Freitag, Oktober 19, 2012

Schönen Tag noch

Ich muss mir einen Job suchen. Zum einen brauche ich neues Futter für Geschichten, zum anderen schreit das Bankkonto nach Auffrischung. Aber was? Von meinem BWL-Studium erinnere ich mich nur an die Semesterfeten, Journalisten haben wenig attraktive Arbeitszeiten, und für Weihnachtsmänner ist jetzt keine Saison… Halt, ich weiß was ich mache. Ich helfe vom Leben benachteiligten Menschen. Vielleicht im Seniorenheim oder bei der Obdachlosenhilfe. Die brauchen immer helfende Hände. Ich arbeite nachhaltig und fülle mein Portemonnaie. Ein gutes Konzept. Die Altenheime brauchen mich nicht, stelle ich nach zwanzig Absagen fest. Zumindest nicht für Bezahlung. Aber der Elektronikriese Jupiter in Hannover- Mühlenberg braucht einen stressresistenten Mitarbeiter im Servicebereich, der defekte Geräte tauscht oder dem Hersteller zur Reparatur zurückschickt. Kein Problem. Ich scheue mich auch nicht in Mühlenberg zu arbeiten. Dieses Viertel ist so verrufen, dass selbst die Polizeihunde schusssichere Westen tragen müssen. Ein Bürgermeister Hannovers bot es der 30 Kilometer entfernten Stadt Hildesheim an. Als Zugabe eine halbe Million für das leere Stadtsäckel. Das Hildesheimer Stadtoberhaupt verklagte seinen Hannoveraner Kollegen wegen Beleidigung. In den Kindergärten dieser wenig freundlichen Ecke werden die Kiddies in jedem Raum auf das bestehende Alkoholverbot hingewiesen. Doch die Marwins und Justins, die den Metalldetektor passieren können, trinken meistens nicht. Besoffen zielt es sich schlecht. Ich habe wie gesagt keine Berührungsängste. Das sind auch Menschen, leuchtende Lichtwesen auf ihrem Weg durch die Ewigkeit, wie ein Esoterikschmöker meinte. Serviceleiter Metzger, ein rundlicher Gemütsmensch, gibt mir morgens einen halbstündigen Crashkus in Garantie und Gewährleistung. »Und immer schön freundlich bleiben. Sie sind der Repräsentant von Jupiter, der den Kunden im Gedächtnis bleibt. Gleichzeitig zeigen Sie sich bestimmt in der Sache. Orientieren Sie sich einfach an dem Kollegen Arno, unser Betriebsfaktotum. Der arbeitet seit 10 Jahren im Service und kennt das Thema aus dem Effeff.« Die Serviceabteilung des Marktes befindet sich im Keller und ist nur über eine schmale Treppe erreichbar. Ich tapere durch schummrig beleuchtete Gänge mit schimmeligen Wänden. Einige Ratten huschen durch die Katakomben. Mein Gott, ich würde freiwillig auf die Reparatur meines DVD-Players verzichten, um dieses Verließ zu vermeiden. Vielleicht war dieser Servicejob doch nicht meine beste Idee. In einer tristen, mit grellem Neonlicht ausgestrahlten Halle befinden sich zwei Pulte. An einem steht ein hagerer Typ im rot-blauen Marktoutfit. Die blonden Haare fallen auf die Stirn. Im rechten Ohr klemmen fünf Goldringe. »Ich bin Arno. Willkommen im Kundenparadies. Wenn du Probleme hast, helfe ich gerne.« Ein netter Kerl. Und einen guten Kollegen brauche ich auch. Ab 9 Uhr sehen wir uns zwei gefühlt 20 Meter langen Kundenschlagen gegenüber. Wirklich erstaunlich, dass sich so viele Menschen in einem ungemütlichen Ambiente einer wahrscheinlich stundenlagen Wartezeit aussetzen. Mein erster Kunde. Ich freue mich wie ein Kind an Weihnachten, diesen Menschen glücklich zu machen. »Hier.« Der schnauzbärtige Joggingsanzugträger haut mir einen schmuddeligen Karton auf die Theke. »Einen wunderschönen Tag. Willkommen bei Jupiter. Was haben wir denn da?« Er antwortet nicht, starrt mich nur finster an. Also öffne ich selber den Karton. »Eine Kaffeemaschine. Mhm, meine Oma hatte das gleiche Modell. Haben Sie einen Bon?« »Geh mir weg mit Bon. Umtauschen!« Freundlichkeit wird siegen. Ich schicke mental Liebe zu dem Jogginganzugträger. »Ohne einen gültigen Kaufbeleg kann ich die Kaffeemaschine weder reparieren lassen noch umtauschen. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, mir scheint das Modell doch etwas antik zu sein. Gewährleistung und Garantie gelten höchstens zwei Jahre.« »Umtauschen!« Er drängt seinen massiven Körper ans Pult. Seine klobigen Hände wirken verkrampft. »Pass mal auf du verfluchter Schisser. Pack deine verfickte Kaffeemaschine ein und verpiss dich. Ich will deine hässliche Fresse nie wieder in unserem Laden sehen. Hast du mich verstanden, oder muss ich dir in den Arsch treten, bis dir deine verdreckten Zähne aus dem Maul fallen.« Arno hat eine deutliche Kundenansprache, stelle ich erstaunt fest. Der Jogginganzug packt wirklich seinen Karton unter den Arm. »Nichts für ungut. Schönen Tag noch«, nuschelt er. Ich könnte sowas nicht. Ich will sowas auch nicht. Auch wenn wir eine kleine Meinungsverschiedenheit hatten, ist der Jogginganzugstyp ein Mensch, dem ich Respekt entgegenbringe. Arno klopft mir auf die Schulter. »Beim nächsten Kunden läuft es besser.« Er zwinkert mir zu. Der nächste Kunde ist eine Dame Mitte Fünfzig mit hochgesteckten Haaren. »Ihr Staubsauger saugt nicht.« Sie legt den Bon auf die Theke. Ich probiere das Gerät aus, saugt wirklich nicht. »Stimmt. Wir müssten es zur Reparatur schicken.« »Das macht mich ganz fertig.« »Dann schau ich mal, ob ich das Gerät umtauschen kann.« »Aber rasch. Ich habe schon Depressionen.« Obwohl ich mir alle Mühe gebe, wirkt sie leicht aggressiv. »Wissen Sie wer ein Recht auf Depressionen hat? Kinder in der dritten Welt, die von einer Hand voll Reis am Tag leben müssen. Ein bekloppter Staubsauger ist kein Grund für Depressionen. Hier.« Arno öffnet den Staubsauer und schüttelt einen Haufen Dreck auf den Betonboden. »Schon mal was von einer grandiosen Erfindung namens Müllbeutel gehört. Nehmen Sie Modell H23B F aus unserer Haushaltswarenabteilung. Der Sauger ist vollkommen in Ordnung. Auf Nimmerwiedersehen.« Die Dame murmelt etwas von Frechheiten und Beschwerden bei der Konzernleitung, dackelt aber los. »Wie hältst du das nur seit 10 Jahren aus?«, frage ich Arno. »Treibst du Sport zum Ausgleich?« »Micha, ich arbeite von morgens bis abends. Dann gehe ich nach Hause, setze mich aufs Sofa und warte auf den Tod.« Arno lacht. »Wenn du den Leuten nicht Paroli bietest, bist du nach einem Tag ein seelisches Wrack. Und es nimmt dir keiner übel. Die wollen sich über uns aufregen. Können sie kriegen. Arbeite an deiner Einstellung, Junge.« Vielleicht hat er recht. Der nächste Kunde nähert sich. Ein schneidiger Mann in meinem Alter. Er trägt einen grauen Anzug, in dem er bestimmt schon zur Welt gekommen ist. Arno gibt mir ein Handzeichen. Das scheint ein besonders schwieriger Kundentyp zu sein. »Schön guten Tag. Mein Drucker ist defekt.« »Haben Sie einen Bon.« Arno winkt. Dem soll ich es so richtig zeigen. »Leider nicht.« Ich gebe mir einen Ruck, besinne mich auf das Böse in mir und keife los »Pass auf du, Drecksack. Nimm deinen vollgewichsten Drucker und gewinn Land. Ohne Bon tun wir hier gar nichts.« Arno winkt noch heftiger. Diesmal musste er nicht eingreifen, ich habe rasch gelernt. »Gestatten, Klaus Streng. Ich bin der Niederlassungsleiter dieser Filiale.« Ich sacke zusammen. Da versuche ich es einmal richtig zu machen, und dann so ein Fiasko. »Tttut mir Leid«, stammele ich. »Ich leide unter Tourette.« Streng lacht schallend. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Das haben Sie hervorragend gemacht. Genauso müssen diese Penner behandelt werden, die unseren Laden ausrauben wollen. Endlich ein Mann, der in Arnos Fußstapfen tritt. Was halten Sie von einem unbefristeten Arbeitsvertrag?« Ich sehe mich abends auf dem Sofa sitzen und auf den Tod warten. Nein, danke. Ich ziehe den Jupiter-Dress aus und schmeiße ihn auf den Boden. Der Menschheit Gutes zu tun, ist mir zu schwierig.

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