Freitag, Juli 11, 2008

Die Kraft der Bilder

Als Privatschnüffler musst du ein Gedächtnis wie eine eins haben. Immerhin hast du ja nicht – wie die Kollegen in blau – das Recht, Camcorder oder Diktiergerät zu zücken. Meistens bist du glücklich über jedes wohl artikulierte Wort, dass dir ein potentieller Zeuge außerhalb der gepflegten Beleidigung ins Ohr flüstert. Natürlich gibt es auch andere. Oma Erna erzählt dir gerne, was Paul und Robin so alles in ihrer Straße treiben. Die Frage ist nur, ob du nach zwei Stunden, in denen du alles über die Krankengeschichte ihres Hundes erfahren hast, die wichtigsten Details – Gasentwicklung, mangelnder Appetit, räudiges Fell vorher waren es beinahe Locken. Wie ein Engel auf vier Pfoten! - noch zusammen bekommst. Und du weißt genau, noch mal drei Stunden mit dem hilfreichen Geist hälst du nie durch.

Zwar war mein Gehirn in ähnlich guter Verfassung wie der Körper von David Kirsch, aber da ich in meinem selbstgenehmigten Fortbildungsetat noch steuerlich absetzbaren Spielraum sah, meldete ich mich kurzerhand bei einem Gedächtnistrainingsseminar an.

Roland Geisselharts Methoden visualisieren Gegenstände, Personen und Zahlen mithilfe von kleinen Geschichten. Wir sollten an das Kind in uns appellieren – und klein Dieter war da ganz groß. Auch meine Merkgeschichten waren immer ein wenig anders als die meiner Mitstreiter. Zu Hause habe ich die Tricks gleich ausprobiert und Karin mit meinem lückenlosen Herunterbeten ihres Einkaufszettels in helles Verzücken versetzt. Sie diktierte mir forsch:

Tomaten
Öl
Klopapier
Kondomen
Schinken
Käse (Gauda oder Emmentaler)
Cola
Müsli
Einwegfeuerzeuge
Müllsäcke
Buntstifte
Kontaktlinsenflüssigkeit
Radiergummis


"Und du willst dir wirklich keinen Einkaufzettel schreiben? Für jedes fehlende Teil schuldeste du mir dann aber ein Abendessen in einem schicken Restaurant!"

Gesagt getan. Ich glaube, sie war ein wenig enttäuscht, als ich mit den vollen Tüten vor ihrer Tür stand. Gemerkt habe ich mir das Ganze wie folgt (und stets die Bilder vor Augen führen!):

Ich sitze gemütlich in meinem Volkswagen und mampfe mein Schinkenbrot, als der Verdächtige auch schon um die Ecke biegt. Ich versinke in den Polstern, aber der Junge hat zum Glück Tomaten auf den Augen. Kaum ist er um die Ecke krieche ich aus dem Wagen und werfe dabei beinah die halbleere Cola vom Armaturenbrett. Jetzt muss ich mich aber sputen, der Knilch ist schon fast weg. Zum Glück ist er so blind wie dämlich und zieht eine Lage Toilettenpapier hinter sich her. Da hätten die Eltern wohl besser ein Kondom benutzt. Ich sprinte also los hinter dem Jungen her zu einem kleinen Waldstück. Ist das endlich eine heiße Spur? Das Einwegfeuerzeug lässt Stichflammen in meinem Kopf aufleuchten, als ich mich einer Lichtung nähere. Der Atem verschlägt mir bei dem bestialischen Gestank. Eine Gauda- oder Emmentalerdeponie könnte nicht so viel Sondermüll verursachen. Mein geschulter Verstand sagt mir: Ich habe die gesuchte Frau Krasorzki endlich gefunden. Ich ziehe meine Waffe. Das beruhigend glatte Metall hinterlässt einen leichten Ölfilm auf der Haut. Gut gepflegt ist halb getroffen. Eine einzige Gestalt liegt auf dem Boden. Ein knallpinker Buntstift steckt in ihrem linken Auge. Da hilft auch keine Kontaktlinsenflüssigkeit mehr. Professionalität hin oder her – ich erbrach mein morgendliches Müsli neben den Leichnam.

Und der Junge? Tja, ob der mich ausradiert hat oder nicht, das hängt wohl davon ab, was Karin das nächste Mal kochen möchte. Denn Essen werden wir wohl in nächster Zeit nicht gehen - das verbietet die Schnüfflerehre.

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