Unser Vermieter Herr Habermann liebt die Sicherheit. Damit wir nicht
geklaut werden, hat er eine Alarmanlage installiert, die uns gegen
Vandalismus, Glasbruch und Beelzebub persönlich schützt. Es reicht, wenn
die Haustür länger als 3 Minuten offensteht oder eine Einkaufstüte zu
Boden fällt. Dann schrillt eine Sirene lautet als eine
Death-Metal-Combo. Ich halte mir die Ohren zu, rase in unsere Wohnung im
zweiten Stock, setze mir einen von Herrn Habermann zur Verfügung
gestellten Ohrenschützer auf, renne zurück in den Keller und schalte die
Anlage aus. Dies ist mir in diesem Monat bisher 3 Mal passiert. Ein
Einbrecher könnte gar nicht in unser Haus eindringen, weil dauernd
Mieter durchs Treppenhaus hetzen, um die Alarmanlage zu entschärfen. Da
würden ungebetene Gäste auffallen.
Leider gibt es für unsere Wohnung auch eine Anlage, die ähnlich
empfindlich ist. Marten rutscht im Flur aus, der Alarm dröhnt als würden
die Entenhausener Panzerknacker zur Attacke blasen.
»Was habe ich gemacht?«, fragt der Kleine erstaunt. »Nichts, ich
stelle diese verdammte Anlage jetzt aus. Verdammt hast du nicht gehört.«
Abends begegne ich Herrn Habermann im Treppenhaus.
»Herr Bresser, gut, dass ich sie erwische. Mir ist da was
aufgefallen. Als ich unten im Keller an meiner Monitorwand saß, stellte
ich fest, dass Sie den Alarm ausgeschaltet haben. Kann man ja vergessen.
Ich habe ihn sofort wieder scharfgemacht. Soll Ihnen ja nichts
passieren.« Er klopft mir beruhigend auf die Schulter.
»Herr Habermann. Mein Urgroßvater Arnold Breskowski fuhr in der
ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf dem Trittbrett eines
Zuges von Warschau ins Ruhrgebiet, um dort in einer Zeche zu arbeiten.
Später baute er in Kirchhellen ein Haus. Dort lebt heute noch meine
Mutter. In den ganz gut siebzig Jahren seiner Existenz hat dort niemand
eingebrochen. Ohne Alarmanlage.«
Habermann lauscht meiner Geschichte mit aufgerissenen Augen.
»Interessant, aber das Haus liegt in einem Dorf. Wir leben in einer
Großstadt. Da muss man sich ganz anders schützen. Ich hätte noch einen
besonderen Service des Alarmanlagenherstellers. Wenn Sie mir ihre
Mobilnummer anvertrauen, werden Sie auch im Urlaub darüber informiert,
wenn der Alarm anschlägt. Selbst auf den Malediven.«
»Nein, ich will es nicht wissen.«
»Aber beschweren Sie sich hinterher nicht, ich hätte es Ihnen nicht
angeboten.« Habermann ist schwer beleidigt. Ich sage ihm lieber nicht,
dass ich diesen Alarm am liebsten für immer ausschalten würde.
Eine Woche später. Ich komme nachmittags aus der Stadt, wo ich in
Charlies Eck am aktuellen Roman geschrieben habe. Steffi und Marten sind
noch außer Haus. Ich räume in der Küche die Kaffeetassen vom Frühstück
in die Spülmaschine. Im Radio spielt Lang Lang Chopin. Meine
Stimmung ist gut, ich bin im Flow. Da klingelt es. Hat Steffi den
Schlüssel vergessen? Ich öffne die Wohnungstür. Herr Habermann stürzt in
die Wohnung, zieht sie hinter sich zu und baut sich vor mir auf. Hat er
überhaupt gefragt, ob er reinkommen darf? Ich erinnere mich nicht.
»Ha«, sagt er. Auf eine Begrüßung verzichtet er. Wird auch überschätzt, denke ich.
»Ha was?«, frage ich.
»Ist Ihnen nichts aufgefallen?«
Der Mann spricht in Rätseln. Vielleicht sollte ich ihn an Günther
Jauch weiterempfehlen. Ist Ihnen nichts aufgefallen? Antwort a: »Nein.«
Antwort b: »Ja.« Antwort c: »Das Bild im Wohnzimmer hängt schief.«
Antwort d: »Durch das Gesetz der Schwerkraft fällt nichts auf, nur
hinunter.« Eine Vierundsechzigtausend-Euro-Frage.
»D. Äh, mir ist nichts aufgefallen.«
»Ihm ist nichts aufgefallen. Wunderbar. Haben Sie denn Ihren Anrufbeantworter noch nicht abgehört?«
»Bin ich noch nicht zu gekommen.« Was will denn der Kerl von mir.
»Wissen Sie wenigstens, wo Ihre Frau ist?«
»Einkaufen? Um was geht es denn?«
»Also Sie haben noch nicht mit der Polizei gesprochen. Hätte ich mir bei jemanden wie Ihnen denken können.«
Plötzlich fährt mir ein kalter Schauer die Wirbelsäule hinunter.
»Ist meine Frau was passiert?«
»Andere Sorgen hat er nicht? Da fragt er mich im Ernst, ob seiner Frau was passiert sei. Ha.«
»Ha.« Ich mag es nicht, wenn jemand von mir in meiner Anwesenheit in der dritten Person spricht. Da bin ich empfindlich.
Ȁffen Sie mich nicht nach. Bei Ihnen wurde eingebrochen. Ich habe
heute Morgen das Treppenhaus inspiziert, da stand Ihre Wohnungstür
sperrangelweit offen. Ich habe natürlich sofort die Polizei gerufen. Wir
haben gemeinsam den Tatort und Spuren gesichert.«
Ich weiß nicht, was er will. Die Wohnung sieht nicht anders aus wie heute früh. Habe ich die Tür nicht hinter mir zugezogen?
»Besonders dreist fanden wir, dass die Einbrecher in Ihrer Küche
Kaffee getrunken haben. Als Sie mich hörten, sind Sie rasch geflüchtet,
denn die Maschine war noch eingeschaltet.«
»Hören Sie, Herr Habermann. Ich habe vielleicht vergessen, die Tür zu
schließen. Das hätten Sie auch machen und mir vielleicht eine Notiz in
den Briefkasten schmeißen können. Es war völlig unnötig die Polizei zu
rufen.«
Habermann läuft knallrot an.
»Ich biete Ihnen Sicherheit vom Feinsten und Sie gefährden alles. Da
hätte sich doch ein pakistanischer Bombenleger bei Ihnen einnisten
können, und Sie hätten nichts gemerkt. Da lässt der feine Herr einfach
die Tür offenstehen.«
»Kann doch passieren. Das Thema hat sich für mich erledigt.«
»Ha. Aber für mich noch lange nicht. Wie ich Sie kenne, haben Sie
auch das Treppenhaus mit Farbe beschmiert. Wischen Sie die gefälligst
weg.« Er schnappatmet jetzt.
»Ihre Maler arbeiten doch hier. Die Farbe stammt bestimmt von denen.«
»Immer will es keiner gewesen sein. Das ist ganz schlechter Stil, Herr Bresser.«
In diesem Augenblick öffnet sich die Tür. Von ganz alleine. Wir beide bestaunen dieses paranormale Phänomen.
»Ihr Maler hat doch auch an den Türrahmen gearbeitet. Vielleicht schließt sie deshalb nicht richtig?«, mutmaße ich.
»Muss ich prüfen. Nichts für ungut.« Habermann verschwindet. Ich fühle mich als moralischer Sieger.
Am nächsten Tag besucht uns der Maler und richtet die Tür wieder.
Anschließend stellt er eine Sphinxbüste ins Treppenhaus. Mit
integrierter Lichtschranke. Sobald jemand sich unserer Tür nähert, singt
sie »Walk like an Egyptian.« Somit ist Herr Habermann immer über
Eindringlinge informiert.
Wir überlegen ernsthaft, in eine weniger sichere Wohnung umzuziehen.
Böse Stimmen bezeichnen ihn als Mischung aus Mario Barth und Mr. Bean. Mit Recht. Homepage:www.rockdasdorf.de
Montag, Dezember 17, 2012
Samstag, Dezember 15, 2012
Ich bin ein Gutmensch
Ich halte mich für
einen Gutmenschen. Auch wenn dieser Begriff gerne als Schimpfwort von
rechten Populisten und Wutbürgern verwendet wird, adelt er mich. Ich
habe moslemische Freunde, spende für meinen Fußballverein und bin nett
zu meinen Mitmenschen. Zumindest oft. Okay, öfter als der
Durchschnittsbildzeitungsleser. Aber an manchen Tagen fällt mir diese
Einstellung verdammt schwer.
Wir bekommen heute Besuch von den Schreiers. Die kennen wir nicht persönlich. Joe hat sie mir bei unserem letzten Stammtisch in Charlies Eck empfohlen.
»Wir treffen uns übrigens mit einer netten Familie aus der Wedemark. Bekannte von Ingrid. Die haben Kinder in Martens Alter, sind sozial engagiert und künstlerisch interessiert. Ihr würdet gut zusammenpassen«, erzählt er beim letzten Bier.
Ich überlege. Marten freut sich bestimmt über Kinderbesuch. Und wenn wir auf einer Wellenlänge schwimmen, warum nicht. Ich lasse mir die Rufnummer der Schreiers geben und lade sie am nächsten Tag für Samstag zum Kaffee ein. Am Telefon klingt er nett, dieser David.
Es ist vierzehn Uhr dreißig. Steffi hat den kompletten Vormittag Kuchen gebacken. Reistorte mit Ananas, die wir alle sehr lieben. Kakao- und ein Schokokusskuchen für die Kinder. Es ist alles für einen vergnüglichen Nachmittag unter Freunden bereit.
Als es klingelt stürmt Marten die Treppe herunter. Er kommt mit David, Birte und drei Kindern zurück. Die Schreiers sind etwas jünger als wir, Mitte dreißig schätze ich. David trägt einen dunkelroten Pullunder zu schwarzer Stoffhose, Birte eine weiße Bluse zu dunkelblauem Rock. Etwas steif, vielleicht hätte ich doch nicht das Motörhead-Longsleeve anziehen sollen. Die Kinder wirken auch wie aus dem Ei gepellt.
»Wir grüßen euch. Möge dies ein unvergesslicher Tag werden.« Birte reicht mir die Hand.
»Moin«, sagt Steffi. »Wir freuen uns.«
»Darf ich euch unseren Nachwuchs vorstellen. Josef ist 9.« Er zeigt auf den größten Jungen. Er trägt einen dunkelroten Pullunder zu schwarzer Stoffhose und sieht aus wie David in klein.
»Alles klar, Josef.«
»Ich fühle mich geehrt, in Ihre Räumlichkeiten eingeladen zu werden«, entgegnet Josef.
»Wie gewählt er sich ausdrückt«, lacht Birte. »Josef besucht einen Debattierclub im Gymnasium, obwohl er noch zur Grundschule geht. Ein kleines Genie.«
Das verschüchterte Mädchen im karierten Rock und gelber Strumpfhose heißt Sarah. Jakob, der kleinste, ist 4. »Er ist hochbegabt. Wir haben uns überlegt, ihn schon jetzt einzuschulen. Was meint ihr?«
»Wenn er so talentiert ist«, murmele ich. Steffi blickt mich an und zieht die Augenbraue hoch.
»Kommt doch erst mal hinein«, sagt sie.
»Gerne. Ist aber auch kalt draußen.« David reibt sich die Hände.
»Die durchschnittliche Temperatur im Dezember letzten Jahres lag bei 3,8 Grad. Die Tiefsttemperatur in Hannover bei -2,1. Da zieht man sich entsprechend an, Papa«, weiß Josef.
»Recht hast du mein Sohn. Wie könnten wir ohne dein Wissen überleben.« Bin ich froh, dass Marten kein Klugschnacker ist.
Zehn Minuten später haben die Schreiers ihre Garderobe abgelegt. Wir sitzen mit Birte und David um den Wohnzimmertisch. Sarah und Jakob sind mit Marten im Kinderzimmer verschwunden. Josef sitzt lieber bei den Erwachsenen, weil unsere Gespräche seinen Wortschatz bereichern.
»Und du bist Autor, sagt Joe. Er hat mir auch einen deiner Romane mitgegeben. Willst du ehrliche Kritik hören?«, fragt David. Eigentlich nicht. Dennoch sage ich »Aber gerne, konstruktive Ratschläge schaden nie.«
»Du versuchst auf Teufel komm raus witzig zu sein. Das wirkt verkrampft und schreckt die Leserschaft ab. Wir möchten kleine Bonmots zum Schmunzeln. Und dieser verrückte Handyverkäufer, der in das Haus seiner minderjährigen Kundin einbricht, um den Vertrag zurückzuholen. Völlig unglaubwürdig. Nicht wahr, Birte?«
»Habe ich auch so empfunden. Sorry, Micha. Das war nix.«
Ich weise darauf hin, dass in keinem meiner Romane ein Handyverkäufer eine Rolle spielt. Klingt eher nach Tommy Jaud. Aber die Schreiers schwören, dass es sich um mein Buch handelt. Ich gebe ihnen recht. War ein schwaches Buch von mir.
»Die Schriftstellerei ist nicht jedem vergönnt, Micha. Mir auch nicht, wenn es dich tröstet. Daher bin ich Lehrer geworden. Mir ist es wichtig, dass junge Menschen zu helfen, ihren Platz im Leben zu finden. Spielt Marten eigentlich ein Musikinstrument?«
»Etwas Keyboard. Das hat er sich selber beigebracht«, erzählt Steffi.
»Prima, ein musikalischer Junge. Kann er uns etwas vorspielen?«
Warum nicht. Wir holen Marten ins Wohnzimmer, der sich nur widerwillig vom Bahnspielen mit den Schreier-Kiddies trennt. Birte muss unterdessen zum Auto. Sie hätten etwas vergessen. Mir fehlt sie nicht, stelle ich fest.
Marten intoniert auswendig Guten Abend, Gute Nacht. Wir platzen vor Stolz. Da klingelt es. Birte. Steffi öffnet ihr. Frau Schreier schleppt einem Gitarrenkoffer, Bongos und 2 Flöten in die Wohnung.
»Ganz nett, was euer Sohn da fabriziert hat, aber durchaus ausbaufähig.« David tätschelt Martens Kopf, was dieser mit angenervter Miene über sich ergehen lässt. »Wir machen auch ein wenig Hausmusik. Schließlich zahlt es sich aus, dass alle Kinder zwei Instrumente lernen.«
Vor unserem Fernseher baut sich die Schreier-Band auf. David an der Gitarre, Birte Flöte, Josef schlägt die Trommeln und Sarah flötet auch. Der kleine Jakob spielt nichts. Er lernt Klavier und lehnt es ab, auf unserem Keyboard zu spielen, da Plastiktasten den Anschlag verderben.
He’s got the whole world in his hand. Ich wusste gar nicht, dass der Song fünfzehn Strophen hat. Obwohl es eigentlich perfekt klingt, hasse ich es. David und Birte schütteln rhythmisch ihre Körper wie Whoopy Goldberg auf Ecstasy. Das ist nicht schön.
»Ganz fein habt ihr das gemacht«, lobe ich gönnerhaft. »Aber den Flötenlehrer würde ich wechseln. Ich bin zwar absoluter Laie, manch unsauberen Ton habe ich dennoch rausgehört.«
Steffi tritt mich unter dem Tisch, aber das musste einfach gesagt werden. David schaut mich finster an, dann klärt sich seine Miene auf.
»Kritik eröffnet die Chance zum Wachstum. Schön, dass du ehrlich bist. Wir schauen uns nächste Woche nach einem neuen Musikpädagogen für Sarah um. Super.«
»Wollen wir nicht Kaffee trinken«, versucht meine Frau die Situation zu entschärfen, weil sie merkt, wie ich innerlich koche.
»Oh, wir trinken keinen Kaffee«, sagte Birte. »Nur Tee aus biologischem Anbau. Wir sind gegen Umweltgifte allergisch.«
»Kein Problem. Haben wir auch.«
Nachdem wir die Kuchen aufgetragen haben, tritt die nächste Herausforderung auf.
»Sind die selbstgebacken?«, fragt Birte. »Natürlich«, sage ich.
»Auch das Mehl selber geschrotet? Industriemehl vertrage ich nicht.«
»Wir sind nämlich Selbstversorger«, erzählt David stolz. »Wir ernähren uns von dem, was unser Gärtchen uns bietet. Birte backt jeden Tag Brot aus selber angebautem Korn. Unser Gemüse züchten wir auch. Gerade für Kinder in der Entwicklung ist eine gesunde Lebensweise unverzichtbar. Das wäre bestimmt auch für Marten gut. Er macht einen nervösen Eindruck auf mich. Industriegifte!«
»Eigentlich ist Marten ganz glücklich, so wie wir leben. Mit eigenem Korn können wir mitten in der Stadt nicht dienen. Also wollt ihr keinen Kuchen?«
»Wenn er vom Biobäcker ist, würden wir eine Ausnahme machen. Nicht wahr, Schnuffelchen?«
»Ja, die Männer könnten ja zum Biobäcker gehen«, stimmt Birte zu.
»Ich gehe allein«, sage ich rasch. »Das will ich David nicht zumuten. Bei der Kälte.«
»Das wäre ich dir echt dankbar«, stimmt der mir glücklich zu. »Wir beide können noch beste Freunde werden. Was, Micha.«
»Beste Freunde. Das habe ich auch gerade gedacht«, lüge ich, ohne rot zu werden.
Ich fahre eine halbe Stunde nach Linden zur Biobäckerei. Währenddessen verfluche ich mich unentwegt, mich mit diesen Wichtigtuern verabredet zu haben. Freunde suche ich mir in Zukunft selber aus. Als ich vor der Biobäckerei stehe, kommt mir eine Idee. Für einen Euro kriege ich einige Verpackungen. Da sind die jungen Damen sehr zuvorkommend. Dann gehe ich zum Bilig-Back-Shop nebenan und hole 2 Kuchen. Die verpacke ich mit den Biobäckereiverpackungen. Das ist kindisch, macht aber Spaß.
Wieder zu Hause tische ich den vermeidlichen Ökokuchen auf.
»Da schmeckt man gleich den Unterschied«, doziert Birte. »Fast wie zu Hause«, schwärmt David. »Vielleicht schrotet Steffi bald auch Körner. Außerdem solltest du Marten eine Holzeisenbahn tischlern. Die sind einfach zu fertigen und viel gesünder für den Jungen als dieses Plastikzeugs. Bei uns kommt kein gekauftes Spielzeug ins Haus.«
»Das ist übrigens kein Biokuchen«, platzt es aus mir heraus. »Die hatten sich nur die Verpackung von dort geborgt. Der Biobäcker hatte geschlossen.«
Triumphierend schaue ich David an. Jetzt wird er wutentbrannt seine Gabel hinschmeißen und mit seiner Super-Familie im Schlepptau aus unserem Leben verschwinden.
David und Birte sehen sich tief in die Augen.
»Micha. Wir wissen doch spätestens seit deinem Handyverkäuferroman, dass du einen Sinn für schlechte Späße hast. Es schmeckt hervorragend. Wir wissen, was Bio ist. So gut wie mit euch haben wir uns übrigens schon lange nicht mehr unterhalten. Wir treffen uns von nun an regelmäßig. Was haltet ihr davon?«
Als uns die Schreiers verlassen haben, beschließen wir, am nächsten Tag unsere Telefonnummer zu wechseln.
Ich rufe Joe an. »Was habe ich dir getan, dass du mir solche Leute auf den Hals hetzt?«
»Du hast meinen Geburtstag vergessen. Dafür solltest du einen kleinen Denkzettel erhalten.«
»Tut mir Leid«, murmele ich. »Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Aber musste die Strafe so hart sein?«
»Quatsch. Ich hatte gar keinen Geburtstag. Reiner Selbstschutz. Die Schreiers hatten angefangen, sich bei uns einzunisten. Und diesen Bio-Kram kann ich nicht ab. Ingrid schon, die vermisst die Vollhorste auch. Sonst sind sie sonntags immer bei uns aufgelaufen.«
Joe schwört, unsere neue Nummer nicht an David weiterzugeben. Dafür verrate ich Birte nicht, dass Joe regelmäßig die Nachrichten der Schreiers von ihrem Anrufbeantworter löscht. Zum Glück rufen sie nie auf Handys an. Prinzipientreue hat ihre Vorteile.
Immerhin weiß ich seit dem Besuch der Schreiers eines sicher: Ein richtig guter Gutmensch bin ich noch lange nicht. Mir fällt schon der eine oder andere Zeitgenosse ein, dem ich die Nummer der Schreiers in die Hand drücken könnte.
Wir bekommen heute Besuch von den Schreiers. Die kennen wir nicht persönlich. Joe hat sie mir bei unserem letzten Stammtisch in Charlies Eck empfohlen.
»Wir treffen uns übrigens mit einer netten Familie aus der Wedemark. Bekannte von Ingrid. Die haben Kinder in Martens Alter, sind sozial engagiert und künstlerisch interessiert. Ihr würdet gut zusammenpassen«, erzählt er beim letzten Bier.
Ich überlege. Marten freut sich bestimmt über Kinderbesuch. Und wenn wir auf einer Wellenlänge schwimmen, warum nicht. Ich lasse mir die Rufnummer der Schreiers geben und lade sie am nächsten Tag für Samstag zum Kaffee ein. Am Telefon klingt er nett, dieser David.
Es ist vierzehn Uhr dreißig. Steffi hat den kompletten Vormittag Kuchen gebacken. Reistorte mit Ananas, die wir alle sehr lieben. Kakao- und ein Schokokusskuchen für die Kinder. Es ist alles für einen vergnüglichen Nachmittag unter Freunden bereit.
Als es klingelt stürmt Marten die Treppe herunter. Er kommt mit David, Birte und drei Kindern zurück. Die Schreiers sind etwas jünger als wir, Mitte dreißig schätze ich. David trägt einen dunkelroten Pullunder zu schwarzer Stoffhose, Birte eine weiße Bluse zu dunkelblauem Rock. Etwas steif, vielleicht hätte ich doch nicht das Motörhead-Longsleeve anziehen sollen. Die Kinder wirken auch wie aus dem Ei gepellt.
»Wir grüßen euch. Möge dies ein unvergesslicher Tag werden.« Birte reicht mir die Hand.
»Moin«, sagt Steffi. »Wir freuen uns.«
»Darf ich euch unseren Nachwuchs vorstellen. Josef ist 9.« Er zeigt auf den größten Jungen. Er trägt einen dunkelroten Pullunder zu schwarzer Stoffhose und sieht aus wie David in klein.
»Alles klar, Josef.«
»Ich fühle mich geehrt, in Ihre Räumlichkeiten eingeladen zu werden«, entgegnet Josef.
»Wie gewählt er sich ausdrückt«, lacht Birte. »Josef besucht einen Debattierclub im Gymnasium, obwohl er noch zur Grundschule geht. Ein kleines Genie.«
Das verschüchterte Mädchen im karierten Rock und gelber Strumpfhose heißt Sarah. Jakob, der kleinste, ist 4. »Er ist hochbegabt. Wir haben uns überlegt, ihn schon jetzt einzuschulen. Was meint ihr?«
»Wenn er so talentiert ist«, murmele ich. Steffi blickt mich an und zieht die Augenbraue hoch.
»Kommt doch erst mal hinein«, sagt sie.
»Gerne. Ist aber auch kalt draußen.« David reibt sich die Hände.
»Die durchschnittliche Temperatur im Dezember letzten Jahres lag bei 3,8 Grad. Die Tiefsttemperatur in Hannover bei -2,1. Da zieht man sich entsprechend an, Papa«, weiß Josef.
»Recht hast du mein Sohn. Wie könnten wir ohne dein Wissen überleben.« Bin ich froh, dass Marten kein Klugschnacker ist.
Zehn Minuten später haben die Schreiers ihre Garderobe abgelegt. Wir sitzen mit Birte und David um den Wohnzimmertisch. Sarah und Jakob sind mit Marten im Kinderzimmer verschwunden. Josef sitzt lieber bei den Erwachsenen, weil unsere Gespräche seinen Wortschatz bereichern.
»Und du bist Autor, sagt Joe. Er hat mir auch einen deiner Romane mitgegeben. Willst du ehrliche Kritik hören?«, fragt David. Eigentlich nicht. Dennoch sage ich »Aber gerne, konstruktive Ratschläge schaden nie.«
»Du versuchst auf Teufel komm raus witzig zu sein. Das wirkt verkrampft und schreckt die Leserschaft ab. Wir möchten kleine Bonmots zum Schmunzeln. Und dieser verrückte Handyverkäufer, der in das Haus seiner minderjährigen Kundin einbricht, um den Vertrag zurückzuholen. Völlig unglaubwürdig. Nicht wahr, Birte?«
»Habe ich auch so empfunden. Sorry, Micha. Das war nix.«
Ich weise darauf hin, dass in keinem meiner Romane ein Handyverkäufer eine Rolle spielt. Klingt eher nach Tommy Jaud. Aber die Schreiers schwören, dass es sich um mein Buch handelt. Ich gebe ihnen recht. War ein schwaches Buch von mir.
»Die Schriftstellerei ist nicht jedem vergönnt, Micha. Mir auch nicht, wenn es dich tröstet. Daher bin ich Lehrer geworden. Mir ist es wichtig, dass junge Menschen zu helfen, ihren Platz im Leben zu finden. Spielt Marten eigentlich ein Musikinstrument?«
»Etwas Keyboard. Das hat er sich selber beigebracht«, erzählt Steffi.
»Prima, ein musikalischer Junge. Kann er uns etwas vorspielen?«
Warum nicht. Wir holen Marten ins Wohnzimmer, der sich nur widerwillig vom Bahnspielen mit den Schreier-Kiddies trennt. Birte muss unterdessen zum Auto. Sie hätten etwas vergessen. Mir fehlt sie nicht, stelle ich fest.
Marten intoniert auswendig Guten Abend, Gute Nacht. Wir platzen vor Stolz. Da klingelt es. Birte. Steffi öffnet ihr. Frau Schreier schleppt einem Gitarrenkoffer, Bongos und 2 Flöten in die Wohnung.
»Ganz nett, was euer Sohn da fabriziert hat, aber durchaus ausbaufähig.« David tätschelt Martens Kopf, was dieser mit angenervter Miene über sich ergehen lässt. »Wir machen auch ein wenig Hausmusik. Schließlich zahlt es sich aus, dass alle Kinder zwei Instrumente lernen.«
Vor unserem Fernseher baut sich die Schreier-Band auf. David an der Gitarre, Birte Flöte, Josef schlägt die Trommeln und Sarah flötet auch. Der kleine Jakob spielt nichts. Er lernt Klavier und lehnt es ab, auf unserem Keyboard zu spielen, da Plastiktasten den Anschlag verderben.
He’s got the whole world in his hand. Ich wusste gar nicht, dass der Song fünfzehn Strophen hat. Obwohl es eigentlich perfekt klingt, hasse ich es. David und Birte schütteln rhythmisch ihre Körper wie Whoopy Goldberg auf Ecstasy. Das ist nicht schön.
»Ganz fein habt ihr das gemacht«, lobe ich gönnerhaft. »Aber den Flötenlehrer würde ich wechseln. Ich bin zwar absoluter Laie, manch unsauberen Ton habe ich dennoch rausgehört.«
Steffi tritt mich unter dem Tisch, aber das musste einfach gesagt werden. David schaut mich finster an, dann klärt sich seine Miene auf.
»Kritik eröffnet die Chance zum Wachstum. Schön, dass du ehrlich bist. Wir schauen uns nächste Woche nach einem neuen Musikpädagogen für Sarah um. Super.«
»Wollen wir nicht Kaffee trinken«, versucht meine Frau die Situation zu entschärfen, weil sie merkt, wie ich innerlich koche.
»Oh, wir trinken keinen Kaffee«, sagte Birte. »Nur Tee aus biologischem Anbau. Wir sind gegen Umweltgifte allergisch.«
»Kein Problem. Haben wir auch.«
Nachdem wir die Kuchen aufgetragen haben, tritt die nächste Herausforderung auf.
»Sind die selbstgebacken?«, fragt Birte. »Natürlich«, sage ich.
»Auch das Mehl selber geschrotet? Industriemehl vertrage ich nicht.«
»Wir sind nämlich Selbstversorger«, erzählt David stolz. »Wir ernähren uns von dem, was unser Gärtchen uns bietet. Birte backt jeden Tag Brot aus selber angebautem Korn. Unser Gemüse züchten wir auch. Gerade für Kinder in der Entwicklung ist eine gesunde Lebensweise unverzichtbar. Das wäre bestimmt auch für Marten gut. Er macht einen nervösen Eindruck auf mich. Industriegifte!«
»Eigentlich ist Marten ganz glücklich, so wie wir leben. Mit eigenem Korn können wir mitten in der Stadt nicht dienen. Also wollt ihr keinen Kuchen?«
»Wenn er vom Biobäcker ist, würden wir eine Ausnahme machen. Nicht wahr, Schnuffelchen?«
»Ja, die Männer könnten ja zum Biobäcker gehen«, stimmt Birte zu.
»Ich gehe allein«, sage ich rasch. »Das will ich David nicht zumuten. Bei der Kälte.«
»Das wäre ich dir echt dankbar«, stimmt der mir glücklich zu. »Wir beide können noch beste Freunde werden. Was, Micha.«
»Beste Freunde. Das habe ich auch gerade gedacht«, lüge ich, ohne rot zu werden.
Ich fahre eine halbe Stunde nach Linden zur Biobäckerei. Währenddessen verfluche ich mich unentwegt, mich mit diesen Wichtigtuern verabredet zu haben. Freunde suche ich mir in Zukunft selber aus. Als ich vor der Biobäckerei stehe, kommt mir eine Idee. Für einen Euro kriege ich einige Verpackungen. Da sind die jungen Damen sehr zuvorkommend. Dann gehe ich zum Bilig-Back-Shop nebenan und hole 2 Kuchen. Die verpacke ich mit den Biobäckereiverpackungen. Das ist kindisch, macht aber Spaß.
Wieder zu Hause tische ich den vermeidlichen Ökokuchen auf.
»Da schmeckt man gleich den Unterschied«, doziert Birte. »Fast wie zu Hause«, schwärmt David. »Vielleicht schrotet Steffi bald auch Körner. Außerdem solltest du Marten eine Holzeisenbahn tischlern. Die sind einfach zu fertigen und viel gesünder für den Jungen als dieses Plastikzeugs. Bei uns kommt kein gekauftes Spielzeug ins Haus.«
»Das ist übrigens kein Biokuchen«, platzt es aus mir heraus. »Die hatten sich nur die Verpackung von dort geborgt. Der Biobäcker hatte geschlossen.«
Triumphierend schaue ich David an. Jetzt wird er wutentbrannt seine Gabel hinschmeißen und mit seiner Super-Familie im Schlepptau aus unserem Leben verschwinden.
David und Birte sehen sich tief in die Augen.
»Micha. Wir wissen doch spätestens seit deinem Handyverkäuferroman, dass du einen Sinn für schlechte Späße hast. Es schmeckt hervorragend. Wir wissen, was Bio ist. So gut wie mit euch haben wir uns übrigens schon lange nicht mehr unterhalten. Wir treffen uns von nun an regelmäßig. Was haltet ihr davon?«
Als uns die Schreiers verlassen haben, beschließen wir, am nächsten Tag unsere Telefonnummer zu wechseln.
Ich rufe Joe an. »Was habe ich dir getan, dass du mir solche Leute auf den Hals hetzt?«
»Du hast meinen Geburtstag vergessen. Dafür solltest du einen kleinen Denkzettel erhalten.«
»Tut mir Leid«, murmele ich. »Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Aber musste die Strafe so hart sein?«
»Quatsch. Ich hatte gar keinen Geburtstag. Reiner Selbstschutz. Die Schreiers hatten angefangen, sich bei uns einzunisten. Und diesen Bio-Kram kann ich nicht ab. Ingrid schon, die vermisst die Vollhorste auch. Sonst sind sie sonntags immer bei uns aufgelaufen.«
Joe schwört, unsere neue Nummer nicht an David weiterzugeben. Dafür verrate ich Birte nicht, dass Joe regelmäßig die Nachrichten der Schreiers von ihrem Anrufbeantworter löscht. Zum Glück rufen sie nie auf Handys an. Prinzipientreue hat ihre Vorteile.
Immerhin weiß ich seit dem Besuch der Schreiers eines sicher: Ein richtig guter Gutmensch bin ich noch lange nicht. Mir fällt schon der eine oder andere Zeitgenosse ein, dem ich die Nummer der Schreiers in die Hand drücken könnte.
Donnerstag, Dezember 13, 2012
Ein schwieriger Patient 3
Ich esse
gern. Das ist vermutlich erblich bedingt. Mein Vater hat gerne gegessen und
mein Großvater, den ich nicht kennenlernen durfte, vermutlich auch. Leider ist
das Oststadt-Krankenhaus eine kulinarisch befreite Zone. Zumindest für mich.
Über den Tropf erhalte ich alle lebenserhalten Stoffe, selbst Flüssigkeit. Wenn
Patient den ganzen Tag nichts zu tun hat, wäre Essen eine willkommene
Abwechslung. Ich frage bei der morgendlichen Visite vorsichtig beim Arzt an.
»Stimmt. Gut,
dass Sie fragen. Eigentlich könnten Sie wieder Nahrung zu sich nehmen. Erst
einmal aber nur Suppe und Joghurt.«
Besser als
nichts. Aber an diesem Tag steht eine weiteres Highlight bevor. Schwester
Andrea wird während der Verteilung der Trombosespritzen von einem Handyanruf
gestört. Sieht nicht sehr erfreut aus.
»Wir ziehen
um«, eröffnet sie uns anschließend. »In einer halben Stunde muss das Zimmer
leer sein. Eine MRSA-Patientin wird aus der Notaufnahme auf unsere Station
verlegt.«
»Was ist
dieses MRSA?«, frage ich.
»Eine antibiotikumsresistente
bakterielle Infektion.«
»Fängt man
sich vor allem in Krankenhäusern ein. Das ist kein Kindergeburtstag«, weiß
Zimmernachbar Götel. Er wird heute entlassen, worüber er sichtlich froh ist.
Ich schlucke
erst einmal. Selbst James versteht trotz fehlender Sprachkenntnisse, dass diese
Erkrankung uns alle gefährden könnte. Er hält sich den Hals und bettelt »Schwester,
Smörtsmiddel.« Kriegt er auch.
James wird in
seinem Bett in den Nachbarraum geschoben. Ich darf mit meinem Chemikaliengalgen
selber rüber schleichen. Ein schickes Sechs-Bett-Zimmer erwartet uns. Wird
immer besser. Zum Glück ist nur ein Bett belegt.
»Hallo, ich
bin der Eduard«, stellt sich ein Mann in meinem zarten Alter vor. »Ich musste
vor einem halben Jahr meinen Nabeldurchbruch operieren lassen. Reine Routine.
Dabei hat mir der übermüdete Chirurg den Darm angeschnitten. An 3 Stellen.
Mittlerweile bin ich neunzehn Mal nachoperiert worden. Sie schaffen es nicht,
mich wieder zusammenzuflicken.«
»Kunstfehler?«
»Meine
Schuld. Ich habe wie jeder unterschrieben, dass Fehler bei der Operation
passieren können. Die Ärzte meinen, es wäre mein Problem. Aber aus Kulanz
behandeln sie mich weiter.«
Mir wird
anders. Vielleicht es doch besser, den Krankenhausaufenthalt Drogen vernebelt
vorbeigleiten zu lassen, als immer neue Schauerlichkeiten hören zu müssen. Es
scheint genauso wichtig zu sein, das Krankenhaus zu überleben, wie die
ursprüngliche Krankheit.
Das Essen
wird aufgetischt. Pünktlich erscheint James' Frau. Die kümmert sich wirklich liebevoll
um ihren Mann. Während James genussvoll einen Gyrosteller verspeist, verstaut
sie all die mitgebrachten Fressalien.
»Mein James,
war ein Kerl wie ein Baum. Er hat hundertzwanzig Kilo gewogen. Und heute? Ein
Häufchen Elend, das gerade einmal fünfundneunzig auf die Waage bringt.« Ich
nicke verständnisvoll.
»James, ich
war heute bei der Grundeigentümerversammlung. Da gab es Braunkohl und das Bier,
das du immer so gerne trinkst. Da habe ich für dich etwas abgezweigt. Kannst
heute Abend in dein Nachttischfach schauen. Deine Hähnchenkeulen sind in der
Tüte vom Metzger.«
»Jetzt essen«,
röhrt James, denn der Gyrosteller ist bereits verputzt.
Eduard
bekommt ebenfalls Suppe, die augenblicklich in einen seiner drei Katheder-Beutel
läuft.
»Ich esse
nur, um nicht aus der Übung zu kommen«, grinst er. Seine gute Laune ist
angesichts der gesundheitlichen Lage bewundernswert.
Nun widme ich
mich meinem Essen. Ich habe Spargelcremesuppe bestellt. Die schmeckt eigentlich
immer. Ich hätte noch Zucchini-, Tomaten- oder Gemüsemixsuppe wählen können. Aber ich bleibe
noch ein paar Tage hier.
Ich nehme den
ersten Löffel und unterdrücke den Impuls, alles wieder zurück zu spucken. Was
ist denn das? Ein schleimiger, versalzener Chemiemix, der noch nicht einmal
neben einem Spargel im Lager gestanden hat.
Zum ersten
Mal während meines Aufenthalts drücke ich die Klingel. Nach 10 Minuten kommt
Pfleger Markus.
»Und?«, fragt
er gereizt.
»Ich bin
eigentlich nicht besonders wählerisch, aber dieses Zeug kriege ich nicht
runter. Das hat mit Gemüsesuppe nichts zu tun.«
Er blickt
mich mitleidig an. »Sie sind wohl einer von diesen ganz schwierigen Patienten. Was
erwarten Sie denn? Das ist ein Krankenhaus. Noch nie einen Fernsehbericht über
Verpflegung in Krankenhäusern gesehen? Vollstes Verständnis. Am besten schmeckt
meiner Meinung nach die Zucchinisuppe. Da ist natürlich auch kein Gemüse drin.
Die schmeckt nach irgendwas und ist grün. Aber wie gesagt: Die lässt sich noch
so gerade essen.«
Ich verzichte
und bitte darum, wieder an den Ernährungstropf angeschlossen zu werden. Lehnt
er ab. Innerlich entwickle ich Aggressionen. Vor allem, weil der Duft von James‘
Braunkohl zu mir rüber zieht. Ich überlege: Seine Frau ist nach Hause gefahren.
Ich bin selbst im momentanen Zustand stärker als ein fast Achtzigjähriger. Da
könnte ich doch… Nein, ich schäme mich vor mir selber für meine kriminellen
Gedanken.
Unsere WG
bekommt Zuwachs. Ein hamburgerisch sprechender Dialysepatient mit einem
altersbefleckten Gesicht. Dabei ist er gerade mal fünfzig, wie er sofort erzählt.
So stelle ich mir Methusalems Großvater vor. Wir geraten gleich aneinander. Da
er permanent niest, sage ich »Gesundheit, da hat die Erkältung Sie aber schwer
erwischt.« Ich dachte, das wäre freundlich. Denkt er aber nicht.
»Sind Sie
komplett verrückt. Das ist doch keine Erkältung! Das liegt an den
Wassertabletten. Erkältung, sowas Bekloppten habe ich noch nie gehört. Gehen
Sie mir weg, Sie Besserwisser.«
Im Geiste erkläre
ich unsere Freundschaft für beendet, bevor sie begonnen hat. Als nächstes
beehrt uns Arno.
»Ich bin
Epileptiker, dreißig Jahre an der Nadel und HIV positiv. Ich will hier meinen
Magen durchchecken lassen.«
Alle denken
dasselbe. Ein Junkie auf kaltem Entzug. Das könnte Probleme geben.
»Woher weißt
du denn, dass du HIV positiv bist?«, fragt schließlich Eduard.
»Ich hatte so
eine Fixerfreundin. Mit der habe ich mal aus Versehen gepoppt. Und irgendwann
im Krankhaus haben mir die Ärzte gesagt, Herr Pohl, Sie haben da was. Kein
Ding.«
»Hast du es
mit Methadon probiert?«
»Ach, nö. Das
mag ich nicht. Schließlich kann ich nur einen Tod sterben, da ist es egal
woran.«
»Ich mag euch
Brüder nicht. Ihr seid Abschaum«, keift der Hamburger neben mir.
Arno schaut
nur stoned aus der Wäsche. Dann erblickt er James‘ Braunkohl. »Ich habe noch
überhaupt nichts gegessen. Kann ich etwas abhaben?«
»Herkomm, ich
geb dir«, strahlt James. Mensch, hätte ich nur eher gefragt. So schaufelt sich
Arno den Rest von James‘ Nachtisch hinter die Kiemen und staubt noch eine
Hähnchenkeule ab. Dann geht er rauchen.
Zum
Abendessen bekomme ich Milchsuppe. Riecht ekelerregend. Arno raucht noch immer
draußen in der Kälte. Meine Chance.
»Hast du
vielleicht noch eine Hähnchenkeule übrig, James?«
»Ich Smörtsmiddel,
du chicken.«
Ich tausche
gern. Auch wenn ich ein schwieriger Patient bin, ist für einen Moment meine
Welt wieder in Ordnung. Zum Nachtisch leere ich ein Bier. So lässt es sich
selbst im Oststadt-Krankenhaus aushalten.
Mittwoch, Dezember 12, 2012
Ein schwieriger Patient 2
Ich bin
wirklich ein schwieriger Patient. Vielleicht liegt das an meinen westfälischen
Wurzeln. Ich bin ein ungeselliger Typ, der gern für sich alleine in den Untiefen
seiner Gedanken rumwatet. Natürlich liebe ich meine Familie über alles. Wenn
ich meine Frau sehe, geht für mich die Sonne auf. Der Anblick meines Sohnes
lässt mich heller strahlen als ein japanisches Atomkraftwerk. Das reicht mir
allerdings schon. Natürlich schlürfe ich gerne in Autorenkollegen Kerschkamps
Kellerbar süffigen Rotwein oder erörtere mit Joe in Charlies Eck die
weltpolitische Lage. Aber ein Dreibettzimmer ist definitiv mit 2 Personen
überbelegt. Hätte ich nur die Zusatzversicherung für ein Einzelzimmer
abgeschlossen.
Ich muss
allerdings zugeben, dass Herr Götel ein feiner Kerl ist. Vor seiner
Pensionierung hat er als Braumeister bei Herrenhäuser die Qualität des besten
Hannöverschen Bieres sichergestellt. Ein wichtiger Job. Nun spielen seine
Nieren verrückt, was aber nicht an übermäßigem Biergenuss liegt. Er trinkt
nämlich nur Rotwein.
Schwierigkeiten
habe ich eher mit James. Der stammt aus der Karibik, hat die erste Hälfte
seines Lebens in London verbracht, die zweite in Hannover. Leider spricht er
ein für mich unverständliches Deutsch. Daher probiere ich es mit Englisch. Er
schaut mich erstaunt mit seinen braunen Rehaugen an, als hätte das
Krankenhausbett zu ihm gesprochen. Okay, Englisch ist auch nicht sein Ding. Ein
armer Tropf. Schwaches Herz, versagende Nieren, astronomische Zuckerwerte. Dennoch
verspeist er den ganzen Tag Hähnchenkeulen, die ihm seine Freu mitbringt, damit
er wieder zu Kräften kommt. Ich hingegen erhalte nach 3 Operationen in 4 Tagen
und einer Woche Intensivstation nur einen intravenösen Chemiemix.
»Jetzt gibt
es Lecker-Lecker, Herr Bresser«, begrüßt mich Schwester Bonnie, als sie eine
neue Lösung an meinen Chemikaliengalgen an klemmt. Nur weil ich krank bin, muss
sie nicht in Baby-Sprache mit mir schnacken.
»Ich nehme
Pommes Currywurst mit ein wenig Majo. Dazu ein Pils.«
Sie schaut
mich mitleidig an. Und James‘ Hähnchenkeulen duften. Hmm. Das nehme ich ihm aber
nicht übel. Anstrengend hingegen sind seine permanenten Rufe nach dem
Pflegepersonal. Besonders in der Nacht.
»Schwester!
Ich Smörtsmiddel.«
»Bitte?«
»Er möchte Schmerzmittel«,
übersetze ich um 4 Uhr morgens gerne. James entdeckt in Nacht auch immer neue
medizinische Notlagen. Er verlangt nach einem Ohrenarzt, einem Hautspezialisten
oder duscht ganz einfach zu ungewöhnlichen Tages- bzw. Nachtzeiten. Und bis auf
mich versteht ihn keiner. Das schlaucht ganz schön. Er unterstellt dem
Pflegepersonal, seine Anliegen absichtlich zu ignorieren. Ein durchaus
begründeter Verdacht, schließlich lässt sich niemand gerne als »Arschloch« oder
»Bastard« titulieren. Nur weil die Dialyseabteilung nicht um kurz nach
Mitternacht für James geöffnet werden kann. Faulpelze, pflichte ich ihm bei.
Der Stress
geht los, als Steffi mich besuchen kommt. Sie wirkt blass und übermüdet. Kein Wunder,
berufliche Selbstständigkeit und schulpflichtiges Kind sind anstrengend genug, und jetzt der Mann im
Krankenhaus on top. Das kann keiner brauchen.
Steffi holt
ein Notizbuch aus der Tasche.
»Als ich
gestern aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen bin, musste ich bis
dreiundzwanzig Uhr telefonieren. Grüße von deiner Mutter, deinen Schwestern,
Tante Trudi und Onkel Ingo, Kerschkamp, Joe, den Wiemers, meiner Mutter, meiner
Schwester, Gerda und Hans-Wilhelm sowie den Schneiders.«
»Oh, danke.
Wer sind Gerda und Hans-Wilhelm?«
»Deine
Cousine zweiten Grades aus Extertal.«
»Die haben
uns einmal besucht. Da war ich 4.« Verzweifelt versuche ich mich an ein Gesicht
zu erinnern.
»Deine Mutter
hat sie angerufen. Gerda ist doch Krankenschwester. Die war ganz entsetzt, wie
sie mit dir hier umspringen.«
»Ist doch
ganz okay. Mir geht es den Umständen entsprechend gut«, beteure ich.
»Aber es
könnte dir besser gehen, sagt Gerda. Sie wird dich besuchen und die Ärzte
richtig auf den Pott setzen.«
Mühsam richte
ich mich auf.
»Ich habe
keine Kraft für Streitigkeiten. Ich muss mich erholen.«
»Die Wiemers,
Onkel Ingo und Joe wollen dich auch besuchen. Joe trinkt zwar nicht mehr, aber
dir will er eine Kiste Herrenhäuser ins Krankenhaus schmuggeln. Onkel Ingo
möchte dir auf der Ukulele indische Gesundheitsmantras vorspielen. Dann wärst
du sofort geheilt. Die Wiemers denken, eine Partie Mensch ärgere dich nicht täte dir gut.«
»Keine
Besuche. Und wenn, dann für höchstens eine halbe Stunde«, stöhne ich. »Ich
brauche wirklich nur Ruhe.« Da sage ich zwar immer, wenn wir irgendwo
eingeladen sind, aber diesmal stimmt es wirklich. Sonst besuchen mich die meisten
dieser Leute auch nicht. Warum jetzt, wo ich noch weniger Gesellschaft
gebrauchen kann als sonst. Steffi verspricht, sich fünf Stunden
freizuschaufeln, um alle wohlmeinenden Verwandten und Bekannten über die
Besuchsregelung zu informieren. Ich bin sehr dankbar.
Leider bleibe
ich nicht lange alleine.
»Halli,
hallo, hallöle. Wie geht es denn unserem armen Patienten?« Dieser Flummi im
knallgelben Kleid könnte Gerda sein. Hans-Wilhelm, ein komplett schwarz
gekleideter Gothic mit ausrasierter linker Scheitelhälfte, folgt ihr bedächtig.
Leider bin ich zu sehr geschwächt, um auf der Stelle zu flüchten.
»Ich
Smörtsmiddel, Schwester«, stöhnt James.
»Sie Armer,
werden Sie hier nicht richtig versorgt? Bei uns Extertal wären Sie besser
aufgehoben.« Gerda öffnet die Zimmertür und brüllt »Schwester, kommen Sie doch
endlich!« in den Flur.
»Was denn?«,
fragt Schwester Bonnie, nur leicht gereizt.
»Der Mann
stirbt vor Schmerzen. Ich bin Kollegin aus Extertal. Da kümmern wir uns um
unsere Patienten.«
»Herr
Semisanan hat erst vor einer halben Stunde Medikamente bekommen. Seien Sie
beruhigt. Es ist alles gut.«
»Unmöglich«,
flüstert Gerda Schwester Bonnies Rücken hinterher.
»Leben kommt,
Leben geht«, murmelt Hans-Wilhelm. »Die Wahrheit ist auf dem Friedhof.«
»Hans, nu
lass mal«, maßregelt ihn Gerda. Aus unerfindlichen Gründen fühle ich mich
wesentlich schlechter als heute Morgen.
»Nenn mich
Evil Darkness. Mein alter Name liegt in der Gruft.« Hans kann auch laut,
wundere ich mich.
»Werd nicht
komisch. Außerdem sind wir wegen Micha hier.«
Ich stöhne
demonstrativ auf. »Ich bin sooooo müde. Außerdem schmerzt mein Bauch. Längeren
Besuch halte ich nicht aus.« Das ist sogar die Wahrheit.
»Ganz normal«,
Gerda klopft mir auf den Bauch, was einen weiteren Schmerzensschrei hervorruft.
»Entschuldige, mein Lieber. Das hätte mir als Schwester nicht passieren dürfen.
Jedenfalls ist es bei so einer schwierigen Operation kein Wunder, dass du
geschwächt bis. Immerhin bist du knapp dem Tod von der Schüppe gesprungen.«
»Ich beneide
dich. Wie schaut der Tod aus?«, fragt Evil Darkness.
»Nicht, wie
man sich vorstellt. Eher wie ein Hippi. Sehr bunt, sehr ungepflegt. Er hat
Yellow Submarine gepfiffen«, behaupte ich.
»Nicht wahr!«, staunt Hans.
»Nun wollen wir
die Caféteria besichtigen. Kommst du mit?«, fragt Gerda.
Ich zeige auf
die Schläuche, die meinen Körper verlassen.
»Dann trinken
wir ein Käffchen mit auf dich, Cousin.«
Sie verlassen
unser Zimmer. James blickt mich fragend an. »Verrückte?«
»Bauern aus
Ostwestfalen. Ganz schlimm Verrückte. Hast du noch Schmerzmittel übrig?«
Hat er. Damit
ist alles leichter zu ertragen.
Ich
telefoniere mit Steffi. Ab sofort empfange ich keinerlei Besuche am
Krankenbett. Außer den inneren Familienkreis, das müssen die anderen aber nicht
wissen. Ich bin halt ein schwieriger Patient.
Dienstag, Dezember 11, 2012
Ein schwieriger Patient
Gesundheit ist
mir wichtig. Zumindest seit drei Monaten. Da erzählte mein Kumpel Joe in
Charlies Eck, dass er zu einer Heilpraktikerin ginge. Fand ich erst einmal
seltsam.
»Schau auf
meinen Kopf«, sagte Joe. Tatsächlich. Wo vor vierzehn Tagen noch eine kahle
Steppe gähnte, sprossen nun braune Härchen.
»Was ist passiert?«, fragte ich. »Ist das ein
Toupet?«
»Von wegen.
Ich bin zu Sibylle Wägrich, einer Heilpraktikerin, gegangen. Die hat meine
Ernährung umgestellt, gibt mir homöopathische Medikamente und motiviert mich.
Seitdem fühle ich mich dreißig Jahre jünger.«
»Ha«, sage
ich. »Und trotzdem haust du dir die Hefeweizen rein? Oder gehören die zur
Therapie?«
»Naturtrüber
Apfelsaft. Frag Charlie. Alkohol gehört meiner finsteren Vergangenheit an. Nun
lebe ich im Licht.«
Unser
Stammtisch endete kurz darauf. Joes Licht schien mir einfach zu hell.
»Du bist
einfach nur neidisch«, belehrte mich meine Frau.
»Worauf neidisch? Ich habe noch alle Haare«,
protestierte ich.
»Und deine
Geheimratsecken? Außerdem schadet dir eine gesündere Lebensweise nicht. Du
warst schon fitter.«
Da hat sie
zweifellos recht. Also vereinbare ich einen Termin mit Sybille. Bereits eine
Woche später gehören Alkohol, Nikotin und Süßigkeiten auch meiner finsteren
Vergangenheit an. Fleisch, Kaffee und Rockkonzerte meide ich. Ebenso anregende
Tees, Gekochtes und Punkkonzerte. Dafür
trinke ich nach Kuhmist schmeckende Aufgussgetränke, verschlinge Rohkost und lausche
CDs mit rauschenden Flüssen. Besonders gut gefällt mir die Donau. Klingt nach
einem harten Programm, ist es auch. Dennoch fühle ich mich besser. Bis gestern.
In der Nacht
krampft sich mein Bauch zusammen, gleichzeitig wird mir übel. Am Morgen drauf
ist die Übelkeit verschwunden. Allerdings schmerzt der Bauch, wenn ich mich
bewege. Also bleibe ich erst einmal im Bett liegen. Um sechzehn Uhr kommt unser
Sohn nach Hause.
»Wie lange
willst du noch liegenbleiben?«
»Bis es mir
besser geht.«
»Wann geht es
Dir besser?«
»Wenn der
Bauch nicht mehr schmerzt.«
»Du liegst
bereits seit gestern Abend im Bett«, stellt Marten fest. »Vielleicht solltest
du zu Sybille gehen.«
Nein, nicht
zu Sybille. Wenn ich trotz ihrer Rosskur krank werde, zieht sie härtere Seiten
auf. Das hat sie mir bereits angekündigt. Ich mag mir nicht ausmalen, wie diese
aussehen mögen.
»Bei akuten
Problemen ist ein traditioneller Mediziner besser. Der weiß was er tut und
therapiert nicht wild drauf los«, behaupte ich.
»Dann geh hin«,
beendet Marten das Gespräch und widmet sich lieber seiner Legoeisenbahn.
Ich suche die
Adresse eines Allgemeinmediziners aus meiner Nähe im Internet, ziehe mich an
und schlurfe los. Eine halbe Stunde später sitze ich in Dr. Maurers
Behandlungszimmer. Ich schildere meine Symptome.
»Das könnte
vieles sein«, stellt Maurer fest. »Geben Sie uns eine Urinprobe.«
Ich setze
mich mit einem Plastikbecher auf Toilette. Es kommt nichts. Bekomme ich nun
keine Diagnose?
»Alles in
Ordnung?«, ruft eine Sprechstundenhilfe durch die Klotür.
»Ich kann
nicht.«
»Nicht gut.
Sie sind ein schwieriger Patient.«
Aha, kann ich
doch nichts für.
Wieder im
Sprechzimmer sagt Dr. Maurer zu mir: »Kein Problem. Allerdings sind meine
Diagnosemöglichkeiten erschöpft. Bitte gehen Sie ins Krankenhaus in die
Notaufnahme. Die werden Ihnen weiterhelfen.«
Kurz darauf
stehe ich in der Kälte, in der Hand eine Überweisung ins Krankenhaus. Mein Buch
schmerzt beim Laufen und ich tue mir selber Leid. Ich jammere etwas vor mich
hin, doch kein Passant hält an und erkundigt sich nach meinem Schlechtbefinden.
Es hilft alles nichts. Ich rufe mir ein Taxi und lasse mich zum
Oststadtkrankenhaus befördern. Auch der Taxifahrer ignoriert meine um Mitleid
bettelnden Blicke und schaut starr auf die Fahrbahn.
»Mir geht es
heute nicht so gut. Bauch«, erkläre ich. »Daher muss ich ins Krankenhaus.«
»Die Roten
spielen sich zurzeit eine Scheiße zusammen, was.«
»Mal schauen,
ob ich den heutigen Tag noch überlebe.«
»Die sollten
mit Slomka schleunigst verlängern, wenn Sie mich fragen.«
Als wir am
Krankenhaus angekommen sind, gebe ich ihm kein Trinkgeld. Wenn ich mich über
Fußball unterhalten will, fahre ich kein Taxi sondern gehe zum nächsten Kiosk.
Idiot.
Im
Krankenhaus nimmt mich Pflegeschüler Dennis in Empfang. Er stellt mir jede
Menge Fragen.
»Gewicht?
Größe? Krankheiten? Krankheiten in der Familie?«
Geht ihn
nichts an. Er nickt nur gleichmütig. »Sie sind krank, nicht ich. Geben Sie uns
eine Urinprobe.«
Nicht schon
wieder. Ich sitze wieder mit einem Plastikbecher auf Toilette und fühle mich
blockiert.
»Alles in
Ordnung, Herr Bresser?«, schallt es durch die Tür.
»Klappt
nicht«, bekenne ich frustriert. »Vielleicht kann ich was trinken? Das wäre
förderlich«
»Geht nicht«,
brüllt Dennis durch die Tür. »Bevor Sie operiert werden, dürfen Sie nichts
trinken. Wenn Sie nicht pinkeln können, ist es nicht weiter schlimm.«
Nun weiß das
ganze Krankenhaus über meine Urinierhemmung Bescheid. Super. Und wieso
operieren? Sollte nicht vorher eine Diagnose gestellt werden?
Richtig.
Darum kümmert sich Dr. Schmauch, ein kreidebleicher Assistenzarzt mit
schulterlangen schwarzen Haaren und rumänischem Akzent. Erinnert mich an eine
Dracula-Verfilmung mit Bela Lugosi. Der Mann ist mir unheimlich.
»Was genau
ist Symptom?«
»Wenn ich
mich bewege, fühlt sich mein Bauch unangenehm an.«
»Sie leiden
Schmerzen?«
»Ein
unangenehmes Gefühl, keine richtigen Schmerzen.«
»Aha.«
Dr. Schmauch
tastet meinen Bauch ab. Dabei drückt er so fest, dass ich aufstöhne.
»Oho«, freut
der sich. »Doch Schmerz!«
»Eher
unangenehm.«
Dr. Schmauch
schüttelt den Kopf. »Sie müssen entscheiden. Sonst keine Diagnose. Sie sind schwieriger
Patient.«
Das höre ich
heute zum zweiten Mal. Schmauch reibt meinen Bauch mit schmieriger Paste ein
und führt eine Sonde über meinen Bauch. Währenddessen murmelt er grimmig vor
sich hin.
»Und?«, frage
ich schließlich.
»Ich sehe
nichts. Spreche mit Oberarzt.«
Der steht
kurz darauf an meiner Liege. Ein solariumgebräunter Sonnyboy im Jogginganzug.
»Ich bin Dr.
Kaltenbach. Entschuldigen Sie meinen Aufzug, ich bin eigentlich bereits im
Feierabend. Wo ist das Problem?«
»Schwierig
Patient. Kann nicht sagen, ob Schmerzen hat. Bei Sonographie habe ich nichts
entdeckt.«
»Ich glaube
nicht, dass ich mehr als du entdecke«, sagt Kaltenbach. Das macht Hoffnung.
Zehn Minuten später hat auch er meinen ganzen Bauch abgetastet. Der Monitor hat
nichts gezeigt.
»Gab es schon
mal Probleme in Ihrer Familie mit dem Bauch?«, fragt er.
Was haben die
Bauchschmerzen meiner Eltern mit mir zu tun.
»Nicht, dass
ich wüsste«, antworte ich dennoch brav.
»Okay, Herr
Bresser. Wir haben 2 Möglichkeiten. Wir können Ihnen auf Verdacht Antibiotika
geben. Sollte aber etwas Akutes vorliegen, könnte sich ihr Zustand verschlimmern.
Oder wir öffnen Ihren Bauch und schauen, was dort los ist. Das ist zweifelslos
die bessere Alternative.«
Klingt beides
nicht gut. Aber die Operation scheint unausweichlich.
»Eine super
Entscheidung«, freut sich Kaltenbach. »Dr. Schmauch bereitet sie auf den
Eingriff vor.«
Der stellt
mir die gleichen Fragen, die ich bereits Pflegeschüler Dennis beantwortet habe.
Vorerkrankungen, Erkrankungen in der Familie, Allergien. Wenn das so weiter
geht, kann ich auf Vollnarkose verzichten. Ich werde immer schläfriger.
Dann werden
mir diverse Löcher in die Arme gestochen, Blut abgezapft.
»Möchten Sie
eine Scheiß-Egal-Pille?«, fragt mich Dennis.
»Ach, nö. Ich
bekomme noch genug Chemie.«
Dann schiebt
er mich in die Anästhesie. Unterwegs erfahre ich, dass er in Vahrenwald zusammen
mit seiner Freundin lebt. Die heißt Andrea und arbeitet als PTA. Er fragt mich
noch diverse Dinge über meine Frau, meinen Sohn und unsere Wohnung. Wie in
Trance antworte ich, obwohl ich nicht verstehe, warum meine Antworten für die
Operation wichtig sind.
In der
Narkosestation muss ich kräftig durch eine Sauerstoffmaske atmen. Währenddessen
tropft eine durchsichtige Flüssigkeit über einen Schlauch in meine Vene. In meinem
Kopf spielen die Beatles Sergeant Pepper. Dazu grelle Farben und haarige
Pilzköpfe. Und das, wo ich die Beatles hasse.
Als ich
aufwache ist helllichter Tag. Ich liege in einem Krankenhauszimmer, eine
Ärztearmee umringt mein Bett. Träume ich noch?
»Da ist er
wieder unter den Lebenden, der Herr..«, ein rundlicher Arzt schaut auf das
Namensschild an meinem Bett. »…Bresser. Da haben Sie sich ein schönes Ding
eingefangen. Blinddarmdurchbruch mit Bauchfellentzündung. Heute Abend öffnen
wir Ihren Bauch erneut.« Er klopft mir jovial aufs Bein. »Mal schauen, ob da
wieder alles in Ordnung ist. Kein Grund zur Panik. Manchmal muss man in solchen
Fällen bis zu 10 Mal nachoperieren. Sie sind halt ein schwieriger Patient.«
Seine Gefolge
nickt andächtig.
In diesem Moment sehne ich mich nach Sybille zurück. Die fand
mich nie schwierig.
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