Ich bin
wirklich ein schwieriger Patient. Vielleicht liegt das an meinen westfälischen
Wurzeln. Ich bin ein ungeselliger Typ, der gern für sich alleine in den Untiefen
seiner Gedanken rumwatet. Natürlich liebe ich meine Familie über alles. Wenn
ich meine Frau sehe, geht für mich die Sonne auf. Der Anblick meines Sohnes
lässt mich heller strahlen als ein japanisches Atomkraftwerk. Das reicht mir
allerdings schon. Natürlich schlürfe ich gerne in Autorenkollegen Kerschkamps
Kellerbar süffigen Rotwein oder erörtere mit Joe in Charlies Eck die
weltpolitische Lage. Aber ein Dreibettzimmer ist definitiv mit 2 Personen
überbelegt. Hätte ich nur die Zusatzversicherung für ein Einzelzimmer
abgeschlossen.
Ich muss
allerdings zugeben, dass Herr Götel ein feiner Kerl ist. Vor seiner
Pensionierung hat er als Braumeister bei Herrenhäuser die Qualität des besten
Hannöverschen Bieres sichergestellt. Ein wichtiger Job. Nun spielen seine
Nieren verrückt, was aber nicht an übermäßigem Biergenuss liegt. Er trinkt
nämlich nur Rotwein.
Schwierigkeiten
habe ich eher mit James. Der stammt aus der Karibik, hat die erste Hälfte
seines Lebens in London verbracht, die zweite in Hannover. Leider spricht er
ein für mich unverständliches Deutsch. Daher probiere ich es mit Englisch. Er
schaut mich erstaunt mit seinen braunen Rehaugen an, als hätte das
Krankenhausbett zu ihm gesprochen. Okay, Englisch ist auch nicht sein Ding. Ein
armer Tropf. Schwaches Herz, versagende Nieren, astronomische Zuckerwerte. Dennoch
verspeist er den ganzen Tag Hähnchenkeulen, die ihm seine Freu mitbringt, damit
er wieder zu Kräften kommt. Ich hingegen erhalte nach 3 Operationen in 4 Tagen
und einer Woche Intensivstation nur einen intravenösen Chemiemix.
»Jetzt gibt
es Lecker-Lecker, Herr Bresser«, begrüßt mich Schwester Bonnie, als sie eine
neue Lösung an meinen Chemikaliengalgen an klemmt. Nur weil ich krank bin, muss
sie nicht in Baby-Sprache mit mir schnacken.
»Ich nehme
Pommes Currywurst mit ein wenig Majo. Dazu ein Pils.«
Sie schaut
mich mitleidig an. Und James‘ Hähnchenkeulen duften. Hmm. Das nehme ich ihm aber
nicht übel. Anstrengend hingegen sind seine permanenten Rufe nach dem
Pflegepersonal. Besonders in der Nacht.
»Schwester!
Ich Smörtsmiddel.«
»Bitte?«
»Er möchte Schmerzmittel«,
übersetze ich um 4 Uhr morgens gerne. James entdeckt in Nacht auch immer neue
medizinische Notlagen. Er verlangt nach einem Ohrenarzt, einem Hautspezialisten
oder duscht ganz einfach zu ungewöhnlichen Tages- bzw. Nachtzeiten. Und bis auf
mich versteht ihn keiner. Das schlaucht ganz schön. Er unterstellt dem
Pflegepersonal, seine Anliegen absichtlich zu ignorieren. Ein durchaus
begründeter Verdacht, schließlich lässt sich niemand gerne als »Arschloch« oder
»Bastard« titulieren. Nur weil die Dialyseabteilung nicht um kurz nach
Mitternacht für James geöffnet werden kann. Faulpelze, pflichte ich ihm bei.
Der Stress
geht los, als Steffi mich besuchen kommt. Sie wirkt blass und übermüdet. Kein Wunder,
berufliche Selbstständigkeit und schulpflichtiges Kind sind anstrengend genug, und jetzt der Mann im
Krankenhaus on top. Das kann keiner brauchen.
Steffi holt
ein Notizbuch aus der Tasche.
»Als ich
gestern aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen bin, musste ich bis
dreiundzwanzig Uhr telefonieren. Grüße von deiner Mutter, deinen Schwestern,
Tante Trudi und Onkel Ingo, Kerschkamp, Joe, den Wiemers, meiner Mutter, meiner
Schwester, Gerda und Hans-Wilhelm sowie den Schneiders.«
»Oh, danke.
Wer sind Gerda und Hans-Wilhelm?«
»Deine
Cousine zweiten Grades aus Extertal.«
»Die haben
uns einmal besucht. Da war ich 4.« Verzweifelt versuche ich mich an ein Gesicht
zu erinnern.
»Deine Mutter
hat sie angerufen. Gerda ist doch Krankenschwester. Die war ganz entsetzt, wie
sie mit dir hier umspringen.«
»Ist doch
ganz okay. Mir geht es den Umständen entsprechend gut«, beteure ich.
»Aber es
könnte dir besser gehen, sagt Gerda. Sie wird dich besuchen und die Ärzte
richtig auf den Pott setzen.«
Mühsam richte
ich mich auf.
»Ich habe
keine Kraft für Streitigkeiten. Ich muss mich erholen.«
»Die Wiemers,
Onkel Ingo und Joe wollen dich auch besuchen. Joe trinkt zwar nicht mehr, aber
dir will er eine Kiste Herrenhäuser ins Krankenhaus schmuggeln. Onkel Ingo
möchte dir auf der Ukulele indische Gesundheitsmantras vorspielen. Dann wärst
du sofort geheilt. Die Wiemers denken, eine Partie Mensch ärgere dich nicht täte dir gut.«
»Keine
Besuche. Und wenn, dann für höchstens eine halbe Stunde«, stöhne ich. »Ich
brauche wirklich nur Ruhe.« Da sage ich zwar immer, wenn wir irgendwo
eingeladen sind, aber diesmal stimmt es wirklich. Sonst besuchen mich die meisten
dieser Leute auch nicht. Warum jetzt, wo ich noch weniger Gesellschaft
gebrauchen kann als sonst. Steffi verspricht, sich fünf Stunden
freizuschaufeln, um alle wohlmeinenden Verwandten und Bekannten über die
Besuchsregelung zu informieren. Ich bin sehr dankbar.
Leider bleibe
ich nicht lange alleine.
»Halli,
hallo, hallöle. Wie geht es denn unserem armen Patienten?« Dieser Flummi im
knallgelben Kleid könnte Gerda sein. Hans-Wilhelm, ein komplett schwarz
gekleideter Gothic mit ausrasierter linker Scheitelhälfte, folgt ihr bedächtig.
Leider bin ich zu sehr geschwächt, um auf der Stelle zu flüchten.
»Ich
Smörtsmiddel, Schwester«, stöhnt James.
»Sie Armer,
werden Sie hier nicht richtig versorgt? Bei uns Extertal wären Sie besser
aufgehoben.« Gerda öffnet die Zimmertür und brüllt »Schwester, kommen Sie doch
endlich!« in den Flur.
»Was denn?«,
fragt Schwester Bonnie, nur leicht gereizt.
»Der Mann
stirbt vor Schmerzen. Ich bin Kollegin aus Extertal. Da kümmern wir uns um
unsere Patienten.«
»Herr
Semisanan hat erst vor einer halben Stunde Medikamente bekommen. Seien Sie
beruhigt. Es ist alles gut.«
»Unmöglich«,
flüstert Gerda Schwester Bonnies Rücken hinterher.
»Leben kommt,
Leben geht«, murmelt Hans-Wilhelm. »Die Wahrheit ist auf dem Friedhof.«
»Hans, nu
lass mal«, maßregelt ihn Gerda. Aus unerfindlichen Gründen fühle ich mich
wesentlich schlechter als heute Morgen.
»Nenn mich
Evil Darkness. Mein alter Name liegt in der Gruft.« Hans kann auch laut,
wundere ich mich.
»Werd nicht
komisch. Außerdem sind wir wegen Micha hier.«
Ich stöhne
demonstrativ auf. »Ich bin sooooo müde. Außerdem schmerzt mein Bauch. Längeren
Besuch halte ich nicht aus.« Das ist sogar die Wahrheit.
»Ganz normal«,
Gerda klopft mir auf den Bauch, was einen weiteren Schmerzensschrei hervorruft.
»Entschuldige, mein Lieber. Das hätte mir als Schwester nicht passieren dürfen.
Jedenfalls ist es bei so einer schwierigen Operation kein Wunder, dass du
geschwächt bis. Immerhin bist du knapp dem Tod von der Schüppe gesprungen.«
»Ich beneide
dich. Wie schaut der Tod aus?«, fragt Evil Darkness.
»Nicht, wie
man sich vorstellt. Eher wie ein Hippi. Sehr bunt, sehr ungepflegt. Er hat
Yellow Submarine gepfiffen«, behaupte ich.
»Nicht wahr!«, staunt Hans.
»Nun wollen wir
die Caféteria besichtigen. Kommst du mit?«, fragt Gerda.
Ich zeige auf
die Schläuche, die meinen Körper verlassen.
»Dann trinken
wir ein Käffchen mit auf dich, Cousin.«
Sie verlassen
unser Zimmer. James blickt mich fragend an. »Verrückte?«
»Bauern aus
Ostwestfalen. Ganz schlimm Verrückte. Hast du noch Schmerzmittel übrig?«
Hat er. Damit
ist alles leichter zu ertragen.
Ich
telefoniere mit Steffi. Ab sofort empfange ich keinerlei Besuche am
Krankenbett. Außer den inneren Familienkreis, das müssen die anderen aber nicht
wissen. Ich bin halt ein schwieriger Patient.
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