Donnerstag, November 08, 2012

Ich tanze gern in meinem Energiekreis

Mein Kumpel Joe und ich hocken wie jede Woche in Charlies Eck und diskutieren die Weltliteratur: Camus, Thomas Mann und mein bescheidenes Oeuvre. »Weißt du, warum der Mann den Nobelpreis bekommen hat und du nicht?« »Weil er große Romane verfasst hat, ich hingegen nur unterhaltsame Krimis?« Ich hasse solche Gespräche. »Bullshit.« Joe leert sein Herri und bestellt ein neues. »Der war ein Fitnessfanatiker. Du solltest für deinen Bauch mittlerweile eine eigene Postleitzahl beantragen. Alkohol und Nikotin sind dem Schreiben auch nicht gerade zuträglich. Das hat der Mann kapiert.« »Was verstehst du denn davon?« Wenn ich meinen Lebenswandel diskutieren will, rufe ich meine Mutter an. Und selbst die hat es aufgegeben, mich zum Gesundheitsfreak bekehren zu können. »Ich nicht viel, aber meine Freundin Ingrid hat eine Frau kennengelernt, die versteht jede Menge davon. Wir haben über dich gesprochen. Und sie kann deine Probleme lösen.« Ich finde es bemerkenswert, dass mir unbekannte Leute meine mir unbekannten Probleme lösen können. »Aha.« »Ingrid sieht das auch so.« »Aha.« »Und deshalb sollen wir beide zu Petras Anti-Aging-Seminar für Männer gehen. Keine Sorge, du bist eingeladen. Mir liegt deine Karriere am Herzen.« »Aha. Ich überlege es mir.« Zwar beleidigt mich die Kritik an meiner körperlichen Verfassung – Mohammed Ali kämpfte schließlich auch im Superschwergewicht-, aber ein Blick am Abend in den Spiegel verrät mit, dass ein wenig körperlicher Ausgleich nicht schaden kann. So betreten Joe und ich zwei Wochen später Petras Heilpraktikerpraxis. Bewaffnet mit Gemüse für das Mittagessen, das wir selber zubereiten werden. Joe trägt einen Kürbis in seinem Jutebeutel, ich habe mein Radieschen dazu gesteckt. »Halihallohallöle«, begrüßt uns Petra. Das muss ich ihr ja lassen. Die Mittfünfzigerin wirkt fitter als Aerobic-Päbstin Fonda zu ihren besten Zeiten. Dazu versprüht sie ein Übermaß an guter Laune. »Die geht mir aber auf den Senkel«, flüstert Joe. »Ich finde sie nett«, stelle ich fest. Wenn mir einer die Grundlagen des gesunden Lebens begreifbar machen kann, dann eine Frau wie Petra. Außer uns befinden sich noch zwei Männer der Bierbauchfraktion, Engelbert und Heiko, im Seminarraum. Beide sind Mitte vierzig und geschieden. Mit einem attraktiven Äußeren möchten sie bei Frauen punkten. Dann man tau. Ach, und dann ist da noch Gebhard. Der passt überhaupt nicht zu uns anderen. Mitte zwanzig, straffer Körper, Zahnpastareklamelächeln. »Ich bin Modell«, erzählt er ungefragt. »Ihr habt mich wahrscheinlich im Fernsehen gesehen. Schießer-Slips? Die Beine im VW-Passat? Oder das Mittel gegen Verdauungsbeschwerden?« Wir schauen selten Fernsehen, behaupten wir. Ein wenig Neid ist schon dabei. So wie Gebhard würde ich auch gerne aussehen. »Ich absolviere das Seminar zum dritten Mal«, erklärt er. »Früher habe ich ausgesehen wie ihr. Das hat mich echt frustriert. Dann bin ich zu Petra gegangen. Das Ergebnis seht ihr. Die Frau kann zaubern.« Er dreht sich um die eigene Achse. »Und ich bin schon Mitte fünfzig.« »Glaub ich nicht. Du siehst fantastisch aus.« »Heute bin ich etwas übermüdet, aber generell kann ich mich nicht beschweren.« »Ganz nett«, murrt Joe. »Der ist doch nicht mal dreißig, der Lügner. Lass uns abhauen. Mich nervt das alles.« »Kommt nicht in Frage. Ich möchte auch so attraktiv wie Gebhard werden. Du hattest völlig recht. Mit so einem Körper verkaufe ich Massen an Büchern.« »Bist du verrückt geworden? Ich habe den Mist doch nur erzählt, damit ich hier nicht alleine hinmuss.« Ich ignoriere Joe und setze mich in die erste Reihe. Petra erzählt uns über die Wichtigkeit des Trinkens. 5 Liter Wasser sollen wir zu uns nehmen. Leuchtet mir ein. »Leider gibt es kein gutes Wasser. Leitungswasser beinhaltet bis zu tausend Schadstoffe, das handelsübliche Mineralwasser ist radioaktiv verseucht.« Wir schweigen betreten. Schließlich frage ich »Was können wir tun, Petra?« »Eine sehr gute Frage, Michael.« Sie strahlt aus allen Poren. »Glücklicherweise gibt es eine Lösung. Du kannst Leitungswasser mit dem Aquafix-Filter reinigen. Das spart jede Menge Geld.« »Das kann ich bestätigen«, sagt Gebhard. »5 Flaschen Wasser à 1 Euro kosten tausendachthundertfünfundzwanzig Euro pro Jahr. Konservativ geschätzt. Unser Filter kostet lediglich einmal zweihundertfünfzig Euro.« »Den nehme ich«, sage ich begeistert. Die anderen folgen, Gebhard kauft sogar 2 als Geschenk. Nur Joe lehnt ab. Will er nicht aussehen wie ein junger Gott? Anschließend geht es zum Wiegen. Alle, bis auf Gebhard, tragen zu viel Körperfett mit sich rum. Gott sei Dank verkauft Petra diese Wagen, die sogar den Wasseranteil anzeigen. Schlappe hundert Euro. Weil wir es sind. Sie ist ein wahrer Schatz. Mittagszeit. Wir essen jeder Stück Babybell, das Petra spendiert. Aus dem Gemüse schnippeln wir einen saftigen Salat. Soviel Frische habe ich noch nie genossen. Da vergeht einem völlig der Appetit auf Pizza, Pommes und Gyros. Nur Joe mäkelt, dass er lieber in eine von Charlies verbrannten Frikadellen beißt als in vertrocknetes Gemüse. Spielverderber. Er wird es schon sehen: In zwei Monaten sehe ich aus wie Gebhard und er… Na noch immer wie Joe. Was per se nicht schlecht ist, aber auch nicht besonders gut. Petra hat Verbindungen zu einem Biobauern, der uns Gemüse frei Haus liefert. Für hundert Euro pro Fuhre! Sie verdient da nichts dran. Es geht nur um uns. Ich liebe diese Frau. Am späten Nachmittag geht es um Sport. Wir alle, ausgenommen Gebhard sind ungelenker als die Bundeskanzlerin beim Fußballjubel. Dennoch heben wir brav die Beine, kneifen den Pot zusammen und schmeißen unseren Oberkörper nach vorne. Nur Joe liegt lethargisch auf dem Boden und starrt böse Löcher in die Decke. Wird schon sehen was er davon hat. Am Ende tanzen wir das Wort Gesundheit und ziehen einen Energiekreis um uns. Damit kann keiner uns was Böses anhaben. Geil! Ich hätte nie gedacht, dass Bewegung Spaß macht. Vielleicht hätten mich meine Eltern doch auf eine Waldorfschule schicken sollen. Gegen Ende des Tages stellt uns Petra noch ein tolles Produkt für unser Wohlbefinden vor: Algenextrakt. Das sind pure Vitamine. Ich abonniere eine monatliche Lieferung von zwanzig Kistchen für hundert Euro, Petra verdient nichts dran, und ordere dieselbe Menge für Joe. Er wehrt sich zwar mit Händen und Füßen, beschimpft mich als Volltrottel, aber ich bin ihm unendlich dankbar für mein neues Leben. Als wir nach Hause gehen ist die Stimmung zwischen uns angespannt. Nicht von meiner Seite, ich schwebe auf Wolken, aber Joe scheint etwas sauer auf mich zu sein. Wir laufen an Charlies Wohlfühltempel vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Unsere Verabschiedung fällt denkbar knapp aus. »Man sieht sich.« Zwei Monate lang führe ich brav das Sportprogramm durch, speise Hüttenkäse mit Algenextrakt und tanze das Wort Gesundheit. Ich fühle mich trotz des permanenten Hungergefühls pudelwohl. Charlies Eck meide ich, denn Charlie hat mir verboten, dort mein Wasser zu filtern. Das würde sich negativ auf den Getränkeumsatz auswirken. Egoist. Muss er selber wissen, ob er auf einen Stammkunden verzichten kann. Da ruft mich eines Tages Gebhard an. Ich habe gerade einen Energiekreis um mich gezogen und berste vor Glück. »Du bist doch auch ein großer Petra-Fan, Micha?«, fragt er. »Ich verehre die Frau«, beteuere ich. »Wahnsinn, wie sich mein Leben verändert hat.« »Du, Petra verkauft jetzt Finanzanlagen. An dem Gesundheitsschrott hat sie ja nichts verdient.« »Oh, sagtest du Gesundheitsschrott?« »Ich würde mich freuen, wenn du bei einem unserer Treffen vorbeikommst. Du kannst auch Mitarbeiter werden. Wie ich. Petra vertritt einen Fond mit griechischen Staatsanleihen. Da verdient sie eigentlich auch nichts dran, nur die Kunden und ihre Mitarbeiter. Wie sieht’s aus?« Als ich aufgelegt habe rufe ich Joe an. »Wann gehen wir mal wieder zum Charlie, mein Freund? Ich erzähl dir eine Geschichte, da wäre Thomas Mann trotz aller Fitness nicht drauf gekommen.«

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