlinge Rohkost und lausche
CDs mit rauschenden Flüssen. Besonders gut gefällt mir die Donau. Klingt nach
einem harten Programm, ist es auch. Dennoch fühle ich mich besser. Bis gestern.
In der Nacht
krampft sich mein Bauch zusammen, gleichzeitig wird mir übel. Am Morgen drauf
ist die Übelkeit verschwunden. Allerdings schmerzt der Bauch, wenn ich mich
bewege. Also bleibe ich erst einmal im Bett liegen. Um sechzehn Uhr kommt unser
Sohn nach Hause.
»Wie lange
willst du noch liegenbleiben?«
»Bis es mir
besser geht.«
»Wann geht es
Dir besser?«
»Wenn der
Bauch nicht mehr schmerzt.«
»Du liegst
bereits seit gestern Abend im Bett«, stellt Marten fest. »Vielleicht solltest
du zu Sybille gehen.«
Nein, nicht
zu Sybille. Wenn ich trotz ihrer Rosskur krank werde, zieht sie härtere Seiten
auf. Das hat sie mir bereits angekündigt. Ich mag mir nicht ausmalen, wie diese
aussehen mögen.
»Bei akuten
Problemen ist ein traditioneller Mediziner besser. Der weiß was er tut und
therapiert nicht wild drauf los«, behaupte ich.
»Dann geh hin«,
beendet Marten das Gespräch und widmet sich lieber seiner Legoeisenbahn.
Ich suche die
Adresse eines Allgemeinmediziners aus meiner Nähe im Internet, ziehe mich an
und schlurfe los. Eine halbe Stunde später sitze ich in Dr. Maurers
Behandlungszimmer. Ich schildere meine Symptome.
»Das könnte
vieles sein«, stellt Maurer fest. »Geben Sie uns eine Urinprobe.«
Ich setze
mich mit einem Plastikbecher auf Toilette. Es kommt nichts. Bekomme ich nun
keine Diagnose?
»Alles in
Ordnung?«, ruft eine Sprechstundenhilfe durch die Klotür.
»Ich kann
nicht.«
»Nicht gut.
Sie sind ein schwieriger Patient.«
Aha, kann ich
doch nichts für.
Wieder im
Sprechzimmer sagt Dr. Maurer zu mir: »Kein Problem. Allerdings sind meine
Diagnosemöglichkeiten erschöpft. Bitte gehen Sie ins Krankenhaus in die
Notaufnahme. Die werden Ihnen weiterhelfen.«
Kurz darauf
stehe ich in der Kälte, in der Hand eine Überweisung ins Krankenhaus. Mein Buch
schmerzt beim Laufen und ich tue mir selber Leid. Ich jammere etwas vor mich
hin, doch kein Passant hält an und erkundigt sich nach meinem Schlechtbefinden.
Es hilft alles nichts. Ich rufe mir ein Taxi und lasse mich zum
Oststadtkrankenhaus befördern. Auch der Taxifahrer ignoriert meine um Mitleid
bettelnden Blicke und schaut starr auf die Fahrbahn.
»Mir geht es
heute nicht so gut. Bauch«, erkläre ich. »Daher muss ich ins Krankenhaus.«
»Die Roten
spielen sich zurzeit eine Scheiße zusammen, was.«
»Mal schauen,
ob ich den heutigen Tag noch überlebe.«
»Die sollten
mit Slomka schleunigst verlängern, wenn Sie mich fragen.«
Als wir am
Krankenhaus angekommen sind, gebe ich ihm kein Trinkgeld. Wenn ich mich über
Fußball unterhalten will, fahre ich kein Taxi sondern gehe zum nächsten Kiosk.
Idiot.
Im
Krankenhaus nimmt mich Pflegeschüler Dennis in Empfang. Er stellt mir jede
Menge Fragen.
»Gewicht?
Größe? Krankheiten? Krankheiten in der Familie?«
Geht ihn
nichts an. Er nickt nur gleichmütig. »Sie sind krank, nicht ich. Geben Sie uns
eine Urinprobe.«
Nicht schon
wieder. Ich sitze wieder mit einem Plastikbecher auf Toilette und fühle mich
blockiert.
»Alles in
Ordnung, Herr Bresser?«, schallt es durch die Tür.
»Klappt
nicht«, bekenne ich frustriert. »Vielleicht kann ich was trinken? Das wäre
förderlich«
»Geht nicht«,
brüllt Dennis durch die Tür. »Bevor Sie operiert werden, dürfen Sie nichts
trinken. Wenn Sie nicht pinkeln können, ist es nicht weiter schlimm.«
Nun weiß das
ganze Krankenhaus über meine Urinierhemmung Bescheid. Super. Und wieso
operieren? Sollte nicht vorher eine Diagnose gestellt werden?
Richtig.
Darum kümmert sich Dr. Schmauch, ein kreidebleicher Assistenzarzt mit
schulterlangen schwarzen Haaren und rumänischem Akzent. Erinnert mich an eine
Dracula-Verfilmung mit Bela Lugosi. Der Mann ist mir unheimlich.
»Was genau
ist Symptom?«
»Wenn ich
mich bewege, fühlt sich mein Bauch unangenehm an.«
»Sie leiden
Schmerzen?«
»Ein
unangenehmes Gefühl, keine richtigen Schmerzen.«
»Aha.«
Dr. Schmauch
tastet meinen Bauch ab. Dabei drückt er so fest, dass ich aufstöhne.
»Oho«, freut
der sich. »Doch Schmerz!«
»Eher
unangenehm.«
Dr. Schmauch
schüttelt den Kopf. »Sie müssen entscheiden. Sonst keine Diagnose. Sie sind schwieriger
Patient.«
Das höre ich
heute zum zweiten Mal. Schmauch reibt meinen Bauch mit schmieriger Paste ein
und führt eine Sonde über meinen Bauch. Währenddessen murmelt er grimmig vor
sich hin.
»Und?«, frage
ich schließlich.
»Ich sehe
nichts. Spreche mit Oberarzt.«
Der steht
kurz darauf an meiner Liege. Ein solariumgebräunter Sonnyboy im Jogginganzug.
»Ich bin Dr.
Kaltenbach. Entschuldigen Sie meinen Aufzug, ich bin eigentlich bereits im
Feierabend. Wo ist das Problem?«
»Schwierig
Patient. Kann nicht sagen, ob Schmerzen hat. Bei Sonographie habe ich nichts
entdeckt.«
»Ich glaube
nicht, dass ich mehr als du entdecke«, sagt Kaltenbach. Das macht Hoffnung.
Zehn Minuten später hat auch er meinen ganzen Bauch abgetastet. Der Monitor hat
nichts gezeigt.
»Gab es schon
mal Probleme in Ihrer Familie mit dem Bauch?«, fragt er.
Was haben die
Bauchschmerzen meiner Eltern mit mir zu tun.
»Nicht, dass
ich wüsste«, antworte ich dennoch brav.
»Okay, Herr
Bresser. Wir haben 2 Möglichkeiten. Wir können Ihnen auf Verdacht Antibiotika
geben. Sollte aber etwas Akutes vorliegen, könnte sich ihr Zustand verschlimmern.
Oder wir öffnen Ihren Bauch und schauen, was dort los ist. Das ist zweifelslos
die bessere Alternative.«
Klingt beides
nicht gut. Aber die Operation scheint unausweichlich.
»Eine super
Entscheidung«, freut sich Kaltenbach. »Dr. Schmauch bereitet sie auf den
Eingriff vor.«
Der stellt
mir die gleichen Fragen, die ich bereits Pflegeschüler Dennis beantwortet habe.
Vorerkrankungen, Erkrankungen in der Familie, Allergien. Wenn das so weiter
geht, kann ich auf Vollnarkose verzichten. Ich werde immer schläfriger.
Dann werden
mir diverse Löcher in die Arme gestochen, Blut abgezapft.
»Möchten Sie
eine Scheiß-Egal-Pille?«, fragt mich Dennis.
»Ach, nö. Ich
bekomme noch genug Chemie.«
Dann schiebt
er mich in die Anästhesie. Unterwegs erfahre ich, dass er in Vahrenwald zusammen
mit seiner Freundin lebt. Die heißt Andrea und arbeitet als PTA. Er fragt mich
noch diverse Dinge über meine Frau, meinen Sohn und unsere Wohnung. Wie in
Trance antworte ich, obwohl ich nicht verstehe, warum meine Antworten für die
Operation wichtig sind.
In der
Narkosestation muss ich kräftig durch eine Sauerstoffmaske atmen. Währenddessen
tropft eine durchsichtige Flüssigkeit über einen Schlauch in meine Vene. In meinem
Kopf spielen die Beatles Sergeant Pepper. Dazu grelle Farben und haarige
Pilzköpfe. Und das, wo ich die Beatles hasse.
Als ich
aufwache ist helllichter Tag. Ich liege in einem Krankenhauszimmer, eine
Ärztearmee umringt mein Bett. Träume ich noch?
»Da ist er
wieder unter den Lebenden, der Herr..«, ein rundlicher Arzt schaut auf das
Namensschild an meinem Bett. »…Bresser. Da haben Sie sich ein schönes Ding
eingefangen. Blinddarmdurchbruch mit Bauchfellentzündung. Heute Abend öffnen
wir Ihren Bauch erneut.« Er klopft mir jovial aufs Bein. »Mal schauen, ob da
wieder alles in Ordnung ist. Kein Grund zur Panik. Manchmal muss man in solchen
Fällen bis zu 10 Mal nachoperieren. Sie sind halt ein schwieriger Patient.«
Seine Gefolge
nickt andächtig.
In diesem Moment sehne ich mich nach Sybille zurück. Die fand
mich nie schwierig.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen